BLOG  NEU


(10.01.2018)


(28.04.2023: Derzeit wird der Blog nicht fortgesetzt. Zur Zeit setze ich neue Texte eher bei "Besondere Artikel" ein, weil ich da einen Artikel in chronologischer Reihenfolge in einem Stück veröffentlichen kann.)

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Gezieltes Aufrufen früherer Beiträge


Man kann mit STRG + G über das Datum  Texte im Inhaltsverzeichnis direkt ansteuern.


Wenn man also z. B. Sprichwörter und Sprüche lesen will, tippt man bei Firefox  STRG + G und gibt in das Suchfeld: 02.09. ein (Jahreszahl normalerweise verzichtbar).


Dann  return bzw. enter eingeben (ggf. 2x). So ersparen Sie sich ein mühseliges Herunterscrollen.


Beim Internet Explorer tippen Sie stattdessen STRG + F. Bei anderen Browsern habe ich es noch nicht ausprobiert.

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Das genaue Inhalttsverzeichnis für BLOG NEU und eine Einführung steht auf der Seite: Info zu Blog neu.


In den PDFs unten finden sich bereits beendete Artikel mit all ihren Unterpunkten, in chronologischer Reihenfolge.


Zum bisherigen Blog

Zur Einführung für den ersten Blog        (gilt auch für den neuen Blog)


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Inhaltsverzeichnis


Die Nummer in Klammern hinter "Blog" gibt an, welche Nummer dieser Blogeintrag hat, wenn man den  ersten Blog mit seinen Einträgen mitzählt.



9 Blog (30)

21.12.20  Die spirituelle Stufenleiter

(wird noch fortgesetzt)



8 Blog (29)

15.09.20  Wahrscheinlichkeit und Information



7 Blog (28)

21.06.20  Sind Wetter-Prognosen Fake-News?









6 BLog (27) 

02.05.20  Probleme lösen - Zufrieden leben









5 Blog (26)

06.02.19  Falsche Alltags-Logik



 




4 Blog (25)

26.11.18  Haltungen zum Tod






3 Blog (24)

02.09.18  Sprichwörter und Sprüche


  




2 Blog (23)

23.03.18  Meta-Ganzheit


 




1 Blog (22)

10.01.18  Orientierungs-Programm


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15.09.21   Die Bundestagswahl 2021 –

 

Paradoxien des Wählens


Vorbemerkung

Diesen Text habe ich 2017 schon einmal veröffentlicht, bei der letzten Bundestagswahl. Aber die wenigsten Besucher meiner Homepage werden sich noch daran erinnern, wenn sie ihn überhaupt schon einmal gelesen haben. Und ich finde den Text keineswegs überholt, er beinhaltet generelle Einsichten über die politische Wahl, die immer noch richtig und wichtig sind. So stelle ich das Essay noch einmal online, allerdings aktualisiert und überarbeitet.

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Den nachfolgenden Text sollte ich eigentlich besser nicht veröffentlichen! Jedenfalls lesen Sie ihn auf eigene Gefahr.


Die Bundestagswahl 2021 steht bevor. Die Briefwahlstimmen konnte man schon seit einigen Wochen abgeben, aber am 26. September 2021 ist der offizielle Wahltag.


Und man fragt sich, wen man wählt, welche Partei und welchen Politiker.

Natürlich kann man sich auch fragen, ob man überhaupt wählen soll.


Wie viele Wahlberechtigte gibt es in Deutschland? Es sind ca. 60,40 Millionen (Stand 2021), sagen wir der Einfachheit halber 60 Millionen – der genaue Wert ist für meine Betrachtung auch belanglos.

Bei der letzten Bundestagswahl 2017 lag die Wahlbeteiligung bei 76,2%. Gehen wir für die Wahl 2021 schätzungsweise von dem gleichen Wert aus, dann kommen wir (durch Multiplikation) auf ca. 45,7 Millionen abzugegebener Stimmen, vereinfacht also 46 Millionen Stimmen.


Die eigene Stimme hat also einen Einfluss auf die Wahlentscheidung von ca. 1/46 Millionen, in Zahlen 1/46.000.000, d. h. die Bedeutung der eigenen Stimme geht gegen 0.


Die immer wieder gehörte Behauptung "Jede Stimme zählt" ist einfach nur falsch.


Es wären zwar theoretisch extrem unwahrscheinliche Verhältnisse denkbar, in denen eine einzige Stimme den Ausschlag geben könnte, welche Partei gewinnt oder ob eine Partei die 5%-Hürde schafft oder nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist praktisch 0, und m.W. sind, jedenfalls in Deutschland, noch nie solche Wahlverhältnisse aufgetreten.


Also kann man gut zu der Erkenntnis kommen, dass man sich die Teilnahme an der Wahl sparen kann.


Und das ist keineswegs eine unqualifizierte Auffassung, sondern eine sehr rationale bzw. vernünftige. Der rationale Mensch ist dadurch bestimmt, dass er den Aufwand und den Nutzen einer Handlung abgleicht.

Zur Wahl zu gehen, ist doch ein gewisser Aufwand an Zeit, vielleicht auch Fahrtkosten, entsprechendes gilt für die Briefwahl; ein Nutzen dieses Wahlganges ist nicht gegeben, weil eben die eigene Stimme keinen Einfluss hat.


Ein rationaler Mensch unternimmt aber normalerweise keine Handlung, die ihm nur Aufwand, aber keinen Nutzen beschert.

Pointiert könnte man umgekehrt sagen, dass wer zur Wahl geht, ein Irrationalist, ja ein Größenwahnsinniger ist, der seine eigene Bedeutung für das Wahlergebnis absurd überschätzt.


Vor allem die sogenannten strategischen oder taktischen Wähler sind reine Illusionisten. Es ist rührend, aber naiv, wenn Leute lange überlegen, wie sie ihre Stimme strategisch einsetzen können. Z. B. mag einer argumentieren: „Ich bin eigentlich für die SPD, wähle aber die Linke, damit die über die 5%-Hürde kommt und die zusammen, mit den Grünen, eine Koalition bilden können.“ Oder: „Ich bin eigentlich ein Anhänger der Grünen. Aber ich will keine schwarz-grüne Koalition, daher wähle ich lieber SPD.“ Das ist alles hoffnungslos irrational: Der Stratege kann die Linke wählen oder Grün oder – gerade im Gegenteil –  die AfD oder eben gar nicht, das ist für den Ausgang der Wahl völlig egal.


Und es ist schon erstaunlich, dass auch viele – angebliche – Wahlexperten sich über solche Wahlstrategien langatmig äußern, entweder in Ignoranz der wahren statistischen Verhältnisse oder weil sie den Wähler für zu beschränkt halten, diese Verhältnisse zu begreifen.


Ein Wähler kann seine Wahlentscheidung auch nach beliebigen Kriterien ausrichten: ob ihm die Haarfarbe des Politikers gefällt, ob der den gleichen Vornamen wie er selbst hat, ob der gut in eine Comedyserie passen würde, ob sein Auftritt im Fernsehen ihn beim Abendessen stört usw. Statistisch ist es bedeutungslos, wen ich wähle, aus welchen Gründen, oder ob ich gar nicht wähle.


Allerdings: die meisten von uns sind so sozialisiert worden, dass es eine staatsbürgerliche Pflicht ist sich an einer politischen Wahl zu beteiligen.  Man kann also zur Wahl gehen, um das Gefühl zu haben, das Richtige zu tun, Teil einer Gemeinschaft zu sein, seinen demokratischen Beitrag zu leisten, seine Meinung kundzutun. Der Nutzen wäre dann z. B. das gute Gewissen, aber das ist natürlich keine im eigentlichen Sinn rationale Begründung.


Das Problem ist: Was ist, wenn viele oder sogar alle Wahlberechtigte den Sinn des Wählens bezweifeln?! Wenn viele oder alle nicht wählen?!


Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebene Mindest-Wahlbeteiligung (anders als manchmal behauptet wird). Dennoch würde in der Politik-Praxis vermutlich bei einer minimalen Wahlbeteiligung die Wahl doch angefochten werden.


Bei der letzten Bundestagswahl 2017 lag die Wahlbeteiligung wie gesagt bei 76,2%. Das ist zwar nicht überragend, man spricht da auch schon von „Wahlmüdigkeit“, aber es bedeutet doch eine deutliche Mehrheit, von etwas 3/4 der Wahlberechtigten, jedenfalls mehr als bei früheren Wahlen. Für 2021 erwartet man eher noch eine höhere Wahlbeteiligung.


Was wäre aber, wenn keiner wählen würde? Dann gäbe es gar keine Wahl, damit wäre ein Grundpfeiler der Demokratie weggebrochen.

Und wenn die Wahlbeteiligung ganz gering wäre, z. B. bei 0,5%, dann würde eine winzige Minderheit die Wahl entscheiden, das wäre auch sehr undemokratisch.


Paradoxerweise könnte ein rationaler Mensch dann mit gutem Grund wählen. Nehmen wir den natürlich völlig irrealen Fall an, dass nur ein Mensch wählt, dann würde er (theoretisch) die Wahl alleine bestimmen. So gesehen wäre es höchst rational für ihn zu wählen, denn er hätte maximalen Einfluss.


D. h., was für den einzelnen Menschen rational ist, nämlich nicht zu wählen, ist für eine Menge von Menschen höchst irrational und destruktiv, sie zerstören damit ihre Demokratie.

Was für einen einzelnen Staatsbürger durchaus demokratisch vertretbar ist, wird undemokratisch, wenn es die Gesamtheit der Staatsbürger macht.


Auch das ist eine Paradoxie: Wie kann eine Entscheidung für ein Individuum rational sein, dagegen für viele Individuen zusammen irrational?


Wie lässt sich diese Paradoxie aufzulösen, wenn auch nicht unbedingt theoretisch, so wenigstens praktisch? Wir müssen fragen: Was folgt daraus für einen rationalen Menschen bzw. für einen guten Staatsbürger?

Er muss andere Menschen auffordern, unbedingt wählen zu gehen. Ob er selbst wählt, ist dabei belanglos. Wenn er mehrere Menschen zur Wählen veranlasst, selbst aber nicht wählt, dann ist er ein besserer Demokrat als jemand, der zwar selbst wählt, aber nicht andere zum Wählen motiviert.


Im Extrem: Wenn jemand in der Öffentlichkeit vor großem Publikum oder als Influencer Werbung für das Wählen macht, dann ist er ein vorbildlicher Demokrat, unabhängig davon, ob er selbst wählt.

Er darf natürlich nicht verraten, dass er selbst nicht wählt, sonst würde man ihn beschimpfen als Lügner, Betrüger, Heuchler und vielleicht gerade aus Protest nicht wählen.


Denn die wenigsten Menschen besitzen vermutlich die Rationalität und Objektivität, die Richtigkeit der obigen Aussagen zu begreifen.

Natürlich dürfte ich eigentlich diese Paradoxien der Wahl nicht aufdecken. Denn ich könnte viele Menschen dazu verführen, nicht selbst zu wählen, was dann die demokratische Wahl in Frage stellen könnte.


Gottseidank leide ich aber nicht unter einer solchen hybriden Selbstüberschätzung. Ich bin überzeugt: nur wenige Menschen werden meinen Text lesen, nur wenige von diesen werden die Überlegungen verstehen, noch weniger werden mit meinen Schlussfolgerungen übereinstimmen und noch weniger werden sich dadurch abhalten lassen, zur Wahl zu gehen.


Also kann ich diesen Text mit gutem Gewissen veröffentlichen und mich dennoch als guter Bürger fühlen.


Ob ich selbst zur Bundestagswahl 2021 gehen werde? Das verrate ich nicht. Aber ich fordere Sie alle dringend auf: „Gehen Sie zur Wahl!“


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21.12.2020  Die spirituelle Stufenleiter 

 

(Diesen Text wollte ich 2020 fortsetzen und beenden. Aber es kam immer etwas dazwischen. Heute, am 13.09.2023 habe ich leider selbst den Zugang zu dem Artikel verloren. Ich weiß noch nicht, ob ich ihn noch weiterführen werde; aber er hat auch schon in der jetzigen unvollendeten Fassung seine Bedeutung.)


Ich möchte in diesem Artikel Stufen des Selbst und des Bewusstseins beschreiben, aus psychologischer, vor allem aber aus spiritueller Sicht.


Vor kurzem las ich einmal wieder in einem Buch von Ken Wilber. Obwohl er als der Meister der Unterscheidung spiritueller Stufen gilt, fand ich (wie schon früher) viele seiner - immer interessanten - Aussagen  aber unklar, teils widersprüchlich und auch willkürlich – denn man könnte spirituelle Phasen auch anders unterteilen und definieren, als Ken Wilber das tut.

 

Schon in verschiedenen früheren Veröffentlichungen habe ich mich mit der Thematik befasst (z. B. in meinen Büchern über Esoterik). Und die Lektüre von Wilber motivierte mich, noch einmal neu unterschiedlichen Stufen bzw. Phasen von Bewusstsein und Selbst aufzuschreiben. Dabei befasse ich mich hier nicht mit den Detail-Differenzierungen in kleinste Entwicklungsschritte, da mir das höchst spekulativ erscheint.


Und ich hege generell Zweifel, dass es überhaupt so eindeutig  unterscheidbare  spirituelle Stufen gibt (ich könnte z. B. trotz jahrelanger Meditationspraxis nicht sicher sagen, welchen Bewusstheitsgrad ich erreicht habe). Eventuell gibt es mehr fließende Übergänge zwischen den (angeblichen) spirituellen Stufen.


So müsste man vielleicht anstelle von einer „spirituellen Stufenleiter“ eher von einer „spirituellen Rolltreppe“ sprechen, allerdings mit dem wichtigen Unterschied, dass man eine Treppe selbst geht und nicht gefahren wird (für die spirituelle Entwicklung trifft wohl beides zu, einmal muss man mit eigner Kraft nach oben klettern, manchmal muss man sich aber auch einfach gehen bzw. eben fahren lassen.) 

 

Demzufolge gilt auch für meinen Text selbst: Ich sehe meine Aussagen als gut begründet an, manche dennoch als hypothetisch bis spekulativ. Vielleicht gibt es generelle Grenzen, Spiritualität sprachlich zu beschreiben, denn die tiefsten bzw. höchsten Erfahrungen gelten vielfach als unsagbar, unaussprechlich, unsprachlich und damit auch als unbeschreiblich bzw. unbeschreibbar. In der Terminologie von Ken Wilber könnte man sie trans-verbal nennen.


Und so haftet dem Bereich der Spiritualität generell etwas Ungewisses an. Manche Psychologen, wie z. B. der Begründer der Primärtherapie Arthur Janov, sehen Spiritualität sogar als Hirngespinste an, als eine spezielle Form eines neurotischen oder im Extrem psychotischen Abwehrsystems der Psyche.

 

Im folgenden Text entwickle ich meine eigenen Gedanken und beleuchte – kritisch – die Ausführungen anderer, insbesondere die von Ken Wilber. Allerdings muss ich – in diesem doch recht knapp gefassten – Essay mit etlichen Vereinfachungen arbeiten.

 

Für die folgenden Aussagen gilt sind noch zwei Unterscheidungen notwendig:

- Erstens: Manche psychologischen und spirituellen Denker sehen es so, dass man in der Entwicklung frühere Stufen (z. B. das Ich) völlig überwindet. Andere, auch Ken Wilber, sehen es so, dass die niederen Stufen in die höheren Stufen integriert werden und daher nicht ganz untergehen.

- Zweitens: Manche Spirituelle gehen davon aus, dass man die höheren spirituellen Bewusstseins-Stufen nur in der Meditation, in der Versenkung aufrechterhalten kann. Andere meinen, wenn man dieses höhere Bewusstsein in der Meditation erreicht hat, dass man es dann in seinem normalen, alltäglichen Leben, also permanent, wahrnehmen kann, sogar auf dem lauten und lebendigen Marktplatz.

 


03.04.2021  Die Spirituelle Stufenleiter (4):

Kollektives Selbst

 

- Post-Personal: Man könnte das kollektive Selbst vielleicht „post-personal“ nennen, denn es hat die individuelle Personalität überschritten, aber dennoch noch nicht das Personale an sich transzendiert.  

 

- Was ist ein kollektives Selbst? Das kollektive Selbst gilt das Selbst eines Kollektivs, einer Gruppe, z. B. einer Familie, einer Gesellschaft, ggf. der ganzen Menschheit. Die Frage ist: gibt es überhaupt ein solches kollektives Selbst?

 

- Unproblematisch ist es, wenn diese Selbst einfach als Schnittmenge der Eigenschaften der einzelnen Elemente (Mitglieder) der Gruppe sieht.

- Vielfach wird aber postuliert, dass eine Gruppe quasi einen eigenen Geist (Gruppengeist) oder eine eigene Seele (Gruppenseele) entwickelt, die sich nicht auf die Gruppenmitglieder reduzieren lässt, sondern diese übersteigt („das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“).

 

- Dabei wird gerne argumentiert: Der Geist, die Strukturen und Eigenschaften einer Gruppe, z. B. einer Therapiegruppe, können erhalten bleiben, auch wenn von den Gründungsmitgliedern der Gruppe kein einziges mehr in der Gruppe verblieben ist. Der Gruppengeist ist somit überpersönlich, bzw. hat die Gruppe eine eigene Persönlichkeit ausgebildet, die unabhängig ist von den Gruppenmitgliedern.

 

Diese Überlegungen können bis zur Annahme eines „Geistes der gesamten Erde“ führen, ja  bis hin zu einem universalen „Weltgeist“ oder eine „Weltseele“. Diesem – wie immer gearteten – kollektivem Selbst wird ein kollektives Bewusstsein zugeordnet.

 

- Neben dem Begriff des Kollektiven Bewusstseins ist noch verbreiteter der des „kollektiven Unbewussten“, der auf C. G. Jung zurückgeht. Dazu gehören z. B. Archetypen, Seelenbilder und Symbole, z. B. einer Kultur, eines Volkes oder sogar universal. Auch hier ist zu fragen, ist das nur eine Schnittmenge (oder ggf. Vereinigungsmenge) oder soll das eine übergeordnete Wesenheit sein?

 

- Für das Individuum bedeutet das: das kollektive Selbst bzw. das kollektive Bewusstsein / Unbewusste kann sowohl irreal wie real sein. D. h. wenn das Individuum in einer irrealen, neurotischen Gruppe Mitglied ist, dann überträgt es womöglich seine eigenen neurotischen Strukturen auf die Gruppe, wird aber jedenfalls von den neurotischen Strukturen der Gruppe beeinflusst. Entscheidend ist dabei natürlich, ob es sich um eine für den Menschen wesentliche Gruppe handelt; wenn also die eigene Kernfamilie, Eltern, Geschwister usw. neurotisch strukturiert ist, dann wird man davon geprägt und kann sich dem kaum entziehen – oder erst später, nachdem man sich von der Gruppe emanzipiert hat. Entsprechend gilt natürlich auch, dass eine (zentrale) reale, gesunde Gruppe die Chancen für das Gruppenmitglied erhöht, selbst auch real und psychisch gesund zu sein. Normalerweise ist man Mitglied in vielen verschiedenen Gruppen, wobei sich deren Einfluss verstärken oder auch ausgleichen kann.




26.02.2021  Die Spirituelle Stufenleiter (3):

Reales Selbst

 

- Personal: Hier gilt Entsprechendes wie beim irrealen Selbst. D. h. das reale Selbst ist ein persönliches individuelles Selbst.

 

- Vor allem Vertreter der Humanistischen und der kathartischen Psychotherapie (Gefühls- und Körpertherapien) unterscheiden zwischen dem gesunden, fühlenden realen Selbst und dem neurotischen, unfühlenden irrealen Selbst (= Ego).

 

- Das irreale Selbst, ist ein Abwehr-Selbst, das sich ursprünglich zum Schutz des realen Selbst entwickelt hat, aber später zum Gefängnis für dieses echte Selbst wird. Daher muss aus Sicht der o. g. Therapien das irreale Selbst überwunden werden, damit das reale Selbst wieder frei wird und weiter entwickelt werden kann. In der Selbst-Erfahrung gelingt dann die Selbst-Befreiung und die weitere Selbst-Entfaltung und Selbst-Verwirklichung.

 

- Wenn der Mensch aus seinem realen Selbst (auch wahres Selbst) lebt, dann fühlt er seine echten Gefühle und seine wirklichen Bedürfnisse – z. B. nach liebevollem Kontakt – , und er wird nicht mehr  von neurotischen Wünschen wie nach Macht über andere angetrieben. Der Kampf um Befriedigung von Ersatzbedürfnissen fällt weg, vor allem der Kampf, die Eltern oder Elternpersonen noch in die liebenden Menschen umzuwandeln, die man sich (als Kind) immer gewünscht hat. Generell sind Handeln und Verhalten hier i. allg. von realen, echten Bedürfnissen bzw. Zielen geleitet.

 

- Für die Vertreter der Humanistischen Psychologie ist das Widerfinden und Entwickeln des realen Selbst das eigentliche Ziel von Therapien. Für Transpersonalisten gilt dagegen das reale Selbst auch nur als ein (notwendiger) Zwischenschritt auf dem Weg zu einem selbstlosen oder „entselbsten“ Dasein, denn die Transzendenz jedes individuellen, personalen Selbst ist das höhere Ziel.

 

- Da das reale Selbst weniger verdrängt als das irreale, ist sein Bewusstsein weiter. Bzw. hat es einen Zugang zu seinen unterbewussten Schichten. Das heißt auch, dass dem Menschen seine wirklichen Ziele und Bedürfnisse bewusst sind.



06.02.2021  Die Spirituelle Stufenleiter (2):

Ich und irreales Selbst


- Personal (nach Ken Wilber), d. h. es ist schon eine Personalität entwickelt, man ist eine bestimmte Person mit einer bestimmten Identität.

 

- Hier unterscheidet der Mensch zwischen Ich und Nicht-Ich. Er ordnet alles nach „gefällt mir“ und „gefällt mir nicht, bewertet alles nach gut und nicht-gut. Das heißt auch, er identifiziert sich mit bestimmten Dingen, Gedanken oder Verhaltensweisen, definiert darüber seine Identität, während er sich von anderem abgrenzt.

 

- Für die klassische Psychologie war das Ich der zentrale Kern der Persönlichkeit und eine Dominanz des Ichs (Ich-Stärke) wurde als wünschenswert und gesund angesehen. Das Ich sollte – nach einer Therapie – das Es (Triebe, Emotionen, Körperfunktionen) und das Über-Ich (Normen und Überzeugungen von Eltern und Gesellschaft) ausgleichen und regulieren.  Man unterscheidet also ein gesundes Ich, das seine Funktionen erfüllt, und ein krankes, neurotisches Ich, das dysfunktional ist. Diese Auffassung gilt in der Psychoanalyse weitgehend bis heute.

 

- Anders in Teilen der Humanistischen und Transpersonalen Psychologie: Anstelle von “Ich” (oder “Ego”) spricht man hier auch von irrealem Selbst (oder falschem Selbst), weil das Ich generell als neurotisch gilt und entsprechend die Wünsche, Gefühle und Gedanken des „normalen“ Menschen als großteils neurotisch gelten; d. h. der Mensch fühlt nicht seine echten Bedürfnisse – die sind verdrängt –, sondern nur Ersatzbedürfnisse (Ersatzbefriedigung). Das gilt besonders für ein narzisstisch aufgeblähtes Ich, das sich als grandioses Selbst inszeniert.

 

- Von vielen spirituellen Denkern wird allerdings die Existenz eines konstanten Ichs grundsätzlich bestritten, das Ich wird nur als Illusion angesehen. Ähnlich wird heute in der Postmoderne eine flottierendes, plurales Ich als normal angesehen. Interessanterweise gibt es auch in der Hirnforschung ähnliche Überlegungen, da es kein Ich-Zentrum im Gehirn gebe, das Ich nicht in einem bestimmten Hirnteil lokalisierbar sei, sondern sich als Produkt des neuronalen Netzwerkes konstituiere.

 

- An dieser Stelle sollten wir unterscheiden: Das Ich wird einerseits als Persönlichkeitskern verstanden (sei der gesund oder neurotisch), andererseits als Träger kognitiver Funktionen wie z. B. Wahrnehmen oder Denken. Die kognitiven Funktionen sind überwiegend doch im Hirn zu lokalisieren (Neocortex), das Ich als Persönlichkeit könnte nur ein neuronales Konstrukt sein. Aber unabhängig von aller Theorie: Die meisten Menschen haben ein Ich-Bewusstsein und ein Ich-Gefühl, es ist für ihr Leben relativ bedeutungslos, wenn man ihnen erklärt, ihr Ich sei nur illusionär.

 

- Wichtig ist, den Zusammenhang des Ichs als irrealem, neurotischem Persönlichkeitskern und den rationalen Denkfunktionen, dem Verstand zu sehen. Das Ich bedient sich oft des Verstandes, um z. B. seine echten Gefühle und Bedürfnisse abzuwehren. Andererseits können z. B. neurotische Strukturen des irrealen Selbst das Denken verzerren kann. Insofern erstaunt es nicht, dass bestimme therapeutische und spirituelle Schulen beide, das irreale, abgespaltene Selbst und den Verstand, als Strukturen sehen, die abgebaut werden müssen für eine höhere Entwicklung. Dabei gibt es sehr radikale Vertreter, die einen „Tod des Ichs“ und ein „den Verstand verlieren“ fordern, und andere gemäßigte, wie z. B. Ken Wilber, die anerkennen, dass das Ich als Abwehr- und Verstandes- System durchaus seine Berechtigung hat, es aber nicht dominieren darf.

 

- Das Ich, sowohl irreales Selbst wie Rationalität, gelten bei vielen humanistischen und transpersonalen Psychologen als Höhepunkt der Entfremdung. Das (kleine) Kind ist unbewusst, aber lebt noch in Einheit mit der Welt. Das Ich grenzt sich dagegen ab von der Welt und vom Göttlichen, es ist auf Autonomie, Kontrolle, ja Macht aus. Erst durch Überwindung des Ichs soll daher wie gesagt eine Entwicklung zum selbstentfalteten und spirituellen Menschen möglich sein.

 

- Dem Ich wird das normale Wachbewusstsein zugeordnet. Das Ich ist sich auch seiner selbst bewusst, es ist „selbstbewusst“. Aber natürlich ist beim Ich nicht alles bewusst: den erstes gibt es psychische Prozesse, die generell un(ter)bewusst verlaufen, z. B. bestimmte Wahrnehmungen. Zweitens hat das irreale Selbst viele Wünsche, Gefühle und Erinnerungen ins Unbewusste verdrängt, die es gefährden könnten. Und natürlich ist auch im Schlaf das Wachbewusstsein ausgeschaltet. Ohnehin sind die meisten körperlichen Vorgänge wie z. B. zelluläre Prozesse unbewusst (es gibt allerdings Berichte, dass unter psychedelischen Drogen wie LSD solche Vorgänge bewusst werden können).

 

- Das Handeln ist, im Gegensatz zum oft emotionalen Verhalten, ich-gesteuert und bewusst. Aber gerade bei einem neurotischen Ich ist das Handeln oft hektisch (Aktivismus) oder aber gehemmt, verzögert.

- Und das Handeln geschieht überwiegend aus irrationalen Bedürfnissen, wie Geltungssucht, Rachsucht, Eifersucht o. ä.

- Zwar ist Handeln normalerweise zielbewusst. Aber da das Handeln eben oft aus unbewussten Motiven geschieht, sind die wirklichen Ziele des Handelns meist gar nicht bewusst.


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20.01.2021 Die Spirituelle Stufenleiter (1): 

Vor-Selbst


- Prä-personal (nach Ken Wilber), d. h. vor Ausbildung einer Personalität, einer Persönlichkeit oder Individualität. Man kann auch von einem „Vor-Ich“ oder „Vor-Selbst“ sprechen.

- Noch keine Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich, von Innen und Außen.

- Man schwimmt in einem Meer von Emotionen, Bedürfnissen, Empfindungen, die lustvoll oder unlustvoll sind, was man prä-verbal äußert, z. B. durch Schreien usw.

- Es gibt noch kein Bewusstsein. Sondern ein Vor-Bewusstes oder Unterbewusstsein.

- Dem Prä-Selbst und Prä-Bewusstsein entspricht die Prä-Rationalität, d. h. ein Zustand, in dem Rationalität, Verstand, Denken und andere kognitiven Funktionen noch nicht (voll) ausgebildet sind. Man „denkt“ irrational bzw. prä-rational, z. B. archaisch oder magisch.

- Man ist mit seinem Körper identisch, wie es in der Bioenergetik heißt: Man hat keinen Körper, man ist ein Körper.

- Das Verhalten ist instinktiv, reflexartig oder triebhaft.

- Es ist dies die Ebene der kleinen Kinder, höherer Tiere oder auch Naturvölker auf einer wenig entwickelten Stufe. 




21.12.2020  Die spirituelle Stufenleiter (0): Übersicht

 

1) Vor-Selbst

- Prä-personal (nach Ken Wilber), d. h. vor Ausbildung einer Personalität.

- Man schwimmt in einem Meer von Emotionen, Bedürfnissen, Empfindungen. - Noch keine Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich, von Innen und Außen.

- Es gibt noch kein Bewusstsein, sondern ein Vor-Bewusstes.

- Es ist dies die Ebene der kleinen Kinder, höherer Tiere oder auch Naturvölker auf eine wenig entwickelten Stufe.

 

2) Ich / irreales Selbst

- Personal (nach Ken Wilber), d. h. es ist schon eine Personalität entwickelt, man ist eine bestimmte Person mit einer bestimmten Identität.

- Hier unterscheidet der Mensch zwischen Ich und Nicht-Ich.

- Das Ich ist einerseits Träger kognitiver Funktionen (Vestand), andererseits gilt es vielen Therapeuten als irreales Selbst (oder falsches Selbst), weil seine Wünsche, Gefühle und Gedanken als großteils neurotisch angesehen werden.

- Dem Ich wird das normale Wachbewusstsein zugeordnet. Aber natürlich ist beim Ich nicht alles bewusst, z. B. verdrängte Gefühle.

 

3) Reales Selbst

- Personal: Hier gilt Entsprechendes wie beim irrealen Selbst.

- Vor allem Vertreter der Humanistischen Psychotherapie unterscheiden zwischen dem gesunden, fühlenden realen Selbst und dem neurotischen, unfühlenden irrealen Selbst.

- Die Doktrin ist: Das irreale Selbst, das sich ursprünglich zum Schutz des realen Selbst entwickelt hat aber später zum Gefängnis für dieses echte Selbst wird, muss überwinden werden: damit das reale Selbst befreit und entfaltet werden kann.

- Da das reale Selbst weniger verdrängt als das irreale, ist sein Bewusstsein weiter und offener.

 

4) Kollektives Selbst

 - Trans-Individuelll: Man könnte das kollektive Selbst trans-individuell oder post-individuell nennen, denn es hat die individuelle Personalität überschritten, aber dennoch noch nicht das Personale an sich transzendiert. (Diese Unterscheidung wird m. W. bei Wilber nicht klar thematisiert.)

- Was ist ein kollektives Selbst? Das kollektive Selbst gilt das Selbst einer Gruppe, z. B. einer Familie, einer Gesellschaft, ggf. der ganzen Menschheit.

- Diesem – wie immer gearteten – kollektivem Selbst wird ein kollektives Bewusstsein zugeordnet.

- Neben dem Begriff „Kollektives Bewusstsein“ ist noch verbreiteter der „Kollektives Unbewusstes“, nach C.G. Jung.

 

5) Höheres Selbst / Zeuge

- Trans-personal (nach Ken Wilber): d. h. die Personalität ist überschritten, transzendiert.

- Der Mensch nimmt achtsam das wahr, was in ihm ist (Gefühle, Gedanken usw.) oder außerhalb (andere Menschen, Objekte der Natur oder Technik); er analysiert und bewertet dabei nichts, wie ein unparteiischer Zeuge.

- Man spricht auch von höherem Selbst oder Über-Selbst. Es ist aber problematisch, hier überhaupt noch von einem “Selbst” zu sprechen.

- Dem höheren Selbst des Zeugen entspricht ein höheres Bewusstsein.

- Man sagt auch, das Bewusstsein des Menschen ist hier wie ein stiller See, in dem sich alles spiegelt.

 

6) Fokussiertes Bewusstsein

- Trans-personal: Alle folgenden Stufen werden als trans-personal gekennzeichnet.

- Der Zeuge lässt hier nicht mehr alle inneren oder äußeren Inhalte in seinem Bewusstsein verharren, sondern er richtet sein Bewusstsein auf etwas Bestimmtes.

- Das kann der eigene Atem sein, der Bauchnabel (“Nabelschau”) oder ein Mantra, ein Wortklang wie das berühmt „Om“.

- Wenn andere Inhalte in ein Bewusstsein dringen, werden sie zwar nicht weggedrängt, aber beiseite gelassen und man konzentriert sich wieder auf das eine Objekt, die eine Tätigkeit d. h. er fokussiert.

- Aber auch hier ist noch eine Trennung von wahrnehmendem Zeuge und z. B. wahrgenommenen Atem gegeben, keine Einheit.

 

7) Reines Bewusstsein

- Wenn der Mensch nun das eine fokussierte Objekt auch noch loslässt, erreicht er ein leeres oder reines Bewusstsein, d. h. Bewusstheit ohne Bewusstheitsinhalt.

- Dieses Bewusstsein ist endgültig trans-personal, es hat sich völlig vom individuellen Selbst gelöst. In dieser reinen Bewusstheit sind alle Menschen (Wesen), die diese Bewusstseinsstufe erreichen, gleichen, von daher gilt der Satz: “alles ist eins”.

- Und insofern Gott als höchstes reines Bewusstsein verstanden werden kann, lässt sich hier von einer Vereinigung mit Gott sprechen.

 

8) Kosmisches Bewusstsein

- Man kann das kosmische Bewusstsein als allerhöchste Stufe ansehen, aber auch als Vorstufe zum reinen Bewusstsein oder einen alternativen Weg.

- Der Mensch versenkt sich in die Welt, er ist “selbstvergessen, “selbstlos”.

Diese Selbstvergessenheit gibt es zwar auch schon beim Kind, das ganz versunken ist, ganz im Spiel aufgeht, wie in einem Flow., aber auf einer vor-bewussten Ebene.

- Der Zeuge verschwindet vollständig, es ist kein wahrnehmendes Selbst mehr da, sondern Zeuge und wahrgenommene Welt verschmelzen.

- Dann ist die Spaltung aufgehoben, der Mensch (bzw. sein Bewusstsein) werden eins mit der Welt bzw. dem Kosmos.

- Daher spricht man auch von kosmischem Bewusstsein, denn das Bewusstsein kann (jedenfalls prinzipiell) den ganzen Kosmos umfassen.



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15.08.2020  Wahrscheinlichkeit und Information

 

 

Wahrscheinlichkeit, Information und Ordnung bzw. Zufälligkeit sind Faktoren, die jeden von uns auch in seinem alltäglichen Leben betreffen. Es gibt für diese Faktoren logisch-mathematische Definitionen. Sie erfassen nicht den gesamten Themenbereich, sind aber doch sehr hilfreich, vor allem erlauben sie klare Bestimmungen.

 

Meistens werden diese Begriffe aber in abstrakten mathematischen Aussagen bzw. komplizierten Formeln ausgedrückt, so dass sie dem Menschen, der sich nicht für Mathematik interessiert, nicht zugänglich und verständlich sind.

 

Ich möchte diese Faktoren bzw. Begriffe aber in einer Weise erklären, die allgemeinverständlich sind und an Beispielen veranschaulicht werden.

 

 

20.10.2020  Wahrscheinlichkeit und Information (6):

Ordnung und Zufälligkeit

 

Nehmen wir wieder unsere Gruppe von 4 Personen: a, b, c und d. Angenommen, 2 der Personen sind verheiratet, 2 nicht. Man könnte denken, es gibt ein Gleichgewicht – 2:2 – das ist ein Zustand von Ordnung. Aber das Gegenteil ist wahr. Statistisch gesehen ist das gerade ein Zustand von Unordnung.

 

Wie erklärt sich das? Greifen wir noch einmal auf unsere Tabelle von empirischer und theoretischer Wahrscheinlichkeit zurück:

 

 

Empirische

Wahrscheinlichkeit

Theoretische   

Wahrscheinlichkeit

Ordnung

4/4 =   1

1/16

1

3/4 =   0,75

4/16

0,5

2/4 =   1/2 = 0,5

6/16

0

1/4 =   0,25

4/16

0,5

0/4 =   0

1/16

0

 

 

(Die Bestimmung der Ordnungs-Werte von 1, 0,5 und 0 in der Tabelle oben ist nur auf dieses Beispiel bezogen.)

 

Wie man sieht: Dass 2 von 4 Personen verheiratet sind, hat die höchste theoretische Wahrscheinlichkeit: 6/16 = 3/8 = 0,375.

Allgemeiner gesagt: Dass eine empirische Wahrscheinlichkeit von 2/4 = 1/2 = 0,5 besteht, hat die höchste theoretische Wahrscheinlichkeit: 6/16 = 3/8 = 0,375.

 

Man kann es auch so formulieren: Dass 2 von 4 Personen verheiratet sind, ist zufällig. Es ist die Erwartungs-Wahrscheinlichkeit, wenn rein zufällige Verhältnisse gelten. Es gibt eben die meisten, nämlich 6 Kombinationen für 2 Personen von 4 Personen.

 

Die Zufälligkeit entspricht also der theoretischen Wahrscheinlichkeit: je wahrscheinlicher, desto zufälliger.

 

Ordnung wird nun definiert als Gegenwert von Zufälligkeit. Je höher die Zufälligkeit, desto geringer die Ordnung – und umgekehrt. Ordnung ist eben gerade das, was nicht (zufällig) zu erwarten ist, das Unerwartete.

Ordnung steht für Gesetz, Regelmäßigkeit und Struktur gegenüber dem „blinden Zufall“.

 

In biologischen Systemen kann man auch sagen: Die Ordnung ist gewissermaßen dem Zufall abgerungen. Es ist der Aufbau von Organisation, geleitet von Motivationen oder Zielen, die Aufrechterhaltung eines Fließgleichgewichtes. Wenn ein Organismus stirbt, zerfällt die Ordnung

 

 In physikalischen und chemischen Systemen nennt man (vereinfacht) Zufälligkeit auch Entropie und Odnung andererseits Negentropie.




01.10.2020  Wahrscheinlichkeit und Information (5):

Bestimmtheit

 

Angenommen, ich weiß, dass 3 von 4 Personen in einer Gruppe verheiratet sind. Wie bestimmt weiß ich dann, welche der 3 Personen verheiratet sind?

 

Wie wir oben gesehen haben, gibt es da 4 Möglichkeiten:

a,b,c          Anton, Beatrice, Chris

a,c,d          Anton, Chris, Doris

a,b,d         Anton, Beatrice, Doris

b,c,d          Beatrice, Chris, Doris

 

Daraus ergibt sich: Der Satz „3 von 4 Personen in einer Gruppe sind verheiratet“ eine Bestimmtheit von 1/4. Denn ich kann nicht genau sagen, welche der Personen verheiratet sind, es ergeben sich wie gesagt 4 Möglichkeiten. Wenn ich raten würde, hätte ich eine Chance von 1 zu 4, richtig zu raten.

 

Anderes Beispiel: Ich weiß, dass alle (= 4) Personen der Gruppe verheiratet sind. Dann beträgt die Bestimmtheit 1/1 = 1. Denn es gibt nur die eine Antwort:

Anton, Beatrice, Chris, Doris

 

Weiteres Beipiel: Ich weiß, dass keine (= 0) der Personen der Gruppe verheiratet sind. Dann beträgt die Bestimmtheit ebenfalls 1/1 = 1 Denn der Satz ist ja nur wahr, wenn Anton, Beatrice, Chris, Doris alle unverheiratet sind.

 

Stellen wir die Ergebniss in einer Tabelle zusammen und erweitern sie noch:

 
 

 

Empirische

Wahrscheinlichkeit

Theoretische   

Wahrscheinlichkeit

Bestimmtheits-

Wert

4/4 =   1

1/16

1/1 =   1

3/4 =   0,75

4/16

1/4 =   0,25

2/4 =   1/2 = 0,5

6/16

1/6 =   0,17

1/4 =   0,25

4/16

1/4 =   0,25

0/4 =   0

1/16

1/1 =   1

 

 

Wie sich zeigt: im Zähler des Bestimmtheitswertes steht immer 1, im Nenner steht der Zähler der theoretischen Wahrscheinlichkeit (1, 4, 6, 4, 1).

 

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17.09.2020  Wahrscheinlichkeit und Information (4):

Informationsgehalt

 

Auch für die Information gilt das schon mehrfach ausgeführte über mathematische Ansätze: Es gibt mathematisch anspruchsvolle Informationsbegriffe bzw. -Formeln. Diese haben natürlich ihre Berechtigung für spezielle Fragestellungen, aber sie verstellen vielen Menschen nur den Zugang zu einem Verständnis von Information, was doch sehr wichtig ist. Dagegen kann man, was Information wirklich und elementar bedeutet, sehr gut und intuitiv verständlich in dem hier eingeführten einfachen Modell von Wahrscheinlichkeit erläutern.

 

Die Information hängt unmittelbar mit der theoretischen Wahrscheinlichkeit zusammen. Man kann formulieren:

Information ist theoretische Unwahrscheinlichkeit.

 

Für die Berechnung bedeutet das: Information berechnet sich durch: 1 - theoretische Wahrscheinlichkeit.

 

Wie erklärt sich das? Wenn wir etwas schon wissen, hat es keinen Informationswert für uns. Wenn ich weiß, dass Anton verheiratet ist, bedeutet es keine Information für mich, wenn mir jemand sagt „Anton ist verheiratet“. Dabei geht es um einen subjektiven  Informationswert, der von meinem Wissenstand abhängt.

 

Uns interessiert hier aber der objektive Informationswert, der unabhängig von individuellem Wissen ist. Und da gilt: Es gibt prinzipiell 2 Möglichkeiten: „Anton ist verheiratet“ und „Anton ist nicht verheiratet“. Dass eine dieser Möglichkeiten zutrifft, hat eine theoretische Wahrscheinlichkeit von 1/2.

 

So hat „Anton ist verheiratet“ einen Informationswert von 1 – 1/2 = 1/2. Für „Anton ist nicht verheiratet“ gilt natürlich dasselbe.

 

In diesem Fall, bei einer einfachen Information (einem singulären Satz) gilt: theoretische Wahrscheinlichkeit = theoretische Unwahrscheinlichkeit = Informationswert.

 

Sonst gilt das aber nicht. Z. B. hat der zusammengesetzte Satz „Anton ist verheiratet und Beatrice ist verheiratet“ eine theoretische Wahrscheinlichkeit von 1/2 x 1/2 = 1/4. Somit hat der Satz einen Informationswert von 3/4, nämlich 1 – 1/4.

 

Eie Tautologie ist (wie oben schon erläutert) ein Satz wie „Anton ist verheiratet oder Anton ist nicht verheiratet“. Diese Aussage besitzt eine theoretische Wahrscheinlichkeit von 1. Daher hat sie einen Informationsgehalt von 1 - 1 = 0.

 

Man kann den Informationswert genau wie die T-Wahrscheinlichkeit auf die E-Wahrscheinlichkeit beziehen.

 

Wie sich in der Tabelle unten z. B. zeigt.

Dass 3 von 4 Mitgliedern einer Gruppe verheiratet sind, hat einen Informationswert von 1 - 4/16 = 12/16 = 3/4 = 0,75

 

 

Empirische

Wahrscheinlichkeit

Theoretische   

Wahrscheinlichkeit

Informations-

Wert

4/4 =   1

1/16

15/16

3/4 =   0,75

4/16

12/16

2/4 =   1/2 = 0,5

6/16

10/16

1/4 =   0,25

4/16

12/16

0/4 =   0

1/16

15/16

 

16/16   = 1

64/16   = 4



09.09.2020  Wahrscheinlichkeit und Information (3):

Theoretische Wahrscheinlichkeit

 

Die theoretische Wahrscheinlichkeit (T-Wahrscheinlichkeit) ist eine Art Meta-Wahrscheinlichkeit, sie ist der empirischen Wahrscheinlichkeit (E-Wahrscheinlichkeit) übergeordnet. Man kann die theoretische Wahrscheinlichkeit mit komplizierten Formeln berechnen, aber sie ergibt sich intuitiv nachvollziehbar einfach aus der Kombinatorik, d. h. aus den Möglichkeiten der Kombination. Es geht um das Verhältnis von realen Welten und möglichen Welten.

 

Das Beispiel war: eine Gruppe von 4 Personen: a (Anton), b (Beatrice), c (Chris) und d (Doris). Fragen wir danach, welche dieser 4 Personen verheiratet sind. + bedeutet: die Person ist verheiratet, - bedeutet: die Person ist nicht verheiratet.

Ich greife auf die schon oben (in 1) eingeführte Tabelle zurück, ergänze sie jetzt aber.


Wenn es 16  mögliche Kombinationen von a, b, c und d gibt, dann hat jede dieser Möglichkeiten eine theoretische Wahrscheinlichkeit von 1/16.

 

 

Zeile

a

b

c

d

n

Theor.

Wahrscheinlich.

1

+

+

+

+

4

1/16

2

+

+

+

-

3

1/16

3

+

+

-

+

3

1/16

4

+

+

-

-

2

1/16

5

+

-

+

+

3

1/16

6

+

-

+

-

2

1/16

7

+

-

-

+

2

1/16

8

+

-

-

-

1

1/16

9

-

+

+

+

3

1/16

10

-

+

+

-

2

1/16

11

-

+

-

+

2

1/16

12

-

+

-

-

1

1/16

13

-

-

+

+

2

1/16

14

-

-

+

-

1

1/16

15

-

-

-

+

1

1/16

16

-

-

-

-

0

1/16

 

 

Man kann in obiger Tabelle jetzt nachsehen, wie oft z. B. 3 von 4 Personen verheiratet (+) sind. Also wenn man eine Gruppe von 4 Personen (a, b, c, d) hat, wie wahrscheinlich es ist, dass 3 dieser Personen verheiratet sind.

 

Und man sieht, dass es 4 mögliche Kombinationen von 3 Personen gibt: a,b,c / a,b,d / a,c,d / und b,c,d.

 

Man abstrahiert dann aber von den konkreten Personen a, b, c und d, nur die Anzahl zählt. Und wenn man die möglichen Kombinationen zusammenfasst, ergibt sich die folgende Tabelle:

 

 

Empirische

Wahrscheinlichkeit

Theoretische   

Wahrscheinlichkeit

Zeilen

4/4 =   1

1/16

1

3/4 =   0,75

4/16

2,3,5,9

2/4 =   1/2 = 0,5

6/16

4,6,7,10,11,13

1/4 =   0,25

4/16

8,12,14,15

0/4 =   0

1/16

16

 

16/16

 

 

Interesssant: Auch die wahrscheinlichste empirische Verteilung (z. B. 2 von 4 Personen sind verheiratet) hat nur eine theoretische Wahrscheinlichkeit von 6/16 = 0,375. D. h. auch „2 von 4“ ist theoretisch unwahrscheinlich. Denn als wahrscheinlich kann man (vereinfacht)definieren: > 0,5 bzw. > 50%.

 

Überspitzt gesagt: Alles, was passiert, ist unwahrscheinlich. Eine einfache Aussage (oder ein einfaches Ereignis) „a ist verheiratet“ hat zwar eine theoretische Wahrscheinlichkeit (kurz T-Wahrscheinlichkeit) von 1/2 = 0,5, liegt also genau zwischen wahrscheinlich (> 0,5) und unwahrscheinlich (< 0,5).

 

Jede Konjunktion von Aussagen (Ereignissen), d. h. jede Und-Verbindung wie „a ist verheiratet und b ist verheiratet“  hat aber eine geringere theoretische Wahrscheinlichkeit; im Beispiel, bei 2 Aussagen, erhält man eine T-Wahrscheinlichkeit von 1/2 x 1/2 = 1/4 = 0,25, ist somit nach der Definition unwahrscheinlich.

 

Nur wenn man Aussagen mit bestimmten Junktoren kombiniert, z. B. durch „oder“, ergeben sich höhere T-Wahrscheinlichkeiten. Z. B.: „a ist verheiratet oder b ist verheiratet.“ Hier ist die T-Wahrscheinlichkeit 3/4 = 0,75, also wahrscheinlich. Warum? Weil eine „oder“-Aussage in 3 von 4 Welten wahr ist, nämlich wenn:

nur „a ist verheiratet“ wahr ist

nur „b ist verheiratet“ wahr ist

wenn „a ist verheiratet“ und „b ist verheiratet“ wahr sind.

 

„a ist verheiratet oder b ist verheiratet“ ist nur falsch, wenn „a ist verheiratet“ und „b ist verheiratet“ beide falsch sind.

 

Besondere Fälle sind Tautologie und Kontradiktion. Eine Tautologie ist z. B. „a ist verheiratet oder a ist nicht verheiratet.“ Ein solcher Satz ist in jeder möglichen Welt wahr, also immer wahr; man kann auch sagen, er ist vollständig sicher oder notwendig.

Eine Tautologie hat entsprechend eine T-Wahrscheinlichkeit = 1.

 

Eine Kontradiktion ist z. B. „a ist verheiratet und a ist nicht verheiratet“, also ein Widerspruch. Ein solcher Satz ist in jeder möglichen Welt falsch, er ist unmöglich. Eine Kontradiktion hat entsprechend eine T-Wahrscheinlichkeit von 0.

 

Während die empirische Wahrscheinlichkeit die Stärke einer Beziehung oder eines Zusammenhangs angibt, so gibt die theoretische Wahrscheinlichkeit die Sicherheit einer Beziehung an. Das zeigt sich z. B. daran, dass eine E-Wahrscheinlichkeit von 1 unterschiedliche Werte von T-Wahrscheinlichkeit hat, abhängig von der Anzahl.

 

Allgemeiner gesagt: Für die Berechnung der T-Wahrscheinlichkeit sind die absoluten Zahlen (1, 2, 3 …) der E-Wahrscheinlichkeit wichtig. So ist z. B. die T-Wahrscheinlichkeit von 1/1 = 1, 2/2 = 1, 3/3 = 1 unterschiedlich. Genauer zeigt das die folgende Tabelle:

 

 

Empirische   Wahrscheinlichkeit

Theoret.   W.

Bruch

 

Theoret.   W.

Prozent   ca.

 

1/1 =   1

1/2

1/2 1

50%

0,5

2/2 =   1

1/4

1/2 2

25%

0,25

3/3 =   1

1/8

1/2 3

12,5%

0.13

4/4 =   1

1/16

1/2 4

6,3%

0,063

5/5 =   1

1/32

1/2 5

3,1%

0,031

6/6 =   1

1/84

1/2 6

1,6%

0,016

7/7 =   1

1/128

1/2 7

0,8%

0,008

n/n =   1

 

1/2 n

 

 

 

 

Man sieht, der Wert der T-Wahrscheinlichkeit halbiert sich immer. D. h. aber: Dass z . B. 5 von 5 Personen Raucher sind, ist theoretisch 4x so unwahrscheinlich, wie dass 3 von 3 Personen Raucher sind. Wenn man also empirisch feststellt, dass tatsächlich 5 von 5 Personen Raucher sind, dann ist der Zusammenhang sicherer als bei nur 3 Rauchern. Dabei ist 5 natürlich noch eine sehr kleine Zahl. Für den Beweis von Zusammenhängen benötigt man u. U. mehrere hundert Fälle bzw. repräsentative Stichproben. 

 

Natürlich gilt das hier gesagte nicht nur für den Fall, dass die empirische Wahrscheinlichkeit n/n = 1 ist. Sondern auch für jeden anderen Wert. Z. B. nimmt die theoretische Wahrscheinlichkeit für 1/2 (= 0,5), 2/4 (= 0,5), 4/8 (= 0,5), 5/10 (= 0,5) usw. immer weiter ab.

 

Man halte fest: Je theoretisch unwahrscheinlicher ein Zusammenhang ist, desto sicherer ist er (wenn er denn trotzdem festgestellt wird).



02.09.2020  Wahrscheinlichkeit und Information (2):

Korrelation

 

Man kann die Stärke eines Zusammenhangs noch genauer bestimmen, indem man weitere Angaben macht. Dafür taugt aber unser Beispiel mit der Gruppe von 4 Mitgliedern nicht, sondern man braucht größere Kollektive.


Die umfassende Darstellung eines Zusammenhangs nennt man Korrelation. Z. B. kann man die Korrelation zwischen Rauchen und Herzgesundheit bzw. Herzkrankheit angeben. Die lässt sich berechnen durch folgende Werte:


- x Prozent der Raucher sind Herzkranke

- x Prozent der Nicht-Raucher sind Herzkranke

- x Prozent der Herzkranken sind Raucher

- x Prozent der Nicht-Herzkranken sind Raucher


Wie viel Prozent der Raucher Herzgesunde (bzw. Nicht-Herzkranke, also das Gegenteil von Herzkranke) sind usw., braucht man nicht extra anzugeben, denn das ergibt sich durch einfache Berechnung.


Wenn x % Prozent der Raucher Herzkranke sind, dann sind eben 100 – x% Herzgesunde. Wenn z. B. 60% Prozent der Raucher Herzkranke sind, dann sind 40 % (100% – 60%) Herzgesunde.

Für die Berechnung der Korrelation gibt es komplizierte Korrelations-Koeffizienten (Berechnungsformeln für die Korrelation). 


Wie ich selbst an der Uni vielfach erlebt habe: Die Studenten lernen, den passenden Korrelations-Koeffizienten anzuwenden, aber wie man eine solche Korrelationsformel herleitet, wie sie zu interpretieren und verstehen ist, darüber haben sie keine Ahnung. Und dass wird ihnen auch nicht beigebracht.




15.08.2020 Wahrscheinlichkeit und Information (1):

empirische Wahrscheinlichkeit  (erweitert)

 

Betrachten wir z. B. eine Gruppe von 4 Personen: a (Anton), b (Beatrice), c (Chris) und d (Doris). Fragen wir danach, welche dieser 4 Personen verheiratet sind.

 

Es kann sein, dass nur 1 (einer) verheiratet ist, es können aber auch 2, 3 oder 4 Personen verheiratet sein.

Insgesamt gibt es folgende mögliche Verteilungen. Wobei gilt:

 + heißt: ist verheiratet

- heißt: ist nicht verheiratet

 

 

Zeile

a

b

c

d

n

1

+

+

+

+

4

2

+

+

+

-

3

3

+

+

-

+

3

4

+

+

-

-

2

5

+

-

+

+

3

6

+

-

+

-

2

7

+

-

-

+

2

8

+

-

-

-

1

9

-

+

+

+

3

10

-

+

+

-

2

11

-

+

-

+

2

12

-

+

-

-

1

13

-

-

+

+

2

14

-

-

+

-

1

15

-

-

-

+

1

16

-

-

-

-

0

 

Die 1. Zeile besagt also: a (Anton), b (Beatrice), c (Chris) und d (Doris) sind alle verheiratet. Die 2. Zeile besagt: a, b und c sind verheiratet, d aber nicht usw.


Natürlich ist das mit den 4 Personen nur ein Beispiel. Man kann für die Variablen a, b, c und d (Variablen = Begriffe mit wechselnder Bedeutung) alles Beliebige einsetzen; z. B. könnte es auch um 4 Spiele in einem Roulette gehen, wobei wir zwischen rot und schwarz unterscheiden.


Die Zahl 4 habe ich verwendet, weil sie noch gut übersichtlich ist, grundsätzlich gelten die Ausführungen hier für alle natürlichen Zahlen: n = 1, 2 3, 4, 5, 6 …


Man kann die obige Tabelle zusammenfassen, danach, wie viele der 4 Variablen (= n) in einer 4er Kette positiv sind, wobei man von a, b, c und absieht (abstrahiert). Z. B. sind in der 1. Zeile 4 von 4 Variablen positiv (+). In der 2. Zeile sind 3 von 4 Variablen positiv (+). Man nennt dann den Wert 3/4 relative Häufigkeit: 3 von 4 Personen sind verheiratet.


Man kann aber auch von empirischer Wahrscheinlichkeit (E-Wahrscheinlichkeit) sprechen. Denn wenn 3 von 4 Personen verheiratet sind, dann gilt: Nehme ich mir eine beliebige Person aus der 4er-Gruppe heraus, dann besteht eine (empirische) Wahrscheinlichkeit von 3/4, dass sie verheiratet ist.


Die Wahrscheinlichkeit wird durch einen Bruch dargestellt, wobei im Zähler die Anzahl der gültigen (realen) Fälle steht und im Nenner die Anzahl aller Fälle.


Die empirische Wahrscheinlichkeit gibt die Größe (oder Stärke) einer Beziehung an. Wenn 3/4 (= 75%) der Mitglieder einer Gruppe verheiratet sind, so ist das eine relativ starke Beziehung – zwischen Gruppenzugehörigkeit und Verheiratetsein. Wenn 4/4 (=100%) aller Gruppenmitglieder verheiratet sind, dann ist das die stärkste Beziehung. Eine solche Beziehung, die für alle Mitglieder gilt, also mit der Wahrscheinlichkeit 1, nennt man auch deterministisch.


Die folgende Tabelle fasst das Gesagte zusammen. 


 

Empirische

Wahrscheinlichkeit

Zeilen

4/4 =   1

1

3/4 =   0,75

2,3,5,9

2/4 =   1/2 = 0,5

4,6,7,10,11,13

1/4 =   0,25

8,12,14,15

0/4 =   0

16 



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21.06.20  Sind Wetterprognosen Fake-News?

 

2015 schrieb ich einen Text über falsche Wettervorhersagen: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist …“ Ich fand den Text wichtig und brisant, erstens, weil – trotz manchem Spott über Wetterprognosen – insgesamt doch die Meinung vorherrscht, dass Wettervorhersagen richtig sind. Und zweitens, weil die Wettervorhersagen, weit über das private Leben hinaus, von großer Bedeutung für Wirtschaft, Landwirtschaft, Verkehr usw. bis sogar für das Militär sind.

 

Ich bot den Text als Buchprojekt einer Literatur-Agentur an. Die Agentur befand mein Exposé und Textproben für gut und nahm das Projekt für eine Vermittlung an. Aber obwohl sich einige Verlage interessiert zeigten, entschied sich doch letztlich kein Verlag dafür, das Buch zu realisieren. Für mich war das weitgehend unverständlich, eben wegen der oben beschriebenen Brisanz des Themas.

 

Am 03.05.2016 setzte ich eine Kurzfassung des Themas auf meinen Blog, befasste mich aber nicht mehr weiter mit Plänen für eine Veröffentlichung.

 

5 Jahre später. Meine Frau und ich hatten geplant, einen Ausflug zu machen. Aber der Wetterbericht im WDR warnte vor Regenwetter, sogar vor Starkregen. Da uns der Ausflug wichtig war, es ein Jubiläum zu feiern gab, wollte ich auf Nummer sicher gehen. Ich studierte 2 Radio-Wetterberichte, 2 Fernseh-Wetter-Berichte und 3 Internet-Wetterberichte. Das Ergebnis: kein Bericht stimmte mit irgendeinem anderen wirklich überein. Und die Spanne reichte von Sonnenwetter bis Unwetter.

 

Noch einmal dachte ich: Schade, dass ich aus dem so wichtigen Thema „Versagen der Wettervorhersagen“ kein Buch machen konnte. Und wenn ich denke, wie oft langweilige, überflüssige, antiquierte oder nur für Spezialisten interessante Themen von Verlagen in Bücher umgesetzt werden, bleibt mir nur ein Kopfschütteln.

 

Ich habe mich jetzt entschlossen, die Unterlagen von 2015 (die nicht veraltet sind) jetzt noch einmal aktuell auf meinen Blog zu setzen. Es handelt sich aber nur um einige fertige Kapitel, keinen vollständigen Buchtext. Ich vertraue darauf, dass meine Leser und Leserinnen besser als mancher Verleger oder Lektor abschätzen können, dass diese Thematik lesenswert ist.




 

26.07.020 Sind Wetterprognosen Fake-News? (4)

BILANZ  UND  AUSBLICK        

 

Alle reden über das Wetter. Ich möchte über die Wettervorhersagen bzw. die Wetterpropheten sprechen. Denn die meisten Leute lesen, schauen oder hören Wettervorhersagen noch häufiger als Horoskope. Und viele glauben genauso inbrünstig daran. Viele sagen allerdings auch: „Der Wetterbericht stimmt doch nie.“ Wer hat Recht?

 

Das Wetter ist eins der wichtigsten Themen, in unserem Leben und in unseren Gesprächen. Das Wetter ist immer da, und es spielt fast immer eine Rolle bei unseren Vorhaben. Inzwischen ist das gemeine Wetter durch die anspruchsvolle Problematik des Klimawandels zu höheren Ehren gekommen. Man beäugt es misstrauisch, ob es schon die drohende Klimaerwärmung (oder eventuell auch eine Eiszeit) ankündigt.

 

Kurzum, das Wetter ist unverzichtbar, allein schon, weil man immer darüber reden und insbesondere schimpfen kann. Wenn es kein Wetter gäbe, müsste man es erfinden. Aber was wäre das Wetter ohne die Experten, die uns über Luftwirbel, Kumuluswolken und Computerbilder informieren, Hohepriester der launischen Wettergöttin!

 

Nur leider ist es mit der Treffsicherheit dieser Wetterpropheten schlecht bestellt. Dass und warum das so ist, möchte ich Ihnen zeigen, und Ratschläge geben, wie man mit diesem Dilemma umgehen kann.

 

 

1. Tautologie

„Es gibt Sonne oder Wolken, und es kann auch regnen.“

Was soll man mit so einer Vorhersage anfangen? Diese Vorhersage ist immer richtig: Wenn die Sonne scheint, wenn es bewölkt ist und wenn es regnet. Das entspricht dem bekannten Satz: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.“ Einen solchen Satz nennt man eine Tautologie: Sie ist zwar immer wahr, aber sie beinhaltet andererseits keine Information.

 

Viele Wetterberichte ähneln einer Tautologie. Sie sind zwar keine strenge Tautologie (streng genommen müsste die obige Vorhersage auch noch Nebel, Schnee usw. einschließen), aber außerordentlich inhaltsarm. Der Vorteil für den „Wetterfrosch“: Man kann ihm keine Falschvoraussage vorwerfen. Der Nachteil für uns: Wir wissen nicht, wo wir dran sind, wir sind kaum klüger als vor der Vorhersage.

 

 

2. Zufallserwartung

„Heute vormittag scheint durchgängig die Sonne bei einer Temperatur von 30 Grad.“

Wirklich? Ich habe mir mal das Vergnügen gemacht, eine kleine private Statistik über die Richtigkeit der Wetterprognosen aufzustellen. Dabei kam Erstaunliches heraus: Etwa 50% der Prognosen sind richtig, und entsprechend sind etwa 50% falsch. Ähnliches bestätigen öffentliche Statistiken. Ein Verhältnis von 50:50% nennt man auch Zufallserwartung. D. h. ein solches Ergebnis ist zu erwarten, wenn man einfach rät.

 

Es gibt z. B. vereinfacht gesagt nur 2 Möglichkeiten: Die Sonne scheint oder sie scheint nicht. Wenn ich rate, habe ich eine Chance von 50%, das Richtige zu treffen. Man fragt sich, warum die Wetterinstitute einen so extremen Aufwand mit Computern, Messstationen, Wettersatelliten usw. betreiben, wenn das Ergebnis so mager ist. Zwar behaupten die Wetterdienste, dass ihre 24-Stunden-Vorhersagen mit 90% Wahrscheinlichkeit zutreffen.

 

Aber wie es heißt: Glaube nicht einer Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Die Unsicherheit der Prognosen zeigt auch die Unterschiedlichkeit der Aussagen: Bei der ARD regnet es am Vormittag, bei RTL am Nachmittag, dagegen scheint bei den glücklichen Leuten von Sat1 den ganzen Tag die Sonne.

 

 

3. Wahrscheinlichkeitsaussagen

 

„Regenwahrscheinlichkeit 80%.“

Manche Wetterpropheten sind inzwischen etwas vorsichtiger und klüger geworden. Sie machen keine sicheren Voraussagen, sondern nur Wahrscheinlichkeitsaussagen. Damit hatten wir ja bei der Zufallserwartung schon zu tun. Bei einer Wahrscheinlichkeitsaussage ist der Wetterprognostiker natürlich fein raus. Wenn er sagt: „Regenwahrscheinlichkeit 80%“, und es regnet nicht, kann ihm keiner etwas wollen. Denn dann sind eben die anderen 20% eingetroffen.

 

Unbrauchbar werden Wahrscheinlichkeitsaussagen, je mehr sie sich den 50% nähern, der Zufallserwartung. „Regenwahrscheinlichkeit 50%“. Mit einer solchen Information stehen wir ganz schön im Regen: Schirm mitnehmen oder nicht – das ist hier die Frage.

 

 

4..Chaostheorie

„Das Wetter ist heute chaotisch.“

Oder sind nur die Wettervorhersagen chaotisch? Genereller gefragt: Warum sind die Vorhersagen so ungenau, und zwar umso ungenauer, je weiter sie in die Zukunft reichen? Ein kluger Mann sagte einmal: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Das ist das eine, die Zukunft ist prinzipiell nicht sicher vorhersehbar und vorhersagbar.

 

Aber beim Wetter kommt entscheidend hinzu: Es ist ein sehr komplexes Phänomen bzw. ein komplexes, multiples System, bei dem kleinste Änderungen große Auswirkungen haben können. Das fasst man heute unter dem Begriff „Chaos“. So gibt es die bekannte (wenn auch übertriebene) Aussage, dass der Flügelschlag eines einzigen Schmetterlings eine gesamte Großwetterlage ändern kann, der Schmetterlingseffekt. Um ein solches komplexes System zu beschreiben, benötigt man sehr komplizierte nonlineare Gleichungen. So können wir bis heute die Komplexität des Wetters nicht eindeutig mathematisch einfangen, und voraussichtlich gibt es prinzipielle Grenzen der Voraussage.

 

 

5. So geht man richtig mit den Wettervorhersagen um

 

„Wenn Sie wissen wollen, wie das Wetter wird, schauen Sie am besten aus dem Fenster. Vor allem aber, wenn Sie wissen wollen, wie das Wetter ist.“

Das gilt jedenfalls für das lokale Wetter. Man kann im Internet nicht nur Wettervorhersagen abfragen, sondern auch das Wetter jetzt, in Echtzeit, z. B. für den eigenen Wohnort. Oft genug erlebt man dabei, dass der Wetterbericht z. B. um 14 Uhr Regen meldet, ein Blick aus dem Fenster aber Sonne zeigt. Und wem glauben Sie dann?

 

Wettervorhersagen können am ehesten Großwetterlagen richtig voraussagen, aber wie das Wetter an einem bestimmten Ort, z. B. in meiner Straße wird oder ist, das können sie kaum. Doch meistens interessiert einen eben das lokale Wetter, „vor Ort“. Und hier kann der Wetterbericht oft nicht einmal das jetzige Wetter richtig angeben, vom zukünftigen Wetter gar nicht zu reden.

 

Da mag man auch einfach eine häusliche „Klima-Station“ nutzen, die Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit angibt. Die soll für den Kundigen 60 – 75% Treffsicherheit erlauben.

Oder wenn man einen Ausflug vorhat: Rufen Sie in einem Café an in dem Ort, zu dem Sie fahren wollen, und lassen sich das Wetter schildern.

 

Für weitergehende Wetterprognosen können Bauernregeln helfen, z. B. dass das Wetter um den Siebenschläfer herum wahrscheinlich für etwa 7 Wochen halten wird. Zwar erreicht man auch da keine Sicherheit, aber die Chancen sind meist besser als beim Wetterbericht, obwohl Sie natürlich gerne auch dem Wetterpropheten Ihres Vertrauens lauschen dürfen – nur erwarten Sie bitte keine sicheren Vorhersagen.

 

Sonst bleibt nur etwas mehr Gelassenheit: Wenn Ihnen das Wetter heute nicht gefällt, es wird jeden Tag wieder neu gemacht.


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11.07.20 Sind Wetterprognosen Fake-News? (3)

WIE GUT SIND 50% VORHERSAGE-GENAUIGKEIT?         

 

Normalerweise geben die Wetterdienste Trefferraten von 90% oder wenigstens 75% an, je nachdem, auf wie viele Tage sich die Vorhersage bezieht. Manchmal geben sie aber auch nur 50% an, wenn es z. B. um einen Vorhersagezeitraum von ca. 5 Tagen oder mehr geht.

 

Nun mag man denken, 50%, das ist doch noch ganz gut, also immerhin zur Hälfte richtig. Aber das kann man auch ganz anders sehen. Und dafür müssen wir etwas ausholen.

 

Nehmen wir als Beispiel 4 Wettervorhersagen für 4 Tage:

10.06.15   11.06.15   12.06.15   13.06.15

 

Jede dieser Vorhersagen kann prinzipiell richtig oder falsch sein.

Im Beispiel: An allen 4 Tagen regnet es.

 

Berücksichtigen wir hier nur 2 Möglichkeiten:

- Vorhersage richtig: die Vorhersage sagt, es regnet.

- Vorhersage falsch: die Vorhersage sagt, es regnet nicht.

 

Durch Kombination dieser 4 Vorhersagen erhält man 16 mögliche Verteilungen. Zur genauen Übersicht folgende Tabelle:

 

        

Zeile

10.06.2015

11.06.2015

12.06.2015

13.06.2015

1

Richtig

Richtig

Richtig

Richtig

2

Richtig

Richtig

Richtig

Falsch

3

Richtig

Richtig

Falsch

Richtig

4

Richtig

Richtig

Falsch

Falsch

5

Richtig

Falsch

Richtig

Richtig

6

Richtig

Falsch

Richtig

Falsch

7

Richtig

Falsch

Falsch

Richtig

8

Richtig

Falsch

Falsch

Falsch

9

Falsch

Richtig

Richtig

Richtig

10

Falsch

Richtig

Richtig

Falsch

11

Falsch

Richtig

Falsch

Richtig

12

Falsch

Richtig

Falsch

Falsch

13

Falsch

Falsch

Richtig

Richtig

14

Falsch

Falsch

Richtig

Falsch

15

Falsch

Falsch

Falsch

Richtig

16

Falsch

Falsch

Falsch

Falsch


Im besten Fall sind also 4 von 4 (= 100%) Vorhersagen richtig (Zeile 1 in der Tabelle oben). Das ist in 1 von 16 Fällen gegeben, es besteht also eine Wahrscheinlichkeit von 1/16.

 

Man nennt diese Wahrscheinlichkeit auch Zufallswahr-scheinlichkeit; sie gibt einfach an, in wie vielen Fällen von allen möglichen Fällen (hier 16) eine Verteilung realisiert ist.

 

Was uns hier aber vor allem interessiert, ist dass 50% der Vorhersagen richtig sind, denn das war ja die Ausgangsfrage. Das ist in 6 von 16 Fällen gegeben, es besteht also eine Wahrscheinlichkeit von 6/16.

 

Ordnen wir die Daten etwas:

 

Voraussagen                                    Prozent         Zeilen                        Wahrscheinlichk.

 

4 von 4 Voraussagen sind richtig          100%            1                               1/16   0,063

           

3 von 4 Voraussagen sind richtig          75%               2, 3, 5, 9                   4/16   0,25

 

2 von 4 Voraussagen sind richtig          50%               4, 6, 7, 10, 11, 13      6/16   0,38

 

1 von 4 Voraussagen sind richtig          25%               8, 12, 14, 15             4/16   0,25

 

0 von 4 Voraussagen sind richtig          0%                 16                           1/16   0,063

 

Was sagt uns das? Nun, es ist am wahrscheinlichsten, dass 2 von 4 (= 50%) der Wettervorhersagen richtig sind – und entsprechend auch 2 von 4 (= 50%) falsch.

 

Wenn also die Wettervorhersagen in 50% der Fälle stimmen, bedeutet dass nicht, dass hier eine immerhin 50%ige Qualität der Vorhersage erreicht wurde, sondern es ist einfach der Wert, für den es die meisten Kombinationsmöglichkeiten gibt.

 

Nach den Regeln des Zufalls ist eben 50% die wahrscheinlichste Verteilung, die sogenannte Zufallserwartung.

 

Anstelle einer wissenschaftlichen Wetterprognose könnte man in diesem Fall genauso gut eine Münze werfen. Legen wir fest:

 

- Kopf (Symbol) = Wettervorhersage ist richtig

- Zahl                     = Wettervorhersage ist falsch.

 

Anzahl

1. Wurf

2. Wurf

3. Wurf

4. Wurf

1

Kopf

Kopf

Kopf

Kopf

2

Kopf

Kopf

Kopf

Zahl

3

Kopf

Kopf

Zahl

Kopf

4

Kopf

Kopf

Zahl

Zahl

5

Kopf

Zahl

Kopf

Kopf

6

Kopf

Zahl

Kopf

Zahl

7

Kopf

Zahl

Zahl

Kopf

8

Kopf

Zahl

Zahl

Zahl

9

Zahl

Kopf

Kopf

Kopf

10

Zahl

Kopf

Kopf

Zahl

11

Zahl

Kopf

Zahl

Kopf

12

Zahl

Kopf

Zahl

Zahl

13

Zahl

Zahl

Kopf

Kopf

14

Zahl

Zahl

Kopf

Zahl

15

Zahl

Zahl

Zahl

Kopf

16

Zahl

Zahl

Zahl

Zahl

 

 

Die Tabelle zeigt (entsprechend der obigen Tabelle mit den richtigen oder falschen Vorhersagen) die möglichen Kmbinationen von Kopf und Zahl bei 4 Münzwürfen. Dabei zeigt sich wieder: Es ist am wahrscheinlichsten, dass beim Münzwurf 2x Kopf und 2x Zahl, also 50% Kopf bzw. 50% Zahl auftreten. Nämlich in Zeile 4, 6, 7, 10, 11, 13. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt 6/16. Das sind einfach die Gesetze des Zufalls.

 

Diese Aussage, dass 50% am wahrscheinlichsten sind, gilt natürlich nicht nur bei 2 von 4, sondern generell, also bei 3 von 6, 4 von 8 usw. – immer, wenn wir es mit 2 Möglichkeiten zu tun haben, also richtig – falsch, Kopf – Zahl usw.

 

Übrigens ist es gleichgültig, ob wir sagen:

Die Wettervorhersagen sind mit 50% Wahrscheinlichkeit richtig (falsch).

oder

Die Wettervorhersagen sind zu 50% richtig (falsch).

Für die Zufallswahrscheinlichkeit spielt das keine Rolle.

 

So gesehen können wir auch weitere Wahrscheinlichkeits-Werte anders interpretieren.

Z. B. mag 60% Trefferwahrscheinlichkeit bei einer Wettervorhersage erst als ganz guter Wert erscheinen, aber er besagt auch noch nicht so viel, er liegt nämlich nur 10% über der Zufallserwartung von 50%.

 

Hier ist allerdings zu bedenken: Wenn die Wettervorhersage zu unter 50% richtig ist, hat das mehr Aussagekraft als genau 50%. Denn wenn die Vorhersage z. B. nur zu 30% richtig ist, dann ist ja ihr Gegenteil zu 70% wahr.

Angenommen, der Wetterbericht sagt voraus: „Es gibt Regen.“

Wenn wir nun wissen, der Wetterbericht ist nur mit 30% Wahrscheinlichkeit richtig, können wir folgern: „Mit 70% Wahrscheinlichkeit gibt es keinen Regen.“

 

Fazit: Dass eine Wettervorhersage zu 50% richtig ist oder mit 50% Wahrscheinlichkeit zutrifft, kann ein reines Zufallsergebnis sein. Es bedeutet nicht notwendig, dass hier immerhin zur Hälfte richtig vorhergesagt wurde, sondern eine 50%-Trefferquote kann man genauso gut durch Münzwurf oder Raten erzielen.


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03.07.2020 Sind Wetterprognosen Fake-News? (2)

FALSCHE WETTERPROGNOSEN 

 

Wenn man bei Google „falsche Wettervorsagen“ eingibt, kommen ca. 249.000 Suchergebnisse. Wenn natürlich auch nicht alle Einträge wirklich relevant sind, man findet doch sehr viele Berichte über falsche Wetterprognosen und deren Folgen.

 

Falsche Wettervorhersage führt Winterdienst der ASF auf Glatteis. Die Badische Zeitung berichtet (am 01.02.2012): „Am ersten kalten Tag des Winters hat es in Freiburg Dutzende Unfälle gegeben, kaum eine Straße war gestreut. Grund: Wegen einer falschen Wetterprognose hatte die Stadtreinigung ihren Winterdienst nachmittags heim geschickt.“

 

Die Welt berichtet am 24.08.2009: Britische Supermarktkette stellt Meteorologen ein. Begründung: „Die Britten haben mit dem Wetter kein Glück und zu allem Überfluss mit dem Wetterdienst offenbar auch nicht. Weil die Voraussagen der staatlichen Wetterfrösche zu oft vollkommen falsch waren, hat die britische Supermarktkette Tesco sechs Meteorologen angestellt. … Die Meteorologen braucht Tesco … zum Eigenbedarf, um die richtigen Lebensmittel für das jeweilige Klima auf Lager zu haben.“ Denn die zuverlässig falschen Vorhersagen des staatlichen Wetterdienstes hatten zu erheblichen Fehlkäufen und damit Verlusten von Tesco geführt.

 

Jetzt machen sie an der Ostsee ihr Wetter selbst. Auf www.welt.de ist (am 19.04.10) zu lesen: „Erst hat das schlechte Wetter den Seebädern das Geschäft verdorben. Dann waren es die schlechten Wettervorhersagen. Zum Beispiel an Ostern: Da schlenderten die Wochenendgäste bei herrlichem Sonnenschein durch die Urlaubsorte – obwohl die Meteorologen für das ganze Wochenende Wolken, Kälte und Dauerregen vorhergesagt hatten. Ohne die schlechten Prognosen wären noch viel mehr Kurzurlauber gekommen, klagen die Küstenbewohner.“

„Tatsächlich lagen die Wetterdienste in diesem Frühjahr besonders häufig daneben. Wochenlang prophezeiten die Meteorologen Schmuddelwetter, während der Norden einen sonnigen Vorfrühling erlebte.“

„Deshalb versuchen einige Seebäder nun, mit eigenen Wettervorhersagen bei den Urlaubern Schönwetter zu machen. Auf Fehmarn sind bereits zwei Wetterstationen installiert, deren Messungen im Internet abrufbar sind … Zudem sind fünf Webcams installiert, um zu zeigen, ‚wie das Wetter hier wirklich ist.’“

 

Bei www.shortnews.de liest man am 14.07.2010: Deutscher Wetterdienst gibt falsche Unwetterwarnungen aus. „Hauptaufgabe des Deutschen Wetterdienstes ist die Warnung der Bevölkerung vor möglichen Wettergefahren … Am vergangenen Montag wurden vom Deutschen Wetterdienstes für das Saarland, Rheinland-Pfalz und Teile Hessens jedoch falsche Unwetterwarnungen herausgegeben. Obwohl kurz nach der Veröffentlichung der Unwetterwarnungen absehbar war, dass diese nicht eintreten, wurden die Warnungen weiter verbreitet. Meteorologe Dominik Jung von „wetter.net“ kritisiert diese Vorgehensweise des Deutschen Wetterdienstes scharf. Der Deutschen Wetterdienst verteidigt sich dagegen mit den Worten: ‚Nachher ist man immer schlauer.’“

 

Fast schon Kultstatus hat ein Video auf Youtube: gut angetrunkener Wiener beschwert sich telefonisch beim ORF über die falsche Wettervorhersage (ins Deutsche übersetzt): … „Der kleine Mensch weiß schon, dass es ja eh nicht kommt, was die Hohe Warte (Wetterstation) ansagt … Man muss sich mal vorstellen, mit so einem Scheiss kann man Geld verdienen …“

 

 

Die Wettervorhersage ist ein Witz

 

Auch im Volksmund entladen sich die Erfahrungen mit falschen Wettervorhersagen in allerlei Witzen:

- „Mit den Wettervorhersagen habe ich so meine Probleme. Die stimmen ja doch nie!“ „Aber gnädige Frau, die Vorhersagen sind immer korrekt, nur mit dem Datum tun sich Meteorologen noch etwas schwer.“

- „Im Laufe des Tages werden örtlich starke Niederschläge auftreten“, prophezeit der Meteorologe. Ratlos beugt sich sein Assistent über die Satellitenbilder und Karten. „Woraus schließen Sie das?“ „ Ich habe meinen Schirm vergessen und bin zu einer Gartenparty eingeladen.“

- Der Intendant zum Meteorologen: „Sie haben Regen angekündigt und nun regnet es tatsächlich. Haben Sie das durch Satellitenfotos so genau feststellen können?“ „Nein, ich habe mein Auto gewaschen, danach regnet es immer!“

Ingolf Lück sagte einmal: „Erfolglose Wahrsager können sich immer noch als Meteorologen bewerben.“

Manche Kritiker würden sagen: Wir brauchen gar keine Witze über Wettervorhersagen, denn die Wettervorhersage an sich ist ein Witz.

 

 

Ist die Wetterprognose schlechter als die Polizei erlaubt?

 

Da durch falsche Wettervorhersagen große Schäden entstehen können, ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Geschädigte bei Polizei und Staatsanwälten Hilfe suchen.

Der Internet-Dienst KOPP Online berichtet am 17.07.2012: Niederlande: Werden falsche Wetterprognosen strafbar? Christine Rütlisberger schreibt: „Mitunter hat es verheerende Folgen, wenn die öffentlich verkündeten Wettervorhersagen nicht stimmen. Klar ist: mehr als 50% der Vorhersagen haben mit der Realität nichts zu tun.


In den Niederlanden debattiert man jetzt darüber, die Wetterfrösche für falsche Prognosen haften zu lassen.“ Frau Rütlisberger nennt als ein Beispiel, wie falsche Wettervorhersagen dem Tourismus beträchtlich schaden können. Z. B. beschweren sich die Küstenorte in Holland und Belgien, dass sie durch ständige (falsche) Vorhersagen von Regen große Einbußen erlitten haben, und sie fordern strafrechtliche Konsequenzen.

 

In Russland ist man rigoroser. Schon 2005 (23.02.) wurde auf de Seite www.krone.at berichtet: Meteorologen zahlen für falsche Wetterprognosen: „Für falsche Wettervorhersagen sollen die Meteorologen in der russischen Hauptstadt Moskau in Zukunft zur Kasse gebeten werden. ’Die Wetterämter in der Stadt und im Umland müssen in Zukunft für die Verluste aufkommen, die wir durch ihre falschen Prognosen erleiden’, sagte Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow … Durch ungenaue Vorhersagen seien die Straßenräumdienste nur unzureichend auf starke Schneestürme oder Glatteis vorbereitet.“

 

Manche Wetterdienste rüsten sich schon gegen mögliche juristische Klagen. So steht z. B auf der Seite www.maerkischer-kreis-tourismus.de: Eine Haftung für fehlerhafte oder falsche Wetterprognosen wird nicht übernommen.

 

 

28.06.2020  Sind Wetterprognosen Fake-News? (1)

DIE ERFOLGS-MELDUNGEN DER WETTERLEUTE 

 

Die Wetterexperten geben recht gute Trefferquoten für ihre Voraussagen an. Bei den Wettervorhersagen vor allem im Radio oder Fernsehen klingt es meistens so, als ob sie zu 100% sicher wären (nur selten werden sie relativiert durch Zusätze wie Regenwahrscheinlichkeit 80%).

Wenn man sich die Statistiken ansieht, die meist von den Wetterexperten selbst herausgegeben werden, ist zwar von 100% Erfolg nicht die Rede, aber wirklich bescheiden sind sie auch nicht. Es wird behauptet, dass Wettervorhersagen bis zu 90% oder auch über 90% richtig sind. Als Spitzenwert wird sogar 99% für 1 Tag im voraus angegeben, also fast 100%.

 

Zunächst muss man hier unterscheiden zwischen:

- einer Witterungsprognose: einer Wettervorhersage über einen längeren Zeitraum, für mehrere Tage, Wochen, Monate oder sogar eine ganze Jahreszeit

- einer Wettervorhersage: einer Vorhersage für den heutigen Tag, den nächsten Tag, maximal bis etwa drei Tage im voraus.

 

Naturgemäß sind die Witterungsprognosen öfters falsch als die Wettervorhersagen, denn eins kann man als eine Art Grundgesetz der Wetterprognose konstatieren: je weiter sie in die Zukunft reicht, desto häufiger ist sie falsch.

Außerdem muss man berücksichtigen: Je nach Erdteil ist die Zuverlässigkeit der Wetterprognose unterschiedlich: Z. B. ist in den Tropen das Wetter viel stabiler als in Europa, wo es sich häufiger und schneller ändert.

 

Weiter muss man differenzieren: Die Vorhersage für die Temperatur ist z. B. besser als die für das Auftreten von Regen. Außerdem spielt natürlich eine Rolle, wie lokal begrenzt die Vorhersage wird. Grundsätzlich ist für ein eng umgrenztes Gebiet eine bessere Vorhersage möglich, andererseits kann es auch schon in einem recht kleinen Areal ganz unterschiedliches Wetter geben, 10 km weiter kann eine Wettergrenze sein.

 

In dem Artikel „Wettervorhersage“ bei Wikipedia werden folgende Fakten und Zahlen genannt, die anscheinend überwiegend von den Wetterdiensten und Meteorologen selbst stammen:

- in mittleren Breiten beträgt der zuverlässige Vorhersagezeitraum heute 4 – 5 Tage

- die Vorhersagegenauigkeit für 24 Stunden (1 Tag) beträgt gut 90%

- für die kommenden 3 Tage erreicht man eine Trefferwahrscheinlichkeit von etwas mehr als

  75%

- für Vorhersagen für die nächsten 4 – 7 Tage sinkt die Zuverlässigkeit erheblich

- allerdings ist bei stabiler Winterhochdrucklage eine Prognose für 1 Woche zu 90% möglich

- über 20 Tage hinaus lassen sich gar keine seriösen Vorhersagen treffen

 

Und es wird auch auf Fortschritte hingewiesen:

„Heute ist die Prognose für die kommende Woche ungefähr so zuverlässig, wie sie vor dreißig Jahren für den nächsten Tag war.“

„Seit den 1950er Jahren … stieg der relativ zuverlässige Vorhersagezeitraum in mittleren Breiten von etwa 3 Tagen auf 4-5 Tage, was für viele Sparten der Wirtschaft, im Verkehr oder im Bauwesen, sowie für Planungen in der Landwirtschaft eine merkliche Verbesserung bedeutete.“

 

 

Wo kommen die Daten her?

 

Nun ist ein Problem: Wo kommen diese Daten eigentlich her? Wikipedia traut hier offensichtlich seinem eigenen Artikel nicht und versieht ihn (am 10.09.12) mit dem Hinweis: „Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (beispielsweise Einzelnachweisen) ausgestattet …“

 

In der Tat, der Autor gibt kaum Belege an, vor allem verweist er auf einen Artikel „Prognosegüte von Wettervorhersagen“, von einem sogenannten „Wetter Sini“, auf der Internet-Seite www.wetterprognose-wettervorhersage.de.

Dieser Artikel ist sehr interessant, er gibt tabellarisch die wahrscheinliche Trefferquote für Kurzfristvorhersagen (1 - 7 Tage), Mittelfristvorhersagen (8 – 14 Tage) und Langfristvorhersagen (15 – 45 Tage) an. Dabei unterscheidet er immer zwischen stabiler und unsicherer Großwetterlage.

Als Spitzenwert wird angegeben: 99% Zutreffen, für 1 Tag im voraus bei stabiler Großwetterlage. Der schlechteste Wert ist: 15% Zutreffen, für 45 Tage im voraus bei unsicherer Großwetterlage. Nur vermisst man auch in diesem Artikel die Angabe, woher der Autor seine Erkenntnisse hat.

 

Und dies ist generell ein Problem bei den Statistiken der Wettervorhersagen: Die Datenlage ist begrenzt, oft fehlen die Angaben.

Man findet im Netz auch Statistiken, die sich zwar gut lesen, aber anscheinend ganz subjektiv aufgestellt sind: Z. B. gibt ein Michael auf www.wetterforum.com für detaillierte Vorhersagen folgende Prognosegüte an:

 

1 Stunde           95%

1 Tag                 90%

2 Tage               80%

3 Tage               70%

4 Tage               60%

5 Tage               55%

6 Tage               40%

7 Tage               30%

 

(Für Großwetterlagen gibt er allerdings wesentlich höhere Wahrscheinlichkeiten an.)

 

Doch ein großer Teil der Angaben stammt eben von den Wetterdiensten oder den Rundfunk-bzw. Fernsehanstalten selbst, die natürlich alle an einer möglichst hohen Qualität ihrer Voraussagen interessiert sind – womit sich die Frage nach der Objektivität stellt.

 

Z. B. findet man auf der Internetseite: http://intern.tagesschau.de folgende Angaben für die Vorhersagegenauigkeit:

- 1 Tag:    ca. 90%

- 2 Tage:  ca. 80%

- 5 Tage:  ca. 50%

 

Spiegel online berichtete (am 06.11.2002) unter dem Titel „Wettkampf der Wetterfrösche“ über eine Diplomarbeit der Meteorologie-Studentin Constance Zeun, die Erfolgsquoten mehrerer Wetterdienste verglich. Fazit: „Insgesamt können sich die Vorhersagen sehen lassen: Für den ersten Tag ermittelte Constance Zeun bei allen Diensten eine Treffergenauigkeit über 90%, für den vierten Tag noch um die 80%.“


Diese Angaben sind ungewöhnlich positiv. Überrascht war ich, als ich in einem Artikel über die Wahl der schönsten Wetterfee auch auf den Namen Constance Zeun stieß – offensichtlich arbeitet die Dame auch als Wetterfrau und ist damit natürlich auch nicht über Parteilichkeit erhaben.

 

Es gibt nur sehr wenige Untersuchungen, z. B. von Universitäten, bei denen man objektive Forschungen erwarten kann (obwohl man natürlich auch nicht immer weiß, woher die Forschungsgelder kommen).


Z. B findet sich auf www.geo.fu-berlin.de eine Studie des Instituts für Meteorologie der FU Berlin, Titel: „Projekt Prognosegüte von Wetterportalen“, Zeitraum 1.9.2006 – 28.2.2007.

Partner RTL NewMedia – wobei sich die Frage stellt, ob hier eventuell doch ein Interessenkonflikt auftreten könnte. Die Untersuchung ist statistisch aufwendig, mit Berechnung von mittlerem Prognosefehler, Standardabweichung, mittlerem Fehlerbereich, maximalem Fehlerbereich usw., was hier aber nicht näher erläutert werden soll.


Die Studie sagt allerdings wenig aus über die generelle Prognosegüte, sondern mehr über den Unterschied zwischen den Wetterportalen. Z. B. schneidet bei dieser Untersuchung wetter.de deutlich besser ab als wetter.com. Was immerhin zeigt, dass unterschiedliche Wetterportale zu unterschiedlichen Voraussagen kommen – und dies spricht für die Unsicherheit der Prognosen.

 

Hier ist prinzipiell zu fragen, was diese Statistiken bringen. Wie falsch ist falsch? Es bedeutet natürlich einen gewaltigen Unterschied, ob sich eine Wetterprognose nur um 1 Grad Temperatur vertut oder ob sie eine gesamte Wetterfront falsch vorhersagt. Man muss vermuten, dass die Wetterleute ihre Statistiken eher fehlerfreundlich interpretieren, also nur gravierende Abweichungen auch als Fehler benennen.

 

 

Gegen-Beweise

 

Wie lassen sich die genannten Wettervorhersage-Statistiken widerlegen? Nun, teilweise widerlegen sie sich selbst, weil sie sich nämlich widersprechen. Nehmen wir z. B. als Vorhersagezeitraum 5 Tage (bzw. den 5. Tag). Da finden wir u. a. folgende Angaben:

- Wikipedia: 90% (bei stabiler Winterhochdrucklage), sonst <75%

- „Wetter Sini“: 87% (bei stabiler Großwetterlage) bzw. 68% (bei unsicherer Großwetterlage)

- ARD: ca. 50%

- Michael: 80% (Großwetterlage) bzw. 55% (detailliert)

 

Die Angaben schwanken also zwischen 90% und 50%. Wenn sich das auch auf unterschiedlichen Wetterbedingungen bezieht, eine solch’ große Diskrepanz spricht doch sehr gegen die Zuverlässigkeit der Angaben, man weiß nicht, wie weit man sich wirklich auf die Wetterprognosen verlassen kann.

Außerdem: Wenn die Großwetterlage eine so wichtige Rolle spielt, ergibt sich doch wiederum das Problem, die Großwetterlage richtig vorherzusagen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit gelingt das denn? Hier bewegt man sich im Kreise.

 

Generell ähnelt das Problem mit den Wetterprognosen der Situation mit dem Euro. Eurobefürworter legen Statistiken vor, nach denen sich durch den Euro gar nichts verteuert habe, aber wir wissen alle, dass dies nicht stimmt. Jeder von uns kennt verschiedenste Beispiele, wie sich die Preise bei bzw. seit Einführung des Euro drastisch erhöht haben. Ich kann z. B. nennen, dass die Preise in Cafés fast „gleichgeblieben“ sind, nur zahlte man plötzlich den früheren DM-Betrag in Euro.

 

So ist es auch mit dem Wetter: Die Wetterleute behaupten z. B., sie könnten den nächsten Tag mit 90% oder sogar bis zu 99% Wahrscheinlichkeit – also fast sicher – voraussagen. Wir allen könnten viele Beispiele nennen, wo das ganz anders war und würden vermutlich viel niedrigere Erfolgsraten angeben. Nur leider gibt es anscheinend keine eindeutigen, unparteiischen, empirisch abgesicherten Gegenstatistiken. Das ist sehr merkwürdig, ob vielleicht die Lobby der Wetterindustrie entsprechende Untersuchungen unterdrückt? Man muss eben auch bedenken: Mit (tendenziösen) Statistiken kann man alles beweisen, und es gibt ja den bekannten Satz: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“

 

[Anmerkung: Beim Schreiben des Manuskriptes wird weiter – auch nach entsprechenden Statistiken – recherchiert und zusätzliche Literatur herangezogen bzw. ausgewertet werden.]

 

Dennoch kann man viele Einzelergebnisse für falsche Wettervorhersagen sammeln und so doch einen überzeugenden Gegenbeweis antreten. Das soll in den folgenden Kapiteln unternommen werden:

- ich werde Berichte von falschen Vorhersagen und ihren Folgen bringen

- es werden die statistischen Tricks der Wetterprognostiker aufgezeigt

- ähnlich soll auf logische Probleme der Wettervorhersagen hingewiesen werden

- weiter werde ich zeigen, warum chaotische Prozesse eine exakte Vorhersage fast unmöglich machen usw.

 


21.06.2020 Sind Wetterprognosen Fake-News? (0)  EINFÜHRUNG   


Alle reden über das Wetter. Ich möchte über die Wettervorhersagen und die Wetterpropheten  reden bzw. schreiben. Denn die meisten Leute lesen, schauen oder hören Wettervorhersagen  jeden Tag, sogar mehrfach. Und viele glauben genauso inbrünstig daran wie an Horoskope. Viele sagen allerdings auch: „Der Wetterbericht stimmt doch nie.“

Das Wetter ist eins der wichtigsten Themen, in unserem Leben und in unseren Gesprächen. Seien wir ehrlich, ein großer Teil der menschlichen Kommunikation würde flach fallen, wenn es nicht das Wetter als Gesprächsthema geht. „Heute mal wirklich schönes Wetter.“ „Ja, aber gestern war es fast noch schöner.“ „Na, morgen wird es bestimmt wieder regnen.“. „Was wollen wir machen, wir können es ja nicht ändern.“

Das Wetter ist immer da, und es spielt fast immer eine Rolle bei unseren Vorhaben. Inzwischen ist das gemeine Wetter durch die anspruchsvolle Problematik des Klimawandels zu höheren Ehren gekommen. Man beäugt es misstrauisch, ob es schon die drohende Klimaerwärmung (oder eventuell auch eine neue Eiszeit) ankündigt. Kurzum, das Wetter ist unverzichtbar, allein schon, weil man immer darüber reden und insbesondere schimpfen kann. Wenn es kein Wetter gäbe, müsste man es erfinden.

Aber was wäre das Wetter ohne die Wettermänner und Wetterfrauen, die uns über Luftwirbel, Kumuluswolken und Computerbilder informieren, Hohepriester(innen) der launischen Wettergöttin! Das betrifft natürlich vor allem das Fernsehen. Ob nun Karsten Schwanke, Sven Plöger, Ben Wettervogel, Maxi Biewer, Katja Horneffer u.v.m., früher natürlich ganz vorne Jörg Kachelmann – viele von ihnen sind kleine Stars, mit eigener Homepage und eigenen Buchveröffentlichungen. Die schönste unter den Wetterfeen soll übrigens laut einer Umfrage Andrea Kempter von N24/Sat-1 sein. Schönheit hin, Schönheit her - nur leider ist es mit der Treffsicherheit dieser Wetterprophet(inn)en schlecht bestellt.

Wahrscheinlich haben Sie das auch schon einmal erlebt: Sie wollen mit der Familie einen Ausflug ins Blaue machen. Denn der Wetterexperte erzählt Ihnen das Blaue vom Himmel herunter, wie toll das Wetter wird: nur Sonne und blauer Himmel. Also fahren Sie los – und erleben Ihr blaues Wunder: nur Wolken, Wind und Wasser (sprich Platzregen) – nicht Sie gehen baden, sondern der Ausflug – und Sie sind froh, in dem Wolkenbruch heil wieder nach Hause zu kommen.

Oder umgekehrt: Der Wetterbericht warnt vor Gewitter, Hagel, Graupel, Starkregen und Sturm. Schweren Herzens sagen Sie die geplante Wanderung ab und bleiben zu Hause. Und ärgern sich grün, als den ganzen Tag kein einziger Tropfen fällt und am Nachmittag sogar die Sonne rauskommt.

Der neue Wetterbericht wird dann klammheimlich dem aktuellen Wetter angepasst, natürlich ohne Hinweis darauf, dass man sich leider geirrt hat. Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?! Oder von vor einer halben Stunde. Das erstaunt mich immer wieder: Da wird eine eindeutig falsche Vorhersage in einem Sender gemacht. Aber später wird die Aussage einfach stillschweigend geändert – wenn schon der Blick aus dem Fenster zeigt, dass sie falsch war. Doch es gibt keine Erklärung oder sogar Entschuldigung („sorry, wir haben uns geirrt“), offensichtlich rechnet man mit dem kurzen Gedächtnis der Wetterkunden. Rühmliche Ausnahme Jörg Kachelmann: Als er einmal eine heftige Regenfront nicht voraussagte, machte er sich vor der Kamera selbst ordentlich nass – als Sühne und Genugtuung für die Zuschauer, die durch seine falsche Vorhersage ihrerseits pudelnass geworden waren.

Natürlich können falsche Wettervorhersagen auch viel gravierendere Folgen haben, als dass uns nur der Wochenendausflug verhagelt wird: Bauern leiden unter Ernteschäden, weil sie, im guten Glauben auf vorhergesagtes trockenes Wetter, zu spät ernteten. Flugzeuge starten, die besser am Boden geblieben wären – und kommen in Turbulenzen, wenn nicht noch Schlimmeres passiert. Insgesamt können menschliche Tragödien und große wirtschaftliche Schäden durch fehlerhafte Wettervorhersagen eintreten.

Das eine ist, dass die Wettervorhersagen sehr oft falsch sind. Das andere ist: Die Wetter-vorhersagen sind oft schwammig, inhaltsleer, letztlich nichtssagend. Dafür steht die bekannte Bauernregel: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.“ Womit wir genau so klug wie vorher sind. Der Fachbegriff hierfür ist Tautologie.

Diesen negativen Erfahrungen mit Wetterberichten steht allerdings gegenüber: Vor allem im Radio oder Fernsehen klingt es meistens so, als ob die Wetterprognosen zu 100% sicher wären. Wenn man sich die Statistiken ansieht, die meist von den Wetterexperten selbst herausgegeben werden, ist zwar von nicht von absoluter Sicherheit die Rede, aber wirklich bescheiden sind sie auch nicht. Sie behaupten z. B. eine Vorhersagegenauigkeit  für 24 Stunden (1 Tag) von mindestens 90%, ja bis zu 99%. Und für die kommenden 3 Tage von etwas mehr als 75%.

Wer hat also Recht? Erreichen die Wettervorhersagen, wenn auch keine Sicherheit, so doch hohe Wahrscheinlichkeiten von über 90%, wie die Wetterdienste behaupten? Und ist es unsere selektive Wahrnehmung, dass wir nämlich nur die falschen Wettervorhersagen in Erinnerung behalten, weshalb wir an diesen Erfolgszahlen zweifeln?
Oder sind Wettervorhersagen insgesamt sehr unzuverlässig, erreichen oft nur eine Wahrscheinlichkeit von etwa 50%, wie man sie auch durch pures Raten erreichen könnte?

Wir werden daher  fragen: Ist die Wettervorhersage wirklich eine Wissenschaft? Oder ist sie letztlich eher auf dem Niveau von Kaffeesatzleserei und Würfeln?  Haben wir es hier – trotz allem technischen und mathematischen Aufwand der Wetterprognosen – mehr mit Aberglauben, Hokus-Pokus, ja Okkultismus zu tun? Überbleibsel aus alter Zeit, als man noch an Wettergötter und Naturgeister glaubte? Sind die Wetteransager einfach nur Märchen-Onkel und Märchen-Tanten? Ist das alles ein Riesenschwindel? Oder geht es letztlich um ein Riesengeschäft?

Und warum schauen, hören, lesen trotz allem so viele Menschen die Wettervorhersagen? Zumal die Vorhersagen oft genauso nebulös sind wie der herbstliche Morgennebel über dem See. Ist es ein tiefes Bedürfnis des Menschen nach Sicherheit, nach Orientierung? Wollen wir eben glauben, dass unser Wetter vorhersehbar ist (auch wenn wir im Inneren ahnen, dass es in Wirklichkeit ganz anders aussieht). Ist das Sehen des Wetterberichtes ein vertrautes Ritual, ähnlich wie das Lesen des Horoskops, bei dem wir eigentlich auch wissen, dass seine Wahrheit nur „in den Sternen steht“?

Oder müssen wir die Wettervorhersagen jedenfalls im Fernsehen vielleicht ganz uminterpretieren? Geht es gar nicht um Information, sondern um Unterhaltung? Ist dieses Herumgehen, dieses Hin- und Herlaufen vor der Wetterkarte und dabei auf die Karte Zeigen eigentlich eine Art Tanz, ein Ballett, eben Fernsehballett?

Fest steht, dass die Wettervorhersage oft nicht stimmt. Woran das liegt, möchte ich Ihnen erklären, und Ratschläge geben, wie man mit diesem Dilemma im Alltag umgehen kann.


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Probleme lösen – Zufrieden leben


Einführung

Probleme zu lösen ist die Voraussetzung für ein zufriedenes Leben, so erklärt sich der Doppeltitel. Ich arbeite seit vielen Jahren an diesem Thema, vor allem an einer ganzheitlichen Problemlösung. So habe ich auch schon einiges dazu veröffentlicht, besitze aber noch viel mehr unveröffentlichte Unterlagen. Hier bringe ich aber erstmals eine so prägnante Übersicht. Vielleicht werde ich sogar einmal ein Buch zu diesem Thema schreiben.

 

Jedenfalls ist mir das Thema Problembewältigung bzw. zufriedenes, sinnvolles Leben sehr wichtig – und ich hoffe, Sie als Leser/in werden den Text interessant finden und etwas daraus lernen.


Mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, die einfach so ihr Leben leben und sich nie für eine Anleitung zur Problemlösung interessieren würden. Sie lösen ihre Probleme – oder auch nicht. Es mag Lebenskünstler geben, die rein intuitiv – meistens – den für sie richtigen Lösungsweg finden; andere Menschen schlagen sich ihr Lebtag mit den gleichen Problemen herum, scheitern vielleicht auch in ihrem Leben, versuchen aber trotzdem immer, ihre eigenen Strategien zu verwenden.


Also natürlich ist eine solche „Anleitung“, wie ich sie hier vorlege, nicht für jeden geeignet. Und sie hat durchaus ihre Grenzen und Beschränkungen, wie ich später auch genau darlege. Aber ich bin doch optimistisch, dass der Leser, der offen ist für eine ganzheitliche Sicht und für neue, auch unkonventionelle Anregungen, davon profitieren kann.





19.02.2020  Probleme lösen - Zufrieden leben (17):

Synthese von Optimierung und „Durchwurschteln“?

 

Wenn man nach Wegen zu einer optimalen bzw. optimierten Problemlösung sucht, so kommt einem das Prinzip des Durchwurschtelns natürlich ungenügend, vielleicht erbärmlich oder sogar lächerlich vor. Allein das Wort „Durchwurschteln“ mag schon zu Spott oder Häme reizen. Man denkt an jemanden, der sich durch’s Leben „mogelt“, vielleicht durch’s Leben „schlägt“, und das klingt alles nicht nach kultivierter Lebensoptimierung.

 

Aber das Durchwurschteln hat seinen eigenen Ernst und seine eigene Würde – und seine eigene Lebenskunst. Menschen lösen Probleme nun einmal so, wie sie es gelernt haben, wie sie es gewohnt sind, wie sie es für richtig halten. Sie lösen ihre Probleme eben so, wie sie es können. Wenn sie damit im Leben irgendwie zurechtkommen – eben sich durchwurschteln – dann sind diese Problemlösungen akzeptabel, so insuffizient sie auch gemessen an hehren Ansprüchen sein mögen.

 

Und daher gibt es bei einem erfolgreichen Wurschteln auch gar keine Veranlassung, diese Menschen zu belehren, wie sie ihre Probleme besser lösen könnten, oder ihre simplen Lösungsstrategien nach dem Maßstab einer ambitionierten Therapie abzuwerten.

 

Aber wenn Menschen offensichtlich mit ihren wurschteligen Problemlösungsversuchen scheitern, wenn sie sich selbst oder andere beschädigen, vielleicht ins Unglück stürzen, dann jedenfalls ist der Problemspezialist aufgerufen, ihnen bessere Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Ob sie die dann auch annehmen, ob sie überhaupt eine Lösung wollen, das müssen sie letztlich selbst entscheiden.

 

In bestimmten – vor allem konfrontativen Psychotherapien – ist es weit verbreitet, dem Patienten bzw. Klienten zu unterstellen, er wolle ja gar nicht (psychisch) gesund werden oder gesund sein. Er erziele viel zu viel „sekundären Krankheitsgewinn“, er habe sich in seinem Elend behaglich eingerichtet, er sei zu feige, zu mutlos oder was auch immer, um seine psychischen Probleme wirklich anzugehen und zu bewältigen.

 

Diese Strategie der Therapeuten ist oft nur ein Trick, ihre eigene Unfähigkeit und Hilflosigkeit, dem Patienten kompetent zu helfen, zu übertünchen. Aber natürlich kann auch etwas an der These von den selbstverursachten (oder teils selbstverursachten bzw. selbst aufrechterhaltenen) Problemen dran sein, es gibt Menschen, die haben sich so in ein destruktives Lebensmuster verstrickt, dass sie da gar nicht mehr herauswollen bzw. keine Hoffnung auf einen Ausweg mehr haben. Eine fundierte Psychotherapie muss natürlich gerade versuchen, solchen Menschen zu helfen.

 

Aber wenn sie sich völlig verweigern, wenn sie sich und ihr Leben ganz aufgegeben haben, wenn sie ihre Lebensprobleme absolut nicht lösen wollen, dann muss man das auch akzeptieren. Und das gilt eben auch für Durchwurschteler, die ein ineffizientes, vielleicht pathologisches Durchwurschteln betreiben und damit gescheitert sind.

 

Ich habe in diesem Artikel verschiedene Formen der Problemlösung bzw. verschiedene Typen von Problemlösern beschrieben. In dieser Schlussbilanz will ich mich aber ausschließlich auf die Dichotomie Problemlösungs-Optimierung versus  Problemlösungs-Durchwurschteln fokussieren.

 

1) reales Verhalten (empirisch)

a) Problemlösungs-Optimierer (Perfektionist)

- Es gibt wenige Menschen (gibt es die überhaupt?), die alle Probleme streng rational, analytisch, ökonomisch angehen. Manche Optimierer sind relativ erfolgreich. Keiner von ihnen hat aber 100% Erfolg, weil sich fast alle Probleme nicht 100%ig lösen lassen.

- Viele andere Perfektionisten scheitern jedoch auch, was zu vielfältigen Reaktionen führen kann. Depression, Aggression, Krankheit – oder zu einer Abkehr vom Perfektionismus und zu einer Hinwendung zum Durchwurschteln.

b) Durchwurschteler

- Es gibt viele Menschen, die Probleme vor allem mit Durchwurschteln angehen, oft recht erfolgreich.

- Aber Durchwurschteln gelingt keinesfalls immer und jedem, man kann auch beim Durchwurschteln scheitern, was ähnlich wie beim gescheiterten Perfektionisten zu Depression, Aggression, Krankheit usw. führen kann. Dass ein gescheiterter Durchwurschteler zum Optimierer wird, ist unwahrscheinlich.

 

2) empfohlenes Verhalten (normativ)

Die im Folgenden genannten Vorteile und Nachteile müssen nicht bei jedem Optimierer bzw. Durchwurschteler zu Tage treten.

 

a) Problemlösungs-Optimierung

- Vorteile der Optimierung: Engagement für Ideale, Ziele, große Aufgaben, Begeisterungsfähigkeit, Charisma, Führungsqualitäten, hohe Arbeitsbereitschaft, kein Mittelmäßigkeit oder Gleichgültigkeit, kein Aufgeben

- Nachteile der Optimierung: Perfektionismus, übergroße Ansprüche, die fast scheitern müssen, permanente Frustration, Ideologisierung bzw. Dogmatismus, Alles-oder-Nichts-Denken, Ungeduld und Intoleranz anderen Menschen gegenüber; beim Nicht-Erreichen auch schon kleiner Ziele Depression, Aggression, Autoaggression u. ä.

b) Durchwurschteln

- Vorteile des Durchwurschtelns: Anpassungsfähigkeit, Spontaneität, (oft) vielfältige Verhaltensoptionen, relative Zufriedenheit, Akzeptanz, Kontaktfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Versöhnlichkeit

- Nachteile des Durchwurschtelns: Unfähigkeit, große Aufgaben zu meistern, Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit, Lethargie, Unempfindlichkeit, Dickfelligkeit, Zynismus, vor allem eben eine Wurstigkeit – wie schon der Name sagt, denn die Begriffe „Durchwurschteln“ und „Durchwursten“ sind miteinander verwandt.

 

Ideal ist eine Synthese von rationaler, strategischer Problemlösungs-Optimierung und Durchwurschteln, wobei die wenigsten Menschen das erreichen. Ist aber eine solche Synthese überhaupt möglich bei diesen so gegensätzlichen Verhaltensweisen? Man muss sich das weniger so vorstellen, dass man gleichzeitig teils optimierend und teils wurschtelig handelt, sondern mehr als ein Nacheinander, eine Abwechslung, dass auf eine Phase von Optimierung eine „Wurschtel-Phase“ folgt, dann wieder die Problemlösungs-Optimierung in den Vordergrund tritt usw.

 

Diese Synthese beschreibt ganz gut der folgende Spruch:

„Man soll die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Aber man soll auch dafür sorgen, dass die Dinge möglichst so kommen, wie man sie nehmen will.“


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19.02.2020  Probleme lösen - Zufrieden leben (16):

Optimierte Problemlösung oder Durchwurschteln?

 

Prinzipiell könnte man beim Durchwurschteln alle Problemlösungsmethoden verwenden, die im Kapitel 9 vorgestellt worden. Aber kaum ein Durchwurschteler wird alle diese Methoden kennen und darüber verfügen. Außerdem ist Durchwurschteln eben gerade kein methodisches Verhalten.

Das Durchwurschteln speist sich aus Erfahrung, gesundem Menschenverstand, Kenntnissen, logischen Überlegungen, aber auch aus Gefühlen, Vorurteilen und Fehlinformationen oder einfach Bequemlichkeiten. Aus diesen Versatzstücken setzt der Durchwurschteler sein Verhalten zusammen, ein Patchwork-Verhalten, wobei die spezielle Mischung bei jedem anders aussehen mag.

 

Also, beim Durchwurschteln ist vieles erlaubt, es werden viele Möglichkeiten als (eventuell) funktional oder konstruktiv akzeptiert, auch wenn sie es in Wirklichkeit nicht sind.

 

Aber ist auch nicht einfach jedes Verhalten ein „Durchwurschteln“, denn dann wäre dieser Begriff ja inhaltsleer. Zum Durchwurschteln gehört eben doch, dass man normalerweise „durch“ kommt, also irgendwie durch die Probleme „hindurchkommt“, wenigstens eine gewisse Problemlösung erreicht (sonst wäre es nur „Wurschteln“). Sich einfach ins Bett zu legen und zu warten, dass sich eine Lösung von alleine ergibt, wäre kein Durchwurschteln. Sondern das Durchwurschteln erfordert eine Aktivität, ein Handeln (wenn auch nicht die hektische Betriebsamkeit vieler „Optimierer“).

 

Es muss allerdings nicht jedes Problem, das man „durchwurschtelt“, gelöst werden, aber letztlich trägt das Durchwurschtelns doch nur, wenn man auch Probleme damit löst, so „problematisch“, so fragil, so bescheiden diese Lösungen auch sein mögen. Nur wenn man Erfolge mit dem Durchwurschteln hat, wenn man insgesamt irgendwie im Leben damit zurechtkommt, nur dann hat diese Anti-Methode ihre (individuelle) Berechtigung.

 

Zwar gibt es Probleme, bei denen eine ideale Lösung möglich ist oder sein soll.

Z. B. gibt es für viele (nicht alle) mathematische Gleichungen eine eindeutige und 100% sichere Lösung. Bei medizinischen Problemen, bei ärztlichen Behandlungen, würde man eine vollkommene Problemlösung (Heilung der Krankheit) wünschen oder fordern. Aber wenn das von Ärzten nicht gerne zugegeben wird, die medizinische Behandlung ist oft nur ein, mit vielen Irrtümern und Fehlern belastetes, teils unsystematisches Suchen nach Lösungen. Es gibt dafür sogar ein eigenes Wort: „herumdoktern“.

 

Wohin? Allerdings ist das Durchwurschteln auch nicht ohne Risiko: Es kann zum Zynismus führen („es gibt keine Ideale und Werte“), zur Depression („ist doch sowieso alles aussichtslos“), zur Trägheit („ich habe keine Lust, etwas Neues auszuprobieren), auch zur Gleichgültigkeit anderen Menschen gegenüber („jeder muss selbst sehen, wie er zurecht kommt“ ). Ich will daher auch keineswegs das Durchwurschteln als allleinseligmachend empfehlen.

 

Am besten ist vielmehreine Dialektik von Verhaltensoptimierung und Durchwurschteln, dass man sich einmal um möglichst optimale Lösung von Problemen bemüht, aber wenn man da nicht weiter kann oder will, dass man dann zum Durchwurschteln wechselt, und wenn einem dieses ungezielte Herumprobieren nicht mehr genügt, man sich wieder um eine gezielte, durchdachte, strategische Problembewältigung bemüht, dass man dann wieder höher ambitionierte Lösungen ansteuert.

 

Allerdings, ich will Dialektik nicht wieder als neues Super-Programm verkaufen, denn so bliebe man wieder in der „Falle der Optimierungssucht“ gefangen. Entsprechend werde ich auch keine „Anleitung zum perfekten Durchwurschteln“ geben, denn das liefe dem Prinzip des eben nicht-optimierten „Wurschtelverhaltens“ ja zuwider.

 

Man kann 2 Typen von Durchwurschtelern unterscheiden:

1) der geborene (primäre) Durchwurschteler

Er hat sich schon immer durch das Leben durchgewurschtelt, und wahrscheinlich wird er es auch nie ändern.

2) der gewordene (sekundäre) Durchwurschteler

Er hat sich früher um strategische oder sogar optimierte Problemlösungen gekümmert, hat aber die als insuffizient erfahren und sich dem Durchwurschteln zugewandt; diese Wendung kann mehr resignativ, mehr protestierend oder mehr akzeptierend sein – ein „gefallener Optimierer“ muss also kein Überzeugungs-Wurschteler sein, wie es der primäre Typ meistens ist.

 

Wenn der Ex-Optimierer sich aber wirklich zum Durchwurschteln bekennt, kann er eine Befreiung erfahren, eine Befreiung vom Zwang des Perfektionismus, eine Befreiung von dem (inneren oder äußeren) Anspruch, sich immer richtig entscheiden zu müssen, damit auch eine Befreiung vom Leistungsdruck.

 

Wohl jeder „Optimierer“ kennt die Erfahrung: Man bereitet mühselig eine Entscheidung vor, wiegt alle Pros und Contras ab, berechnet genau die möglichen Wirkungen unterschiedlicher Verhaltensoptionen, entwickelt einen komplexen „Entscheidungsbaum“, dann endlich fällt man eine Entscheidung. – Und diese Entscheidung erweist sich dann häufig als falsch (womöglich sogar, weil man so lange mit der Entscheidung gewartet hat). „Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“

 

So ist es – ironischer Weise gerade aus Sicht der Verhaltensoptimierung – meistens klüger und ökonomischer – Entscheidungen schneller und spontaner zu treffen, eben mit Durchwurschteln. Natürlich können auch solche Spontan-Entscheidungen falsch sein, aber sie haben viel weniger Aufwand, viel weniger Kosten verursacht. Diese Erkenntnis kann einen Optimierer zum Ex-Optimierer machen. (Das ist dennoch bei bestimmten wesentliche Entscheidungen richtig und wichtig sein kann, sie genau vorzubereiten, ist geschenkt.)

 

Es gibt den Satz: „Man muss die Regeln erst kennen, um sie zu brechen.“ Das trifft für den sekundären Durchwurschteler zu. Er hat die Regeln der rationalen und gezielten Problembewältigung gelernt, aber bricht sie jetzt, weil er mit dem weitgehend regelosen Durchwurschteln Probleme besser lösen – oder ihre Ungelöstheit bzw. Unerlöstheit besser ertragen kann (jedenfalls meint er das).

 

Übrigens sind Beziehungen zwischen Verhaltensoptimierern und Wurschtelern schwierig. Beide sind von dem Verhalten des anderen genervt, aber im Idealfall nähern sich beide an und jeder übernimmt von dem anderen neue Verhaltensoptionen.

 

Ein Faktor, der eine Rolle spielt bei der Entwicklung eines Wurschtel-Verhaltens, ist das Alter: Aber einem gewissen Alter hat fast jeder Mensch Gesundheitsprobleme, die sich nicht mehr vollständig lösen lassen, Krankheiten, die man nicht mehr ganz heilen kann. Es gibt ja den Spruch (oder so ähnlich). „Wer mit über 60 Jahren morgens aufwacht und keine Schmerzen hat, der ist tot.“

 

Natürlich kann man mir rationaler, wissenschaftlicher Medizin gegen seine „Zipperlein“, gegen gesundheitlichen Störungen vorgehen – und das macht auch Sinn –, aber die vollständige Genesung, die vollständige Beschwerdefreiheit erreicht man im fortgeschrittenen Alter fast nie mehr. Von daher ist es naheliegend, sich eher durch seine Beschwerden durchzuwurschteln und zu versuchen, sie in seinen Alltag zu integrieren, als mit aller Macht und Mühe (vergeblich) dafür zu kämpfen, seine Krankheitsprobleme 100% zu lösen, d. h. aufzulösen.

 

Aber generell gilt: Es ist vor allem das Vorrecht der Jugend, auf totale, radikale, universale Problemlösungen zu setzen und sich dafür zu engagieren (z. B. im Fight gegen die Klimakrise). Mit zunehmendem Alter wird einem immer klarer: die ganz großen, ultimativen, kompromisslosen Lösungen, die Mega-Lösungen gibt es fast nie. Es bleibt immer zumindest ein Problemrest bzw. Rest von Problemen, bei dem sich ein Wurschtel-Versuch anbietet. Man lernt, seine grandiosen Ideale zwar nicht unbedingt aufzugeben, aber doch zu akzeptieren, dass sie – jedenfalls heute – in unerreichbarer Ferne liegen. „Lebe deine Träume?“ Ja, ist schon richtig, aber irgendwann ist es auch Zeit, aufzuwachen.


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12.02.2020 Probleme lösen - Zufrieden leben (15):

Probleme lösen mit „Durchwurschteln“?

(erweiterte und verbesserte Fassung)

 

Ich habe verschiedenste Formen des realen oder aber des wünschenswerten Umgangs mit Problemen beschrieben.  Als beste Form wurde das Verhalten eines Jongleurs beschrieben, das auf meine Theorie der Meta-Ganzheit zurückgreift.

 

Aber auch das Konzept der meta-ganzheitlichen Problemlösung bzw. des Jonglierens mit Problemen (oder Problemlösungen) setzt auf eine möglichst optimale Problem-Lösung, ist also sehr anspruchsvoll oder ambitioniert; im Extrem könnte man sagen, es geht von einer Grandiosität des Problemlösers bzw. seiner Problemlösungen aus.

 

Bei den anderen Problemlösungs-Typen, PragmatikerLebenskünstler und Zerstörer wäre zu diskutieren, ob sie indirekt auch vollständige Problemlösungen anstreben, obwohl es bei erster Betrachtung gerade nicht der Fall zu sein scheint. An oberster Stelle bei den Problemlösung-„Optimierern“ steht aber zweifelsohne der Perfektionist. Für ihn ist nur eine – rational kalkulierte – perfekte, optimale, vollkommene Problemlösung eine echte Problemlösung.

 

Wir haben aber schon gesehen, dass in der Realität viel mehr unvollkommene, oft auch ungenügende oder sogar destruktive Problemlösungen vorkommen.

 

Bringen wir die Problematik auf den Punkt:

1) Viele Menschen sind nicht zu einem nahezu perfekten Problemlösungs-Verhalten fähig, sondern nur zu einer partiellen, mehr oder weniger geeigneten Problemlösung.

2) Viele Menschen wollen sogar keine optimalen Problemlösungen, weil die ihnen zu anstrengend bzw. ungewohnt sind oder sie (unbewusst) an ihren Problemen festhalten wollen.

3) Es hat also keinen Sinn, von ihnen ein perfektes Verhalten zu fordern (es wäre eine Überforderung).

4) Zwar ist es berechtigt, ein optimales Problemlösungs-Verhalten zu beschreiben, als eine Orientierung, einen Idealtypus, einen „Grenzwert“; aber man muss sich dabei klarmachen, dass man sich diesem Ziel annähern, es aber nie ganz erreichen kann.

5) Realistisches Ziel ist vielmehr ein Durchwurschteln, durch Probleme bzw. durch das Leben, aber es soll ein kunstvolles, kompetentes Durchwurschteln sein – allerdings auch kein perfektes Durchwurschteln, sonst hätte man wieder das Problem der Optimierung). Anstelle von „Durchwurschteln“ könnte man auch von „Durchboxen“ sprechen, aber da steht das Kämpferische zu sehr im Vordergrund. (Anstatt von „durchwurschteln“ kann man auch von „durchwursten“ schreiben, aber ich bleibe bei der ersten, gebräuchlicheren Schreibweise.)

 

Was ist „Durchwurschteln?“ Jeder hat vermutlich schon intuitiv eine ungefähre Vorstellung, was er unter diesem Begriff versteht. Unter „Durchwurschteln“ kann man eine Problemlösung verstehen, bei der man eher spontan, ungeordnet, willkürlich, locker, manchmal auch irrational oder chaotisch vorgeht. Im Wörterbuch steht die Definition: „sich behelfsmäßig, unzulänglich durchbringen“. Aber ich werde zeigen, dass Durchwurschteln gerade eine wirkungsvolle und zeitgemäße Form der Problemlösung sein kann.

 

Dieses Durchwurschteln wird im Folgenden näher beschrieben. Und zwar werde ich den Typ des „Durchwurschtelers“ insbesondere in Abgrenzung zum Perfektionisten darstellen, dessen Drang nach Rationalisierung und Optimierung im stärksten Gegensatz zum Durchwurschteln steht. (Im Bayrischen und Österreichischen gibt es übrigens den Begriff „der Wurschtel“, aber ich werde beim Begriff „der Durchwurschteler“ bleiben.)

 

Ich könnte diese Darstellung ganz systematisch und analytisch strukturieren, tue das aber bewusst nicht. Wie sich noch zeigen wird, ist Durchwurschteln kein hierarchisch gegliedertes System (wie die rational-ökonomische Problemlösung), sondern mehr ein Patchwork-Verhalten. Und dazu passt eben mehr auch eine Art Patchwork-Darstellung. Oder anders gesagt: Durchwurschteln ist ein unscharfes Verhalten, und dem entspricht auch eine unscharfe Beschreibung.

 

Natürlich könnte man statt von Durchwurschteln – anspruchsvoller – z. B. von Pragmatismus sprechen. Aber ich habe gezielt den, normal auch etwas abwertend gemeinten, Begriff des „Durchwurschtelns“ gewählt, in Abgrenzung eben von hochfliegenden theoretischen Ansätzen. Ja, Durchwurschteln trifft genauer, was ich meine, eben nicht ein abstraktes Verhaltensmodell, sondern reales Verhalten.

 

De Ansatz des Durchwurstelns hat auch um so mehr Berechtigung, weil – wie ich anfangs gezeigt habe - auch bei genauer Problemanalyse und Problemlösungs-Planung es immer prinzipiell (relativ) unsicher bleibt, welches der beste Lösungsweg ist, wie wahrscheinlich die Problemlösung gelingt –

oder nicht, welche Nachfolgeproblem möglichweise auftreten usw. Es gibt ja sogar Theorien, dass der Mensch von seiner Natur bzw. seinem Genom her ein „Konfliktwesen“ oder ein „Irrläufer der Evolution“ (Arthur Koestler) ist, so dass eine Problembehaftetheit untrennbar zu ihm gehört.

 

Angesichts der i. allg. hohen Komplexität von Problemen, auch von scheinbar einfachen, geraten theoretische Systeme der Verhaltensoptimierung doch schnell an ihre Grenzen, besitzen nur einen begrenzten Wert für das Problemlösen in der Alltagspraxis.

 

Am besten können wir uns dieses Prinzip des Durchwurschtelns vielleicht veranschaulichen, wenn wir banale Probleme in einem Tagesablauf durchgehen.

An jedem Tag müssen wir tausende von Entscheidungen treffen, auch wenn viele davon uns gar nicht bewusst werden. Z. B. beim Zähneputzen: Welche Zahnbürste nehme ich heute, die elektrische oder die manuelle? Für welche Zahnpasta entscheide ich mich? Verwende ich auch Zahnseide, und wenn ja, die lose oder die am Stick? Nehme ich zusätzlich auch die Munddusche, und wenn ja, am Anfang oder am Ende des Zähneputzens? Und wie lange betreibe ich diese ganzen Aktivitäten?

 

Jede dieser Einzeltätigkeiten bzw. Einzelentscheidungen könnte man in viele, hunderte, tausende oder sogar unendlich viele Mikroentscheidungen zerlegen, es kommt nur darauf an, wie (ggf. quantitativ) genau man eine Tätigkeit beschreibt.

 

Viele Entscheidungen sind durch Rituale, Gewohnheiten oder auch äußere Zwänge gewissermaßen vorab entschieden. Wenn es für mich z. B. eine klare Gewohnheit ist (die ich nicht in Frage stelle), dass ich immer aufstehe, wenn der Wecker um 7 Uhr klingelt, dann brauche ich nicht mehr jeden Morgen zu entscheiden, wann ich aufstehe.

 

Eine wichtige Frage ist: Muss man jede Entscheidungssituation als Problem auffassen? Oder nur Entscheidungen, die ambivalent, konflikthaft, vielleicht angstbesetzt sind? Normalerweise gilt für eine Entscheidung der Satz: “Du kannst deinen Kuchen nicht aufessen und aufbewahren.“ Soll heißen, bei einer Entscheidung zwischen zwei (oder mehr) Möglichkeiten hat normalerweise jede Möglichkeit Vor- und Nachteile. Wenn ich als z. B. die Möglichkeit A wähle, muss ich auf die Pluspunkte von B verzichten. So gesehen, könnte man konstatieren, dass einer Entscheidung eine Problemhaftigkeit immanent ist.

 

Nehmen wir ein anderes Beispiel:

Ein Mann, nennen wir ihn Frank, trinkt leidenschaftlich gerne zum Frühstück schwarze Kaffee, sein Arzt hat ihm das aber wegen einer Magenerkrankung quasi „verboten“, er solle stattdessen Kräutertee trinken.

Um nun einige mögliche Reaktionen von Frank auf diesen Konflikt zu nennen:

1) Frank trinkt einfach weiter seinen Kaffee (vielleicht verdrängt er die Mahnungen des Arztes).

2) Frank trinkt ab jetzt immer Kräutertee zum Frühstück.

3) Frank trinkt abwechselnd mal Kaffee und mal Kräutertee.

4) Frank trinkt weiter Kaffee, hat aber permanent ein schlechtes Gewissen dabei.

 

Gehen wir von einem theoretischen Modell der Verhaltensoptimierung aus, so würde man die 1) Lösung verwerfen, denn sie sie ist gesundheitsschädlich, und das ist dysfunktional. Vermutlich würde man dagegen Nr. 2), also das rationale, gesundheitsbewusste Verhalten als beste Verhaltensoption auswählen. Ggf. noch die Möglichkeit Nr. 3 als Kompromiss akzeptieren. Die 4) Möglichkeit käme als schlechteste weg, weil sich Frank hier doppelt schädigt, durch den ständigen Kaffekonsum und durch die Schuldgefühle, die ihm zusätzlich auf den Magen schlagen können. (Natürlich könnte man das Problem auch weiter differenzieren.)

 

Wie würde man aus der Sicht des Durchwurschtelns die 4 Möglichkeiten einschätzen?

 

1) weiter Kaffee trinken: das wäre akzeptabel, so lange Frank nicht eine schwere Erkrankung, z. B. ein offenes Magengeschwür hat. Vielleicht tut er dafür in anderer Hinsicht etwas Gutes für seinen Magen, z. B. dass er das Rauchen aufgibt.

 

2) nur noch Kräutertee trinken: Das wäre kein typisches Durchwurschteln. Es könnte Frank so frustrieren, immer auf seinen geliebten Kaffee zu verzichten und den verhassten Kräutertee zu trinken, dass es seinem Magen noch schlechter ginge. Oder er gönnt sich zum Ausgleich eine halbe Tafel Schokolade, das ist zwar für den Magen auch nicht gut, aber für seine Seele – und damit indirekt (psychosomatisch bzw. somatopsychisch) doch gut für seinen Magen.

 

3) Mal Kaffee, mal Kräutertee. So kann man sich auch durchwurschteln. Aber während ein Optimierungsmodell vielleicht genau vorschreibt, abwechselnd einen Tag Kaffee und einen Tag Kräutertee, bedeutet Durchwurschteln, mehr spontan und nach dem Lustprinzip zu entscheiden. Erwartet Frank Ärger auf der Arbeit, so gönnt er sich morgens seinen Kaffee, als Frustkompensation bzw. Frustprophylaxe. Wenn er ganz gut drauf ist, trinkt er den Kräutertee – und vor allem, wenn er einen Termin bei seinem Arzt hat. (Dann kann er auf die Frage des Arztes „Was haben Sie heute getrunken?“ mit gutem Gewissen antworten. „Natürlich Kräutertee!“)

 

4) Kaffee mit schlechtem Gewissen. Theoretisch die schlechteste Lösung. Aber man kann es auch anders sehen. Indem Frank sich mit einem schlechten Gewissen selbst bestraft, hat er gewissermaßen weniger Schuldgefühle. Das klingt paradox, ist es aber nicht wirklich. Gerade weil Frank sich (in geringem Ausmaß) Schuldgefühle macht, schützt er sich vor noch schlimmeren und vielleicht pathogenen, magenschädlichen Schuldgefühlen. „Ich habe Schuldgefühle, also brauche ich keine Schuldgefühle zu haben.“ Übrigens können die Schuldgefühle auch dazu führen, dass Frank irgendwann doch mehr Kräutertee trinkt.

 

Zum Durchwurschteln gehört auch, dass man – immer wieder – verzeiht, sich selbst, aber auch anderen. Während bei einem ehrgeizigen Programm der optimalen Problemlösung Fehler ein ärgerliches Versagen bedeuten, das schnellstens korrigiert werden muss, sind bei Durchwurschteln Fehler, wenn auch nicht unbedingt willkommen, so doch normal und von vorneherein eingerechnet. Das Wurschteln ist fehlertolerant. Und der Wurschteler muss es eben auch sein. Es schadet ihm nur, wenn er sich nach Fehlern selbst zerfleischt und in Wut, Depression und Schuldgefühle verfällt oder sogar in ihnen verharrt. Sondern er muss sich selbst verzeihen: „O.k., das habe ich falsch gemacht, also ein neuer Versuch.“ Immer wieder neu beginnen. Damit soll nicht gefördert werden, jeden Fehler mit einem Achselzucken abzuhaken, sondern auch beim fehlerfreundlichen Durchwurschteln ist es erwünscht, aus Fehlern zu lernen.

 

Eine rationale Problemanalyse vollzieht sich meist ernst und sachlich. Anders beim Wurschteln. Das Wurschteln kann, soll manchmal sogar lustig sein, Spaß machen. Während man als Idealfigur der kunstvollen Problemmanagements den Jongleur nehmen kann, mag als Symbol für das Wurschteln der Clown stehen. Das ist zugegebener Weise sehr pointiert: natürlich ist nicht jeder Wurschteler clownesk.

 

Ich erlaube mir einen etwas platten Witz zu zitieren (aus den Zeiten, in denen es noch keine Smartphones und kein Google gab).

„Zwei Polizisten finden eine Leiche vor einem Frisörladen. Sie wollen ein Protokoll über den Fundort aufschreiben. Aber da sie nicht wissen, ob man Frisö(h)r mit „h“ schreibt oder nicht, heben sie die Leiche an und tragen sie vor die Post. Dann schreiben sie ihr Protokoll: ‚Wir haben eine Leiche vor der Post gefunden …‘“

Wie soll man so ein Verhalten nennen? Schlitzohrig? Pfiffig? Clever? Es ist jedenfalls eine Problemlösung, über die man lachen oder schmunzeln kann.


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22.01.2020 Probleme lösen - Zufrieden leben (14):

Welche Problemlösungs-Typen gibt es?

 

Ich habe bisher eher allgemein von dem Problemlösungs-Verhalten des Menschen geschrieben. Aber streng genommen gibt es so viele Problemlösung-Formen, wie es Menschen gibt, denn jeder Mensch hat seine eigene, individuelle Form mit Problemen umzugehen. Dennoch kann man typisieren bzw. kategorisieren und so verschiedene Problemlösungs-Typen unterscheiden, wenn es real auch Mischtypen gibt. Die folgende Typisierung ist zwar genau durchdacht, dennoch ist sie natürlich in gewisser Weise willkürlich, man könnte auch mehr oder weniger bzw. andere Typen beschreiben.

 

1. Der Pragmatiker

2. Der Lebenskünstler

3. Der Perfektionist

4. Der Zerstörer

5. Der Jongleur

 

Im Einzelnen:

 

1. Der Pragmatiker

Er kommt wohl dem vorne beschriebenen „Homo oekonomicus“ am nächsten. Er geht alle Probleme vernünftig an, stets bedacht, die relativ beste Problemlösung mit dem geringsten Aufwand zu erreichen. Dabei gibt er sich aber auch mit unvollkommenen Problemlösungen zufrieden, wenn eben nichts Besseres zu erreichen ist.

- Stärken: Er führt keine unsinnigen Kämpfe (gegen „Windmühlenflügel“), sondern orientiert sich am Machbaren. Er gerät nicht in emotionale Turbulenzen, wenn er vor großen Problemen und Herausforderungen steht, sonder geht sie mit Ruhe und Zuversicht an, eben pragmatisch.

- Schwächen: Manchmal ist es richtig und wichtig, sich aufzuregen, um Probleme anzugehen. Erst der Zorn gibt uns manchmal die Kraft, etwas gegen unhaltbare Zustände zu unternehmen: Wut bringt Mut. Und man sagt zwar: „Angst ist ein schlechter Ratgeber“. Aber manchmal ist es erst eine berechtigte Angst, die uns Notwendiges tun lässt. Immer pragmatisch zu handeln, kann auch zu Zynismus und Kaltschnäuzigkeit führen.

Aber, wie gesagt, ist der Pragmatiker im Sinne des „Homo oekonomicus“ eher ein Idealtypus, den man in der Realität nicht in Reinform antrifft.

 

2. Der Lebenskünstler

Er sieht vieles gar nicht als Probleme, was für andere ein Problem ist. Und wenn doch, dann glaubt er – als Optimist – an eine einfache Lösung. Aber wenn sich ein Problem nicht lösen lässt, wirft ihn das auch nicht aus der Bahn. „Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man“ – ist sein Motto. So ist eben das Leben. „Take it easy.“

- Stärken: Es ist offensichtlich, dass man mit einer solchen Haltung leichter

und freudiger lebt als z. B. jemand, der sich alle Probleme zu Herzen nimmt und darunter leidet. Und manche Probleme lösen sich von alleine, ohne dass man viel dagegen unternehmen muss; so spart man Kraft und Mühe.

- Schwächen: Aber der Lebenskünstler neigt zu einer gewissen Wurschtigkeit. Ihm fehlt oft der nötige Ernst und das nötige Engagement, wichtige Problem zu lösen. Er besitzt gelegentlich eine gewisse Gleichgültigkeit, auch den Problemen anderer Menschen gegenüber.

 

3. Der Perfektionist

Der Perfektionist will ein Problem vollständig lösen. Und nicht nur große, wichtige Probleme, sondern möglichst auch jedes kleine Problem. Wenn das nicht gelingt, ist er unzufrieden: „Alles oder nichts.“ Und da es eigentlich nie gelingt, alle eigenen Probleme zu überwinden (von den Weltproblemen gar nicht zu reden), ist der Perfektionist normalerweise eher unglücklich. Wenn es ihm aber einmal gelingt, ein Problem vollkommen aufzulösen, dann erlebt er intensive Glücksgefühle.

- Stärken: Der Perfektionist ist bereit, sich anzustrengen, sich zu engagieren. Anders als z. B. der Lebenskünstler oder auch der Pragmatiker, die schnell sagen mögen, der Aufwand für einen Problemlösungsversuch lohnt sich nicht, gibt der Perfektionist nicht so bald auf. Er hat Ideale, verfolgt hohe Ziele, die für ihn jeden Einsatz rechtfertigen.

- Schwächen: Was die Stärke des Perfektionisten ist, ist zugleich seine Schwäche. Er hat kein Maß, er kann kaum akzeptieren, dass sich ein Problem nicht oder nur teilweise lösen lässt. Er kämpft bis zur Erschöpfung, auch wenn es gar nicht dafür steht oder aussichtslos ist.

 

4. Der Zerstörer

Der Zerstörer zerstört sich selbst oder andere. Dieser destruktive Typ kann sich

aus dem Scheitern anderer Typen entwickeln: Ein Pragmatiker, der seine Nutzenoptimierung so radikalisiert, dass er nur auf seinen eigenen Nutzen setzt und andere Menschen erbarmungslos ausbeutet. Der „Lebenskünstler“, der sich nur nach seinem Genuss richtet, keine gesellschaftlichen Normen akzeptiert, vielleicht einer Sucht verfällt und sich so selbst zugrunde richtet, womöglich andere Menschen mit in den Untergang reißt. Der Perfektionist, der aus Verzweiflung über das Verfehlen seiner (zu) hohen Ziele selbstzerstörerisch agiert oder aggressiv gegen andere vorgeht.

- Stärken: Natürlich ist es schwer, für einen solchen Negativ-Typus wie den Zerstörer Stärken oder Pluspunkte aufzuzeigen. Vielleicht nur den, dass er uns vor einer selbstbetrügerischen, rosaroten, schönfärbenden Ideologie warnt, dass bei uns alles in Ordnung ist, alle Probleme bestens gelöst werden, ja wir in „der besten aller möglichen Welten“ leben.

- Schwächen: Die Schwächen des Zerstörers sind offensichtlich. Er besitzt einen zerstörerischen, vielleicht krankhaften Umgang mit Problemen.

 

5. Der Jongleur

Der Jongleur kommt als Typ dem am nächsten, was in dem Modell der Meta-Ganzheit früher beschrieben wurde. Er besitzt viele verschiedene Verhaltensoptionen für eine Problemlösung: Er kann einmal wie ein Pragmatiker handeln, in einer anderen Situation wie ein Lebenskünstler, ggf. auch wie ein Perfektionist, normalerweise allerdings nicht wie ein Zerstörer. Und der Jongleur setzt seine Möglichkeiten sinnvoll ein, wie ihm entspricht und die Umstände es erfordern. Dabei geht er weniger bewusst strategisch-rational vor, sondern mehr wie ein Künstler, der mit seinen Optionen jongliert, sie dabei in einem Gleichgewicht hält.

 

Beispiel

 

Ich möchte die 5 Problemlösungs-Typen jetzt an einem einfachen Beispiel veranschaulichen: Eine wertvolle chinesische Vase ist heruntergefallen und zerbrochen.

 

1. Der Pragmatiker

Er informiert sich, welchen Wert die Vase hatte, ob ein Versicherungsfall vorliegt, ob sich die Vase reparieren oder wiederbeschaffen lässt usw. Dann berechnet er, welche Kosten bei welcher Maßnahme auftreten und bilanziert, welche Lösung das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis verspricht. Für diese ökonomischste Lösung entscheidet er sich schnell und hakt dann die Sache ab. Eventuell überlegt er noch, wie sich zukünftig solche Verluste vermeiden lassen.

 

2. Der Lebenskünstler

Er nimmt den Verlust der Vase auf die leichte Schulter: „Ist eben passiert, was soll’s?!“ Auf keinen Fall wird er sich selbst Vorwürfe machen, aber auch nicht anderen: „So etwas kann immer passieren.“ Vielleicht sieht er den Verlust der Vase letztlich sogar als einen Gewinn: „Scherben bringen Glück.“ Oder: „Wer weiß, wozu es gut ist.“ Oder: „Die Vase hat mir ohnehin nie wirklich gefallen.“ Oder: „Jetzt kann sie wenigstens nicht mehr herunterfallen.“

 

3. Der Perfektionist

Er nimmt den Verlust der edlen Vase sehr ernst und sucht nach einer perfekten Lösung für das Problem, die für ihn heißt, dass er die Vase entweder wie neu reparieren lässt oder genau die gleiche Vase noch einmal kauft. Er recherchiert z. B. penibel, wie sich zerbrochene Vasen wieder kleben lassen, und schaut tagelang bei Online-Auktionen nach, ob er die gleiche Vase wieder findet. Natürlich ist es bei seinen Ansprüchen unwahrscheinlich, dass er eine für sich befriedigende Lösung findet. Und so beschwichtigt er sich mit dem Vorsatz, in Zukunft nie wieder einen solchen Fehler zu machen.

 

4. Der Zerstörer

Er ist über den Verlust am Boden zerstört. Wahrscheinlich macht er sich (oder anderen) schwere Vorwürfe: „Warum habe ich nicht besser aufgepasst?! Ich Idiot mache alles kaputt. Ich bin ein Versager.“ Oder auch: „Du bist an allem schuld, du bist ein Versager.“ Der Zerstörer kann in Depression oder aber auch Wut verfallen. Vielleicht scheppert er in seinem Zorn sogar noch eine andere Vase absichtlich auf den Boden, um danach in noch größerer Trübsal zu versinken.

 

5. Der Jongleur

Beim Jongleur ist es schwerer vorherzusagen, wie er sich verhalten wird. Weil er eben über ein größeres Verhaltensrepertoire, über mehr „Freiheitsgrade“ verfügt. Wenn es sich wirklich um eine sehr wertvolle Vase handelt, wird er sich – ähnlich dem Perfektionisten – um eine wirklich hochwertige Reparatur oder eine entsprechende neue Vase engagieren, mit vollem Einsatz. Wenn ihm die Vase so mittelwichtig ist, wird er – wie ein Pragmatiker – nüchtern eine Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen und ggf. den Verlust schnell abschreiben. Wenn ihm die Vase aber eigentlich nicht viel bedeutet, wird er – in der Art des „Lebenskünstlers“ – mit einem Achselzucken zur Tagesordnung übergehen.


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13.12.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (13):

Normative oder empirische Theorie der Problemlösung?

 

Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Raimund Popper entwarf in dem berühmten Buch „Logik der Forschung“ ein Programm, wie Wissenschaftler vorgehen sollen, um ihre Wissenschaft richtig zu betreiben, um zu möglichst wahren Erkenntnisse zu kommen.

 

Popper wurde kritisiert von Thomas S. Kuhn, der in seinem ebenfalls berühmten Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ beschrieb, wie sich die Wissenschaftler (nach seiner Auffassung) wirklich verhalten.

Poppers Ansatz ist primär eine – normative – Anleitung für Wissenschaftler zum richtigen Verhalten. Kuhns Ansatz ist primär eine – empirische – Untersuchung über das reale Verhalten der Wissenschaftler.

 Und diese beiden Ansätze weichen sehr voneinander ab, d. h. Kuhn zeigt auf, dass sich Wissenschaftler real ganz anders verhalten, als sie es nach Poppers Anweisung tun sollten.

 

Vor einem ähnlichen Dilemma stehe ich mit meiner Theorie der Problemlösung. Ich habe – nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie – bisher beschrieben, wie sich Menschen verhalten sollen, um ihre Probleme möglichst sinnvoll zu lösen.

 

Ich bin dabei gewissermaßen vom Modell des „Homo oekonomicus“ ausgegangen, also dem Idealtyp von Mensch, der stets – rational – versucht, mit minimalem Aufwand (Kosten) maximalen Gewinn (Nutzen) zu erzielen. D. h. auf Probleme bezogen: Probleme mit minimalen Kosten maximal zu beseitigen.

 

Dem steht gegenüber, dass Menschen meistens real ganz anders mit ihren Problemen umgehen, nämlich oft irrational, unökonomisch, diffus, destruktiv, mit einem Wort „falsch“.

 

Nun könnte man natürlich argumentieren: umso wichtiger ist eine Anleitung zum richtigen Umgang mit Problemen.

 

Aber man muss sich eben doch damit auseinandersetzen, dass die meisten Menschen nie eine Anleitung zum Problem-Management lesen. Und wenn sie die lesen bzw. kennen würden, dann würden sie sich meistens nicht daran halten. Weil sie gar nicht rational und strategisch handeln können oder wollen, weil sie einfach keine Lust dazu haben, weil es ihnen zu anstrengend ist, weil sie Angst haben, etwas Neues auszuprobieren, sondern lieber in ihren gewohnten Reaktionsmustern verharren, weil ihr Umfeld dagegen ist u.v.m.

 

Und man könnte weiter argumentieren: so eine Anleitung ist gar nicht nötig, die Menschen kommen eben auch sonst irgendwie mit ihren Problemen zurecht, sie haben eigenen, meist unbewussten „Methoden“ und Gewohnheiten, ihre Probleme anzugehen.

 

Aber dem könnte man entgegen halten: Natürlich gibt es Probleme, die Menschen sinnvoll lösen. Aber die Welt ist voll von Konflikten, Elend, Gewalt, Krankheiten, Leiden, Krieg, die gerade daraus entstehen, dass Probleme eben gar nicht oder falsch angegangen werden.

 

Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus? Gibt es einen Ansatz, der eine normative Anleitung zum richtigen Problemlösen mit einer realistischen Darstellung des tatsächlichen Umgangs mit Problemen verbindet? Anders gesagt, eine Anleitung, die so beschaffen ist, dass sie von Menschen in der Realität auch angewendet wird und dennoch einen Fortschritt im Problemlösen erlaubt.

 

Ich möchte eine solche Synthese hier skizzieren, ohne zu behaupten, sie schon vollständig darstellen zu können. Wichtig ist dabei: Man muss die Menschen da abholen, wo sie sich befinden; es hat wenig Sinn, hehre, idealistische Normen der Problemlösung aufzustellen, an die sich dann kaum einer hält.

 

Dazu gilt es, sich erst einmal grundsätzlich mit der Bedeutung von Problemen auseinanderzusetzen. Schon anfangs habe ich darauf hingewiesen, dass Probleme sich nicht immer lösen lassen, dass der richtige Lösungsweg oft unsicher ist und dass man fragen kann, ob man Probleme überhaupt lösen soll (bzw. das versuchen soll).

 

Probleme gehören immanent zum Leben dazu. Der schon zitierte Karl Popper sagte: „Alles Leben ist Problemlösen.“ Wir können uns das so vorstellen: Wir lösen ein Problem nach dem anderen, es gibt immer weitere oder wieder neue Probleme, wie eine Kette von Problemen. Wenn wir keine Probleme mehr haben oder keine mehr lösen wollen, ist das Leben zu Ende. Erst der Tod beendet also das Problemlösen.

 

Dies mag eine etwas düstere, freudlose Darstellung des Lebens sein. Aber jedenfalls können wir daraus ableiten: Probleme haben durchaus auch ihre positiven Seiten. Sie sind gewissermaßen das Salz in der Suppe des Lebens. Sie erzeugen Reibung, sie rufen Gefühle bei uns hervor, an ihnen entwickeln wir unsere Persönlichkeit.

 

Man kann Probleme auch als Motor der Evolution verstehen. Die Lebewesen waren mit immer neuen Problemen für ihr Überleben konfrontiert und entwickelten evolutionär immer bessere und differenziertere Lösungen für diese Probleme.

 

Manche Menschen sind regelrecht problemverliebt oder problemsüchtig. Gerade, wenn man keinen wirklichen Lebensinhalt, keinen echten Lebenssinn hat, können Probleme wunderbar helfen, diese Leere zu füllen oder wenigstens zu übertünchen. Einem solchen Menschen zu sagen, wir helfen dir, deine Probleme loszuwerden, würde nur Angst oder Wut bei ihm hervorrufen.

 

Für diese „Problem-Junkies“ gilt wirklich: Der Weg ist das Ziel. Nicht Probleme loszuwerden ist das Ziel, sondern der Weg dorthin, der Kampf, die Unruhe, die Anstrengung. Und wenn sie das vermeintliche „Ziel“ erreicht haben, nämlich die Beseitigung eines Problems, benötigen sie schnellstens ein neues Problem, um nicht in ein Loch zu fallen.

 

Es ist also nicht so einfach, den Menschen zu sagen: „Hier biete ich euch ein ganzheitliches System an, wie ihr eure Probleme möglichst schnell und effektiv löst.“ Da würden viele mit einem „nein danke“ schnellstens Reißaus nehmen. Nimmt man ihnen ihre Probleme, nimmt man ihnen ihr Leben.

 

Man kennt das auch aus Psychotherapien: gerade wenn die Therapie erfolgreich ist, den Patienten (weitgehend) von seinen psychischen Problemen befreit, hinterlässt sie oft eine Leere. Der Ex-Patient muss erst lernen, die Lücke, die früher seine psychischen Probleme ausfüllten, mit neuen, positiven Lebensinhalten zu füllen.

 

Allerdings ist ein problemfixiertes Leben nicht wirklich erstrebenswert. Ein erfülltes Leben ist doch eher lösungsorientiert als problemorientiert, d. h. man sucht besser nach Lösungen als nach Problemen.

Es gibt den schönen Spruch: „Wir sind nicht das Problem, sondern die Lösung.“ Oder. „Ich bin nicht das Problem, sondern die Lösung.“ Das ist eine Strategie, sich dagegen zu wehren, dass man selbst (oder die eigne Gruppe) als problematisch, als „Problem-Mensch“ bzw. „Problem-Gruppe“ eingestuft bzw. diskriminiert wird.

 

Dennoch kann man festhalten: Ein Ziel, alle Probleme radikal zu beseitigen, ist nicht realistisch, aber auch nicht sinnvoll. Man muss lernen, mit seinen Problemen zu leben, sie in sein Leben zu integrieren und an seinen Problemen zu wachsen. Eine Optimierungs-Strategie in dem Sinne der perfekten Problemlösung ist hier also fehl am Platz.


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13.12.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (12):

Was ist eine ganzheitliche bzw. meta-ganzheitliche Problemlösung?

 

Man könnte das System der Strategien auch noch genereller beschreiben, z. B. dass man nach der Polarität  zwischen („weiblichen“) Yin-Strategien und („männlichen“) Yang-Strategien unterscheidet.

 

Nach der herkömmlichen Definition von Yin und Yang wären Yang-Strategien eher aggressiv und eher rational, also gegen einen Problemverursacher (z. B. einen unfreundlichen Vorgesetzten) ankämpfen oder ein Problem intellektuell genau analysieren, z. B. eine Berufsentscheidung bis ins kleinste Detail zerlegen, um dann den richtigen Entschluss zu treffen. „Aggressiv“ darf hier nicht automatisch als „gewalttätig“ verstanden werden, sondern es meint generell ein zupackendes, aktives, selbstbewusstes Verhalten.

 

Yin-Strategien wären eher defensiv und eher intuitiv, also einem Problemverursacher (wieder z. B. dem unfreundlicher Vorgesetzten) gerade mit Freundlichkeit begegnen oder die Berufsentscheidung nach dem eigenen Bauchgefühl zu treffen. Man könnte allerdings ablehnen, bei Yin-Verhalten von „Strategien“ zu sprechen, weil eine Strategie vom Wort her schon ein gezieltes, geplantes, kalkuliertes, damit rationales Vorgehen meint.

 

Wir haben im vorigen Punkt gesehen, dass man intuitives und rationales Verhalten als unterschiedliche Entwicklungsstufen ansehen kann. Also ein „Nacheinander“. Aber das ist eine Vereinfachung, im Grunde kommen rationale und intuitive Verhaltensweisen - in gewissem Ausmaß - auch immer „nebeneinander“ vor. Man kann sogar vermuten, dass sich Rationalität und Intuition, Analyse und Empathie gar nicht vollkommen voneinander trennen lassen. (Dies legt übrigens auch das bekannte Yin-Yang-Symbol nahe, wo im Yin auch ein kleiner Yang-Anteil ist und umgekehrt.)

 

Wenn man eine ganzheitliche Problemlösung fordert, so heißt dies genau, dass sich rationales und intuitives Vorgehen ergänzen, idealerweise in einem Gleichgewicht befinden oder über die Zeit zu einem Ausgleich finden. Z. B. dass man in einem Konflikt mit dem Vorgesetzten sich einerseits selbstbewusst behauptet, andererseits aber auch nachgibt (ein bisschen wie in der bad-Cop, good-Cop-Aufteilung). Oder dass man z. B. bei einer schwierigen Berufsentscheidung sowohl auf vernünftige Argumente wie auf emotionale Eingebungen setzt.

 

Die Forderung nach gleichen Anteilen von Yin und Yang in der Problemlösung bzw. generell im Verhalten, macht durchaus Sinn, ist aber auch schematisch. Man kann nicht für jeden individuellen Menschen und für jedes spezifische Problem immer ein Yin-Yang-Gleichgewicht als optimal bestimmen.

 

Aus diesen Gründen bzw. wegen genereller Schwächen einer Yin-Yang-Gleichgewichtstheorie habe ich das Konzept der Meta-Ganzheit entwickelt. Ich habe es in Büchern und vielen Artikeln auf meiner Homepage dargelegt und fasse mich hier daher kurz.

 

Die Meta-Ganzheit ist eine höhere Ganzheit, die nicht starr-schematisch, sondern flexibel-dynamisch verstanden wird. Allgemein bedeutet es (bezogen auf Polarität): Das Yin-Yang-Gleichgewicht ist zwar die Basis, aber man nimmt zeitweilig auch stark Yang-dominiertes Verhalten bzw. stark Yin-dominiertes Verhalten an, je nachdem, was die Situation bzw. die Umwelt erfordern und wie es der eigenen Persönlichkeit angemessen ist. (Ich habe an anderer Stelle auch diskutiert, ob es ein spirituelles Verhalten geben kann, das die Yin-Yang-Polarität transzendiert, lasse diese Überlegungen hier aber beiseite.)

 

Wenn jemand z. B. von einem Schwarm wilder Bienen angegriffen wird, ist ein rein defensives verhalten, sprich Flucht (Yin) sicher das Mittel der Wahl. Erst das Problem rational zu analysieren oder wütend auf die Bienen einzuschlagen, (Yang) wäre kontraproduktiv bzw. verhängnisvoll.

Anderes Beispiel: eine komplizierte Rechenaufgabe in einer Prüfung. Hier ist sicher ein rational-mathematisches Vorgehen (Yang) gefragt; zu sagen, ich vermute einfach mal aus dem Bauch heraus, da kommt das und das Ergebnis heraus, wäre reichlich naiv. Zwar kann, bei einem mathematisch begabten Menschen, die Intuition helfen, einen Lösungsweg für ein Gleichungssystem zu finden, aber die eigentliche Berechnung ist Sache des Verstandes.

 

In den meisten Situationen ist allerdings ein Yin-Yang-Gleichgewicht die beste Lösung. Viele Menschen neigen zu einem Alles-oder-nichts-Verhalten: sie handeln immer rein Yang-orientiert oder immer rein Yin-orientiert. Das ist erst einmal gesehen der einfachere Weg, weil man sich nicht zwischen zwei (oder mehr) Orientierungen entscheiden muss, sondern stets den gleichen Weg einschlägt, z. B. auf jedes Problem mit Wut und Kampf reagiert. Aber das bedeutet eine inadäquate Reduktion von Komplexität. Die Wirklichkeit ist viel zu komplex bzw. kompliziert, als dass eine Methode ausreichen würde für ein sinnvolles Verhalten.

 

Bei der Meta-Ganzheit steht nicht das Schema im Vordergrund, sondern die Frage: Welches Verhalten ist funktional? Welches Verhalten ist in der Problemsituation (voraussichtlich) zielführend? Aber auch, welches Verhalten entspricht mir? Jemand, der meta-ganzheitlich handelt, besitzt viele Freiheitsgrade. D. h. er verfügt über ein großes Reservoire von unterschiedlichen Verhaltensweisen, die er je nach Bedarf einsetzen kann. Das bedeutet auch einen hohen Grad von Adaptionsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit.

 

Ich möchte aber nicht so weit gehen, wie in manchen z. B. postmodernen Theorien der Persönlichkeit, dass es erstrebenswert wäre, quasi gar kein konstantes Ich mit bestimmten Überzeugungen und Werteurteilen mehr zu besitzen, sondern nur ein rein funktionales, frei fluktuierende Pseudo-Ich. M. E. gehört zum Menschen bzw. zu seiner psychischen Gesundheit doch ein relativ fester Persönlichkeitskern, welcher aber über einen großen Verhaltensspielraum verfügt, der also viele verschiedene, wen auch nicht alle möglichen Verhaltensweisen abdeckt.

 

Damit wende ich mich auch gegen manche Theorien in der Esoterik, die einen völligen Werterelativismus verkünden. Danach ist jedes, auch „böses“, sogar kriminelles Verhalten gleichwertig, wenn man es nur bewusst ausübt. Ja, es wird sogar geradezu gefordert, auch „böse“ Verhaltensweisen wie Verbrechen auszuüben, um die Polarität von gut und böse voll auszuschöpfen, um ganz frei zu sein. Solche Extremforderungen sind zynisch und verantwortungslos – und deren Vertreter haben das Wesen der Polarität und die Bedeutung von Freiheit gründlich missverstanden.


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29.11.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (11):

Rationale oder intuitive Problem-Lösung?

 

Ich habe hier Probleme systematisch unterteilt und ein System von Strategien beschrieben, mit denen man Probleme lösen kann.

Nun mag es Leser/innen geben, die einwenden: Soll man denn überhaupt mit System gegen seine Probleme vorgehen? Zerstört man dadurch nicht die Spontaneität und Lebendig­keit einer intuitiven Problemlösung? Mancher wird sagen: „Das brauche ich alles nicht, ich löse meine Probleme intuitiv, aus dem Bauch heraus. Das geht auch viel schneller, ich brauche nicht erst lange nachzudenken.“

 

Dagegen ist einzuwenden: Wenn wir "spontan" handeln, gehen wir häufig (nicht immer) falsch mit unseren Problemen um, wir reagieren nämlich - pseu­dospontan - mit stets demselben Lösungsmuster. Wir glauben, wir entscheiden uns frei, aber das ist eine Illusion. Denn wir handeln unbewusst schematisch, aber irrational.

 

Daher macht es Sinn, zunächst einmal die wichtigsten Problemtypen und Lösungswege rational und bewusst zu studieren; so lassen sich ganz verschiedene Lösungswege durchdenken, dass man aus einer Vielzahl möglicher Strategien die jeweils beste auswählt. Dabei wird man sich zugleich befragen, welche Strategien man bisher angewendet  hat und wie erfolgreich man damit war.

 

Ein anderer möglicher Einwand ist: Wenn man unter starkem Stress steht, z. B. starke Angst hat, dann ist der Verstand weitgehend lahmgelegt. Man kann eine rationale Analyse und Planung einer Problemlösung gar nicht durchziehen. 

An diesem Argument ist sicher etwas dran: Angst engt ein, das Fühlen, das Denken, das Handeln. Man hat dann nicht die Freiheit, verschiedene Problemlösungen durchzuspielen und die beste auszusuchen. Man hat manchmal auch nicht die Zeit dazu. In einer unmittelbaren Gefahrensituation, z. B. bei einem plötzlichen Stau auf der Autobahn, wäre es verhängnisvoll, erst zu überlegen, was man tun soll. Das einzige ist stattdessen, auf die Bremse zu treten bzw. ggf. auszuweichen. Also heißt es hier, intuitiv oder sogar instinktiv zu reagieren.

 

Welche Problemlösungsmethode ist nun besser, die rationale oder die intuitive?

 

Bruce Lee, der nicht nur ein begnadeter Kampfsportler war, sondern auch ein Philosoph der Kampfkunst, hat einmal (sinngemäß) gesagt: In einer 1) Phase kämpft man spontan: das kann durchaus erfolgreich sein, aber zur Meisterschaft reicht es nicht. In einer 2) Phase studiert man dann genau die Gesetze de Kampfsportes, beschäftigt sich mit unterschiedlichen Techniken, verschiedenen Kampfstilen. Danach kämpft sehr strategisch, was auch Erfolg verspricht, aber doch Grenzen hat. In einer 3) Phase, der Meister-Phase (wenn man die erreicht), kämpft man wieder spontan. Aber es ist nicht das gleiche wie in der ersten Phase. Sondern man hat die rationale Analyse aus der zweiten Phase verinnerlicht, man wendet sie an, braucht aber nicht mehr darüber nachzudenken. Nur dieser Kampfstil ist optimal.

 

Und das lässt sich auf Probleme anwenden: Erst gehen wir Probleme intuitiv an, dann versuchen wir, sie rational und strategisch zu lösen; und dann geht man Probleme wieder spontan an, aber es ist eine durch den Intellekt und durch Erkenntnisse geläuterte Intuition. (Das gilt natürlich nur im Idealfall, wenn man alle Phasen wirklich durchläuft.)

 

Dies 3-Stufenschema erinnert etwas an die Theorie des spirituellen Philosophen Ken Wilber. Er unterscheidet zwischen einer prä-rationalen (oder prä-personalen) Phase, einer rationalen (personalen) Phase und einer trans-rationalen (trans-personalen) Phase. Er bezieht das auf die Entwicklung der Menschheit allgemein und auf die Entwicklung des Einzelmenschen, wobei natürlich nicht jeder Mensch bis zur 3) Phase vordringt.

 

In der Prä-Phase lebt der Mensch – weitgehend unbewusst – nach seinen Trieben und Emotionen, in der mittleren Phase lebt der Mensch rational, kontrolliert, ich-orientiert und bewusst; und in der Trans-Phase überschreitet er Rationalität, Ich-Haftigkeit und Bewusstsein; er entwickelt ein spirituelles Bewusstsein. Er ist jetzt wieder a-personal, aber nicht prä-personal wie in der 1) Phase, sondern eben trans-personal. Der Mensch hat die früheren Phasen damit nicht gänzlich abgelegt, aber er lebt nun überwiegend in einem Zustand der Transzendenz.

 

Auch dieses Modell lässt sich auf Probleme anwenden, ähnlich wie das Bruce-Lee-Schema, aber doch auch anders: Am Anfang steht ein emotionaler Zugang zu Problemen, in der zweiten Phase geht man reflektiert, analytisch und ökonomisch mit Problemen um, in der dritten Phase werden Probleme transzendiert, man nimmt bestimmte Schwierigkeiten nicht mehr als Probleme wahr bzw. interpretiert sie nicht als Probleme, weil man der Welt in einem spirituellen Annehmen begegnet.

 

Allerdings ist m. E. nach 3 Stufen oder Phasen die Entwicklung noch nicht abgeschlossen, jedenfalls bei der Problemlösung.

Ich möchte hier das Modell der Dialektik heranziehen: 1) These, das wäre im Beispiel die Intuition. 2) Antithese, das wäre im Beispiel die Rationalität. 3) Synthese, hier werden Synthese und Antithese, also im Beispiel Intuition und Rationalität miteinander verbunden.

 

Nun kann es aber nach der Synthese wieder eine neue These geben. Anders gesagt, die Synthese wird zu der neuen These, auf die eine neue Antithese folgt. Für den Fall der Problemlösung heißt das: Es können neue Umstände oder neue Probleme auftreten, die erneut eine rationale Analyse – 4) Stufe –

verlangen. Die Rationalität der 4) Stufe ist aber höher einzuschätzen als die der 2) Stufe. Danach kann es eine neue Synthese geben und so weiter.

These 1 – Antithese 1 – Synthese 1 = These 2 – Antithese 2 – Synthese 2 = These 3 usw. Es ist wie in einer Spirale. Bei der Aufwärtsbewegung erreicht man zwar immer wieder den gleichen Punkt, aber auf einer immer höheren Ebene.





06.11.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (10):

Welche Strategie bei welchem Problem?


Ich habe in den beiden vorausgegangen Kapiteln a) eine Einteilung von Problemen vorgenommen und b) eine Einteilung von Strategien gegen Probleme.


Hier möchte ich diese beiden Punkte jetzt miteinander verbinden und fragen: welche Strategie soll man bei welchem Problem anwenden? Das kann ich natürlich nicht in epischer Breite darlegen, sondern muss mich auf eine knappe Übersicht beschränken. Und zwar werde ich die unterschiedlichen Situationen an einem Beispiel durchgehen.

 

1. großes Problem, mit wenig Aufwand zu beseitigen

Angenommen, man hat einen wertvollen Ring verloren; und man ist darüber verärgert, macht sich Sorgen oder Schuldgefühle, dass man nicht besser aufgepasst hat.

Grundsätzlich ist bei einem großen Problem sinnvoll, zu versuchen, das Problem auszuräumen, d. h. hier ganz konkret, den Ring zu suchen und möglichst wiederzufinden.

In diesem 1. Fall soll die Beseitigung des Problems, also das Wiederfinden des Rings, ja mit geringem Aufwand möglich sein. Z. B. wissen wir genau, dass wir den Ring zu Hause verloren haben, ihn zuletzt noch im Wohnzimmer sahen. Es ist dann natürlich sinnvoll, den Ring zu suchen und damit das Problem auszuräumen.

 

Damit werden unsere vorherige Angst, Wut oder Schuldgefühle schon ziemlich verraucht sein. Aber es ist auch möglich, dass es noch ein Nachschwingen dieser negativen Gefühle gibt, man jedenfalls noch aufgeregt oder unruhig ist.

Für die Überwindung z. B. des Restärgers dürften symptomatische Methoden reichen, das Problem zu umgehen: Z. B. machen Sie einen Spaziergang oder sehen einen lustigen Film, um sich von dem erlebten Ärger zu entspannen.

 

2. großes Problem, mit großem Aufwand zu beseitigen

Hier besteht folgender Unterschied zu 1., dass wir das Problem nur mit großem Aufwand beseitigen können. Z. B. ist der Ring in unserem Garten verlorengegangen. Wir suchen stundenlang nach ihm, finden ihn aber vielleicht erst einmal nicht.

 

Hier erhebt sich die Frage: Was kostet uns die Beseitigung des Problems an Mühe, Zeit, Geld? Vor allem aber: Wie viel neuen Ärger bringt uns das wo­möglich ein? Es wäre ja unsinnig, eine Gärtnerkolonne für 300 Euro einen Ring im Wert von 200 Euro suchen zu lassen. Es gilt also abzuwägen: Der Aufwand muss sich lohnen, er darf insgesamt nicht mehr "kosten" als das Problem. Allerdings weiß man meistens vorher nicht sicher, wie groß der Aufwand ist und ob man überhaupt zu einem Erfolg kommt.

 

Wir gehen hier aber davon aus, dass man das Problem letztlich ausräumen kann, also den Ring wiederfindet. So wird einerseits natürlich Erleichterung eintreten. Aber unser Befinden wird auch davon abhängen, wie viel wir opfern mussten, an Zeit, Geld, Nerven usw., ob sich der Aufwand letztlich gelohnt hat.

 

Bei einer negativen Kosten-Nutzen-Bilanz ist man vielleicht sehr enttäuscht, verstimmt oder besorgt. Das kann auch davon abhängen, wie weit man generell gut mit Misserfolgen umgeht. So mag es notwendig sein, das Problem zu verarbeiten, also z. B. seine Gefühle rauszulassen, oder zu analysieren, warum man Verluste so schlecht hinnehmen kann.

Wenn man sich darauf nicht einlassen will, kommen andere der beschriebenen Strategien in Frage, wie dass man das Problem bzw. die negativen Gefühle abwehrt, etwa gezielt verdrängt; oder dass man das Problem umkehrt, vielleicht diese negative Erfahrung als Chance für eine positive Weiterentwicklung zu nutzt.

 

 

3. großes Problem, nicht zu beseitigen

Hier ist also der Fall eines großen Problems, das wir nicht beseitigen können. Z. B. haben wir den teuren Ring im Urlaub verloren, weiß nicht wo – er ist für immer weg. Damit ist also eine echte Ausräumung des Problems nicht möglich.

 

Das gilt es erst einmal hinzunehmen; nicht sinnlos gegen das Unvermeidliche ankämpfen und irgend­welche zwecklosen Such-Aktionen starten.

 

Es mag Lebenskünstler geben, die einen solchen Verlust einfach mit einem „weg ist weg“ achselzuckend akzeptieren und zur Tagesordnung übergehen. Bei den meisten Menschen wird dieser unwiederbringliche Verlust aber, je nach ihrem Charakter, intensive Trauer, Wut, Enttäuschung oder Schuldgefühle auslösen.

 

Die so ausgelösten negativen Gefühle sollten Sie am besten verarbeiten, z. B. darüber meditieren oder sich in einem Gespräch mit einem Freund über dieses "verdammte Pech“ aussprechen, ggf. auch ausweinen. Nur die Gefühle abzuwehren, sich etwa einreden, dass ihnen der Verlust doch ganz egal sei, wird vermutlich nicht helfen.

Eine gute andere oder zusätzliche Möglichkeit ist, diesen Verlust durch etwas Schönes auszugleichen; eventuell durch einen neuen Ring.

Es gibt natürlich viel gravierendere Probleme als den Verlust eines wertvollen Rings. Wenn man z. B. eine unheilbare Krankheit hat (also auch ein nicht zu beseitigendes Problem), dann ist man noch ganz anders gefordert. Hier ist es besonders schwierig, eine gelassene Akzeptanz zu erreichen; aber letztlich sind die gleichen Strategien anwendbar, die in Punkt 9) beschrieben wurden.

 

4. kleines Problem

Bei einem kleinen Problem wollen wir nicht im Einzelnen un­terscheiden, ob und mit welchem Aufwand es zu beseitigen ist. Denn das ist nicht so wichtig, weil das Problem eben nicht so wichtig ist.

 

Das gilt erst recht im Fall, dass wir auch nur ein klein bisschen ärgerlich oder enttäuscht sind. sind. Z. B. haben Sie einen Modeschmuck-Ring verloren. Natürlich kann auch ein solcher Ring einem etwas bedeuten, vielleicht mit schönen Erinnerungen verbunden sein. Aber sicher lohnt es nicht, für das eventuelle Wiederfinden des Rings einen großen Aufwand zu betreiben.

 

Und wenn man trotzdem enttäuscht ist, dann dürfte es reichen, das Problem zu umgehen; z. B. reagiert man seine Gefühle in einem Tennisspiel körperlich ab, oder man lenkt sich von seiner Enttäuschung in einer geselligen Runde ab, oder man verwandelt seine Wutenergie in etwas Nützliches, macht z. B. mit „Putzwut“ die ganze Wohnung sauber.



 

 

26.09.2019 Probleme lösen - Zufrieden leben (9): Welche Problem-Lösungs-Strategien gibt es?


Es gibt viele Strategien gegen Probleme, von denen ich hier die wichtigsten kurz ansprechen und später an einem durchgängigen Beispiel veranschaulichen möchte. Zunächst kann man unterscheiden zwischen Real-Strategien und Selbst-Strategien.

 

Bei den Real-Strategien geht es darum, das Problem in der Realität zu beseitigen.

 

Bei den Selbst-Strategien geht es darum, sich selbst zu verändern, so dass man mit dem Problem zumindest besser zurecht kommt. Diese Selbst-Strategien nehmen einen deutlich größeren Raum ein, weil viele Probleme sich real nicht lösen lassen oder nur mit unangemessen großem Aufwand. Manchmal gibt es auch fließende Übergänge zwischen verschiedenen Strategien.

 

Im Einzelnen unterscheide ich folgende Strategien gegen Probleme:

1. Problem ausräumen

2. Problem verarbeiten

3. Problem abwehren

4. Problem umdrehen

5. Problem umgehen

 

1. Problem ausräumen

Hier geht es um Real-Strategien. Man räumt das Problem real aus. Nehmen wir ein simples Beispiel: eine Wespe ist in Ihr Zimmer eingedrungen und Sie fühlen sich bedroht. Sie können die Wespe verjagen (aus dem Fenster jagen), sie vernichten (mit der Klatsche totschlagen), Sie können vor der Wespe fliehen (in ein anderes Zimmer rennen) oder mit anderen Strategien die Wespe dazu bringen, Sie nicht mehr zu behelligen, z. B. ein Stückchen Kuchen auf den Balkon stellen, mit der Wirkung, dass die Wespe von alleine aus dem Zimmer fliegt. Das Beispiel ist banal, aber diese Strategien können Sie prinzipiell bei allen äußeren Problemen anwenden, wenn sich natürlich auch Gewaltlösungen oft verbieten.

 

2. Problem verarbeiten

Angenommen, jemand hat eine Fahrstuhl-Phobie, leidet dabei normalerweise unter einer Klaustrophobie, der Angst vor Enge und Eingeschlossensein. Verarbeitung bedeutet hier, diese Angst emotional und kognitiv zu verarbeiten. Dafür ist es wichtig, Fahrstühle nicht zu vermeiden, sondern sich mit der Angst zu konfrontieren und zu verstehen bzw. zu lernen, dass die Angst dann nachlässt.

Oft ist ein Problem in der Gegenwart aber vor allem deswegen so belastend, weil es auf ein früheres Problem, vor allem in der eigenen Kindheit zurückgeht. Z. B. ist jemand als Kind zur Strafe im engen Keller eingesperrt worden und litt dort unter starker Angst: ein Trauma. Die heutige Fahrstuhlangst ist in erster Linie Ausdruck dieser kindlichen Traumatisierung. Und eine vollständige Verarbeitung der Fahrstuhlangst verlangt daher, die kindlichen Gefühle zuzulassen, rauszulassen, zu integrieren und den Zusammenhang zwischen der alten und der heutigen Angst zu begreifen. So lässt sich die Fahrstuhlangst von Grund auf überwinden. Und so wird man frei für ein neues Verhalten.

Es gibt aber auch andere Methoden der Verarbeitung wie z. B. spirituelles, meditatives Annehmen negativer Erinnerungen bzw. Gefühle oder verhaltenstherapeutische Konfrontation damit.

 

3. Problem abwehren

Manchmal gelingt es nicht, ein Problem auszuräumen oder zu verarbeiten. Man kann es aber abwehren. Ob das eine gute und dauerhafte Lösung ist, kann man bestreiten. Aber jedenfalls ist es besser, als ständig unter dem Problem zu leiden. Es gibt sehr viele verschiedene sogenannte Abwehrmechanismen. Viele Abwehrmechanismen laufen automatisch unterbewusst ab, andere können wir bewusst einsetzen. Ich nenne hier nur ein paar Beispiele. Die bekannteste Abwehr ist die Verdrängung, dass ein belastendes Problem bzw. ein unangenehmes Gefühl oder eine schmerzliche Erinnerung aus dem Bewusstsein abgeschoben wird. Ein beliebte Abwehr ist auch die Projektion: Ich selbst verhalte mich z. B. aggressiv gegen jemand anderen, will das aber nicht wahrnehmen und projiziere die Aggression auf ihn: „Sei doch nicht so aggressiv!“ Interessant ist die Identifizierung mit dem Gegner, die z. B. bei Geiselnahmen vorkommt. Die Geisel identifiziert bzw. solidarisiert sich mit dem Geiselnehmer, um so das Problem der Todesangst besser zu bewältigen.

 

4. Problem umdrehen

Hier setzt man ganz anders an, nämlich nicht bei dem Problem, sondern bei positiven Erfahrungen oder Gefühlen. Angenommen, jemand hat Rheuma, leidet viel unter Schmerzen, muss Medikamente mit Nebenwirkungen nehmen und ist dadurch in eine Depression gefallen: also ein massives gesundheitliches und seelisches Problem.

Man versucht jetzt, das Problem umzudrehen, also vom negativen Blickwinkel zu einem positiven Blickwinkel zu kommen, die positiven Ressourcen des Menschen anzusprechen. Welche glücklichen Erinnerungen hat er? Was macht ihm Freude? Welche positiven neuen Erfahrungen kann er trotz seiner Behinderung machen? Wie kann man sein Selbstvertrauen und seinen Optimismus neu aufbauen bzw. verstärken? Wie kann man ihn zu einer konstruktiven Verhaltensänderung motivieren? Durch diese Positiv-Orientierung können Probleme von alleine schwinden, weil man sich nicht mehr auf das Problem fixiert, was es nämlich verstärkt. Zumindest ist das Positive ein Gegengewicht zu der Negativität der Probleme.  Manche Menschen finden in Spiritualität oder Religiosität eine Lösung ihrer Probleme.

 

5. Problem umgehen

Die folgenden Methoden oder Strategien kann man symptomatisch nennen, sie zielen nicht darauf ab, ein Problem zu lösen, sondern es besser zu ertragen. Und während das Ausräumen, Verarbeiten oder Umkehren von Problemen aufwendig sein kann, ist das Umgehen von Problemen oft viel leichter und schneller möglich, bedeutet daher ein pragmatisches Vorgehen, was im Alltag durchaus nützlich sein kann. Im Einzelnen gibt es hier viele Möglichkeiten. Angenommen, jemand hat mein Auto angefahren und ist abgehauen, und ich ärgere mich sehr darüber: dann kann ich z. B. den Ärger im Sport abreagieren, mich in die Arbeit stürzen, einen lustigen Film sehen, mich in der Sauna entspannen, Wut und Angst wegschwitzen u.v.m.

 

Ich werde jetzt an einem Beispiel die verschiedenen Strategien stichpunktartig erläutern.

Als Beispiel nehme ich: Ein Kollege im gleichen Büroraum attackiert Sie, durch Beschimpfungen oder Beleidigungen, Krach machen, das Fenster ständig aufreißen, so dass es eisig kalt wird usw.

Das ist ein reales, äußeres Problem, aber es wird für Sie auch zu einem inneren Problem, weil Sie Angst, vor allem aber – hilflosen – Zorn verspüren.

 

1. Problem ausräumen

- Störer „verjagen“: beim Chef auf Versetzung des Kollegen aus dem Zimmer drängen

- Sich verstecken bzw. Fliehen: sich selbst in einen anderen Raum umsetzen lassen

- Ersatz suchen (das kommt nur bei Mangelsituationen, nicht bei Störungen in Frage).

- Störung bzw. Störung verändern: den Kollegen veranlassen, seine Aggression aufzugeben

durch Kampf: seinerseits gegen den Kollegen aggressiv vorgehen

durch Verhandlung: eine Aussprache mit dem Kollegen suchen

durch Anpassung: durch besondere Freundlichkeit dem Kollegen besänftigen

 

2. Problem verarbeiten

- Zeugenhaltung: die eigene Wut auf den Kollegen distanziert wahrnehmen, wie ein Zeuge

- Rauslassen: auf den Kollegen schimpfen (aber zu Hause oder in einer Therapie)

- Verstehen: begreifen, dass die heutige Wut auch mit Traumata in der Kindheit zu tun hat

- Gespräch: sich über das Problem aussprechen, z. B. mit einem guten Freund oder Partner

 

3) Problem abwehren

- Verdrängung: das Problem so weit wie möglich ignorieren, den Kollegen ignorieren

- Narzissmus: den Kollegen als gestörten Dummkopf sehen, den man nicht ernst nimmt

- Reaktionsbildung: sich einreden, dass einem die Situation im Büro gerade gut tut

- Rationalisierung: die eigene Defensivhaltung als souveräne Gelassenheit umdeuten

 

4) Problem umkehren

- Freudige Erfahrung: sich auf schöne Erfahrungen besinnen, die einem Kraft geben

- Wunsch-Erfüllung: sich einen lang ersehnten Wunsch erfüllen als Ausgleich

- Positiv-Denken: die Chance sehen, sich in dieser Situation weiterzuentwickeln

- Spirituelles Annehmen: die Situation akzeptieren, vielleicht dem Kollegen verzeihen

 

5) Problem umgehen

- Abreaktion: beim Sport seine Wut auf den Kollegen abreagieren

- Meditation: in einer Entspannungsübung seine Gefühle beruhigen

- Ablenkung: sich in einer geselligen Runde von den Problemen ablenken

- Umlenkung: die Wutenergie in Arbeit umsetzen: „Arbeitswut“, „Putzwut“ o.ä.




23.08.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (8):  Wie lassen sich Probleme einteilen?

 

Es gibt natürlich viele verschiedene Möglichkeiten, Probleme einzuteilen. Ich habe früher schon z. B. unterschieden zwischen inneren und äußeren Problemen und Mangel-Problemen und Störungs-Problemen.

 

Ich werde hier in diesem Essay (bei begrenztem Umfang) nur eine sehr einfache und pragmatische, nämlich auf die Therapie fokussierte Einteilung von Problemen vornehmen.


 

Große Probleme versus kleine Probleme

 

Selbstverständlich ist das eine unscharfe Unterscheidung. Aber hier jetzt etwas eine Quantifizierung der Problemstärke vorzulegen, wäre in diesem Kontext völlig überzogen und würde auch nur eine Exaktheit vortäuschen, die real gar nicht gegeben ist.

 

Ein großes Problem ist zweifelsohne, wenn man selbst schwer erkrankt ist. Oder wenn ein nahestehender Mensch schwer erkrankt oder sogar gestorben ist. Weitere große Probleme sind Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes, gravierender finanzieller Verlust oder auch Kriminalität. Natürlich auch überindividuelle Probleme, wenn das eigene Land sich in einer Wirtschaftskrise befindet – oder im Krieg mit einem anderen Staat.

 

Man könnte meinen, große Probleme sind zunächst äußere Probleme, die dann sekundär zu einem inneren Problem, einer psychischen Belastung führen. Aber auch eine Angsterkrankung, also ein primär inneres Problem, kann natürlich ein großes Problem sein.

Interessant ist die Frage: Wenn jemand z. B. unter Paranoia leidet, wenn er sich verfolgt fühlt, obwohl real gar keine Verfolgung stattfindet, kann das ein großes Problem sein? Oder können gewissermaßen nur echte Probleme große Probleme sein, also wenn jemand z. B. wirklich politisch verfolgt wird und sich entsprechend verfolgt fühlt.

Ich denke aber, dass jedes Problem, egal wie realistisch oder nicht realistisch es sein mag, ein großes Problem ist, wenn es unser Befinden und unsere Lebensverhältnisse massiv belastet oder bedroht.

 

Kleine Probleme wären dem gegenüber z. B., wenn man sein Portemonnaie mit 20 € verloren hat, wenn im Kino ein Riese vor einem sitzt, wenn einem die Kaffeetasse runterfällt oder wenn man sich über die Musik des Nachbarn ärgert. Allerdings, wenn die Musik des Nachbarn ständig in die eigne Wohnung schallt, kann das zu einem großen Problem werden; das hängt natürlich auch von der eigenen Einstellung und Empfindlichkeit ab.

 

Also, man kann grundsätzlich ein Problem nie isoliert betrachten, sondern muss fragen: Problem für wen? D. h. die Persönlichkeit des von dem Problem Betroffenen spielt auch immer eine Rolle, dabei, wie gravierend das Problem (für ihn) ist.

 

Lösbare oder unlösbare Probleme

 

Natürlich lässt sich nicht pauschal beantworten, ob ein Problem lösbar ist oder nicht. Und für manches Problem, was erst als unlösbar erschien, findet sich später doch noch eine Lösung und umgekehrt.

 

Genauer geht es hier darum, ob ein Problem aufzulösen = zu beseitigen ist oder nicht (denn wir werden später auch Lösungen für Probleme diskutieren, die sich nicht beseitigen lassen).

 

Ein Krieg im eigenen Land ist ein Problem, das für den Einzelnen nicht lösbar ist, er hat nicht die Macht dazu  (wenn er nicht gerade Regierungschef ist).

Allerdings gibt es immer wieder Fälle, wo einzelne, ganz normale Menschen einen großen Einfluss ausüben (z. B. ist es denkbar, dass Greta Thunberg einen solchen Einfluss gewinnt, dass sie wesentlich zur Lösung der Klimakrise beiträgt.) Eine Querschnittslähmung ist eine Erkrankung, die sich bei heutigen Stand der Medizin nicht beseitigen lässt, vielleicht allerdings in Zukunft.

 

Viele, vor allem kleine Probleme lassen sich allerdings beseitigen. Ein Streit mit dem Nachbar lässt sich oft mit einer fairen Aussprache aus der Welt schaffen. Ein kaputtes Fenster, durch das es zieht, kann der Handwerker reparieren.

 

Großer oder kleiner Aufwand

 

Eine wichtige Frage dabei ist aber, wie groß der Aufwand für die Problembeseitigung ist. Und damit, ob sich die Problembeseitigung lohnt. Der Aufwand kann sich in Geld bemessen, aber auch, wie viel Zeit, Mühe und Nerven man investieren muss.

 

Für ein sehr großes Problem kann jeder Aufwand berechtigt sein, wenn auch nur eine kleine Hoffnung besteht, das Problem zu beseitigen. Bei einer schweren, kaum heilbaren oder sogar unheilbaren Erkrankung wird man wahrscheinlich alles ausprobieren, was eine auch nur wahrscheinliche Besserung oder Heilung verspricht. Man wird vielleicht ins Ausland fahren zu einer medizinischen Kapazität oder teure Alternativtherapien ausprobieren, egal, was das an Geld, Zeit, Anstrengung und emotionale Belastung kostet.

 

Aber angenommen, man hat einen kleinen Kratzer am Auto. Eine fachmännische Reparatur soll aber 300 € kosten. Lohnt sich das? Für die meisten Menschen sicher kaum. Aber für einen Autonarren, der sein – vielleicht auch noch neues – Auto makellos haben möchte, für den kann sich das sehr wohl lohnen. Denn sonst würde er sich immer ärgern, wenn er den Kratzer sieht.

 

Oder man hat eine Gardine anfertigen lassen, die etwas zu kurz ist. Wollte man das ändern, müsste man sie wieder abnehmen, zum Geschäft fahren und reklamieren, vermutlich auf den Unwillen des Geschäftes stoßen, warten, bis die Gardine neu genäht ist, wieder zum Geschäft fahren usw. – und eventuell stellt man nachher fest, dass die neue Gardine jetzt etwas zu lang ist.

 

Auch hier kann man festhalten. Der Aufwand lohnt sich nicht. Und im Sinne eines guten Problemmanagement, wie wir es noch besprechen werden, wäre davon abzuraten. Dennoch kann es für bestimmte Menschen, vielleicht einen Innenarchitekten, doch ein angemessener Aufwand sein.

  


14.07.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (7):  Gibt es eine richtige Problem-Grundhaltung?

 

Ich habe schon erläutert, dass ich es aus meiner Sicht nicht den einen, immer richtigen Weg zur Problemlösung gibt. Trotzdem kann man natürlich fragen, ob es nicht eine Grundhaltung gegenüber Problemen gibt, die immer sinnvoll ist, die immer hilft.

 

Spielen wir einmal einige mögliche Haltungen durch.

 

- Ruhe bewahren

Das wird oft gefordert, allen Problemen gegenüber, gerade auch in Gefahrensituationen. Dies wirkt erst einmal ganz plausibel. Aber angenommen, man befindet sich in einem brennenden Haus. Hier ist Ruhe bewahren u. U. verhängnisvoll, sondern man muss so „unruhig“ wie möglich, d. h. so schnell wie möglich das Haus verlassen. Ratschläge“ wie „Eile mit Weile“ oder „In der Ruhe liegt die Kraft“ oder „Gut Ding will Weile haben“ können hier verhängnisvoll sein (was natürlich auch nicht heißt, dass man umgekehrt in blinder Hektik reagieren soll).

Außerdem, mancher Mensch kann eben gerade nie die Ruhe bewahren, vielleicht ist es genau das Problem von ihm, dass er nervös und zapplig ist. Eine Aufforderung „bleib cool!“ hilft ihm gar nicht. Sondern er braucht erst einmal eine Strategie, die ihm hilft, ruhig zu bleiben, sich nicht unnötig aufzuregen.

- Keine Panik

Dieser Ratschlag wirkt zunächst noch überzeugender. Panik kann man doch wohl bei keinem Problem gebrauchen. Wie man auch sagt: „Angst ist ein schlechter Ratgeber.“ Andererseits ist die Angst aber auch ein natürlicher Schutzinstinkt, der uns vor Gefahren schützt. Angesichts eines Raubtiers, das auf einen zuläuft, keine Angst zu haben, könnte lebensbedrohlich sein. Angst aktiviert unsere Abwehrmechanismen, vor allem Kampf oder Flucht (fight or flight), und die können unser Leben retten. Aber auch bei weniger bedrohlichen Problemsituationen, z. B. einem öffentlichen Auftritt, kann eine gewisse Angst – Lampenfieber – helfen.

Dass dagegen eine kopflose Panik, ein Durchdrehen, bei dem man seine Beherrschung und seine Gedankenkontrolle verliert, keine nützliche Problemlösung ist, versteht sich von selbst. Es gilt hier also zu differenzieren.

 

- Annehmen

Von spiritueller Seite wird immer wieder gefordert, jedes Problem, jede Schwierigkeit erst einmal anzunehmen, nicht sinnlos dagegen anzukämpfen. Dier Rat ist sicher bedenkenswert. Letztlich kommen wir im Leben nicht darum, Probleme anzunehmen, zu akzeptieren oder auch nur hinzunehmen – das wird uns noch beschäftigen.

Aber auch die Forderung nach bedingungslosem Annehmen birgt ihre Risiken. Manche Missstände, z. B. eine Naturkatastrophe, wie eine Überschwemmung, verlangen sofortiges Eingreifen. Sich erst einmal mit dem Annehmen zu beschäftigen, vielleicht sogar zunächst in Ruhe über die Wassermasen zu meditieren, wäre verhängnisvoll.

 

- Beten

Für religiöse Menschen mag das Gebet der wichtigste Pfad zur Problemlösung sein. Sei es, dass sie Gott (oder eine höhere Macht) um Hilfe bitten, dass sie das Problem an Gott „abgeben“ oder ihm schon einmal im Voraus danken. Natürlich ist das nur für gläubige Menschen eine Möglichkeit. Aber auch die werden nicht bei jedem Problem gleich beten, sonst würde das Beten ja inflationär und verwässerte sich. Zu beten, wenn ein naher Angehöriger schwer erkrankt ist, das ist verständlich. Aber zu beten, dass der Handwerker pünktlich kommt oder dass die Milch noch nicht sauer ist, das käme einem doch etwas bizarr vor.

 

Natürlich könnte man noch andere Grundhaltungen diskutieren (und ich werde das Thema später noch einmal aufgreifen). Aber ich halte fest: Es ist sehr schwierig, eine Grundhaltung zu finden, die jedem Problem gegenüber und für jeden Menschen angemessen ist. Aber selbst, wenn es eine solche Grundhaltung, eine solche Grundstrategie gäbe, würde sie natürlich noch nicht ausreichen; im konkreten Problemfall braucht man sicher speziellere Strategien.

Natürlich wäre es verführerisch, wenn man jedem Problem mit der gleichen Haltung begegnen könnte. Im Ideal, wenn es sogar einen konkreten Weg zur Lösung aller Probleme geben würde. Man spricht hier von „Reduktion von Komplexität“. Indem man ein eigentlich komplexes, kompliziertes Geschehen auf ein Prinzip reduziert, erfährt man natürlich eine Einfachheit und Klarheit, die erleichternd ist. Nur, die „schrecklichen Vereinfacher“ stülpen der vielschichtigen Realität einfach ein Korsett über, um sie besser handeln können. Aber hilft das nicht wirklich weiter. Die komplexe Welt lässt sich vielleicht gedanklich simplifizieren, aber im realen Umgang mit ihr versagt die monistische Problemlösung.

 

Meine Meinung ist vielmehr, dass wir ein differenzierte Problemlösungs-Strategien benötigen, ein System von Strategien, das so komplex ist, dass es die Komplexität der Welt, der Problemwelt, adäquat erfassen und damit bewältigen kann.



28.06.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (6):  Gibt es den sicheren Weg der Problemlösung?



Ein Problem bei der Problemlösung ist: man kann sich nie sicher sein, den richtigen Weg einzuschlagen. Z. B. hat man Streit mit seinen Nachbarn, der ständig laut Musik hört. Was ist der beste Weg, dieses Problem zu lösen? Sich versuchen durchzusetzen, den Nachbarn anzeigen oder mit dem Rechtsanwalt drohen? Zu versuchen, sich auszusprechen, einen Kompromiss zu finden? Oder um des lieben Friedens willen gar nichts zu sagen und seinen Ärger herunterzuschlucken? Natürlich kann man sich auch Ohropax kaufen.

 

Es ist nicht eindeutig, was hier der richtige Weg ist. Es gibt auch keinen allgemein richtigen Weg. Es hängt von einem selbst ab, dem Nachbarn, der Wohnsituation u.v.m.

 

Natürlich kann man das Problem genau rational analysieren und versuchen, den besten Lösungsweg herauszufinden. Andere werden vielleicht versuchen, rein intuitiv die beste Möglichkeit zu finden. Aber man kann sich nie wirklich sicher sein.

Daher kann man in einer quälenden Ambivalenz landen, in einem Entscheidungskonflikt, bei dem man ständig  hin- und her-überlegt, mal diese Strategie für die richtige hält, dann wieder eine andere, gegensätzliche und sich einfach nicht entscheiden kann. Das gilt gerade für Menschen, die sich bemühen, es gerade richtig zu machen, ihre Entscheidung zu optimieren, während andere, die sich spontan oder auch impulsiv entscheiden, sich leichter tun.

 

Solange man gar nicht handelt, besteht (jedenfalls bei diesem Beispiel) kaum ein Risiko. Aber wenn man sich schließlich für einen Weg entschieden hat und diesen Weg beschreitet, läuft man immer das Risiko, sich falsch entschieden zu haben. Vielleicht eskaliert der Streit mit dem Nachbar, und man hat nachher viel mehr Probleme als vorher.


Denn so sehr man sich auch bemüht, sich richtig zu entscheiden, die beste Problemlösung anzuwenden, es kann in einem Fiasko enden. Dass man nachher verzweifelt ist und sich sagt: Hätte ich das nur nicht gemacht! Und mit sich selbst oder der Welt hadert. Von daher zögern viele Menschen auch Entscheidungen heraus oder treffen sie gar nicht, aus Angst, sich falsch zu entscheiden. Nur das ist auch keine Lösung, wie umgekehrt vorschnelles Handeln auch falsch sein kann.  


Manche meinen, durch Intuition immer den richtigen Weg zu finden. Sie verlassen sich nur auf ihr Bauchgefühl. Aber es ist auch nicht immer eindeutig, was die Intuition, was die innere Stimme rät. Und diese Stimme ist nicht unfehlbar, sie kann sich irren. Und sie ist nicht für alle Aufgaben geeignet. Wenn ich z. B. eine mathematische Gleichung lösen will, hilft Intuition normalerweise nicht, sondern nur rationales Berechnen.

 

Dieses Bedürfnis nach Sicherheit zeigt sich auch, wenn man nicht Probleme lösen, sondern Probleme verhindern will. Denn das ist natürlich auch ein sehr wichtiger Teil des Umgangs mit Problemen, ja überhaupt einer Lebensphilosophie oder Lebenskunst:   Problemen vorzubeugen, sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Wie man auch bei Krankheiten sagt: es ist besser, vorzubeugen, als sie dann später zu therapieren.

Halten wir fest: Problemlösung geschieht immer unter Risiko: Die Problemlösung kann scheitern, und das Problem ist nachher schlimmer als vorher, oder es sind zusätzliche Probleme aufgetreten. Das muss man bei seiner Entscheidung für eine Lösungsstrategie berücksichtigen, gleich, ob man rational oder intuitiv vorgeht. Man kann das Risiko durch gute Problemanalyse oder eine intuitive Problemerforschung mindern, aber nie ganz ausschalten. Die Alternative, ganz auf eine Problemlösung zu verzichten, kann zwar in manchen Fällen richtig sein (wie vorne diskutiert), aber als allgemeine Strategie taugt dieses Vorgehen natürlich nicht.




15.06.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (5):  Braucht es individuelle Lösungen?


Natürlich gibt es bestimmte Grundprägungen, die für alle Menschen gleich sind; das zeigt sich schon daran, dass wir genetisch zu über 99 % übereinstimmen.

 

Andererseits gibt es auch enorme Unterschiede zwischen den Menschen, um nur einige Faktoren zu nennen:

- Natürlich ist das Geschlecht (männlich, weiblich, intersexuell) ein wichtiger Punkt.

- Die Rasse darf man heute – aus angeblicher politischer Korrektheit – kaum mehr nennen, aber natürlich gibt es hier Unterschiede.

- Das Alter spielt eine Rolle, ein Mensch mit 7 Jahren ist eben anders als einer mit 70 Jahren.

- Ganz wesentlich ist der Charakter, die Persönlichkeit, etwa ob jemand eher introvertiert oder extravertiert ist.

- Auch die Herkunft und die soziale Schicht haben einen großen Einfluss.

 

Es ist ein wenig wie mit dem Glas, das man als halbvoll oder halbleer ansehen kann. So kann man auch bei den Menschen den Blickpunkt auf die Gemeinsamkeiten oder auf die Unterschiede richten.

 

Es  ist hier zweierlei zu berücksichtigen:

- Erstens, je nach Geschlecht, Rasse, Alter, Charakter und Herkunft sind die Probleme teilweise unterschiedlich.

- Zweitens, ebenso sind – je nach Geschlecht, Rasse, Alter, Charakter und Herkunft –

die geeigneten Problemlösungen unterschiedlich, wobei eben auch individuelle Unterschiede zu berücksichtigen sind.

 

So gibt es bestimmte Strategien der Problemlösung, die wohl für alle Menschen (universal) gelten, und andere, die nur für bestimmte Menschen bzw. Menschengruppen, im Extrem sogar nur für ein Individuum, einen einzelnen bestimmten Menschen optimal zutreffen.

 

Allerdings kann eine – Publikation über Problemlösungen – auch noch von geringem Umfang – sich nur auf die allgemeinen oder kollektiven Problemlösungen konzentrieren, individuelle Lösungen muss der Einzelne sich selbst erarbeiten oder z. B. in einer Therapie, zusammen mit seinem Therapeuten.

 

Um aber einige Beispiel zu geben:


- Geschlecht: Obwohl es, jedenfalls in den modernen Staaten, weitgehend Angleichungen der Geschlechter gibt, die aus ideologischen Gründen auch forciert werden, es gibt weiterhin Unterschiede. Z. B. wird einer Frau normalerweise bei Liebeskummer eher das Gespräch mit einer Freundin helfen, einem Mann dagegen das Sich-Abreagieren beim Sport. Natürlich gilt das nicht absolut – und sowieso: Ausnahmen bestätigen die Regel.


- Rasse: Ein Mensch von einem afrikanischen Staat, der vielleicht noch in Stammesgruppen aufgewachsen ist, wird sich bei Krankheit eher Hilfe von einem Schamanen erwarten, dagegen ein Mensch aus einem westlichen Staat von einer Universitätsklinik.


- Alter: Natürlich kann es sowohl bei einem jungen Menschen eine Depression geben („no future“), wie bei einem alten Menschen (Altersdepression). Aber die Problemlösung wird bei dem Jungen vor allem auf Motivierung zu neuen Aktivitäten zusteuern, für den Alten dürfte mehr das Thema sein, sich mit den Verlusten des Alters und mit seiner Endlichkeit konstruktiv auseinanderzusetzen.


- Charakter: ein überagiler, kommunikationssüchtiger, oberflächlicher Mensch muss lernen, sich auf Stille, Geduld, Alleinsein einzulassen; ein zurückgezogener, in sich gekehrter, vereinsamter Mensch muss den Mut finden, wieder (aus sich) rauszugehen und auf andere Menschen zuzugehen.


- Soziale Schicht: Zwar sind bei uns nach dem Grundgesetz alle Menschen gleich, und grundsätzlich gelten auch für alle die gleichen Gesetze. Aber andererseits ist es natürlich ein frommer Wunsch, eine Illusion, dass für alle Menschen die gleichen Regeln gelten. Ein junger Mann aus einer Unternehmerfamilie hat zu lernen, sich einmal auf die Übernahme der elterlichen Firma vorzubereiten; für ihn kann es ein Problem sein, dass er eigentlich einen anderen Berufsweg gehen will, aber mit den Erwartungen der Familie konfrontiert ist. Ein junger Mann aus der Unterschicht könnte das Problem haben, dass er gerne Medizin studieren will, seine Familie ihm das aber finanziell nicht ermöglichen kann. Beide benötigen (teils) unterschiedliche Problemlösungs-Strategien.




04.06.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (4):  Wo sind die Grenzen der Problemlösung?


Ein Leben ohne Probleme, Schwierigkeiten, Sorgen, Ärgernisse ist unrealistisch.

Vielleicht gibt es irgendwelche Menschen, die (weitgehend) problemlos durch das Leben gehen, z. B. hochspirituelle Menschen, die sich völlig vom üblichen Leben gelöst haben.

Aber für den normalen Menschen gehört es auch zum Leben, Probleme zu haben. Wenn man gar kein Problembewusstsein hat, ist man vielleicht nur problemblind.

 

Wir mögen in ausgesuchten Momenten ein Gefühl einer völligen Befreiung, also auch Problembefreiung, erleben, z. B. in der Natur, bei Liebe und Sex, in der Meditation oder in religiöser Mystik – aber das ist kein Dauerzustand.

 

Vollständige Befreiung, Erlösung oder Erleuchtung kann hier also nicht versprochen werden. Natürlich würde ich auch gerne behaupten, wie so viele andere, ich habe den einen Weg gefunden, durch den man alle Probleme überwindet und immer glücklich ist, und das auch noch rasant schnell.

 

Nein, ich habe einen solchen Weg leider nicht anzubieten. Und die falschen Heilsversprechen von anderen bringen den Menschen nur neue Enttäuschungen. Vielleicht fühlen sie sich auch als Versager; denn wenn doch angeblich der Weg zum „Heil“ so einfach und sicher ist, dann muss es ja ihr Fehler sein, wenn sie ihn nicht erfolgreich gehen können.

 

Nein, es ist denkbar, dass Lebenssituationen (fast) ausweglos sind, jedenfalls dem Betroffenen so vorkommen, z. B. bei schwerster Erkrankung. Hier mag es im letzten Extrem nur noch den Tod bzw. Freitod als „Problemlösung“ geben.

 

Es gibt den schönen, oft zitierten Spruch: „Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her …“ (Weiter ist der Spruch weniger bekannt: „Dass du es noch einmal zwingst und von Sonnenschein und Freude singst, leichter trägst des Alltags harte Last und wieder Kraft und Mut und Glauben hast.“) Aber viele, allzu viele Menschen haben in der Dunkelheit vergeblich auf so ein Lichtlein gewartet.

 

Wo die Grenzen der Problemlösung genau liegen, das lässt sich nicht allgemein festlegen, das hängt von dem Problem, von den Lebensumständen (Ressourcen) und von der individuellen Persönlichkeit ab.

 

Und man muss lernen, auszuloten, wo die Grenzen im konkreten Fall liegen. Es ist durchaus auch möglich, dass man meint, ein Problem sei unlösbar, man habe die Grenze der Problemlösung erreicht; und dann findet sich doch noch ein Weg, das Problem zu überwinden, womöglich, weil man einen neuen, unbekannten Weg einschlägt, weil man bereit ist „zu springen“, seine eignen Grenzen zu überschreiten.

 


24.05.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (3):  Soll man Probleme überhaupt lösen?

Oder genauer: Soll man Probleme zu lösen versuchen?

Für uns ist das erst einmal normal, dass wir versuchen, Probleme zu lösen. Denn Probleme rufen (wie beschrieben) negative Gefühle und Empfindungen wach, wie Angst, Zorn, Schmerz, Schuldgefühle, auch Ekel oder Widerwillen, die man alle als Unlust zusammenfassen kann. Wir Menschen sind aber so strukturiert, dass wir Unlust vermeiden bzw. überwinden wollen.

 

Aber es wäre prinzipiell auch denkbar, dass man sich nicht um eine Problemlösung bemüht.

a) das Problem nur wahrnehmen

b) das Problem ignorieren

c) sich auf andere, positive Erfahrungen fokussieren

 

a) Zeugenhaltung

Vor allem in spirituellen Lehren wird gefordert, ein Problem zwar bewusst wahrzunehmen, aber nichts zu seiner Lösung zu unternehmen: Das „Nicht-Tun“ gilt dagegen als richtig. Indem man das Problem wie ein Zeuge wahrnimmt, ohne es zu bewerten oder zu analysieren, bekommt man Abstand vom Problem, identifiziert sich nicht mit ihm. Im Idealfall löst sich das Problem bzw. das Problembewusstsein so auf.

Dies ist sicher eine Haltung, von der man etwas lernen kann. Aber es gibt Probleme, wie z. B. eine schwere Erkrankung, bei denen eine reine Zeugenhaltung und ein Nicht-Tun sich verhängnisvoll auswirken kann. Außerdem kann natürlich nicht jeder Mensch eine solche Haltung einnehmen, das erfordert lange Übung.

 

b) Ignoranz

In einem Buch der satirischen Comic-Zeitschrift MAD wurde ein „ignoranter“ Angestellter vorgeführt. Er war von seiner Firma entlassen worden, nahm das aber einfach nicht zur Kenntnis. Jeden Morgen fuhr er in seinen Betrieb, und da sein Stuhl durch einen neuen Mitarbeiter besetzt war, setzte er sich einfach auf dessen Schoß und begann, sein Pausenbrot auszupacken.

Diese Haltung ist sicher nicht konstruktiv (wie es in MAD ironisch heißt, vor allem für den Chef, weil der entlassene Angestellte weiter sein Gehalt verlangt).

Andererseits kann es auch sinnvoll sein, bestimmte Probleme gar nicht wahrzunehmen oder bewusst zu ignorieren. Es ist sicher ein Vorteil, wenn man eine summende Fliege gar nicht wahrnimmt, so dass sie gar nicht zum Problem wird. Oder wenn man bewusst über dieses Summen hinweghört, es nicht zu seinem Problem macht. Aber dieses Ignorieren funktioniert normalerweise nur bei kleinen Problemen.

 

c) Rationalisierung

Es gibt andere Strategien, die verhindern, dass ein potentielles Problem zu einem realen (inneren) Problem wird. Um hier nur zwei zu nennen:

- Idealisierung

Es gibt Menschen, die glauben, wir leben in der „besten aller möglichen Welten“. Für sie ist einfach alles so gut, wie es ist („omnis ens est bonum“ – so hieß es schon der Scholastik). Probleme sind demnach nur Scheinprobleme, denn echte Probleme kann es in der wundervollen Schöpfung gar nicht geben.

Ein solches Positivdenken kann manchmal nützlich sein, um einem Pessimismus entgegenzuwirken, aber dass dieses Positivdenken natürlich zu einer selektiven Realitätswahrnehmung bzw. zu einem Realitätsverlust führen kann, ist klar.

 

- Sinndeutung

Manche Menschen gehen davon aus, dass wenn sie mit schlimmen Problemen, vielleicht Schicksalsschlägen konfrontiert sind, dann haben sie es auch verdient; vielleicht ist es ihr Karma oder eine Strafe Gottes für sündiges Leben. Zwar nimmt man so Katastrophen schicksalsergeben oder gottergeben an, aber es ist natürlich eine sehr fragwürdige, ja destruktive Haltung.

d) Konzentration auf Positives

Es gibt die Auffassung, man solle sich weniger mit dem Negativen auseinandersetzen, sondern sich lieber den positiven Dingen des Lebens zuwenden. Also weniger versuchen, Probleme zu lösen, als vielmehr die positiven „problemfreien“ Erfahrungen zu verstärken. So auch der berühmte Satz: „Es ist besser, ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen.“

Es gibt entsprechend Richtungen in der Psychotherapie, wie z. B. die „Positive Psychotherapie“, die fordern, man solle sich weniger mit den eigenen krankhaften Anteilen (z. B. Minderwertigkeitsgefühlen) beschäftigen, sondern lieber die gesunden Anteile (z. B. Selbstvertrauen) fördern.

Diese Positiv-Fokussierung hat eine Verwandtschaft mit der Idealisierung bzw. dem positiven Denken. Aber beim Positiven Denken wird eher versucht, Negatives positiv zu übertünchen, es positiv wegzudenken. Bei der Fokussierung auf Positives setzt man sich gar nicht erst mit dem negativen auseinander.

Solche Konzentration auf Positives hat natürlich einen realistischen Kern, aber andererseits kann eine diese Einstellung auch dazu führen, dass negative, belastende, vielleicht traumatische Erfahrungen nicht aufgearbeitet, sondern nur beiseite geschoben oder verschüttet werden.

 

Wenn wir diese Nicht-Problemlösung-Haltungen genauer analysieren, kommen überhaupt Zweifel. Es sind letztlich doch Strategien, die verhindern sollen, dass eine Problem-Unlust, ein Leiden durch ein Problem überhaupt erst auftritt. So gesehen sind es indirekt doch auch Versuche der Problembewältigung.

 

Die Frage ist eben: Kann der Mensch gänzlich auf eine Problembewältigung verzichten? Kann er es überhaupt unterlassen, gegen eine Problem-Unlust wie Angst oder Ärger vorzugehen? Vielleicht kann er sich einfach sagen: „Das Leben ist einfach  oft problematisch, es ist normal, sich (immer oder doch zeitweilig) schlecht zu fühlen, Angst zu haben, wütend zu sein.“ Womöglich gehört auch eine – zeitweilige – Verzweiflung einfach zum Leben dazu, so unangenehm sie auch ist.

Wie ja in bekannten Zitaten ausgesagt wird: „Das Leben ist kein Rosengarten.“ Oder: „Das Leben ist kein Ponyhof.“ Das Motto kann sein: Ich ändere daran gar nichts, ich halte das einfach aus, ertrage das einfach. Ohne dass das wieder eine neue Problemlösungsstrategie sein soll. Und ohne irgendeine Erklärung, Beschönigung oder Sinndeutung der Probleme.

 

Wir werden an späterer Stelle auf diese Frage und die hier beschriebenen Haltungen zu Problemen noch einmal zurückkommen.

 

Halten wir erst einmal fest: Es ist sicher sinnvoll, sich nicht auf jedes Problem zu stürzen, sich daran festzubeißen, es unbedingt lösen zu wollen. Und schon gar nicht sollte man darauf lauern, dass das nächste Problem um die Ecke kommt. Aber als generell Haltung zu fordern, man solle sich mit Problemen möglichst gar nicht befassen und sie nicht zu lösen versuchen, das ist keine vernünftige, keine konstruktive Einstellung.





13.05.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (2):  Hat jeder Mensch Probleme?

Jeder Mann, jede Frau hat in seinem Leben Probleme, also Schwierigkeiten, Hindernisse, Frustrationen.

Gut, es mag Menschen geben, die bestreiten, Probleme zu haben.  Oder man denke an den berühmten „TV-Außerirdischen“ Alf, der mit seinem Motto „null Problemo“ jedes Problem beiseite wischte, vermeintlich. Denn er hatte sehr wohl Probleme, und noch viel mehr Probleme bereitete dieser liebenswerte Chaot seiner Gastfamilie Tanner. Also ich möchte bestreiten, dass es wirklich Menschen gibt, die keine Probleme kennen.

 

Allerdings hängt es auch von einem selbst ab, ob man etwas als Problem empfindet oder auch nicht; bzw. wie stark man etwas als Problem wahrnimmt.

Z. B. ärgert sich der eine über die sprichwörtliche Fliege an der Wand, während ein anderer sie gar nicht wahrnimmt.

Ob man eher Problem-sensitiv oder Problem-resistent (bzw. Problem-resilient) ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem:

 

-  von der eigenen Einstellung: was interpretiere ich als Problem und was nicht?

- von den Bedürfnissen: habe ich ganz bestimmte Wünsche, die ich 1:1 erfüllen will?

- von den Erwartungen: hat man sehr große Erwartungen, „Riesenerwartungen“?

- von der Frustrationstoleranz: hat man  eine geringe oder eine große Frustrationstoleranz?

- vom Verhalten: ist man ein „trouble maker“ oder eher ein Lebenskünstler?

- von der Flexibilität: bleibt man bei einer bestimmten Haltung, oder verändert man sich?

 

Je nach der Ausformung dieser Kriterien, hat man sehr schnell ein Problem oder eben auch nicht, kann man leicht enttäuscht werden oder ist weitgehend entäuschungsresistent.

 


 

 

02.05.2019  Probleme lösen - Zufrieden leben (1):

Was ist ein Problem?

Ein Problem ist generell etwas, das unerwünscht ist, das uns beeinträchtigt. Probleme können die Gesundheit betreffen, Liebe und Freundschaft, Finanzen, Haus und Haushalt u.v.m., in jedem Lebensbereich des Menschen gibt es auch Probleme. Einzelne Menschen haben Probleme, Gruppen, aber auch Staaten oder die ganze Welt: z. B. ist der Klimawandel ein globales Problem, das alle betrifft. Auch wenn viele der Aussagen in diesem Artikel generell gelten, so geht es mir doch vor allem um das Individuum: Wie ist der einzelne Mensch von Problemen betroffen? Und wie kann er Probleme lösen, um zufrieden zu leben?

 

Man kann Probleme folgendermaßen definieren:

 

a) äußere – innere

- äußeres Problem (bzw. äußerlich definiertes Problem): Der Begriff des Problems ist weit, ein äußeres Problem kann eine existentiellen Belastung sein wie eine lebensbedrohliche Krankheit oder politische Verfolgung, es kann eine „mittlere Katastrophe“ wie eine Ehekrise sein oder der  Verlust des Arbeitsplatzes, es kann aber auch nur ein Mini-Problem wie ein  Parkknöllchen oder eine verpasste Straßenbahn sein.

- inneres Problem (bzw. innerlich bestimmtes Problem): etwas, das uns ängstigt, ärgert, traurig macht, verstimmt, schmerzt, generell Unlust auslöst.

Anders gesagt: Angst, Ärger, Traurigkeit, Verstimmung, Schuldgefühle, Zwänge, Schmerz, Entscheidungskonflikte, generell Unlust-Empfindungen selbst sind innere Probleme.

 

Die innere Dimension ist entscheidend. Angenommen zwei Menschen verpassen die Straßenbahn: dem einen ist es egal, er nimmt halt die nächste, so wird das mögliche äußere Problem (Bahn verpasst) nicht zu einem inneren Problem, und ist daher für ihn bedeutungslos.

Der andere Mensch regt sich sehr auf, dass er die Straßenbahn verpasst hat. Er macht sich Sorgen und ärgert sich. Das äußere Problem (Bahn verpasst) führt bei ihn zu einem inneren Problem, und ist daher auch erst ein echtes Problem.

Allerdings gibt es gravierende äußere Probleme (z. B. eine schwere Krankheit), die eigentlich für jeden auch zum inneren Problem werden. Umgekehrt gibt es rein innere Probleme, z. B. eine grundlose, neurotische Angst, dass man verfolgt wird (Paranoia); dieses innere Problem kann allerdings sehr wohl äußere Probleme auslösen, z. B. den Verlust des Jobs.

Übrigens ist manchmal die Abgrenzung von inneren und äußeren Problemen schwierig,  z. B. bei körperlichen Schmerzen.

 

b) Störung – Mangel

Äußere Probleme kann man über Mangel oder Störung bestimmen:

Störung: etwas ist da (oder zu viel da), was nicht da sein sollte, z. B. lauter Straßenlärm, große Hitze, Menschengedränge.

Mangel: etwas fehlt (oder ist  wenig da), was da sein sollte, z. B. fehlende Kontakte (Kontaktmangel), fehlende Arbeit (Arbeitslosigkeit) oder fehlende Nahrung (Hunger).,

 

c) Bedürfnisfrustration –  Unwohlsein

Innere Probleme bestimmt man über:            

Bedürfnisfrustration: meistens kann man ein Problem so definieren, dass ein Bedürfnis nicht befriedigt ist. Z. B. hat man den Wunsch, eine schöne Wohnung zu haben, kann sich die aber nicht leisten: man ist frustriert, besorgt, verärgert usw.

Unwohlsein: manchmal kann man allerdings auch nicht ein bestimmtes Bedürfnis angeben, was unbefriedigt ist; man fühlt sich aber einfach unwohl. Man merkt, etwas stimmt nicht, kann es aber nicht definieren.


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Falsche Alltags-Logik


„Irren ist menschlich“, sagt man. So gesehen sind die Menschen sehr menschlich, denn sie irren sich ständig. Das reicht von Wahrnehmungs-täuschungen, über falsche Erinnerungen, psychologische Fehleinschätzungen, physikalische Irrtümer, fehlendes Faktenwissen u.v.m.


Ich will mich hier ausschließlich auf logische und verwandte Fehler fokussieren. Und möchte den Text eher unterhaltsam als streng wissenschaftlich schreiben.


Der Text kann auch ein kleiner Ersatz sein für meinen Blog Integrale Logik, den ich seit einiger Zeit auf Pause gestellt habe.




16.04.19  Falsche Alltags-Logik (6):  Unsinnigkeiten der Logik


Ich hatte bisher über logische, statistische oder wissenschaftstheoretische Fehler im Alltagsdenken bzw. Alltagssprechen geschrieben, also über Fehler von ganz normalen Menschen. Dann hatte ich im letzten Beitrag aber auf Paradoxien der modernen Logik bzw. fragwürdige, dysfunktionale Definitionen in der formalen Logik hingewiesen, die unserem Alltagsdenken, aber auch einer natürlichen Logik wiedersprechen. Daran will ich heute anknüpfen.

 

Wir haben es wieder mit zwei Personen zu tun, dem Logiker Detlef und dem Alltagsdenker Rüdiger. Rüdiger stellt die These auf: Was für alle gilt, das gilt auch für einige.  D. h. aus dem Satz „Alle Menschen sind sterblich“ folgt der Satz: „Einige Menschen sind sterblich.“ Das ist doch logisch.

 

Und Rüdiger hat recht: Einen solchen Schluss hätte in der klassischen Logik niemand bezweifelt. Man muss dabei nur berücksichtigen, dass „einige“ hier zu verstehen ist als „mindestens einige“ (oder auch nur „mindestens einer“), also nicht als „genau einige“.

 

Der Logiker Detlef widerspricht aber: Nein, in der modernen Logik gilt nicht: Was für alle gilt, das gilt auch für einige. Und das scheint ihm nicht einmal peinlich zu sein.

 

Zur Erläuterung muss ich etwas ausholen: Ich habe erläutert, dass in der formalen Logik (Quantoren-Logik) für einen All-Satz wie „Alle Menschen sind sterblich“ gilt: er ist auch wahr, wenn es gar keine Menschen gibt.

Denn es wird folgende Umformung vorgenommen: „Für alle x gilt: wenn sie Menschen sind, dann sind sie sterblich.“ Und das liegt an der Implikation, der Wenn-dann-Verbindung, die wie erläutert auch dann als wahr gilt, wenn der Vordersatz falsch ist.

 

Betrachten wir zum Vergleich einen Partikulär-Satz wie „Einige Menschen sind sterblich. Plausibel wäre es ja, diesen Satz parallel zum All-Satz folgendermaßen zu interpretieren: „Für einige x gilt: wenn sie Menschen sind, dann sind sie sterblich.“

Dann gäbe es kein Problem, es gälte der logische Schluss: „Wenn alle Menschen sterblich sind, dann sind auch (mindestens) einige Menschen sterblich.“

 

Aber in der modernen Logik wird der Partikulär-Satz strukturell anders interpretiert, als sogenannter Existenz-Satz: „Es gibt (mindestens) einige Menschen, die sterblich sind.“

Im Gegensatz zum All-Satz ist der Partikulär-Satz – bei dieser Interpretation – nur wahr, wenn es auch Menschen gibt. Da der All-Satz keine Existenz von Menschen impliziert, der Partikulär-Satz aber doch, kann man den Partikulär-Satz natürlich nicht aus dem All-Satz ableiten.

 

Der Logiker Detlef könnte anführen, dass man diese Regelung z. B. aus systematischen Gründen  getroffen hat, weil sich so die Negationen der Sätze in gewünschter Weise bestimmen lassen. Z. B. sind folgende Sätze logisch äquivalent: „Nicht alle Menschen sind sterblich“ und „einige Menschen sind nicht sterblich“. Diese und ähnliche Argumentationen sind aber oberflächlich und nicht stichhaltig, und man kann die gewünschten Äquivalenzen auch anders herstellen, wie ich z. B. in meiner Integralen Logik gezeigt habe.

 

Also, auch hier gebe ich dem Alltagsdenker Rüdiger gegenüber dem Logiker Detlef recht. Dass ein Satz über „einige“ aus einem Satz über „alle“ logisch ableitbar ist, ist so wesentlich in der natürlichen Logik und so evident im Alltagsdenken, dass man dieses Gesetz „aus alle folgt einige“ auf keinen Fall aufgeben sollte.






03.04.19  Falsche Alltags-Logik (5): Paradoxien der Logik

 

Ich habe bisher über logische, statistische oder wissenschaftstheoretische Fehler im Alltagsdenken bzw. Alltagssprechen geschrieben, also über Fehler von ganz normalen Menschen. Aber auch Logiker machen  Fehler im Denken und Sprechen, es sind nicht direkt logische Fehler, aber Fehler in der Deutung der Logik bzw. ihrer Anwendung auf unsere Sprache.

 

Wir haben es wieder mit zwei Personen zu tun, dem Logiker Detlef und dem Alltagsdenker Rüdiger. Rüdiger stellt die Frage: Wann ist ein Wenn-dann-Satz wahr? Also z. B. der Satz: „Wenn es regnet, ist die Straße nass.“ Und er gibt direkt eine Antwort: „Dieser Satz ist doch nur wahr, wenn es regnet und die Straße nass ist. Und er ist nur falsch, wenn es regnet und die Straße trocken ist.“

 

Der Logiker Detlef widerspricht ihm aber: „Wir haben in der Aussagen-Logik einen Wenn-dann-Satz, den wir Implikation nennen, so definiert, dass er auch wahr ist, wenn der Vordersatz falsch ist, egal, ob der Nachsatz wahr oder falsch ist.“ ‚A impliziert B‘ ist auch wahr, wenn A falsch ist. Am Beispiel: ‚Wenn es regnet, ist die Straße nass‘, ist auch wahr, wenn es nicht regnet.“

 

„Das verstehe ich nicht“, meint Rüdiger. „Der Satz ist doch nur für die Fälle bestimmt, in denen der Wenn-Satz wahr ist. Er sagt doch nur etwas aus über die Fälle, in denen es gilt: ‚Es regnet‘“.

 

Der Logiker würde nun entgegnen, dass die Implikation unabhängig von der normalen Sprache definiert ist. Und dass man aus systematischen Gründen eine Definition braucht, die alle vier logischen Möglichkeiten umfasst. A und B, A und nicht B, nicht A und B, nicht A und nicht B. Und letztlich würde er anführen, man dürfe eine Implikation „A impliziert B“  gar nicht als Wenn-dann Satz deuten; sondern der Satz sage eigentlich nur aus: „Es ist nicht wahr, dass A und nicht B.“ Im Beispiel: „Es ist nicht wahr, dass es regnet und die Straße nicht nass ist.“

 

Das ist teilweise richtig, teilweise aber auch nicht. Die Implikation wird immer verwendet, um einen Wenn-dann-Satz zu formalisieren. Und dies führt eben zu ausgesprochenen Paradoxien. Denn es ist doch keineswegs plausibel, dass „wenn A, dann B“ wahr sein soll, wenn A falsch ist.

 

Noch irritierender ist es in der Quantoren-Logik, mit der Sätze über „Alle“ oder „einige“ formalisiert werden. Auch dort verwendet man die Implikation, z. B. in einem Satz wie „Alle Menschen sind sterblich.“ Dieser Satz gilt bei Verwendung der logischen Implkation auch als wahr, wenn es überhaupt keine Menschen gibt. Absurd. (Das werde ich im nächsten Beitrag genauer erläutern.)


Und da kann der Logiker sich auch nicht mit herausreden, was in der normalen Sprache, z. B. der deutschen Sprache, stimmig ist, braucht in der logischen Sprache nicht stimmig zu sein. Abgesehen von rein innerlogischen Anwendungen, verwendet man die Logik ja großteils dafür, die Sätze unserer Sprache zu analysieren oder unsere reale Welt zu beschreiben. Und da ist eine solche Diskrepanz inakzeptabel.

 

Natürlich hat diese Diskrepanz zwischen Wenn-Dann-Sätze n der normalen Sprache und der Logik auch manche (nicht alle) Logiker gestört. Und daher man hat veränderte Formen der Implikation eingeführt.


Ich selbst habe zwei modifizierte Implikationen in meiner Integralen Logik konstruiert, einmal die Positiv-Implikation. Danach ist ein Wenn-dann-Satz (wie in der Alltagssprache) nur für die Fälle definiert, in denen der Wenn-Satz wahr (= positiv) ist.

Ein anderer Ansatz ist, zwar alle vier Möglichkeiten (siehe oben) zu berücksichtigen; der Satz „Wenn A, dann B“ gilt aber als unbestimmt, wenn der Satz „A“ falsch ist. Ich habe diese Problematik ausführlich in meinen zwei Büchern über Integrale Logik untersucht und diskutiert.


Die Lösung ist, dass man die klassische Implikation nicht aufgibt, aber je nach Anwendungsbereich durch die veränderten Implikationen ergänzt und erweitert. Übrigens ist die Implikations-Paradoxie nur eine von vielen Paradoxien der gängigen Logik, die dort aber gerne ausgeklammert werden.

 

Also, letztlich gebe ich dem Alltagsdenker Rüdiger gegenüber dem Logiker Detlef recht. Primär ist ein Wenn-dann-Satz „Wenn A, dann B“ nur für die Fälle definiert, in denen der Vordersatz A wahr ist. Und „Wenn A, dann B“ kann somit auch nur wahr sein, wenn „A“ wahr ist.


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20.03.19  Falsche Alltags-Logik (4): Falsifikation oder Ausnahme

 

Zwei Bekannte im Gespräch.

Bernhard sagt: „Alle Kölner trinken Kölsch.“

Rolf widerspricht. „Das stimmt nicht. Ich kenne jedenfalls einen, der kein Kölsch trinkt. Der Michel. Der trinkt nur Weißbier.“

Rolf beharrt aber auf seiner Aussage. „Einer zählt nicht. Einer ist keiner. Einer ist die Ausnahme, die aber die Regel bestätigt. Also stimmt meine Aussage doch.

 

Wer hat recht?

Streng logisch gesehen hat Rolf recht. Denn ein Allsatz, d. h. ein Satz über alle Elemente einer Klasse (hier: alle Bewohner von Köln) wird falsifiziert, wenn es nur ein Element (einen Kölner) gibt, für den die Aussage nicht stimmt.

Vor allem der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper hat das in seiner Lehre von der Falsifikation ausführlich dargelegt.

Beispiel:

Alle Kölner trinken Kölsch

Michel ist Kölner und trinkt kein Kölsch

Daraus folgt: Es ist nicht wahr, dass alle Kölner Kölsch trinken

 

Nun gibt es aber auch eine andere Sicht, die man pragmatisch nennen kann. Danach geben Menschen im Alltag einen Allsatz nicht auf, nur weil es Gegenbeispiele gibt. Aber auch Wissenschaftler werden normalerweise eine gut bestätigte Hypothese über alle Elemente einer Klasse nicht falsifizieren, nicht aufgeben, nur weil es die Beobachtung gibt, dass die Aussage für ein Element (oder auch mehrere Elemente) nicht zutrifft.

 

Und das ist nicht einfach ein unlogisches Verhalten, sondern es gibt gute Gründe, eine Theorie, die sich bewährt hat, nicht wegen einer „Ausnahme“ gleich ganz über Bord zu werfen. Vielleicht muss man die Theorie nur modifizieren, einschränken oder erweitern, damit die Ausnahme in die Theorie integriert werden können.

 

So  wird man z. B. nach Zusatzhypothesen suchen, die die Ausnahme(n) erklären.

Bleiben wir bei unserem Beispiel. Vielleicht wird man einschränken, dass die Aussage „Alle Kölner trinken Kölsch“ nur für gebürtige Kölner gilt, nicht für „zugezogene“. Oder die Hypothese aus einer deterministischen Form („alle Kölner …“) in ein stochastische Form überführen: „Die meisten Kölner trinken Kölsch“ oder numerisch:. „97% der Kölner trinken Kölsch“. Der Vorteil dieser stochastischen Form ist, dass sie auch logisch nicht durch ein Gegenbeispiel falsifiziert werden.

 

Denn wenn gilt „Die meisten Kölner trinken Kölsch“, dann wird diese Aussage durch „Michel ist Kölner und trinkt kein Kölsch“ natürlich nicht widerlegt.

 

Allerdings kann die Rettung einer Theorie durch zusätzliche Bedingungen auch problematisch sein. Im Alltag mag sie dazu dienen, an unreflektierten Überzeugungen, ja Vorurteilen festzuhalten, an die uneingeschränkte Gültigkeit eines Satzes („Alle sind …“) zu glauben, weil man daran glauben will. Und in der Wissenschaft können Zusatz-Hypothesen, gerade willkürliche Ad-hoc-Hypothesen, dazu dienen, die eigene Theorie gegen eine Widerlegung zu immunisieren, weil man sich nicht eingestehen will, einen Irrweg eingeschlagen zu haben und womöglich viel Zeit, Anstrengung und Forschungsgelder verschleudert zu haben.

 

So gesehen, haben Bernhard und Rolf beide unrecht. Aber auch beide recht, einer logisch, der andere pragmatisch.

 

 


03.03.19  Falsche Alltags-Logik (3) Korrelation und Kausalität

 

Zwei Freundinnen, Ingeborg und Dagmar unterhalten sich über ihre Bekannte Rita. Ingeborg sagt: „Die Rita, die hat ja schon viele Jahre Rückenschmerzen. Und jetzt hat sie auch noch eine Depression bekommen.“ „Kein Wunder“, meint Dagmar. „Die Rita hat die Depression bekommen, weil sie Rückenschmerzen hat. Wer lange Zeit unter Rückenschmerzen leidet, der muss ja depressiv werden.

 

Dagmar stellt also eine Kausalverbindung her bzw. gibt sie eine kausale Erklärung: Die Ursache sind die Rückenschmerzen, die Folge ist die Depression.

 

Depression ist eine psychische bzw. psychosomatische Störung. Dabei treten Müdigkeit, Erschöpfung, Antriebsschwäche, teilweise Ängste, Gefühle von Wertlosigkeit oder Aussichtslosigkeit auf, aber häufig auch körperliche Symptome wie Rückenschmerzen, Magen-Darm-Störungen u.v.m.

 

Ausgangspunkt ist: Bei Rita treten sowohl Rückenschmerzen wie Depression auf.  Man kann von einer Korrelation zwischen Rückenschmerzen und Depression sprechen.

Im Einzelnen versteht man (qualitativ) unter einer Korrelation zwischen A und B: Wenn A, dann B. Und wenn B, dann A. Bzw.: Wenn nicht A, dann nicht B. Und wenn nicht B, dann nicht A.

Aber natürlich kann man eine Korrelation auch quantitativ bestimmen (in der Statistik verwendet man dafür Korrelationskoeffizienten). So beträgt eine Korrelation nur soundsoviel Prozent. Eine vollständige Korrelation von 100% ist real sehr selten.

(Auf die Feinheiten des komplexen Themas Korrelation möchte ich aber hier nicht eingehen; ich habe das in meinem Buch „Integrale Logik“ getan und werde später vielleicht auch im Blog einmal eine gesonderte Darstellung bringen.)

 

Wie die Forschungslage von Korrelation zwischen Rückenschmerzen und Depression genau aussieht, ist mir nicht bekannt, das spielt für unser Beispiel aber auch keine besondere Rolle. Nehmen wir einmal an, zu 80% treten Rückenschmerzen und Depressionen gemeinsam auf, vereinfacht gesagt; die Korrelation beträgt 80%.

 

Damit ist aber noch nichts Genaues über die Kausalbeziehung zwischen Rückenschmerzen und Depression gesagt.

 

Wir können bei einer Korrelation zwischen A und B folgende Möglichkeiten unterscheiden:

 

1) Zufall

A und B treten zufällig gemeinsam auf.

Ja, auch eine hohe Korrelation kann Zufall sein. Man gibt zwar gewisse Signifikanzkriterien an, die eine Zufallsverbindung möglichst ausschließen sollen; aber man kann immer fälschlich eine Kausalbeziehung vermuten, wo doch nur Zufälligkeit herrscht.

Im Beispiel: angenommen, 80% aller Menschen leiden (gelegentlich) unter Rückenschmerzen und ebenso 80% der depressiven Menschen, dann wäre das gemeinsame Auftreten von Depression und Rückenschmerz vermutlich zufällig.

 

2) Umgekehrte Kausalität

Nicht A ist Ursache von B; sondern B ist Ursache von A.

Ja, es kann auch sein, dass Rita schon länger  Depressionen hatte, lange bevor sie Rückenschmerzen bekam. Dabei können die typischen, oben beschriebenen Symptome auch ausgeblieben sein, sie können sich hinter körperlichen Beschwerden verborgen haben;  daher spricht man auch von „larvierter Depression“.

 

3) Dritte Ursache

Es gibt eine dritte Ursache C, die sowohl A wie B bewirkt.

Depression und Rückenschmerzen können auch beide Auswirkungen einer dritten Ursache sein, z. B. einer Traumatisierung in der Kindheit. In diesem Fall gibt es also keine Kausalbeziehungen zwischen Depression und Rückenbeschwerden selbst, dennoch besteht eine Korrelation zwischen ihnen.

 

4) Wechselwirkung

A und B stehen in Wechselwirkung.

Hier wirken Depression und Rückenschmerz wechselseitig aufeinander ein. Es ist ein Teufelskreis, die Depression verstärkt die Rückenbeschwerden, und die Rückenbeschwerden verstärken wiederum die Depression. Es ist kaum möglich hier genau zu sagen, was nun am Anfang stand, Depression Rückenschmerz. Sondern in einem Regelkreis, durch positives (verstärkendes) Feedback halten sich die Symptome aufrecht und verstärken sich.

 

5) Identität

A ist identisch mit B.

Es ist denkbar (jedenfalls in einem konkreten Fall wie bei Rita), dass die Symptome Depression und Rückenschmerz – teilweise – identisch sind. Der Rückenschmerz ist ein Teil der Depression, wie das schon beim Konzept der „larvierten Depression“ angedeutet wurde. Rückenschmerz und Depression sind wie zwei Seiten einer Medaille.

 

Wie lassen sich diese verschiedenen Möglichkeiten nun auseinanderhalten? Das eine ist, wie sie sich theoretisch auseinanderhalten lassen. Hier gibt es bestimmte logische bzw. statistische Regeln, die eine Unterscheidung erleichtern, aber auch nicht garantieren.

 

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Zeit. Denn die Ursache geht der Wirkung immer zeitlich voraus.

- A steht in zufälligem Zusammenhang mit B. Hier ist das Kriterium Zeit nicht relevant.

- A ist Ursache von B. Dann muss A vor B stattgefunden haben.

- B ist Ursache von A. Dann muss eben B vorausgehen.

- C ist Ursache von A und B. Dann ist C zeitlich vor A und B festzustellen.

- A und B stehen in Wechselwirkung. Hier ist schwerlich eine Zeitdifferenz zwischen A und B zu definieren, weil man meist nicht weiß, ob A oder B am Anfang des Kreises stehen.

- A und B sind identisch: Dann treten sie gemeinsam auf, es gibt kein vorher oder nachher.

 

Der Bezug auf Zeit und überhaupt Kausalität zeigt, dass wir es hier nicht mehr mit rein logischen Beziehungen zu tun haben. Denn die Logik ist in ihrer ursprünglichen Form atemporal, sie abstrahiert von Zeit.

 

Und wie kann man diese verschiedenen Möglichkeiten im konkreten Fall, zum Beispiel bei Ritas Depression und Rückenschmerzen unterscheiden? In der Praxis ist noch schwieriger als theoretisch, eine Bestimmung der Gründe der Korrelation herauszufinden, hier ist man oft auf Spekulation angewiesen, wie die Freundinnen von Rita, Ingeborg und Dagmar. Nur glauben die Menschen eben normalerweise – fälschlich –, sie besäßen eine sichere Erklärung.


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15.02.19  Falsche Alltags-Logik (2):

Falsche Wahrscheinlichkeit


Zwei Freunde Pete und John stehen am Roulette-Tisch. Es ist 8mal nacheinander die Farbe „rot“ gekommen. Pete sagt, jetzt werde ich auf „schwarz“ setzen, denn nach 8x „rot“ kommt bestimmt als Ausgleich „schwarz“. John sagt dagegen: „Da jetzt 8x „rot“ gekommen ist, muss es sich um eine Serie handeln. Ich werde also auf „rot “ setzen, denn die Serie geht bestimmt weiter.

 

Wer von den beiden hat recht? Keiner. Warum ? Bringen wir es zunächst ganz plakativ auf den Punkt: „Die Kugel hat kein Gedächtnis.“ Anders gesagt: Bei jedem neuen Wurf der Roulette-Kugel bestehen wieder die gleichen Chancen. Wenn man einmal von der 0 absieht (für die Sonderregelungen bestehen), so gilt: Es gibt 18 rote und 18 schwarze Felder. Also besteht bei jedem Kugelwurf eine Chance von 18/36 für rot und ebenso von 18/36 für schwarz, also jeweils 50% oder p = 0,5.

 

Wenn man aber mehrere Würfe (als Menge) zusammenfasst, ergibt sich ein anderes Ergebnis: Dass 8x „rot“ kommt, dafür besteht nur eine Wahrscheinlichkeit von p = 1/256 (0,39%). Dafür, dass in einer Folge von 8 Würfen aber 4x „rot“ und 4x „schwarz“ vorkommt,  ist die Wahrscheinlichkeit 70x so groß, sie beträgt also p = 70/256 (27,34%). Daher könnten wir annehmen, dass Pete recht hat, der auf einen Ausgleich setzt. Und John unrecht hat, der meint, eine Serie müsste weitergehen.

 

Doch dies stimmt nicht. Wenn man die Reihenfolge der Würfe berücksichtigt, zeigt sich, dass jede Folge von „rot“ und „schwarz“ dieselbe Wahrscheinlichkeit von p = 1/256 besitzt. Wir unterliegen einer Täuschung, z. B.:

rot rot rot rot rot rot rot rot

rot schwarz schwarz rot schwarz rot rot  schwarz

 

Die erste Folge mit 8x „rot“ ist auffällig, man hält sie spontan für unwahrscheinlich.

Die zweite Folge mit 4x „rot“ und 4x „schwarz“ ist unauffällig, sie kommt uns wahrscheinlicher vor.

 

Aber es gibt eben nur eine! Folge mit 8x „rot“ und dagegen 70 mögliche Folgen (Kombinationsmöglichkeiten) mit 4x „rot“ und 4x „schwarz“. Nur deswegen ist sie so viel wahrscheinlicher, allein wegen der Kombinatorik.

 

Betrachtet man aber die einzelnen konkreten Folgen, so ist jede Folge gleichwahrscheinlich. Dass 8x „rot“ kommt, ist gleichwahrscheinlich mit jeder anderen bestimmten Folge von 8 Würfen.

 

Sogar, dass z. B. 100 x „rot“ nacheinander kommt, ist gleichwahrscheinlich mit jeder möglichen anderen Verteilung von 100x „rot“ und/oder „schwarz“.

 

Daher ist es von der Wahrscheinlichkeitstheorie völlig gleich, ob man nach einer Folge von 8x „rot“ einen Wechsel zu „schwarz“ erwartet oder die fortgesetzte Serie von „rot“.

 Wie schon gesagt: „Die Kugel hat kein Gedächtnis.“

 



06.02.19  Falsche Alltags-Logik (1):

Schluss von einem auf alle ?


Mein Vater war ein durchaus kluger Mann.  Und er gab gerne Ratschläge. Aber dabei erlaubte er sich manchen logischen Schnitzer. Eine typische Argumentation für ihn war: „Etwas ist für mich gut. Also ist es auch für dich gut.“

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: „Klassische Musik ist für mich gut. Also ist sie auch für dich gut.“

 

Schauen wir uns die Argumentation etwas genauer aus. Hier werden folgende Hypothesen implizit angenommen:

- Was für einen Menschen gut ist, ist auch für einen anderen gut.

Das reicht aber noch nicht, denn es ist ja noch nicht ausgesagt worden, dass es auch für einen bestimmten anderen Menschen gut ist. So müsste noch schärfer gefordert werden:

- Was für einen Menschen gut ist, ist für alle (jeden) Menschen gut.

 

Das ist ein extremer induktiver Schluss, der Schluss von einem auf alle – aber das ist natürlich ein Fehlschluss.

 

Um diese Hypothese mit der klassischen Musik deduktiv korrekt zu begründen, könnte man behaupten:

- Alle Menschen sind gleich.

 

Die Struktur einer korrekten Argumentation könnte also lauten.


            Klassische Musik ist für mich gut.   

            Alle Menschen sind gleich.      

            Also ist klassische Musik auch für dich gut.  

(Vorausgesetzt ist, dass wir es hier nur mit Menschen zu tun haben.)

 

Zwar gibt es Gleichartigkeiten unter Menschen oder unter bestimmten (Gruppen von) Menschen. Aber die Pauschal-Aussage „alle Menschen sind gleich“ ist offensichtlich falsch.


Entweder gilt: „Alle Menschen sind nicht gleich.“ Oder „Nicht alle Menschen sind gleich.“


Und so ist die Aussage „Klassische Musik ist auch für dich gut“ natürlich nicht logisch abzuleiten. Die Aussage könnte zwar trotzdem empirisch wahr sein, aber sie folgt nicht aus den Prämissen.

 

Eine andere prinzipielle Möglichkeit, die Argumentation zu begründen, wäre die Hinzunahme folgender Hypothese:

- Für alle Menschen ist klassische Musik gut.

 

Die Struktur einer korrekten Argumentation könnte also lauten.


            (Klassische Musik ist für mich gut.)  

            Für alle Menschen ist klassische Musik gut.  

            Also ist klassische Musik auch für dich gut.  


Auf die erste Prämisse könnte man hier sogar verzichten.


Aber wieder haben wir das Problem mit der empirischen Wahrheit. Ein fanatischer Anhänger der klassischen Musik mag vielleicht behaupten, dass klassische Musik jedem Menschen gut tut.  Aber man findet bestimmt genug Menschen, die das bestreiten, denen diese Musik zu schwer, zu kompliziert oder zu langweilig ist.


Und es reicht ja logisch ein einziger Mensch, der überzeugend darlegt, dass für ihn klassische Musik nicht gut ist, und der Allsatz „Für alle Menschen ist klassische Musik gut“ wird falsifiziert. Somit gilt:

- Nicht für alle Menschen ist klassische Musik gut. Und das ist äquivalent:

- Für mindestens einen Menschen ist klassische Musik nicht gut.

Damit ist auch hier keine deduktive Ableitung möglich.



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27.01.19 Haltungen zum Tod (7):

Realistische Gelassenheit gegenüber  dem Tod

Während Angst und Zorn bzw. Flucht und Kampf einerseits, aber auch
sehnsüchtige Todes-Hoffnung und Todes-Freude andererseits keine
gelassenen Todes-Haltungen sind, kann -wie beschrieben- die Erwar-
tung einer Existenz nach dem Tod, die Sinndeutung des Todes und u.U.
auch seine Verdrängung zu einer Gelassenheit ihm gegenüber führen.


Diese Form von Gelassenheit ist hier aber nicht gemeint; sondern
es geht um ein realistisches, illusionsloses Gelassensein, das un-
abhängig vom Glauben an ein postmortales Leben oder an einen Sinn
des Todes besteht und auch nicht auf Verdrängung beruht.

 

Allerdings müssen verschiedene Formen solcher Todes-Gelassenheit
unterschieden werden, die ganz unterschiedlich zu bewerten sind.


  - Depressivität: Jemand steht dem Tod zwar illusionslos gelassen  gegenüber, dies ist aber verbunden mit einer allgemeinen

traurigen Verstimmtheit und Passivität - wohl kaum eine reife Haltung.   


- Verbitterung: Hier ist es ähnlich, dass man zwar bereit ist, den
Tod ohne unrealistische Hoffnungen hinzunehmen, dies aber mit ei-
ner -nun nicht depressiven, sondern bitteren- Lebensfrustration
erkauft ist; auch das bedeutet sicher keine echte Todes-Reife.

 

- Gleichgültigkeit: Jemand mag allem gegenüber gleichgültig und
apathisch sein, somit ist ihm auch sein Tod egal. Eine solche Hal-
tung ist aber offensichtlich eine Abwehr. Sie kann vor allem ent-
stehen durch einen schweren Schock, einen "Todes-Schreck", der den
Betreffenden quasi in eine "Schreckstarre" versetzt, ihn körper-
lich und psychisch "lähmt"; oder durch eine systematische, z. B. as-
ketische, Ab-Tötung aller Gefühle und Willensregungen, auch des
Lebenswillens. Ein derart blockierter, "eingefrorener" Mensch ver-
mag dem Tod wohl "gelassen" zu begegnen, aber nur, weil er im Grunde
schon zu Lebzeiten (seelisch) "gestorben" ist.

 

- Gleichmut: Der Gleichmut ist schwer von der Gleichgültigkeit ab-
zugrenzen. Er wird -insbesondere im Buddhismus, aber auch im Stoi-
zismus- als Idealhaltung eines Menschen beschrieben, der -wie ein
unparteiischer Zeuge- einfach nichts bewertet und alles akzeptiert,
somit auch dem Tod gleichmütig-gelassen entgegensieht.

Selbst wenn eine solche Haltung ohne Verdrängung, z. B. durch be-

stimmte Meditation, erreichbar sein sollte, ist sie nicht, zwar

vielleicht übermenschlich, damit aber auch "unmenschlich"? Jeden-
falls werden durch eine generelle Gefühls-Transzendenz ("nichts
mehr hoffen, nichts mehr fürchten") auch Freude und Lust aufgelöst.

 

- Heitere Gelassenheit: Man könnte hier die These "omne ens est
bonum" ("jedes Seiende ist ein Gutes") des scholastischen Philo-
sophen ALBERTUS MAGNUS anführen. Alles Gegebene wird als richtig,
sinnvoll, wertvoll angesehen und mit heiterer Gelassenheit be-
grüßt, auch der Tod. Diese Haltung wird von manchen als höchste
(Todes-)Reife aufgefasst; bei KÜBLER-ROSS ist entsprechend "Zu-
stimmung" als letzte Phase eines "geglückten" Sterbens genannt.

Doch muss man bei einer solchen vollkommenen Existenzbejahung eben-
falls fragen, ob sie ohne Verdrängung negativer Gefühle verwirk-
licht werden kann. Zwar lässt sich mit dieser Haltung wohl zufrie-
den(er) leben und sterben; aber es wirkt schon einseitig und un-
kritisch, in dieser Weise das Leben und den Tod zu beschönigen,

es bedeutet ein Ausweichen vor realem Lebenselend und Todes-Elend.

 

Diese Formen der Gelassenheit gegenüber dem Tod dürften also,

obwohl (relativ) illusionslos, das Ziel einer völligen Reife ver-
fehlen. In Abgrenzung zu ihnen soll eine echte (Todes-)Gelassen-
heit postuliert werden, die folgende Eigenschaften vereinigt.

 

a ) Man hat eine grundsätzlich positive, wenn auch nicht unkritische
Lebenshaltung, man liebt die Welt und auch sich selbst; ein sol-
cher Mensch lebt "wach", kreativ, sich verwirklichend.

Dies zur Abgrenzung gegen chronische Depression oder Frustration
und Gleichgültigkeit aber auch Gleichmut als Lebenseinstellung.

Es ist leicht oder jedenfalls leichter, dem Tod gelassen zu begeg-
nen, wenn man nicht am Leben hängt und eher "unbewusst", fremdbe-
stimmt, phantasielos oder gar stumpf dahinlebt. Insofern wird die
Abwertung des Lebens hier zur Todes(-Angst)-Abwehr benutzt.

 

b) Man lehnt den Tod ab (dies folgt im Grunde schon aus a), jeden-
falls unter normalen Umständen. (vgl. d ) Und zwar begreift und
fühlt man das volle Ausmaß der Tragik des Lebensverlustes und des
eigenen Unterganges, die Begrenzung weiterer Entfaltung, die Nich-
tung der Freiheit. Dies insbesondere zur Abgrenzung gegen eine Hal-

tung der Todes-Beschönigung oder Todes-Versöhnung, bei der die Ge-
lassenheit durch eine Art "ldentifizierung mit dem Feind" erreicht
wird, was ebenfalls eine Abwehr bedeutet.

 

c) Die hier postulierte Haltung impliziert dagegen: Gelassenheit
gegenüber dem Tod, obwohl man ihn ablehnt und das Leben liebt.
Das macht die besondere Schwierigkeit und entsprechend Leistung
dieser Haltung aus.

Diese Gelassenheit schliesst nicht aus, dass man immer wieder auch
einmal Todes-Angst, Todes-Wut, Todes-Schmerz spürt, vor allem "Tod-
traurig" ist, aber man hat sich mit dem Tod abgefunden, behauptet
ihm gegenüber seinen "inneren Frieden".

Denn man lehnt den Tod zwar ab, wehrt ihn aber nicht ab, in der Er-
kenntnis, dass er nicht zu besiegen ist und Kampf oder Flucht vergeb-
lic h wären. Der Tod wird nicht eigentlich akzeptiert, angenommen,
aber hingenommen, gelassen lässt man ihn sein, überlässt sich ihm.

 

d) Dies schliesst natürlich mit ein, sich in einer konkreten Ge-
fahrensituation aktiv gegen den Tod zu wehren; oder sich durch ge-
sunde Lebensweise um eine Lebensverlängerung zu bemühen.

Und falls der Tod eines Tages weit hinausgeschoben oder gar aufge-
hoben werden kann, wird sich ein realistisch-gelassener Mensch

auf diese neue Todes-Realität einstellen.

Zur echten Todes-Gereiftheit gehört es umgekehrt aber auch, in
einer tatsächlich ausweglosen und unerträglichen Situation not-
falls den Frei-Tod zu wählen und dabei ebenfalls ohne Angst, Hass,
Verzweiflung, sondern mit Gelassenheit aus dem Leben zu scheiden.

 

e) Dass diese Haltung Verzicht auf illusionäre Todes-Hoffnungen und
-Deutungen erfordert, wurde ja schon dargelegt. Der realistisch
Todes-Gelassene tritt dem Tod gegenüber mit der Annahme, dass danach
wahrscheinlich "alles vorbei" ist. Auch wird er den Tod nicht sinn-
deutend zu entschärfen suchen, was nicht ausschließt, ihn doch als
natürliches Ende in einem allgemeinen Lebenskreislauf anzuerkennen.
Ebenso wurde schon ausgeführt, dass eine solche Haltung Todes-Verdrängung verbietet, vielmehr sich im Gegenteil durch eine permanente Todes-Gewissheit auszeichnet, die allerdings nicht ständig das Bewusstsein
ausfüllt, sondern unterschwellig bleibt, aber stets präsent ist. 

 

Diese Haltung realistischer Todes-Gelassenheit dürfte den ersten
Anspruch auf eine echte Todes-Reife besitzen; und da -wie anfangs
ausgeführt wurde- ein Mensch durch seine Todes-Haltung wesentlich
bestimmt wird, kann man entsprechend auf eine allgemeine psychi-
sche Reife bzw: eine Lebens-Reife schliessen.

 

Nur diese Haltung vereinigt eine realistische Todes-Sicht mit ei-
ner dennoch erlangten psychischen Stabilität und angemessenen
Lebensbejahung, welche drei Faktoren man als entscheidende
(Todes-)Reifekriterien auffassen könnte.

 

Ist aber eine solche Haltung überhaupt möglich? Oder bedeutet sie
eine Überforderung für den Menschen? Ist es eine Ideal-Haltung,
welche auch nur von einem Ideal-Menschen verwirklicht werden kann?
Einem Menschen, wie man ihn in der Realität nicht vorfindet und
wie er auch gar kein "richtiger" Mensch mehr wäre, sondern eine
Art Übermensch? Und ist von daher der Versuch, diese Ideal-Hal-
tung einzunehmen, ein übersteigertes, perfektionistisches und da-
mit gerade unreifes, ja neurotisches Unternehmen? Ein "narzissti-
scher Klimmzug", aus Unfähigkeit, sich mit den natürlichen mensch-
lichen Schwächen, Unvollkommenheiten, Widersprüchen abzufinden?

 

Diese denkbare, pointierte Gegenposition soll hier nicht vertre-
ten werden. Sondern es sei postuliert, dass die realistische Todes-
Gelassenheit selbst realisierbar ist, wenn auch sicher nicht für
jeden. Und ohne Zweifel erfordert diese Haltung einen langen Ent-
wicklungsprozess, und zwar gefühlsmäßiger und geistiger Art. Man
gelangt zu ihr sicher erst, nachdem man Todes-Angst und -Verzweif-
lung, Todes-Wut und -Protest, womöglich auch noch andere der be-
schriebenen Todes-Haltungen durchlaufen hat. Man muss sich dafür
schon frühzeitig im Leben in die "Kunst des Sterbens“ ("ars morian-
di") einüben, wie das früher einmal ganz verbreitet war.

 

Zum Schluss sei festgehalten: Für alle aufgeführten Todes-Haltun-
gen wurden bestimmte Argumente bzw. Vorzüge angegeben. Es sollten
und konnten hier nicht die verschiedenen Todes-Haltungen eindeutig
und abschließend beurteilt bzw. verurteilt werden, auch wenn die
realistische Todes-Gelassenheit hervorgehoben wurde. Ohnehin gibt
es keine Haltung, die eine totale Lösung im Sinne von Auflösung des
Todes-Problems erlaubt, der Tod ist nicht vollständig zu bewältigen.
Insofern "kann" keiner sterben - und doch "kann" jeder sterben.



17.01.19 Haltungen zum Tod (6):

Todes-Sehnsucht und Frei-Tod

Von den bisher beschriebenen Todes-Haltungen beinhalten Angst,
Verdrängung und Kampf eindeutig eine Ablehnung des Todes. Dage-
gen implizieren die Erwartung einer -womöglich besseren- jensei-
tigen Existenz und die Sinndeutung eine gewisse Wertschätzung

des Todes; diese reicht normalerweise doch nicht bis zu einer aus-
gesprochenen Todes-Sehnsucht oder gar bis zum Frei-Tod; Ausnah-
men wie die genannten Kamikaze-Todeskommandos bestätigen die Regel.

 
Hier soll jetzt aber eine Haltung analysiert werden, die durch
tiefe Todeswünsche bestimmt ist und bis zum Suizid führen kann.  

Die Sehnsucht nach dem Tod mag offen oder verdeckt, dem Menschen
bewusst oder unbewusst sein. Vielleicht verbirgt sie sich hinter
hinter todesmutigem Verhalten, hinter einer schweren Krankheit
oder einer Unfall-Anfälligkeit, wie auch manche -rätselhafte-
Unfälle als Suizide verstanden werden müssen. Möglicherweise
äußert sie sich durch eine Faszination für Dekadenz und Morbidi-
tät, als "Lust am Untergang", um nur einige Formen zu nennen.

 

Richtig ist, grundsätzlich zwei Arten von Todes-Sehnsucht zu un-
terscheiden: Bei der einen ist das Hauptmotiv "vom Leben weg".
Dies ist die Haltung eines Menschen, der vom Leben genug hat,
"lebensmüde" ist, (so) nicht mehr leben kann oder will, einfach
ein Ende des Lebens wünscht; es lässt sich allerdings anzweifeln,
ob das eine echte Todes-Sehnsucht ist.

 

Bei der andern Haltung ist das Hauptmotiv "zum Tod hin", der Tod
selbst wird erwünscht, nicht nur als Negation des Lebens. Im Ex-
trem wird das Leben nur als Umweg zum Tod begriffen, d. h., dass wir
leben, um zu sterben.

 

Diese zweite Art von Sehnen nach dem Tod ist aber im Grunde nur
denkbar, wenn man davon ausgeht, dass der Tod mehr bedeutet als

die Abwesenheit von Leben; denn ein reines Nichts lässt sich kaum
um seiner selbst willen ersehnen. Insofern kann diese Haltung na-
türlich schon mit der festen Erwartung eines -himmlischen- Lebens
nach dem Tod verbunden sein; oder auch mit einer extremen Sinndeu-
tung des Todes, wobei allerdings i. allg. dieser selbst nur indirekt
erstrebt wird, primär der durch ihn intendierte Sinn (z. B. Ruhm).

 

Ist dies nicht der Fall, so muss man annehmen, dass gar nicht der
wirkliche Tod erwünscht ist; sondern der Tod wird etwa -un(ter)be-
wusst- vorstellt als ein Zustand von Ausruhen, in Stille und Gebor-
genheit, einem tiefen Schlaf vergleichbar, wie es auch die Rede-
weise vom Schlaf als "kleinem Bruder des Todes" ausdrückt (vgl. HAHN).

 
Oder hinter einer Todes-Sehnsucht verbirgt sich -wie es vor allem
in einer Psychotherapie vorkommt- das Bedürfnis nach einem Wan-  

deI oder Neuanfang; man will "sterben", um neu "geboren" zu werden.

 

Kann Todes-Sehnsucht oder sogar der Frei-Tod eine reife Haltung
bzw. reifes Verhalten sein? Es sei zunächst auf die Motivation
"vom Leben weg" eingegangen, wenn eine strikte Trennung von der
Motivation "zum Tod hin" auch nicht möglich ist.

 

Einerseits ist es denkbar, dass jemand in hohem Alter, nach einem
befriedigenden und jetzt quasi vollendeten Leben, in dem er seine
wesentlichen Pläne und Wünsche alle verwirklicht hat, eine Art
natürlicher Todes-Sehnsucht verspürt. Andererseits gibt es viele
hochbetagte Menschen, die ihr Leben noch nicht als abgeschlossen
betrachten und es deswegen gerne fortführen wollen, wie z. B. Un-
tersuchungen des Gerontologen FRANKE von "Hundertjährigen" zeigen.

 

Am ehesten angemessen sind Todes-Wunsch und Suizid wohl, wenn ein
Mensch sich in einer hoffnungslosen Situation befindet, etwa bei
unheilbarer Krankheit, womöglich mit schlimmsten Schmerzen, als
Gefolterter oder (Kriegs-)Gefangener, bei unsagbarem Elend, vor
allem Hungersnot. Allerdings ist nicht jede Situation, die aus-
weglos erscheint, es auch tatsächlich; schon mancher totgesagte
Patient ist wieder genesen, dabei kann es für die Heilung sehr wich-
tig sein, den Lebenswillen nicht aufzugeben, wie bei den Ausfüh-
rungen über den Kampf gegen den Tod ja schon angemerkt wurde.

 

Und bei vielen Menschen aktiviert gerade eine akute Todesbedro-
hung Überlebensbedürfnis und -kräfte, auch wenn diese darniederlagen.

Allerdings ist ebenso vorstellbar, dass in einer unerträglichen Lage
der biologische Selbsterhaltungstrieb einfach "umkippt", zwar ab-
hängig, aber doch nicht determiniert vom psychischen Lebens- bzw.
Todes-Wunsch; so kann der Körper seine Abwehr gegen Schädigungen
(z. B. durch Krankheitserreger) einstellen oder sich sogar selbst

schädigen, wie bei den sog. Autoaggressions-Krankheiten.

 

Es scheint ein generelles Natur-"Interesse" zu geben, welches un-
seren menschlichen Vorstellungen durchaus zuwiderläuft, nur oder
vorwiegend gesunde und vitale Lebewesen zu erhalten, solche, die

für die biologische Gruppe und Art (noch) von Nutzen sind.

 

Im Buddhismus wird davon ausgegangen, nicht nur bestimmte Lebens-
situationen, sondern das Leben an sich bedeute Leiden; die Über-
windung des Leidens ist somit letztlich auch nur durch die Über-
windung des Lebens möglich, welche aber noch nicht der Tod garan-
tiert, sondern erst der Eintritt ins Nirwana.

 

Die buddhistische Negativ-Sicht des Lebens als Leiden bedeutet
aber doch eine missglückte Lebensanpassung. Sie kann allerdings da-
für sensibilisieren, dass Unsterblichkeit bzw. ein ewiger Kreislauf
von Wiedergeburten vielleicht auch eine Qual sind, nicht nur, wenn
man ein Sisyphos-Schicksal erleidet, sondern einfachdurch den Le-
benszwang, der zu unvorstellbarem Lebensüberdruss führen mag.

 

Die meisten Todes-Sehnsüchtigen machen sich aber wohl nicht wirk-
lich klar, dass der Tod (wahrscheinlich) das Ende jeglichen Seins
bedeutet, und zwar für alle Zeit. Erst recht gilt das bei Suizid-
"Kurzschlusshandlungen";  Suizid-Versuche zielen ja ohnehin oft nicht
real auf den Tod, sondern haben die Funktion eines Hilferufs.

 

In diesem Zusammenhang sei auf eine häufige Absurdität beim Frei-
Tod hingewiesen. Ein Frei-Tod wird vorwiegend dann vollzogen, wenn
die psychische Identität in unerträglicher Weise bedroht ist und
kein anderer Ausweg mehr möglich erscheint. D. h. also, ein Mensch
tötet sich, gerade um sein Selbst vor der Zerstörung zu bewahren;
eine ähnliche Dynamik liegt wohl manchen Psychosen zugrunde.

Nur da der Mensch durch den körperlichen Tod (sehr wahrschein-

lich) auch psychisch stirbt, eine "Selbst-Tötung" vollzieht, ist
diese "Rettung" eben absurd.

 

Eine Lebensbelastung, die den Tod -als Erlösung- herbeisehnen
lässt, kann weitgehend objektiv begründet sein, z. B. schwere Krank-
heit, aber auch mehr subjektiver Natur sein, abhängig von be-
stimmten psychischen Instabilitäten. So ist z. B. der relativ häu-
fige Suizid-Versuch bei Liebeskummer, nach Partnertrennung,
Ausdruck einer Ich-Schwäche bzw. einer symbiotischen Beziehung

zum Partner, so dass mit dessen Verlust ein "Ich-Verlust" droht.
Auch der Suizid-Versuch infolge massiver "narzisstischer Krän-
kung" -auf der Basis einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur-
ist hier zu nennen.

 

Es kann aber auch gerade der Tod selbst die narzisstische Kränkung
ausmachen, gegen die man sich -paradoxerweise- durch den Frei-Tod
zur Wehr setzt. Ein verwandter Prozess liegt vor, wenn jemand, ge-
rade weil er seine womöglich panische Todes-Angst nicht länger

aushalten kann oder will, in den Tod flüchtet.

 

Hier zeigt sich par excellence eine auch sonst häufiger vorkom-
mende Todes-Ambivalenz; der Tod ist zugleich Feind, wie der
"Sensenmann", und Freund, wie der "Gevatter Tod " aus dem Märchen.

 

Allerdings mag der Tod auch und erst recht für ein starkes, gesun-
des Ich eine Herausforderung bedeuten, nämlich durch die "Fremd-
bestimmung", die ihm dadurch auferlegt wird. Wie der (überpoin-
tierte) Satz "ich muss nichts -außer sterben" ausdrückt, ist der
Tod die wesentlichste Einschränkung, ja Nichtung menschlicher
Freiheit. "Sterben" ist zwar grammatikalisch ein aktives Wort,
tatsächlich haben wir das Sterben aber passiv zu erleiden, wir
"werden gestorben"; oder -wenn man so will-: Jedes Sterben impli-
ziert gewissermaßen eine Tötung, durch den Tod als Täter.

 

Von daher mag es durchaus begründbar sein, den Tod "in die eigenen
Hände zu nehmen". Man kann den Tod zwar so nicht beseitigen, aber
er wird in die eigene Verfügbarkeit gegeben; der Mensch kann selbst
entscheiden, wann und wie er stirbt, die Ungewissheit der Todes-
Stunde und Todes-Art wird aufgehoben. Entsprechend haben Befür-

worter des Frei-Todes wie AMERY ("Hand an sich legen") die Frei-

heit, sich zu töten, geradezu als elementarste menschliche Frei-
heit bestimmt. Zwar bedeutet auch ein solchermaßen begründeter
Suizid einen Kampf gegen den Tod durch den Tod; aber ihm kann doch
-im Gegensatz zur oben beschriebenen paradoxen Selbst-Tötung zur
Selbst-Rettung- eine Form von Reife nicht abgesprochen werden.

 

Kurz soll hier nur darauf hingewiesen werden, dass der Suizid auch
durch schwere Schuldgefühle, Selbstbestrafungsbedürfnisse, auto-
aggressive Impulse (hinter denen allerdings verdrängte Aggressio-
nen gegen andere stehen können) auslösbar ist; hier liegen eindeu-
tig krankhafte Selbstmord-Ursachen vor.

 

Im Folgenden soll die Todes-Sehnsucht behandelt werden, die (primär
durch ein "zum Tod hin" (anstatt "vom Leben weg") motiviert ist.


FREUD postulierte, dass es neben den Lebenstrieben auch einen ei-
genständigen Todes-Trieb ("Thanatos“) gäbe, der nach Selbstdestruk-
tion bzw. Rückkehr in den anorganischen Zustand strebe; zurück in
den "Schoss der Natur", von woher wir gekommen sind (vgl. auch:"Aus
Staub bist du geworden, zu Staub sollst du werden."). Diese Kon-
zeption wurde aber selbst von FREUDS Anhängern kaum übernommen.

 

Das buddhistische Ziel des Nirwana -als endgültiger Tod- wird von
manchen als absolute Leere interpretiert. Wie aber schon oben an-
gemerkt, lässt sich ein reines Nicht-Sein wohl kaum ersehnen. Ein
Wunsch danach müsste deshalb vielleicht durch den Abwehrmechanis-
mus der Reaktionsbildung (FREUD) erklärt werden, d.h. man wehrt die
Angst vor dem Tod ab, indem man sie in die Angst, nicht -endgültig-
sterben zu können, umkehrt.

 

Realistischer scheint es, das Nirwana als Symbolisierung der prä-
natalen (vorgeburtlichen) Phase aufzufassen, wie generell eine Pa-
rallele zwischen Tod und embryonaler Existenz besteht. Sterben zu
wollen kann ein regressives Bedürfnis sein, nach Rückkehr in den
Mutterleib, in die Zeit der Symbiose,. als man noch kein eigenes
Ich und Bewusstsein besaß. Man will sein eigenständiges, bewusstes
Selbst aufgeben, somit "psychisch sterben", um wieder -befreit

von der "Last" der Individualität- als Teil eines größeren Orga-
nismus unbewusst zu leben, optimal versorgt und befriedigt, nahezu
ohne Konflikte, ohne Alleinsein, ohne Verantwortung und Entschei-
dungszwang -wie vor der "Vertreibung aus dem Paradies".

 

Wenn ein solches Bedürfnis auch verständlich ist, so bleibt es
doch ein Fluchtbedürfnis. Es gehört wohl zur psychischen Reife zu
akzeptieren, dass man ein selbstverantwortliches Individuum ist,
welches zwar enge Bindungen zur Welt und den Mitmenschen eingehen
kann, zwar auch immer wieder "Vereinigungen“ erfahren mag, in der
Meditation, beim Orgasmus u.ä., aber doch nicht symbiotisch in
einem Ganzen aufgeht. Insofern ist auch die Postulierung einer
Reifung durch Ich-Transzendenz (wie etwa bei BHAGWAN) fragwürdig.

 

Wenn also auch der Wunsch nach völliger Ich-Überschreitung oder

gar Ich-Tötung bedenklich erscheint, so kann andererseits die
Todes-Sehnsucht -in einer Therapie- auch ein Heilungszeichen sein.

Denn Sterbenswünsche sind oft im Grunde Lebenswünsche. Wie der
Spruch "Stirb und werde" ausdrückt, muss man -ein Stück weit- "ster-
ben", um "wiedergeboren" zu werden. Somit besteht eine enge Ver-
bindung von "Tod" und "Geburt"; es geht hier natürlich um "psychi-
schen Tod" und "psychische Geburt". Konkret: Unser "falsches"
Selbst (nicht unser ganzes Selbst!) muss sterben, damit unser wah-
res Selbst wieder leben kann (vgl. die entsprechenden Ausführungen
über Todes-Angst). Todes-Sehnsucht mag aber auch bedeuten, dass

man das Trauma/die Traumata der Abtötung des realen Selbst wie-
derzuerleben sucht, um sie so aufzulösen , ebenfalls ein wichtiger

Prozess in der Therapie.




07.01.19 Haltungen zum Tod (5): Sinndeutung des Todes


Eine andere, früher weit verbreitete, aber auch heute noch wich-
tige Haltung gegenüber dem Tod ist die Sinndeutung, d. h., man
postuliert, das Sterben und Tod einen Sinn für den Menschen be-
sitzen, dass dadurch ein Ziel erreicht, ein Zweck erfüllt wird.


Diese Haltung bedeutet eine Reaktion auf die anscheinende absur-
de Sinnlosigkeit des Todes, erst recht eines zufälligen, vor-
zeitigen Todes, z. B. durch Unfall oder Verbrechen.

 

Der Tod stellt eine radikale Sinnfrage. Zum einen hinsichtlich
seiner selbst, ob er nämlich nicht einfach nur einen Abbruch des
Lebens bedeutet, ohne dass damit irgendein Positivum realisiert
würde. Zum zweiten bedroht der Tod aber auch darüber hinaus den
Sinn des Lebens selbst: Generell kann man bezweifeln, ob das Le-
ben -durch den Tod begrenzt- überhaupt sinnvoll zu sein vermag.

Auf jeden Fall würde aber ein sinnloser Tod -also ein sinnloser
Lebensabschluss- auch den möglichen Lebenssinn entwerten.

 

Um diese doppelte Sinnfrage positiv zu beantworten, versucht
man, einen Todes-Sinn aufzuweisen, häufig -aber nicht zwangsläu-
fig- unter Bezug auf ein (erwartetes) Leben nach dem Tod.

 

Die Sinndeutung des Todes kann einmal ganz allgemein -für den Tod
an sich- vollzogen werden: als Heimkehr, insbesondere Heimkehr

zu Gott, als Aufgehen im All-Einem; als Erlösung vom leidvollen,
irdischen Dasein, als ewige Ruhe, ewiger Frieden; als Vollendung
oder gar Endziel des Lebens; als Reifungs-Aufgabe im Leben, aber
auch als (gerechte) Strafe für die Sündigkeit des Menschen; als
biologische, vielleicht auch gesellschaftliche Notwendigkeit, als
Einordnung in einen natürlichen, naturgesetzlichen Kreislauf von
Werden und Vergehen (vgl. u.a. FUCHS, HAHN, KÜNG).

 

Spezielle Todes-Situationen erlauben darüber hinaus spezielle Sinn-
deutungen:  Z. B. wenn ein Tod-Kranker im Tod den Befreier von sei-
nem Leiden sieht. Oder wenn jemand -nach dem Tod eines geliebten
Angehörigen- in seinem eigenen Tod die Möglichkeit sieht, mit dem
Verstorbenen wieder vereint zu sein.

 

Besonders spielen solche speziellen Sinndeutungen aber eine Rolle

bei einer Art "Opfer-Tod". Dabei kann es sein, dass der Betreffen-
de nur zufällig bei/in Erfüllung einer Aufgabe stirbt, häufig ris-
kiert er aber bewusst den Tod, tut etwas "unter Einsatz seines Le-
bens" oder opfert gar willentlich sein Leben. Es geht hier um
Fälle wie: Retter-Tod (jemand rettet andere bzw. versucht es, un-
ter Verlust des eigenen Lebens), sog. Helden- oder Kriegs-Tod (der
"Tod fürs Vaterland"), Märtyrer-Tod (jemand opfert sein Leben für
seinen Glauben oder seine Ideen), Ehren-Tod (man setzt sein Leben
ein, um z. B. im Duell seine Ehre wiederherzustellen).

 

Das Entscheidende dabei ist: Man stirbt nicht umsonst, der Tod
hat einen Sinn. Und jedenfalls für den Opfer-Tod gilt: Der Sinn
des Todes garantiert auch -nachträglich- den Sinn des eigenen Le-
bens, man hat auch nicht umsonst gelebt. Wenn sich anders dem Le-
ben kein Sinn abgewinnen lässt, für den sich Opfernden wird sein
Leben im Sterben bzw. durch das Sterben doch noch sinnvoll.

 
Allerdings realisiert sich der Sinn eines solchen Todes zuweilen
auch nur für die Angehörigen, für andere oder die Gesellschaft.
Weil nämlich der In-den-Tod-Gehende nur zufällig zum "Helden"
o.ä. wird und stirbt, ohne seinen Tod noch sinndeuten zu können;
oder weil sein Tod eben nur für andere "Sinn macht", für ihn
selbst aber nicht.   

Sicher gilt, dass eine Sinndeutung des Todes -ebenso wie die Er-
wartung eines ewigen Lebens- die Annahme des Todes sehr erleich-
tert, auch falls damit keine solche Erwartung verbunden ist.

 

Wenn man davon ausgeht, dass durch den Tod ein -anderer- Wert er-
füllt wird, der dem des Lebens vielleicht ebenbürtig oder gar über-
legen ist, so mag man gelassen sterben. Ja, die Sinngebung kann
bis zur Todes-Verklärung reichen, mit der Folge einer Todes-Sehn-
sucht, auf die im nächsten Punkt gesondert eingegangen wird.

 

Ist eine solche Haltung zum Tod angemessen? Zeigt sie Reife?
Sicherlich lässt sich biologisch dem (Individual-) Tod ein gewisser
Sinn zusprechen. Denn wenn Lebewesen nicht altern und schließlich
sterben würden, ergäbe sich infolge der Geburt von Nachkommen eine
ständig steigende Überbevölkerung, die jegliche Arterhaltung
bedrohen könnte; hätten die Lebewesen aber keine Nachkommen-

schaft mehr, so wäre die Evolution des Lebens gestoppt.


Entsprechend würden gesellschaftlich wohl unlösbare Probleme auf-
treten; dies auch schon, wenn sich der Tod sehr herauszögern lies-
se, ohne dass den alten Menschen Gesundheit und Arbeitskraft er-
halten bliebe  -wie sollte eine Gesellschaft deren Leben bezahlen?
Und in bestimmten Fällen mag auch ein Opfer-Tod sinnvoll sein,
z. B. wenn sich einer opfert, um damit viele Menschen zu retten.

 

Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Sinn-
deutung des Todes im Wesentlichen eine Abwehr-Haltung bedeutet,
eine Art Rationalisierung. Man versucht so, sich der bedrohlichen,
chaotischen Absurdität des Todes entgegenzustemmen.

 

Kann es einen wirklichen Sinn des Todes geben? Gilt nicht viel-
mehr, dass wie schon das Leben keinen Sinn außerhalb von sich
besitzt, so erst recht der Tod? Bzw. der "Sinn" des Lebens das Le-
ben selbst und der "Sinn" des Todes der Tod selbst ist?

Und wenn der Tod eines Menschen auch für andere sinnvoll sein kann,
für diesen Menschen selbst bedeutet sein Tod doch notwendig das
Ende jeglichen Sinnes, falls man nicht ein Leben "danach" annimmt.

 

Nun lässt sich auch hier wieder argumentieren: Warum soll man nicht
in eine Todes-Sinngebung flüchten, wenn sich dort Tröstung finden
lässt? Zählt dies nicht vielleicht mehr als der (Reifungs-) Wert
einer illusionslosen Todes-Sicht? Und ist der Mensch nicht einfach
auf Sinn angewiesen, ist Sinndeutung nicht ein unverzichtbares
Grundbedürfnis, wie FRANKL, der Begründer der Logotherapie, meint.

 

Aber es gilt Gefahren dieser Haltung zu bedenken. Man mag sein Le-
ben für einen -auch nur vermeintlichen- Sinn opfern, ungedenk, dass
sich in den Tod Ehre und Ruhm eben so wenig wie Besitz mitnehmen
lässt. Vor allem besteht die Gefahr, dass (unreife) Menschen von
anderen manipuliert und ausgenützt werden. Wie viele sind -als
Soldaten- mit Sprüchen wie "der Einzelne lebt in seinem Volk wei-
ter" in den Tod geschickt worden, angeblich fürs Vaterland, für
den Glauben oder die Freiheit, tatsächlich meistens für eine ver-
brecherische Machtpolitik. Ein extremes Beispiel hierfür sind die
Kamikaze, die "Todes-Flieger", die sich selbst umbrachten, um da-
durch viele Feinde auf einmal zu töten.


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27.12.18 Haltungen zum Tod (4): Erwartung einer Existenz nach dem Tod


Der Glaube an irgendeine Form der Existenz nach dem Tod ist bzw.
war in nahezu allen Kulturen und Religionen verbreitet (worauf
hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann). Es überwiegen
Vorstellungen vom Überleben der individuellen Seele oder eines
höheren, transpersonalen Selbst, welches in einem Gott, einer
Weltseele, einem Urgrund o.ä. aufgeh, z.B. im Taoismus.

 

Im Hinduismus und Buddhismus wurde die spezielle Auffassung einer

Reinkarnation, einer Wiederverkörperung bzw. Seelenwanderung, ent-
wickelt. Im Christentum wird einerseits die "Unsterblichkeit der
Seele" gelehrt, zum andern aber darüber hinaus eine "Auferstehung"
bzw. "Auferweckung" versprochen, so dass auch der Körper überlebt.

 

Neben den Religionen gab und gibt es allmögliche Formen des Volks-
und Aberglaubens über das "Totenreich" und über "lebende Tote".

So der Gespensterglaube, nach dem unerlöste Seelen von Verstor-
benen durch unsere Welt geistern. Oder der Glaube an Vampire,
Zombies oder an verschiedenste Arten von Geistern, die -meistens
als "böse Geister", Dämonen- ihr Unwesen treiben, am liebsten

zur "Geisterstunde" um 12 Uhr nachts. Aber auch spiritistische,

okkultistische oder magische Praktiken der "Geisterbeschwörung"

sind hier zu nennen.

 

Seit der Aufklärung, im Zuge der Säkularisierung und durch fort-
schreitende wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. Verwissenschaft-
lichung von Kultur und Gesellschaft, hat der Glaube an ein Leben
nach dem Tod in der hochentwickelten, "zivilisierten" Welt bis
heute ständig weiter abgenommen (vgl. SMART).

 

In den letzten Jahren ist hier aber eine starke Gegenströmung zu
konstatieren. Es zeigt sich eine neue Erwartung eines "Überlebens
des Todes" und es werden neue Argumente dafür angeführt; dabei
lassen sich vor allem zwei Richtungen unterscheiden.

Zum einen wird gerade aus der wissenschaftlichen Ecke für eine
nach-todliche Existenz Position bezogen; allerdings geht es vor-
wiegend um Ansätze aus dem Grenzbereich von Wissenschaft, z.T.
auch pseudowissenschaftlicher Natur.

 

Im Einzelnen seien genannt:

 

- Medizinisch-psychologische Ansätze, insbesondere die Untersu-
chungen MOODY'S (und vieler Nachfolger) von Menschen, die für
kurze Zeit klinisch "tot" waren und dann "wiederbelebt" wurden.
Diese Menschen 'berichten von ihrem Sterben als einem beglücken-
den Übergang in eine andere, jenseitige Welt.

 

- Parapsychologische Ansätze: Danach wird aus sog. Psi-Phänomenen,
vor allem "außerkörperlichen Erfahrungen", bei denen sich der
Mensch als von seinem Körper getrennt erlebt, der Schluss gezogen:
wenn die Seele schon zu Lebzeiten außerhalb des Körpers existie-

ren kann, so vermag sie das auch nach dem Tod (vgl. RYZL).

 

- (Hyper-)Physikalische Ansätze: Diese laufen darauf hinaus, im
Rückgriff auf die Relativitätstheorie jegliche Zeit zu relativie-
ren; so gilt auch der Todeszeitpunkt nur in Relation zu einem be-
stimmten Bezugssystem. Spekulativer noch ist die Annahme eines
5-dimensionalen Hyperraums, in dem Raum und Zeit aufgehoben sind,
wo das Bewusstsein des Menschen -als eine Form höherdimensionaler
Informations-Energie- ewige Existenz besitzt (vgl. STEINHÄUSER).

 

Zum andern wird von anti- bzw. ausser-wissenschaftlicher Seite
heute wieder der Glaube an ein Leben nach dem Tod genährt.
Das Stichwort hier heißt "Trans personale Psychologie".

Im Zuge einer Renaissance östlicher sowie indianischer Philoso-
phie und Religion versucht man -in allmöglichen Selbsterfahrungs-
gruppen und Therapien- durch meditative Versenkung, Mystik,
oder schamanistische Rituale in Kontakt mit einem jenseitigen Sein
zu gelangen, den "Tod" -schon als Lebender- zu erfahren.

 

Im Mittelpunkt steht dabei die Idee der Reinkarnation, wie sie
sie auch von dem -in der westlichen "Psychoszene" ja sehr ein-
flussreichen- indischen Guru BHAGWAN vertreten wird.

Inzwischen ist eine Unzahl von Büchern über das bzw. die "Leben
vor dem Leben" erschienen, in denen meistens berichtet wird, wie
Menschen durch hypnotische Rückführung ihre früheren Inkarnatio-
nen "wiedererleben" (z.B. ALLGEIER: "Du hast schon einmal gelebt").

 

Selbstverständlich bedeutet das Glauben an ein Weiterleben nach
dem Tod eine erhebliche Entschärfung der Todesproblematik. Zwar

mag ggf. eine Angst vor göttlichen Prüfungen und Strafen oder we-
gen der Unbekanntheit des Jenseits bestehen bleiben, die Grund-
angst vor einer endgültigen Auslöschung der eigenen Existenz -die
eigentliche Todes-Angst- wird aber so gemildert oder gar aufgehoben.


Allerdings ist für manche Weltanschauung, insbesondere den Buddhis-
mus, gerade umgekehrt das Fortleben über den Tod hinaus, der Kreis-
lauf der Wiedergeburten, die Bürde des Daseins; ob aber hier -mit
dem Nirwana- wirklich eine vollkommene Negation des Bewusst-Seins
erstrebt wird, das soll an späterer Stelle diskutiert werden.

 

Auch wenn die Todes-Angst -in Erwartung eines ewigen Lebens- über-
wunden werden kann, mag dennoch die Furcht vor dem Sterben weiter-
bestehen. Aber diese lässt sich wohl gut durch die Beschreibung von
"schönen Sterbeerlebnissen" -wie bei MOODY- bekämpfen.

 

Insgesamt ist die Überzeugung von einer Existenz nach dem Tod si-
cherlich hilfreich, um sich leichter und besser mit ihm abzufin-
den. Insofern überrascht es auch nicht, dass sehr gläubige Men-
schen oft Tod und Sterben voller Gelassenheit gegenüberstehen.

 

Wie ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod hinsichtlich psychi-
schet Reife zu beurteilen?

Es bleibt unbestreitbar, dass nach heutigem wissenschaftlichen
Stand irgendeine Existenz jenseits des Todes sehr unwahrscheinlich
ist. Vor allem, weil die Abhängigkeit der Psyche und des Geistes
von einem funktionierenden Körper und Gehirn sehr eng, wenn nicht
absolut sein dürfte, wie sich ständig -tragisch- bei Schädigungen
besonders des Gehirns durch Krankheit, Unfall, Alterung etc. zeigt.
Diese Erkenntnis können auch die bekannten Wissenschaftler ECCLES
und POPPER ("Das Ich und sein Gehirn") nicht erschüttern.

 

Zwar wird die herkömmliche Wissenschaft von Verfechtern der "Über-
lebens"-Hypothese gerne als materialistisch abgewertet und ihr
vorgeworfen, mit ihren Methoden könne sie immaterielle Entitäten
gar nicht erfassen. In dieser Kritik treffen sich Befürworter ei-
ner neuen Hyper- oder Parawissenschaft mit Vertretern der anti-
wissenschaftlich orientierten Transpersonalen Psychologie.

 

Aber bedeutet die Postulierung einer Unabhängigkeit des Immate-
riellen vom Materiellen wirklich einen Fortschritt? Liegt hier

nicht eher ein Rückfall vor in das CARTESIANISCHE Denken, wonach
Leib und Seele strikt voneinander getrennt seien? Hat sich nicht
die Erkenntnis von der Ganzheit von Psyche und Physis, der psycho-
physischen Einheit des Menschen, mühsam gerade erst durchgesetzt?


Und wenn auch die Kritik an einem zu engen Realitäts- bzw. Ratio-
nalitätsbegriff der Wissenschaft berechtigt sein mag, so ist doch
ein Rückschritt zu neuer Irrationalität und Aberglauben zu vermeiden.

Meditative Erfahrungen, mystische Erlebnisse, religiöse Offenba-
rungen etc., auf welche die Transpersonale Psychologie und verwand-
te Richtungen setzen, mögen eine hohe subjektive Evidenz besitzen,
können aber nicht als objektiver (intersubjektiver) Beweis für ei-
ne postmortale Existenz dienen.

 

Zwar gibt es beeindruckende Berichte, etwa wie Menschen unter hypnoti-

tischer Rückführung ein "früheres Leben" erstaunlich realistisch beschreiben.

Aber als Erklärung ist hier doch (Auto-)Suggestion wahrscheinli-
cher. Es muss jedoch auch an die Möglichkeit von (Trick-)Betrug ge-
dacht werden, wie er für manche spiritistische "Medien" nachgewie-
sen wurde. Andere Schilderungen lassen psychotische Halluzinatio-
nen vermuten, u. U. erst durch bestimmte Trancetechniken ausgelöst.

 

Es gibt offensichtlich bisher keinen Menschen, der -exakt bewie-
sen -zu Lebzeiten das Jenseits besucht hat, z. B. als "Astralreisender",
oder nach seinem Tod von dort zurückgekommen ist.

Die Menschen, von denen bei MOODY und in entsprechenden Büchern
zu lesen ist, waren eben nicht wirklich -irreversibel- tot; sie
hatten keine Todes-Erlebnisse, sondern Sterbe-Erlebnisse bzw.
Sterbe-Phantasien, die sich biochemisch erklären lassen, durch
Sauerstoffmangel des Gehirns, Überschuss an Endorphinen u.a.

 

Des weiteren muss skeptisch stimmen, dass die "Berichte aus dem Jen-
seits" -trotz eindrucksvoller Übereinstimmungen- insgesamt doch
sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich ausfallen, wenn man eine
Vielzahl aus verschiedenen Kulturen, Religionen, Zeiten heranzieht.

Nur kurz sei angemerkt, dass auch Begründungen der Unsterblichkeit aus
der "praktischen Vernunft" wie bei KANT oder aus der Gerechtigkeits-
idee wie jüngst bei KÜNG nicht überzeugen. Sie sind besonders an-
thropozentristisch, wie es aber generell für den Jenseitsglauben gilt.

Auch wenn man ein Überleben des Todes annimmt, so kommt es doch
sehr auf die Form des Überlebens an, inwieweit dadurch wirklich
eine Lösung der Todes-Problematik gegeben ist. Die Grundfrage dabei
lautet, ob und in welchem Ausmaß unsere Identität erhalten bleibt.

Gehört nicht auch der Körper wesentlich zu unserer Individuali-
tät? Bedeutet also nicht nur ein körperliches Weiterleben eine
echte "Selbsterhaltung"? Und wenn allein die Seele unsterblich ist,
so muss man doch zumindest auf ein Fortleben des personalen
Selbst, des Ichs, setzen; denn was nützt eigentlich ein ewiges
transpersonales oder kollektives Selbst gegen die Angst vor Aus-
löschung der eigenen Persönlichkeit? Im Buddhismus spricht man
zwar von einer "Illusion des Ich" (WATTS); aber auch wenn das Ich
nur illusorisch sein sollte, wir haben eben Angst vor seinem Tod.

 

Auf jeden Fall ist der Abwehrcharakter des Jenseitsglaubens unver-
kennbar. Es ist die Angst vor dem Tod bzw. der Wunsch nach einem
Weiterleben, die diesen Glauben im Wesentlichen bedingen.

Insofern beinhaltet auch die beschriebene neue Offenheit gegenüber
dem Tod keine reale Todes-Reife, da sie nämlich -weitgehend ver-
bunden mit der Jenseitsidee- zugleich neuen Irrationalismus bedeutet.

 
Nun kann man auch hier wieder fragen: Warum soll der Mensch denn
nicht an eine Fortexistenz nach dem Tode glauben, wenn ihm dies
das Leben und Sterben so erleichtert? Zählt dies nicht viel mehr
als das karge Verstandesargument, dass dieser Glaube kaum reali-
stisch ist? Vielleicht sind die glücklich zu schätzen, denen es

gelingt, unbeirrbar auf ein ewiges Leben zu vertrauen.

 

Es besteht dabei jedoch die Gefahr, das Leben vor dem Tod zugun-
sten eines Leben nach dem Tod zu vernachlässigen, ja sogar das
Diesseits als "irdisches Jammertal" abzuwerten und zu missachten.
Die Hoffnung auf das "Später" mag manchem auch als Sntschuldigung
dienen, warum er sich nicht hier und jetzt für eine (Selbst-)Ver-
wirklichung engagiert; das "wahre Leben" wird auf die Zukunft ver-
schoben, man nutzt seine Zeit nicht, in der Annahme, eine Ewigkeit
zur Verfügung zu haben. Auch lassen sich Menschen durch Jenseits-
vertröstungen ausnutzen und zu falscher Duldsamkeit manipulieren.

All diese Menschen sind womöglich Verratene - ohne es je zu erfahren.
Doch auch unabhängig davon: Zur höher en Todes-Reife gehört wohl
schon, dem "Danach" illusionslos zu begegnen.



 

 

 

18.12.18 Haltungen zum Tod (3):

Kampf gegen den Tod


Es gibt Menschen, die nicht in der Todes-Angst verharren, aber

den Tod nicht verdrängen wollen und sich auch nicht mit ihm ab-
finden können. Sie begreifen den Tod als eine existenzielle He-
rausforderung und sagen ihm den Kampf an; an die Stelle von To-
des-Angst tritt bei ihnen oft eher Todes-Zorn, ein Zorn auf den
Tod als unzumutbare Bürde oder gar "Skandal" des Lebens.
Exemplarisch wurde diese Haltung von dem französischen Existentia-
listen CAMUS vertreten und beschrieben: Der Tod ist absurd, und
man hat ständig gegen ihn zu revoltieren, auch wenn es vergeblich

ist.

Eine Kampf-Haltung findet sich auch bei manchen modernen Geronto-
logen (Alternsforschern), welche nach Methoden suchen, die -schließ-
lich zum Tode führenden- Alterungsprozesse zu hemmen oder sie
sogar zu stoppen. Einige setzen tatsächlich auf einen "Sieg über
den Tod", so der Titel eines Buches von SILVERSTEIN über Alterns-
forschung; d.h., sie halten es für möglich, den Tod (jedenfalls
durch Alterung) in absehbarer Zukunft völlig auszuschalten.


Besonders bekannt geworden ist das Projekt des Einfrierens, um
später -bei fortgeschrittener medizinischer Technik- wieder auf-
getaut und geheilt zu werden, das ETTINGER in einem Buch mit dem
bezeichnenden Titel "Aussicht auf Unsterblichkeit???" beschreibt.

 

Die heutigen Wissenschaftler führen gewissermaßen eine Tradition
fort, die seit Urzeiten besteht: Nämlich dass Menschen auf der
Suche sind nach einem -ewiges Leben schenkenden- Lebenselixier,
Lebenskraut, Jungbrunnen, Wasser des Lebens oder Baum des
Lebens, wovon viele Mythen, Märchen oder Sagen berichten.
Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist wohl so alt wie die Mensch-
heit selbst (vgl. MANN).

 

So mag nicht verwundern, dass auch in unserer heutigen Gesellschaft
der Kampf gegen den Tod -allerdings in einer durch die Verdrän-
gungs-Haltung abgeschwächten Form- generell verbreitet ist.

Die enorme " Aufrüstung" unserer Medizin bzw. des gesamten Gesund-
heitswesens zeigt das an; speziell auch die Bemühungen von Ärzten,

einen Todkranken, ja sterbenden Patienten um jeden Preis am Le-
ben zu halten.

 

Aber auch die gesamte Bewegung des "gesunden Lebens", für Fit-
ness bzw. gegen Krankheit, für Jugendlichkeit bzw. gegen             ,

Alter, die unzähligen Diät- und Sportprogramme (z.B. Jogging,

Trimming, Aerobic) sowie viel genutzte Angebote einer besonderen
"Verjüngungs-Medizin" (von allmöglichen Medikamenten, sog. Geria-
trika, bis hin zu Frischzellenkur, Hormonbehandlungen u.a.) müs-
sen im Kontext eine Kampfes gegen den Tod gesehen werden.

 

Unauffälligere Farmen, die eigene Vergänglichkeit-indirekt- zu
überwinden, sind: sich in seinen Kindern zu "verewigen", durch
Berühmtheit, Ruhm zu "überleben" oder in eigenen Büchern, Kunst-
werken etc. zu "überdauern".

 

Es gibt allerdings auch Gegentendenzen und Gegenstimmen: Menschen,
die keine Lebensverlängerung erhoffen (oder allenfalls bei garan-
tierter Gesundheit) und die Unsterblichkeit -selbst bei ewiger
Jugend- erschreckend finden; darauf wird an späterer Stelle nach
eingegangen werden.

 

Wie ist die Kampf-Haltung gegen den Tod hinsichtlich psychischer
Reife zu beurteilen? Man mag von Abwehr sprechen, von der Haltung
desjenigen, der die eigene Sterblichkeit nicht hinnehmen kann oder
will.

 

Dabei lässt sich eine Parallele ziehen zur Verdrängungs-Hal-
tung: In der Verdrängung versucht man den Tod innerlich, im Be-
wusstsein zu "töten" (flüchtet allerdings auch vor ihm), in der
Kampf-Haltung will man den Tod äußerlich, real besiegen.

 

Dabei führt der Kampf u.U. zu deutlich symptomhaften Verhaltens-
weisen: Z. B. wenn jemand -als "Gesundheitsapostel "- eine derartige
Askese betreibt, dass ihm -durch "Abtötung" des Körpers- wichtige
Lebensgenüsse, die das Leben erst lebenswert machen, versagt blei-
ben.

 

Oder dass jemand wie unter Zwang arbeitet -von einem Zeitfa-
natismus gehetzt-,um der Vergänglichkeit ein möglichst großes

Werk entgegenzusetzen. Umgekehrt leben andere übertrieben im
"Hier-und-Jetzt", da für sie -angesichts des stets drohenden To-
des- nur sofortige Befriedigung zählt. "Todes-Kampf" führt so aber
auch zu lebensgefährlichen und somit "todesverachtenden“
Aktivitäten, sicher ebenfalls ein dysfunktionales Verhalten.

 

Man kann auch insofern von Unreife sprechen, als der Kampf gegen
den unbesiegbaren Tod zwar vielleicht heroisch, aber doch unreali-
stisch ist. Überhaupt mag der Todes-Zorn nur zur Abwehr von Todes-
Angst dienen und bleibt aber genauso ohnmächtig, verzweifelt.

 

Auch KÜBLER-ROSS sieht im Zorn -als zweiter Sterbe-Phase- keine Lösung.

Wut und Hass auf den Tod lassen sich auch als narzisstischer Zorn
auffassen. Die Endlichkeit des Lebens -als Begrenzung, Einschrän-
kung- kann als "narzisstische Kränkung" erlebt werden. In seiner
Selbstüberschätzung meint der Narziss, ihm gebühre Unsterblichkeit.


Entsprechend wären bestimmte "Überlebens"-Projekte als narzisstisch
zu diagnostizieren, besonders das, noch unrealisierbare, Klonen,

d., h. die "Züchtung" eines Gen-identischen Nachkommens (Doppelgänger).
Vor allem beschuldigt man Wissenschaftler, die den Tod -als ana-
chronistisches Relikt- gänzlich abschaffen wollen, in narzissti-
schem Größenwahn in die Natur einzugreifen oder gar (einem) Gott
ins Handwerk zu pfuschen.

 

Andererseits kann man einwenden: Der Kampf gegen den Tod bedeutet
jedenfalls, diesen nicht einfach zu verdrängen, sondern sich ihm
zu stellen. Und selbstverständlich ist es sinnvoll, in Situationen
aktueller Bedrohung, aber auch bei schwerer Krankheit, gegen den
Tod zu kämpfen, wie auch ein undogmatisches Bemühen um Gesund-
heit und Jugendlichkeit sicherlich angemessen ist. Ähnlich lässt
sich ein gesellschaftliches Engagement gegen Kriegs-Tod oder ökologi-
schen Tod bestimmt nicht als unreif abtun.

 

Problematischer erscheint der Narzissmus-Vorwurf. Aber ist es nicht
gerade der kreative Mensch, der viel mit seinem Leben anzufangen
vermag, seine Möglichkeiten in der normalen Lebensspanne nicht
ausschöpfen kann, der ein verlängertes/ewiges Leben ersehnt?

 

Und wer beweist außerdem, dass der Tod wirklich zum Leben gehört
und es ihn -als Bestandteil einer harmonischen Lebensordnung- hin-
zunehmen gilt? Vielleicht ist er biologisch zufällig und existen-
ziell absurd, eine Aufhebung menschlicher Freiheit und Würde. Dann
wäre der moderne, wissenschaftliche Kampf gegen den Tod eine neue,
fortschrittliche Reife, die erstmalige Chance einer Emanzipation
von der Natur, einer Korrektur der Evolution, um sie jetzt selbstver-
antwortlich fortzuführen. Und wer weiß, ob dieser Kampf auf Dauer
nicht doch gewonnen werden kann -wenn der Tod kein Naturgesetz ist.




10.12.18 Haltungen zum Tod (2): Verdrängung des Todes

Eine Möglichkeit, den Tod bzw. die Todes-Angst zu bewältigen, ist
Verdrängung, also die Abschiebung aus dem Bewusstsein ins Un(ter)-
bewusste.

 

Ursprünglich wurde von dem Philosophen SCHELER die These aufge-
stellt, dass in der heutigen modernen Welt der Tod starker Ver-
drängung unterliege; diese sog. Verdrängungshypothese hat viel
Zustimmung gefunden, andererseits auch Kritik (etwa von dem Sozio-
logen FUCHS).

 

Sicherlich ist richtig, dass in einer pluralistischen Gesellschaft
wie der unsrigen verschiedene Todes-Haltungen nebeneinander vor-
kommen; wogegen es in früheren Zeiten -mit geschlossener Welt-
anschauung- jedenfalls einheitlichere Todes-Vorstellungen, wohl
auch einheitlichere Todes-Haltungen gab.

Dennoch dürfte die Verdrängungs-Haltung -trotz mancher Gegenströ-
mungen- noch immer öffentlich wie individuell eindeutig dominieren.

Allerdings kann die Verdrängung gut getarnt sein, sie ist nicht
in jedem Falle direkt als solche erkennbar.

 

Es sollen hier zwei Haupt-Formen der Todes-Verdrängung unterschieden
werden, eine (fast) vollständige und eine partielle Verdrängung.
Zum einen gibt es Menschen, die stets beschäftigt sind, immer
aktiv, nie wirklich zur "Besinnung" kommen, die einfach "keine
Zeit finden", um sich mit dem Tod auseinanderzusetzen; erkrankt
ein solcher Mensch, so wird er die Krankheit möglichst ignorieren
oder unterdrücken, es "fehlt ihm die Zeit", krank zu sein.'

 

Diese Menschen sind unverkennbar "Kinder der modernen Gesell-
schaft", die auf ständigen Fortschritt und Wachstum setzt sowie
auf Konsum und schnallen Lustgewinn, die durch Hetze, Stress, Angst
etwas zu verpassen (wohinter sich die verdrängte Todes-Angst ver-
birgt) gekennzeichnet ist und vom Einzelnen Vitalität, Leistungs-
fähigkeit und Jugendlichkeit fordert.

 

Wird ein derartiger "Tempo-Mensch" durch Unfall, lebensbedrohliche
Krankheit o.ä. zu einer Konfrontation mit seinem Tod gezwungen,

so neigt er dazu, dennoch den Tod mit aller Kraft bis zum Schluss
zu verdrängen, ja zu verleugnen (vgl. die erste Sterbe-Phase nach
KÜBLER-ROSS), denn er ist in seine Welt nicht integrierbar.

 

Der "Ideal-Tod" und auch typische Tod für einen solchen "Menschen
ohne Zeit" ist 'der plötzliche Tod (z.B. durch Herzinfarkt); zwar
müsste ihn der Tod wohl nicht so "unerwartet" treffen, nur der
Mensch hat eben die Warnsignale seines Körpers nicht wahrgenom-
men oder missachtet. Nun zwingt ihn der Tod zur "ewigen Ruhe",

Er muss sterben, auch wenn er dazu "gar keine Zeit hat".

 

Man mag darüber diskutieren, ob die Überaktivität primär der Ver-
drängung des Todes dient oder ob die Todesverdrängung nur eine
Folge des Aktivismus ist; in jedem Fall besteht ein enger Zusam-
menhang.

 

Eine andere weit verbreitete Haltung ist die partielle Verdrängung.

Man verdrängt nicht den Tod selbst, jedenfalls nicht vollständig,
aber seine Gefühle ihm gegenüber, eben vor allem die Todes-Angst.
In der Tat ist es ja heute, wo von den Massenmedien ständig über
Kriegs-, Unfall-, Hunger-Tote uws.  berichtet wird und man in Spiel-
filmen Menschen am laufenden Band "sterben" sieht, kaum möglich,
den eigenen Tod ganz aus dem Bewusstsein zu verbannen. Aber der Tod
kann durch Gefühlsverdrängung gewissermassen entschärft werden.

 

Solche partiell verdrängenden Menschen zeigen eine Nüchternheit
oder auch "Coolness" gegenüber ihrem Tod, jedenfalls, wenn sie
sich ihn als sog. "natürlichen Tod " vorstellen, als Alters-Tod, der
nicht durch-frühzeitige- Krankheit, Verbrechen, Naturgewalten o.ä.
bedingt ist. Man gibt sich aufgeklärt, betrachtet den Tod rein
"(natur)wissenschaftlich" oder "rational" als normales biologi-
sches Ereignis - „Der Tod gehört eben zum Leben."

 

Auch diese Menschen entsprechen ganz dem Zeitgeist, denn Gefühle
-jedenfalls solche wie Angst und Schmerz- werden auch heute noch
generell stark verdrängt. Speziell Todes-Angst wird weithin als
anachronistisch angesehen, und ihr (lauter) Ausdruck gilt gerade
auch beim Sterbenden als nahezu peinliches oder gar obszönes
Fehlverhalten; man hat "mit Haltung" zu sterben, ja sich möglichst
unauffällig -ohne Last für andere- "aus dem Leben zu schleichen".

 

Beim Thema Verdrängung muss auch auf eine interessante Todes-
Auffassung eingegangen werden, die (ähnlich) erstmals von dem
griechischen Philosophen EPIKUR vertreten wurde.

 

Danach geht uns der Tod gar nichts an. Denn solange wir sind, ist
der Tod nicht, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr.
Todes-Angst gilt somit einfach als Irrtum. Man ängstigt sich vor
dem Tod nur insofern, als man vom Standpunkt des Lebenden aus-
geht. Für einen Toten dagegen ist sein Tod ganz gleichgültig,

Hinzugefügt wird noch, es mache dem Menschen ja auch keine Angst,
dass er vor seinem Leben nicht existiert hat, ebenso wenig brauche
er sich darüber zu fürchten, dass er nach seinem Leben nicht mehr da ist.

 

Gemäß dieser Anschauung kann man ein Ignorieren des Todes kaum
als "Verdrängung" fassen, muss es vielmehr als realitätsgerechte,
reflektierte Haltung bewerten. Denn es wird kein "Problem des
Todes" aus dem Bewusstsein verbannt, weil es eben ein solches
Todes-Problem gar nicht gibt; und genau das gilt es einzusehen.

 

Diese Überlegungen enthalten sicherlich einen Wahrheitskern.
Und sie mögen als Warnung dienen, nicht einer unfruchtbaren To-
desgrübelei zu verfallen, nicht über die Auseinandersetzung mit
dem Tod das Leben zu verpassen oder es gar nur als Vorbereitung
auf den Tod zu verkennen; es liegt schon ein Sinn in dem Satz:

"Wenn ich lebe, lebe ich, wenn ich tot bin, bin ich tot."

 

Im Grunde ist eine solche Argumentation aber doch sophistisch.
Was nützt es zu postulieren, der Mensch brauche keine Todes-Angst
zu haben, wenn er trotzdem darunter leidet?

Der Mensch als Lebender fürchtet sich vor dem Tod, obwohl er

akzeptieren mag, dass für ihn als Toten auch sein Tod bedeutungslos ist.

 

Hier liegt ein verwandtes Problem vor wie das in der Einleitung
beschriebene von der Unvorstellbarkeit des eigenen Todes.

Letztlich muss man also die Uminterpretation von Todes-Ver-
drängung als Todes-Realismus (nach EPIKUR) als Scheinlösung zu-
rückweisen. Es gibt Verdrängung des Todes, und die Frage stellt
sich, inwieweit diese angemessen ist.

 

Dabei stößt man auf die Schwierigkeit, dass grundsätzlich verschie-
dene Auffassungen darüber bestehen, ob Verdrängung schädlich,
nützlich oder gar notwendig ist; z. B. hält die Psychoanalyse eine
hinreichende Verdrängung für erforderlich, während "humanistische" 

Therapien Verdrängung weitgehend abzubauen versuchen.

 

Einerseits ist immer wieder behauptet worden (z. B. von ZILBOORG),
eine gewisse Todes-Verdrängung sei notwendig, um überhaupt funk-
tionieren zu können; ganz besonders unter Umständen permanenter
Todes-Bedrohung, etwa im Krieg. Aber auch gerade heute, wo man
durch Fernsehen, Funk, Zeitung etc. ständig mit dem Tod konfron-
tiert wird, mag eine Abstumpfung zwangsläufig wie sinnvoll sein.

 

Bei dem -völlig verdrängenden- "action"-Menschen ist es zwar of-
fensichtlich, dass er so vor dem Tod flieht. Aber warum soll ein
Mensch eigentlich nicht Probleme -wie den Tod- zu umgehen ver-
suchen, sogar ihnen davonlaufen, wenn es ihm gelingt? Warum soll
er nicht den "Weg des geringsten Widerstandes" gehen? Vielleicht
ist gerade das eine realitätsangepasste, funktionale Haltung.

Möglicherweise sind die zu beneiden, die "mitten im vollen Leben"
von Tod überrascht werden, ohne je Todes-Angst verspürt zu haben.
Und die Nüchternheit des partiell verdrängenden Menschen vermag gar

an eine reife Todes-Gelassenheit (dazu später) denken lassen.

 

Andererseits gehört zur Reife sicher auch die Bereitschaft, äng-
stigende, generell unlustvolle Wahrheiten auszuhalten, das "Lust-Prinzip"
nicht das "Realitäts-Prinzip" dominieren zu lassen), auf die -un-
bestrittene- Stabilisierungs-Funktion von Verdrängung (z. T.) zu
verzichten. Wer den Tod ganz verdrängt, verpasst die Chance, gera-
de an ihm zu reifen. Und falls seine Verdrängung in unmittelbarer
Todesnähe versagt, steht er dem Tod unvorbereitet gegenüber.

 

Und der partiell verdrängende Mensch erreicht doch nur Pseudo-Rei-
fe, die "Furchtlosigkeit" dessen, der seine Furcht nicht fühlt.

Zwar mag es sich ungünstig, lähmend auswirken, -gemäß der alten
kirchlichen Forderung "memento mori"- ständig der (eigenen) Sterb-
lichkeit zu gedenken, Aber eine grundsätzliche Todes-Bewusstheit,
einschließlich einer gefühlsmäßigen Todes-Empfindung, ist für
psychische Reife bzw. Reifung bestimmt erforderlich.




03.12.18 Haltungen zum Tod (1): Todes-Angst

Angst ist wohl die normale gefühlsmäßige Reaktion, wenn sich der
Mensch erstmals bewusst mit dem Tod auseinandersetzt. Im Vorder-
grund steht dabei die Angst vor einem endgültigen Untergehen sei-
nes Ich-Bewusstseins; hinzu kommt die Angst vor dem Unheimlichen
und Fremden, wie sie sich in Bildern vom (personifizierten) Tod
z. B. als "Knochenmann" ausdrückt. Kulturell-religiös bedingt,
können Ängste vor dem "jüngsten Gericht", "Fegefeuer", "Hölle"
etc. auftreten. Für manche Menschen ist der Prozess des Sterbens
bedrohlicher als der Tod selbst.

 

Die Todes-Angst oder Sterbens-Angst kann sich nur unterschwel-
lig äußern oder aber bis zur Todes-Panik reichen; zuweilen ist
sie mit Gefühlen wie Trauer, Verzweiflung, Ohnmacht gemischt.

Die Frage ist, wie der Mensch mit dieser Angst umgeht. Ob sie be-
stehen bleibt, zur Haltung wird, oder ob er sie überwindet, und
zwar durch Abwehrmechanismen oder durch Reifung. Darum soll es bei
der Analyse der verschiedenen Todeshaltungen ganz wesentlich gehen.

Gerade bezüglich der Todes-Angst gehen die Auffassungen weit aus-
einander: Ist diese Angst angemessen oder nicht? Ist sie rea-
listisch oder unreif, sogar neurotisch?

 

Zunächst kann man darauf hinweisen, dass auf Grund eines angebore-
nen biologischen Selbsterhaltungstriebes Angst vor dem Tod völlig
normal, ja genetisch determiniert ist; die Angst hat eine Signal-
Funktion, sie zeigt dem Organismus eine (tödliche) Bedrohung an
und aktiviert ihn zu Kampf oder Flucht.

 

Von psychologisch-psychoanalytischer Seite wurde die Todes-Angst
entsprechend als eine -dem Menschen immanente- "Urangst" beschrie-
ben, auf die auch alle anderen Ängste zurückgehen. Von den philo-
sophischen Schulen ist insbesondere die Existenz-Philosophie hier
zu nennen: Sie stellt die Todes-Angst als adäquate Haltung gegen-
über dem "Sein zum Tode" (HEIDEGGER) dar, d. h. einem Leben mit dem
Tod als zentralen Bezugspunkt; dabei verweist sie vor allem auf
die schon anfangs angeführten "Todes-Komponenten" wie Ungewiss-
heit der Todesstunde und Begrenzung der Entfaltungsmöglichkeiten.

 

Von anderen wird Todes-Angst dagegen als primär neurotische
Angst angesehen. Dabei gibt es verschiedene Erklärungsansätze.

Zum einen wird (z. B. von JORES) eine Verbindung hergestellt zwi-
schen Todes-Angst und Lebens-Angst: Todes-Angst gilt dann als

Teil einer umfassenden (neurotischen) Lebens-Angst, einer
generellen Angst vor Veränderung, Neuern, Unbekanntem, Fremdem.

Man postuliert, dass derjenige, der nicht leben "kann", auch nicht
sterben "kann".

 

Besonders für den Menschen, der -durch eine Störung in seiner Ent-
wicklung blockiert- sich noch nicht entfalten kannte, der fühlt,
dass er sein Leben vertut oder verfehlt, ist der Tod äußerst
ängstigend; er befürchtet zu sterben, ehe er überhaupt richtig
gelebt hat.

Allerdings mag man hier einwenden: Gerade auch für jemanden, der
im Leben Verwirklichung und Befriedigung findet, kann der Tod
sehr bedrohlich sein.

 

Zweitens wird die Möglichkeit genannt, die Todes-Angst nur als Aus-
druck einer allgemeinen krankhaften Angst vor Ich-Verlust zu in-
terpretieren. Hierzu wird darauf verwiesen, dass Todes-Angst mit
einer Ich-Verhaftung verbunden sei; vor allem der narzisstische
Mensch, der übertrieben seine Ich-Grenzen verteidigt, der nicht
bereit oder fähig ist, sich "fallen zu lassen", sich hinzugeben,
leide unter dieser Angst.

Dazu passt die Beobachtung, dass in kollektivistischen Kulturen,
Kulturen mit geringer ausgeprägter Individualisierung, Todes-
Angst weniger verbreitet ist als in einer eher individualistischen
Gesellschaft wie der unsrigen.

 

Eine Ich-Verhaftetheit muss aber i. allg. als Überkompensation
einer Ich-Schwäche aufgefasst werden bzw. als Abwehr von Ängsten,
sein Ich zu verlieren oder auch "verrückt" zu werden.

Das macht eine häufiger auftretende Parallele von Todes-Angst
und Wahnsinns-Angst verständlich; bei beiden wird eine Auslöschung
des eigenen Ichs befürchtet.

 

In der Tat dürfte sich die Todes-Angst nicht in erster Linie auf
den biologischen, körperlichen Tod richten, sondern auf einen

"psychischen Tod", entsprechend zur Psychose-Angst oder ähnlichen
Ängsten (wie z. B. Liebes-Angst, Orgasmus-Angst, Schlaf-Angst).

Dies zeigt aber auch die Möglichkeit einer nur vermeintlichen
Todes-Angst; d. h., der Betreffende meint nur, Angst vor dem bio-
logischen Tod zu haben, tatsächlich befürchtet er jedoch einen
-davon unabhängigen- Zusammenbruch seiner psychischen Identität.


Solche Pseudo-Todes-Angst, z. B. als Angst vor Gefühlsüberwälti-
gung, ist in der Psychotherapie wohlbekannt. Dabei ist die wich-
tige Unterscheidung zu treffen, ob sich das "wahre Selbst" (WINNI-
COTT) oder das "falsche Selbst" (das ist die neurotische Abwehr-
Persönlichkeit des Patienten) bedroht fühlt; die Verhältnisse
werden allerdings dadurch noch verkompliziert, dass sich das
falsche Selbst ja zum Schutz des wahren Selbst herausgebildet hat.

Drittens wurde auch behauptet, hinter der Todes-Angst verbergen
sich spezielle andere Ängste, z. B. Kastrations-Angst, Trennungs-
Angst oder Gewissens-Angst. Todes-Angst wäre dann also gerade
nicht Urangst, sondern abgeleitete, ja neurotische Angst.

 

Schließlich lässt sich Todes-Angst als neurotische Angst in der
Weise bestimmen, dass man sie auf lebensbedrohliche Traumata -der
Kindheit- zurückführt, insbesondere auf das Geburts-Trauma (RANK).
Die Geburt ist für das Kind in jedem Falle ein einschneidendes
Erlebnis, ob sie allerdings zwangsläufig eine "Todes-Erfahrung"
bedeutet oder nur bei besonderen Komplikationen (z. B. Nabel-
schnur-Strangulation) bzw. fragwürdigen medizinischen Maßnahmen
(etwa Narkotisierung der Mutter), ist umstritten.

Neben Unfällen u.ä. vermag aber auch einfach eine starke emotio-
nale Deprivation für ein kleines Kind zur lebensbedrohlichen Er-
fahrung werden.

 

Nach dieser Sicht richtet sich zwar die neurotische Todes-Angst
wirklich auf den biologischen Tod, aber es ist eine "alte Angst";
sie bezieht sich nur indirekt auf den zukünftigen Tod, dagegen
primär auf den schon erlebten "Tod", d. h. auf die Todesnähe bei
einer früheren Traumatisierung.

 

Sei eine Bilanz versucht: Ist Todes-Angst angemessene Real-Angst
oder unangemessene neurotische Angst?

Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen.

 

Die Angst vor dem Tod hat eine biologische Basis; erst recht bei
akuten (äußere) Bedrohungen ist sie -als konkrete Todes-Furcht-
sicherlich sinnvoll, vielleicht über lebensnotwendig, da sie den
Menschen zu Kampf, Flucht oder anderer Abwehr aktiviert -eine
blinde Panik ist natürlich kein nützliches Verhalten.

 

Wenn Todes-Angst dagegen in Situationen auftritt, wo gar keine
objektive Gefährdung gegeben ist, wenn sie sich -übersteigert-
in Angstneurose, Phobie, Hypochondrie äußert, wird man sie
als neurotisch klassifizieren müssen.

 

Es bleibt allerdings die Frage, wie Todes-Angst als existenzielle
Grund-Haltung zu beurteilen ist. Hier ergibt sich folgendes prin-
zipielles Problem: Einerseits kann man Angst gerade als Ausdruck
einer konsequenten Offenheit ansehen, einer mutigen Bereitschaft,
der bedrohlichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen und sich von ihr
erschüttern zu lassen. Andererseits mag man Angst gerade als ein
Wehren bestimmen, als ein Abwehr-Gefühl, welches erst durch das
Nichtwahrhabenwollen entsteht oder jedenfalls voll erstarkt.


Zeigt der Mensch mit Todes-Angst Reife, weil er seine Angst aus-
hält, sie nicht "wegmacht" (sich jedoch auch nicht von ihr lähmen
lässt)? Und ist der Mensch ohne Todes-Angst nur gut abgewehrt,
weicht der Angst aus? Oder liegt es genau umgekehrt?

 

Sicherlich gilt zwar, dass eine konstante Todes-Angst (als Haltung)
die psychische Stabilität beeinträchtigt; nur fragt sich, ob Rei-
fe in erster Linie auf Stabilität fusst oder sich nicht vielmehr

im Zulassen von (realistischer) Verunsicherung zeigen kann.

Insofern muss auch die oben genannte Auffassung hinterfragt werden,
nach der Todes-Angst Ausdruck einer labilen Ich-Verkrampftheit
sei. Todes-Angst mag gerade auch ein Zeichen von Ich-Stärke sein,
die Haltung eines seines Wertes bewussten Ichs, das voll das tragi-
sche Ausmaß des eigenen Untergangs erkennt und darüber erschauert,
die Stärke dessen, der sich auch Schwäche leisten kann.

Hier bleiben wichtige Frage offen, sie werden aber im weiteren

Text einer Antwort näher gebracht werden.




26.11.18 Haltungen zum Tod (0): Einführung

 

Diesen Text über „Haltungen zum Tod“ schrieb ich bereits vor

vielen Jahren. Als ich ihn jetzt noch einmal durchging, war ich

erstaunt, wie aktuell er noch ist. Denn wie man sich zum Tod

verhält, das war immer und ist bis heute ein wesentliches

Thema, und meine Antworten von früher finde ich weiterhin

gültig. Ich fand kaum Punkte, die zu korrigieren wären, und

daher habe ich den Artikel in der ursprünglichen Form belassen.

Er wird in 8 Teilen auf den Blog gesetzt.    


Der Tod als Ende des Lebens -jedenfalls in dieser Welt oder in
diesem Körper- bedeutet sicherlich, zusammen mit Zeugung und
Geburt als Lebensanfang, für den Menschen das entscheidendste
Faktum seines Lebens überhaupt.

 

Seit Urzeiten und in allen Völkern und Kulturen haben sich Philo-
sophen, Priester, heute auch Wissenschaftler, sowie die je ein-
zelnen Menschen mit dem Tod auseinandergesetzt und vielfältige
Formen des Umgangs mit ihm und seiner Deutung entwickelt.

In der neueren Zeit, in unserer Gesellschaft und anderen (west-
lichen) Industrie-Staaten, war der Tod -gerade nach den Schrecken
des letzten Krieges- bis vor kurzem weitgehend aus dem öffentli-
chen und individuellen Bewusstsein verdrängt und ist dies teil-
weise auch heute noch, (vgl. TOYNBEE).

 

Der Tod als Tabu-Thema, über das man nicht spricht, die Abschie-
bung von Todkranken und Sterbenden in die Kliniken, die Verban-
nung von Leichenzügen aus den Straßen ins Ghetto der Friedhöfe
u.v.m. standen und stehen für diese Verdrängungs-Haltung, auf
die später noch genauer eingegangen werden soll.

 

Seit einigen Jahren ist aber eine Gegenbewegung, hin zu einer
offenen Auseinandersetzung mit dem Tod, zu beobachten; dabei sind
in erster Linie zu nennen: Engagement für Sterbehilfe und "huma-
nes Sterben"; Untersuchungen über Sterbende (insbesondere von
KÜBLER-ROSS); sog. Sterbe-Seminare, um das Sterben zu lernen;
Analyse von "Todes-Erfahrungen" und darauf aufbauend Mutmaßun-
gen über ein "Leben nach dem Tod" (so auch der Titel des bekann-
ten Buches von MOOOY); schließlich aber auch eine gesteigerte
Sensibilität für tödliche Lebensbedrohungen durch Umweltver-
schmutzung und Kriegsrüstung, z. B. den "Atom-Tod".

 

In manchen Kreisen ist der Tod als Thema geradezu "in". Es wird
allerdings zu fragen sein, ob sich hinter dieser neuen Todes-Of-
fenheit z.T. nicht nur veränderte Formen von Todes-Abwehr verbergen.

Biologisch-medizinisch bestehen noch immer Probleme einer exakten
Todes-Definition. Als entscheidendes Kriterium gilt heute der
Hirn-Tod (im EEG nachweisbar), während das Versagen des Kreis-

laufs -was früher als ausschlaggebend angesehen wurde- inzwischen
durch medizinische Maßnahmen durchaus reversibel ist (vgl. MANT).

Psychologisch und philosophisch betrachtet machen vor allem
folgende Komponenten den Tod zu einer solchen existenziellen
Herausforderung für den Menschen:

 

- Es bleibt unsicher, ob es irgendeine Existenz nach dem Tod gibt
und wenn ja, in welcher Form; oder ob der Tod nicht vielmehr das
das endgültige Erlöschen des Ichs und des Bewusst-Seins bedeutet,
den eigenen "Weltuntergang".

Ebenso ist der Zeitpunkt des Todes ungewiss (dieser kann einen
prinzipiell jeden Moment ereilen), während jedoch der Tod an sich
als das sicherste Ereignis des ganzen Lebens gilt, als "Tod-sicher".

 

- Der Tod trifft den Menschen als zukunftsorientiertes, planendes
Wesen. Von Beginn seines Lebens an ist der Mensch mit einem, zu-
dem unbekannten, Endpunkt seines Lebens konfrontiert. Damit stellt
sich einmal die Frage, welchen Sinn planendes Handeln in einem
Leben mit "no future" besitzt, zum zweiten, ob einem genug Zeit
bleibt, seine Möglichkeiten zu nutzen und sich zu entfalten.

 

- Auch wenn man im Kreise von (nahestehenden) Menschen stirbt,
selbst wenn andere mit einem sterben, so muss doch jeder allein
sterben, was eine Trennung von den Mitmenschen und der Welt be-
inhaltet - vielleicht für immer. Ebenso muss jeder selbst, seinen
eigenen Tod sterben, er kann sich nicht "vertreten" lassen.

 

- Auch heute noch steht der Mensch -trotz aller medizinischen Mög-
lichkeiten- dem Tod letztlich ohnmächtig, hilflos gegenüber.

Der Tod beraubt ihn seiner Handlungs-Freiheit, er zwingt sich ihm auf.

Der Mensch muss sterben, auch wenn er sich wehrt, auch
wenn er nicht sterben "kann".

In dem vorliegenden Aufsatz sollen Haltungen des Menschen gegen-
über dem Tod (Todes-Haltungen) untersucht werden.

Diese Haltungen sind z.T. ideal-typisch gefasst, überwiegend aber
durchaus empirisch nachweisbar, in unserer heutigen Gesellschaft,
in anderen Kulturen, in der Geschichte, in Philosophie, Theologie,
Literatur etc.

 

Unter "Haltung" kann eine ganzheitliche "Äußerung" des Menschen
verstanden werden, die insbesondere seine Einstellungen, Gefühle
und Bedürfnisse sowie sein Verhalten (im engeren Sinne) umfasst.
Haltungen sind etwas Überdauerndes, Konstantes, so auch die Todes-
Haltung. Sie ist nicht auf eine unmittelbare Todesnähe bezogen;
dies auch zur Abgrenzung zu den von KÜBLER-ROSS erforschten
Sterbe-Phasen.

 

Allerdings beweist und bewährt sich eine solche Haltung im
Grunde nur, wenn sie auch angesichts des nahenden Todes aufrecht-
erhalten bleibt, was kurzfristige Veränderungen bei aktuellen To-
desbedrohungen -etwa durch einen Überfall- nicht ausschließt.

Man könnte fragen, ob nicht -durch eine biologische Determination-
jeder Sterbende, dem überhaupt Zeit bleibt, die gleichen Phasen
durchläuft, was die Konzeption von unterschiedlichen Todes-
Haltungen stark relativieren würde; dies trifft aber offensicht-
lich nicht zu (wie auch bei KÜBLER-ROSS nachzulesen ist).

 

Die Untersuchung soll sich beschränken auf Haltungen gegenüber dem
eigenen Tod, gleichwohl es wesentliche Übereinstimmungen mit Hal-
tungen zum Tod von Anderen, vor allem Angehörigen, gibt. Und es
geht nur um Tod und auch Sterben, nicht aber um Haltungen gegen-
über Altern und Alter,(Alters-)Krankheiten und Schmerzen, beson-
ders traumatischen Todes-Arten sowie gegenüber den Toten.

 

Die Todes-Haltungen sollen insbesondere daraufhin analysiert wer-
den, inwieweit sie "angemessen" sind, psychische Reife und Stabi-
lität zeigen. Die schwierigen Begriffe "psychische Reife" u.ä.
können in diesem Rahmen nicht diskutiert werden, ihr hier gemein-
ter Sinn wird aber im weiteren Text noch verdeutlicht.

 

Auf Grund der Bedeutung des Todes lässt sich postulieren, dass die
Haltung eines Menschen zum Tod Wesentliches über diesen Menschen
aussagt. Und da der Tod ein, vielleicht das Grundproblem für den
Menschen ist -welches gerade eine Chance zum Reifen, aber auch vie-
le Möglichkeiten zu scheitern bietet- kann man folgern: Wer dieses
Problem für sich gelöst hat, besitzt sicherlich allgemeine Reife.

 

Natürlich wirft eine solche Themensteilung Fragen auf. Eine prin-
zipielle Schwierigkeit ist die folgende: Wenn man davon ausgeht,
dass der eigene Tod nicht erfahrbar, nicht er-leb-bar ist, so
könnte man folgern, er sei überhaupt nicht vorstellbar.

Und zwar nicht nur, weil man sich kein Bild von etwas völlig Un-
bekanntem machen könne, sondern weil es sogar logisch unmöglich
wäre, dass sich ein Ich als gestorben, als nicht mehr vorhanden
denke (vgl. z. B. MEYER: "Tod und Neurosen“).

 

Ergänzend lässt sich FREUD anführen, der die Auffassung vertrat,
der Tod komme im Unbewussten nicht vor, sondern jeder sei unbewusst
von der eigenen Unsterblichkeit überzeugt; man glaubt irgendwie,
einen selbst trifft es nicht, nur die andern sterben.

 

Folgt man dieser Argumentation, so ist im Grunde eine wirkliche
Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit gar nicht mög-
lich. Da sich der Tod nicht in der Vorstellung vorwegnehmen lässt,
kann man sich in keiner Weise zu ihm "ver-halten".

Erst recht ist es nach dieser Sicht undenkbar, den Tod -in Vorbe-
reitung auf ihn- zu verarbeiten. "Reif werden zum Tode" -wie KÜB-
LER-ROSS formuliert- wäre nur eine Illusion.

Und somit müsste man das Problem der Haltung gegenüber dem Tod
als reines Schein-Problem abqualifizieren.

 

Die hier skizzierte Überlegung ist zweifelsohne geistreich und
markiert auch Grenzen einer Auseinandersetzung mit dem Tod.
Andererseits ist aber eine solche Begründung doch spitzfindig.

Es ist doch unbestreitbar, dass die Menschen (bewusst oder unbewusst)
eine Haltung zum Tod einnehmen -auch wenn diese auf unrealisti-
schen Voraussetzungen beruhen kann oder sogar prinzipiell beru-
hen muss. Jedenfalls existiert ein Problem der Todes-Haltung.

 

Man mag auch gegen das Thema einwenden: Gibt es überhaupt eine
angemessene Todes-Haltung, eine Lösung für die Todes-Problematik?
Ist für jeden Menschen vielleicht eine andere Haltung adäquat?
Ist die individuelle Haltung nicht durch Gesellschaft/Kultur sehr
geprägt? Verlangen verschiedene Situationen nicht verschiedene
Haltungen? Diese Fragen dürfen nicht ignoriert werden. Aber ohnehin
sollen hier Probleme eher diskutiert als (endgültig) gelöst werden.


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20.11.18  Sprichworte und Sprüche (8):

Wer bremst,  verliert.

 

2) Teil

 

Ich habe den Spruch „Wer bremst, verliert“ bisher nur auf den Straßenverkehr bezogen. Aber man kann ihn viel weiter interpretieren, ib Bezug auf Politi, Wirtschaft, Ökologie und generell Lebenspraxis.

 

Zunächst einmal auf der Ebene von Staaten oder Ländern bzw. auf der Ebene der Politik. „Wer bremst, verliert“ steht hier für die Politik der Eroberung, des Kolonialismus, der Angriffskriege. Der Eroberer, der Pionier, erobert ein Land möglichst im Sturm, in einem Gewaltmarsch oder Blitzkrieg, ein Zöger kann zum Stillstand des Vormarsches führen oder zu einem Stellungskrieg, in dem sich fast nichts mehr bewegt.

 

Das sicher prominenteste Beispiel für den Stopp eines militärischen Vormarsches ist der Einmarsch der deutschen Truppen 1941 in Russland. Es gibt verschiedene Erklärungen für den Stopp der Vorwärtsbewegung, insbesondere einen Befehl Hitlers, der die militärische Situation falsch einschätzte. Während die deutsche Armee erst einen Durchmarsch hatte, drehte sich durch die Unterbrechung der Vorwärtsbewegung die Schlacht und schließlich auch der gesamte Krieg. Es wird bis heute diskutiert, wenn Hitler nicht „gebremst“ hätte, ob dann Deutschland den Krieg gegen Russland und vielleicht überhaupt den zweiten Weltkrieg gewonnen hätte.

 

In der Wirtschaft gibt es den Spruch „Grow or go“ bzw. in deutsch „Wachse oder weiche“. Auch hier ist die Vorstellung, wenn man das Wirtschaftswachstum irgendwie einbremst, durch Regulationen, Vorschriften, Gesetze, dann verliert  das Unternehmen bzw. die gesamte Wirtschaft eines Staates. Ungezügeltes Wachstum, Wachstum so viel wie möglich, das ist das Motto. Wenn es nicht vorwärts geht, gilt das schon als Rückschritt. „Wer rastet, der rostet“, das wurde früher schon den Kindern eingebläut; heute formulieren die Eltern wahrscheinlich subtiler, aber es geht letztlich um das gleiche.

 

Zwar sind die „Grenzen des Wachstums“ schon vor vielen Jahren vom Club of Rome eindringlich angemahnt worden; vor allem die bedrohlichen Folgen für die Natur und Umwelt wie Vermüllung, Luftverschmutzung, Klimaerwärmung u.v.m. sind inzwischen nicht mehr zu bestreiten. Aber wirklich umgesteuert wurde bis heute nicht. Denn das Vorwärtsdrängen, ohne Rücksicht, gehört eben zur DNS des Turbo- oder Raubtier-Kapitalismus, der trotz aller Versuche der Zähmung und Sozialisierung bis heute maßgeblich unsere  westliche Wirtschaft definiert.

 

Denn „Wer bremst, verliert“ ist eben auch das Motto einer Leistungsgesellschaft, in der nur das Vorwärts zählt, nur der Sieg über andere in der Konkurrenz. Und wer langsamer ist, weniger leistungsfähig, der bleibt auf der Strecke, wirtschaftlich, sozial und seelisch. Man spricht ja auch von Ellenbogengesellschaft, weil man seine Ellenbogen ausfährt, um andere beiseite zu stoßen und sich selbst vorzudrängen. Wer „nur“ zweiter in einem Wettbewerb ist, gilt eigentlich schon als Verlierer. Man sucht kaum nach einer Win-win-Situation, in der alle gewinnen. Sondern es geht mehr um Win-loss-Situationen, d. h. der eine gewinnt und der andere verliert, ja, der Verlust des einen ist gerade der Gewinn des anderen. „The winner takes it all.“

 

Diese gesellschaftliche Rivalitätsstruktur zeigt sich natürlich auch an und in den individuellen Menschen. Zwar sind davon nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen,  es gibt auch Gegenkulturen, Gegenentwürfe eines entschleunigten Lebens und eines sozialen, kooperativen Miteinander.

 

Aber für viele Individuen ist „Wer bremst, verliert“ ihr Lebensmotto, wenn auch nicht immer bewusst, sondern eher unbewusst. Es sind die Hektiker, meist ungeduldig, unruhig, unkontrolliert, die in Warteschlangen etwa vor einer Kasse sich genauso vordrängeln wie rücksichtslose Autofahrer im Stau. Auch sie sind gewissermaßen immer auf der Überholspur, „Bremsen“ gibt es für sie nicht.

Diese Tempo-Menschen sind immer auf die Zukunft ausgerichtet und verpassen dadurch die Gegenwart, ihnen fehlt die Achtsamkeit für den Moment, die Bewusstheit für das Hier-und-Jetzt, in dem doch das eigentliche Leben stattfindet.

 

Das gilt vor allem für Karrieristen, ehrgeizige „Erfolgsmenschen“ oder Gewinnertypen, die oft genug nur ihr eigenes Vorwärtskommen im Blick haben und dafür Beziehungen, Freundschaften und überhaupt partnerschaftliche Werte skrupellos und bedenkenlos opfern. Und die eben bedauerlicherweise mit einer solchen Haltung in unserer Ego-Gesellschaft oft genug wirklich ganz nach oben kommen, für ihr Verhalten zwar auch kritisiert, doch ebenso gefeiert und bewundert werden, wenn auch manchmal nur klammheimlich.

 

Wer bremst, verliert? Was ist also die Quintessenz für uns individuelle Menschen?

Das dieser Spruch fürs Autofahren völlig untauglich ist, dass überhaupt ein Rasen und Drängelnd destruktiv, ja lebensgefährlich ist, habe ich wohl hinreichend erläutert.

 

Im Leben nach vorne stürmen ohne anzuhalten, zu rasen ohne zu bremsen, das kann in einigen wenigen Situationen Sinn machen, z. B. wenn es gilt, einer akut drohenden Gefahr zu entkommen.

 

Aber in weit mehr Situationen – staatlich, gesellschaftlich und individuell – ist man gut beraten, lieber das Motto „Eile mit Weile“ zu verfolgen. Das muss beim Individuum anfangen, aber das ist natürlich leichter gesagt als getan, wenn die Gesellschaft auf Tempo und Aktionismus setzt. Meditation und Achtsamkeit können hier ein erster Schritt sein.

 

Natürlich gibt es auch das Gegenextrem, dass ein Mensch zu zögerlich und zaudernd durchs Leben geht, dass er ängstlich oder perfektionistisch vor lauter Planung gar nicht zum wirklichen Leben kommt, dass er vielleicht sogar neurotisch gehemmt, auch aggressionsgehemmt ist, in der Öffentlichkeit als sogenannter Bedenkenträger jede Entscheidung herausschiebt.

 

Wie so oft ist auch hier die goldene Mitte, das Gleichgewicht bzw. der Ausgleich zwischen den extremen Polen erstrebenswert: nicht durchs Leben rasen, aber sein Leben auch nicht verbummeln oder verpassen. Dass man in manchen Situationen zügig vorwärtsschreitet, in anderen aber bewusst und achtsam lieber der „Entdeckung der Langsamkeit“ frönt. Dass man reflektiert und seinen Weg überprüft, anstatt blind nach vorne zu stürmen.

 

Pointiert könnte man daher auch sagen: „Wer bremst, gewinnt.“



13.11.18  Sprichworte und Sprüche (8):

Wer bremst,  verliert.

 

1) Teil

 

Der Spruch klingt wie aus der Autoraser-Scene. Wer bei einem (illegalen) Straßenrennen bremst, der verliert vielleicht den Wettkampf – rettet dafür allerdings womöglich sein Leben oder das unbeteiligter Passanten. Doch im Rausch der Geschwindigkeit zählt für den Raser, den Kombattanten nur der Sieg, die Gefahren werden ausgeblendet – ganz im Stile der erfolgreichen, adrenalingeschwängerten Raserfilme „The Fast and the Furious“.

 

Den Spruch „Wer bremst, verliert“ kennt fast jeder, er wird oft zitiert. Aber wenn man bei Spruch.de nachschaut, heißt es „Autor unbekannt“. Und der Spruch wird näher bestimmt als lustiger Spruch für Kennzeichenaufkleber.

 

Sicher ist der Spruch irgendwie lustig, denn er übertreibt maßlos. Sogar bei dem schnellsten Autorennen, dem Formel1-Rennen, wird natürlich auch gebremst. Das richtige Bremsen, vor allem Ausbremsen eines anderen Fahrers, spielt sogar eine wichtige Rolle beim Erfolg.

 

Andererseits ist der Spruch auch nicht lustig. Denn „Wer bremst, verliert“ beschreibt – überspitzt gesagt – durchaus die Realität unseres Straßenverkehrs. Es wird heute so aggressiv gefahren wie wohl noch nie zuvor.

 

Die Ursachen hierfür sind sicher komplex. Natürlich spielen die Hektik und der Zeitdruck in unserer Leistungsgesellschaft eine Rolle. Aber das erklärt nicht wirklich, warum Menschen entgegen aller Vernunft und mit hohem Risiko ihre Aggressionen am Steuer rauslassen.

Hier spielen irrationale Gefühle und Kränkungen eine Rolle: wer sonst im Leben vielleicht viel einstecken muss, der will hier, in der Anonymität am Steuer, endlich einmal selbst austeilen. Man kann aber teils auch an alte, archaische Impulse denken wie Jagdtrieb oder Revierverteidigung.

 

Da sind die Raser, die sich an keine Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Sie glauben wohl wirklich, wer bremst, verliert. Ich bin selbst kein Autofahrer, der übertrieben angepasst fährt, der genau aufpasst, dass er die erlaubte Geschwindigkeit nicht um 1 km/h überschreitet. Wenn es ungefährlich ist, fahre ich vielleicht bis 10 km/h schneller. Dabei wundere ich mich aber immer wieder, dass wenn auf der Autobahn vor einer Baustelle ein Schild kommt, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung z. B. von 130 km/h auf 80 km/h sinkt, ich fast der einzige bin, der abbremst. Während die meisten ungeniert weiter brettern. Wahrscheinlich haben sie auf ihrem Smartphone gesehen, dass hier keine Radarfalle steht, und aus Vernunft langsamer fahren, das ist eben nicht.

 

Ein noch größeres Problem sind aber meines Erachtens die Drängler. Wobei es hier um ein verwandtes Problem geht, d. h. Raser und Drängler finden sich oft in Personalunion wieder, soll heißen: ein Raser ist meistens auch ein Drängler und umgekehrt. Und ein Großteil der Verkehrsunfälle wird durch diese Raser und Drängler verursacht, sie bringen viel Leid über andere Menschen.

 

Ein Beispiel: Man ist auf der Autobahn gerade in einem Überholvorgang, auf der linken Spur. Da kommt von hinten ein Wagen angerast, dessen Fahrer offensichtlich nicht vorhat zu bremsen. Er rast auf einen zu, als wolle er dessen Auto einfach über den Haufen fahren. Ein Fahranfänger könnte in Panik geraten und das Steuer verreißen. So sind schon viele furchtbare Unfälle passiert. Stattdessen heißt es, in Ruhe seinen Überholvorgang beenden, allerdings auch nicht unnötig ausdehnen, und nach rechts ausscheren.

 

Oder ein anderes Beispiel: Man will aus einer Supermarktausfahrt herausfahren, aber keiner lässt einen vor. Schließlich saust man in eine Lücke, die nicht übermäßig groß ist, den Fahrer hinter sich aber nicht direkt behindert. Viele Fahrer gehen dann aber nicht, wie man erwarten könnte, kurz vom Gas, sondern sie behalten ihre Geschwindigkeit bei oder geben sogar noch mehr Gas und fahren ganz eng auf. Sie sind narzisstisch gekränkt, dass man es gewagt hat, ihren Weg zu verkürzen, sie zu ein wenig Rücksicht zu veranlassen. Und zeigen nun Imponiergehabe durch das drängende Auffahren.

 

Das Drängeln zeigt sich aber besonders unangenehm auf Bundesstraßen oder Landstraßen. Wenn ich mich an die erlaubte Geschwindigkeit von z. B. 100 km/h halte, gibt es Drängler, die extrem auffahren, um einen zum schneller fahren zu drängen. So dass ich notgedrungen auch schneller fahre als erlaubt, um nicht einfach von der Straße geschoben zu werden. Wer bremst, verliert. Das ist hier offensichtlich das Motto des Dränglers. Aber indirekt muss ich mich eben leider auch daran halten, denn wenn ich bremse, weiß ich nicht, wie der rabiate Drängler reagiert.

 

Ich ärgere mich immer wieder, dass viele der Drängler nicht einfach überholen, anstatt einen zu bedrängen. Aber dazu fehlt ihnen offensichtlich oft der Mut oder das fahrerische Können. Vielleicht wollen sie auch nicht alleine die Verantwortung für das Schnellfahren und die Geschwindigkeitsüberschreitung übernehmen. Lieber drängen sie eben den Wagen vor sich, und wenn wirklich eine Radarfalle steht, dann wird eben der vorausfahrende, gedrängelte Wagen geblitzt, der Drängler bleibt womöglich verschont.

 

Inzwischen habe ich viele Strategien entwickelt, mit den Dränglern umzugehen.

- nicht in den Rückspiegel schauen. Das empfahl mir einmal ein Bekannter, aber lange halte ich das nicht durch. Es ist auch riskant.

- selbst aufs Gas treten und dem Drängler davonfahren. Das funktioniert zwar zunächst, weil viele der Drängelfahrer gar nicht gut fahren können und zurückbleiben. Aber z. B. auf einer Landstraße ist der Nutzen gering. Denn im nächsten Ort, wenn ich mich an die vorgeschriebenen 50 km/h halte, klebt mir der lästige Drauffahrer wieder an der Stoßstange. Und überhaupt ist es nicht klug, sich von einem Drängler selbst zum Rasen verführen zu lassen.

- rechts ranfahren und den Drängler vorbeilassen. Das ist im Grunde die vernünftigste Lösung. Allerdings geht es nicht immer, und man fühlt sich dabei auch etwas defensiv, aber egal. Interessant ist, dass der Drängler, den man vorbeigelassen hat, dann oft gar nicht ungehindert Gas gibt, sondern gerade langsamer fährt. Vielen Dränglern geht es nämlich gar nicht darum, schneller voranzukommen. Sie wollen – vielleicht teils aus primitiven, alten Trieben – das Auto vor sich jagen, oder sie wollen ihre Macht demonstrieren, in dem sie den anderen Fahrer vor sich her scheuchen. Wenn der das Spiel nicht mitmacht, ist der Reiz des Drängelns vorbei.

 

Früher waren es fast ausschließlich die Männer, die rasten und drängelten. Heute sind es dagegen oft auch Frauen, ganz normale Hausfrauen, Mütter mit Kindern auf dem Rücksitz, auch ältere Frauen. Das ist wohl einerseits eine Nebenwirkung der Emanzipation. Ich vermute aber immer noch, dass die Frauen weniger aus Aggression und Machtbehauptung drängeln, sondern aus Stress, weil sie die Kinder eilig zum Tennisunterricht (oder was weiß ich was) bringen müssen, aus Unkonzentriertheit, weil sie vielleicht mit ihrem Smartphone rummachen, oder in einer Art Herdentrieb, dass man immer Anschluss zur Herde hält. Wie auch immer.


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01.11.18  Sprichworte und Sprüche (7):

Du hast keine Chance, aber nutze sie

 

Der Spruch stammt von dem Schriftsteller, Maler  und Filmregisseur Herbert Achternbusch.

Es gibt diesen Spruch in unterschiedlichen Variationen, z. B. auch "Du hast keine Chance, darum nutze sie!" oder "Du hast keine Chance, also nutze sie!" -

Angeblich gibt es einen ähnlichen Ausspruch von Che Guevara: "Du hast keine Chance, nutze sie!"

 

Der Spruch wurde bzw. wird oft zitiert und verschieden interpretiert. Es kann sich um ein ganz konkretes individuelles Problem handeln, z. B. dass ein Schüler keine Chance hat, die Klassenarbeit zu bestehen, aber dennoch dafür arbeiten soll. Der Spruch wurde allgemeiner auf die „no-future-“ oder „null-Bock“-Generation bezogen. Man kann den Ausspruch aber auch ganz grundsätzlich, existentiell verstehen. Der Mensch an sich hat keine Chance, sein Leben wirklich erfolgreich und glücklich zu gestalten, er wird immer wieder scheitern. Und doch soll er sich bemühen.

 

Der Spruch fällt konkret in dem Film von Achternbusch „Die Antlantikschwimmer“ (1975/76)

Der Inhalt (zitiert von der Seite filmportal.de): Zwei lebensmüde Münchner, der Briefträger Heinz und der Bademeister Herbert, wollen ihrem Heimatalltag entfliehen und an einer Atlantiküberquerung teilnehmen, für die das Kaufhaus Mixwix einen Preis von 100 000 Mark ausgeschrieben hat. Sie trainieren im Walchensee und treffen dort auf den Angler und Klopapierfabrikanten Alois, der sie als Mitarbeiter gewinnen will. Heinz indessen phantasiert von seiner toten Mutter, gibt seltsame Gedichte von sich und verfällt dem Wahn, unsterblich zu sein. Auf Teneriffa überlebt er den Sturz aus einem fahrenden Auto und schwimmt allein auf den Atlantik hinaus. Seine letzten Worte: "Du hast keine Chance, aber nutze sie".

 

Aber lösen wir uns von dem Film. „Du hast keine Chance, also nutze sie“ (ich wähle diese besonders prägnante Variante): Was sagt uns der Spruch?

Man denkt zunächst: Das ist ein Widerspruch, denn wenn man keine Chance hat (für was auch immer), macht es keinen Sinn, zu versuchen, diese Chance zu verwirklichen.

 Allerdings ist das kein logischer Widerspruch. Denn der Vorsatz „Du hast keine Chance.“ ist ein Aussage-Satz, der Nachsatz „Also nutze sie!“ ist ein Aufforderungssatz oder Imperativ-Satz, daher muss man hier grammatisch korrekt auch ein Ausrufezeichen verwenden. Logisch kann aber kein Widerspruch zwischen einem Aussage-Satz und einem Aufforderungs-Satz bestehen (also zwischen Sein und Sollen), sondern nur zwischen zwei Aussage-Sätzen, also z. B. „Du hast keine Chance und du hast eine Chance.“ Oder auch zwischen zwei aufforderungs-Sätzen, z. B. „Nutze die Chance und nutze die Chance nicht!

 

Dennoch liegt bei „Du hast keine Chance, also nutze sie!“ ein Widerspruch vor. Der Satz bezieht sich auf ein Modell vom rationalen Menschen. Ein rationaler Mensch tut normalerweise nur etwas, wenn etwas sinnvoll ist,  wenn er sich davon einen Vorteil erwartet.

Noch präziser wird dieser Menschentyp in der Wirtschaftswissenschaft definiert. Dort ist der homo oeconomicus jemand, der stets versucht, maximalen Gewinn bei minimalen  Kosten (Aufwand) zu erreichen. Und ein solcher Mensch würde natürlich sagen: Wenn ich keine Chance habe, ein Ziel zu erreichen, dann betreibe ich auch keinen Aufwand (an Zeit, Geld, Energie), die Chance zu nutzen. Eine irreale Chance versuchen zu nutzen, wäre für den rational-ökonomischen Menschen ein Widerspruch.

 

Achternbusch beschreibt aber oft Menschen, die nicht in dieser Weise rational oder ökonomisch strukturiert sind, sondern die (scheinbar) irrational sind, sich chaotisch verhalten.

Damit ist auch eine Kritik an der überschießenden Zweckrationalität unserer Leistungsgesellschaft verbunden.

 

Fragen wir doch einmal nach:

- Warum soll man eigentlich nicht versuchen eine Chance zu nutzen, auch wenn die Chance gar nicht besteht?

- Es könnte doch sein, dass es einfach eine Befriedigung ist, diesen Weg zu gehen, egal, ob man zum Ziel kommt („der Weg ist das Ziel“).

- Vielleicht will man auch einfach seinen Protest gegen die Chancenlosigkeit ausdrücken, dass man sich nicht unterkriegen lässt.

- Und eventuell stellt sich heraus, dass die Aussage „du hast keine Chance“ falsch war, dass man die Chance doch nutzen kann, dass man das „Unmögliche“ erreichen kann.

 

Das erinnert an die klassische Tragödie, an Märchen, an Sagen, in denen immer es um den Helden und seinen Weg („Die Reise des Helden“) geht. Nun finden wir hier zwei Modelle des Helden.

Einmal ist ein Held der, der sein Schicksal klaglos „heroisch“) annimmt, so schwer es auch ist, der sich dem Willen der Götter beugt und gerade in dieser Unterordnung sein Selbst verwirklicht. Für unseren Spruch hieße das: der Held akzeptiert, dass er keine Chance hat, und hört auf, gegen diese Chancenlosigkeit anzukämpfen.

Nach dem anderen Modell ist der Held der, der sich gerade nicht unterordert, der dem Schicksal trotzt, es sogar herausfordert, der nie aufgibt, der so lange für seine Chance kämpft, wie er nur kann, und sei es bis zum Tod.

 

Hier ist auch an den französischen Philosophen Camus zu denken, an sein Konzept vom Menschen in der Revolte.  Die existentialistische Philosophie von Camus lässt verschiedenen Deutungen zu, ich möchte sie folgendermaßen für unser Thema ausdeuten: Die Welt ist absurd, die Wünsche und Hoffnungen des Menschen werden immer wieder vom Leben durchkreuzt, am Ende wartet der Tod, der alle unsere Chancen aufhebt. Der gereifte Mensch revoltiert gegen diese Absurdität, aber er bekämpft sie nicht, noch flieht er vor ihr.

 

Für unseren Spruch „Du hast keine Chance, also nutze sie!“ wäre die Antwort von Camus:

- „Du hast keine Chance“: Das ist absurd, ungerecht und kann einen verzweifeln lassen. Die Lösung ist, einerseits gegen die Absurdität zu revoltieren, andererseits aber nicht einen sinnlosen Kampf zu führen (z. B. für Unsterblichkeit); man nimmt die Absurdität hin, lehnt sie dennoch ab; also konfrontiert man die Absurdität der Welt gewissermaßen mit sich selbst

- „Aber nutze sie!“: Durch die Doppelstrategie von Protest und Hinnahme bewahrt man sich seine Würde und wird  frei, sein Leben zu leben, die Chancen zu nutzen, die sich einem bieten, auch in einer absurden, feindlichen Welt.

 

Zum Schluss noch ein Ausspruch, der meistens Luther zugeschrieben wird, ein Ausspruch, der diesen gleichsam absurden, irrationalen und doch konstruktiven Umgang mit der Absurdität und Negativität der Existenz bestens ausdrückt: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen.“




06.10.18  Sprichworte und Sprüche (6): Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr

 

Was will uns dieses Sprichwort sagen? Grundsätzlich geht es darum: Was man als Kind nicht lernt, das lernt man auch als erwachsener oder sogar alter Mensch nicht mehr. Ich diskutiere verschiedene Möglichkeiten der Interpretation, auch wenn diese nicht unbedingt mit dem Sprichwort intendiert sind.

 

1) Interpretation: Es gibt lernsensible Phasen in der Kindheit

Das ist ohne Zweifel wahr. Ich nenne nur ein Beispiel, das Lernen einer (fremden) Sprache.  Kinder haben  die Fähigkeit, die eigene Sprache, vor allem aber auch andere Sprachen, Fremdsprachen, viel schneller, leichter und besser zu lernen als Erwachsene. Das wurde schon vor Jahren von dem Linguisten Noam Chomsky thematisiert und ist heute anerkannte Lehrmeinung. Auf die genaueren lernpsychologischen und neurologischen Gründe möchte ich hier nicht eingehen.

 

2) Interpretation:  Wer als Kind lernfaul ist, der bleibt das auch für den Rest seines Lebens

Dieser These möchte ich klar widersprechen. Es gibt unzählige Beispiele, z. B. auch bei Prominenten, dass ein faules bzw. lernfaules oder lernunwilliges Kind als Erwachsener ein ehrgeiziger, wissbegieriger, lernversessener Mensch wurde. Jeder kennt sicher dafür auch Beispiele aus seinem Bekanntenkreis. Es kann sogar sein, dass das lernunwillige Kind sich bereits als Jugendlicher zu einer fleißigen Leseratte wandelt.

 

3) Interpretation: Generell lernt man im Erwachsenenalter nicht mehr hinzu

Auch diese These ist offensichtlich falsch. Eine Vielzahl von Kenntnissen und Fähigkeiten eignet man sich erst als Erwachsener an, erst dann ist der Intellekt, aber auch der Charakter genügend ausgebildet, um zum Beispiel komplexe Zusammenhänge zu verstehen oder  bestimmte psychische Kompetenzen wie Intuition zu entfalten.

 

Diese These wird besonders gerne auf alte Menschen angewendet, ihnen spricht man die Fähigkeit ab, noch dazuzulernen, man sieht man bei ihnen nur noch den Abbau von Leistungsvermögen. Einmal ganz abgesehen von der Frage, wann das Alter anfängt, grenzt diese Defizit- These schon an Altersdiskriminierung. Alte Menschen können eine Vielzahl von Fähigkeiten behalten, wenn auch manche, wie z. B. die Reaktionsgeschwindigkeit abnehmen. Idealerweise können sie aber z. B. eine Altersweisheit oder Altersgelassenheit entwickeln, eine Souveränität, die jungen Menschen vielfach abgeht. In anderen Kulturen werden diese besonderen Qualifikationen des alten Menschen übrigens viel höher geschätzt als in unserer auf Jungendlichkeit getrimmten westlichen Leistungsgesellschaft.

 

Das Sprichwort (präziser formuliert)  „Wenn Hänschen etwas nicht lernt, dann lernt Hans das auch nicht“ hat die aussagenlogische Struktur der (negierten) Implikation: Wenn nicht A, dann nicht B. 

Für die Implikation gilt aber die Kontraposition d.h. „Wenn nicht A, dann nicht B“ ist logisch äquivalent „Wenn B, dann A“.

Für unser Sprichwort wäre die Übersetzung: "Wenn Hans etwas lernt, dann lernt das auch Hänschen.“ Die Logik abstrahiert von der Zeit, daher liest sich das etwas befremdlich. Man könnte klarer formulieren: „Wenn Hans etwas lernt, dann hat  Hänschen das auch schon gelernt.“ Und hier wird noch klarer, dass diese Behauptung in vielfacher Hinsicht falsch ist, wie ich oben schon erläutert habe.


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28.09.18  Sprichwörter und Sprüche (5):

Alles ist eins

Der Satz „Alles ist eins“ spielt eine große Rolle in spirituellen
Lehren, wird aber durchaus auch von Wissenschaftlern vertreten.
Allerdings gibt es 1001 oder auch 2001 Deutungen für diesen
Satz von der All-Einheit. Er ist auch durchaus für materialistische
Interpretationen offen, z. B. »Alles ist eins«, weil alles aus dersel-
ben Materie besteht.
Ich möchte mich aber auf die wichtigsten Auffassungen beschränken,
wie sie in der New-Age-Bewegung vertreten werden.


Dort werden vor allem die Prinzipien Sanftheit, Polarität,
System und Hologramm thematisiert.

1) Sanftheit, Liebe: Alles ist eins, weil alles teilhat an der höch-
sten, göttlichen Liebe. Wie die New Ager das Unsanfte weger-
klären, wissen wir ja bereits; z. B. heißt es, das Lieblose gehöre
nicht zum Wesen, sei un-wesentlich. Ähnlich lässt sich der Ein-
heitsspruch für andere (ein-polare) Prinzipien begründen, z. B.
durch Partizipation, durch Teilhabe am göttlichen Geist oder an
der kosmischen Energie.

2) Polarität: Alles ist eins, weil alles Teil der universalen
Yin-Yang-Ganzheit ist. Oder noch stärker: Alles ist eins, weil alles
aus der Ureinheit, dem Tao geboren wurde, aus dem der universale Ggensatz Yin-Yang hervorging. Ein Kritikus mag
zwar einwenden: Okay, dann gilt »Alles war eins«, aber das garan-
tiert nicht, dass immer noch alles eins ist, selbst wenn wahr sein
sollte »Alles wird (wieder) eins sein«. Aber solche »Haarspalterei-
en« wischt man mit der Behauptung beiseite, dass das zeitlose Tao
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereine.

3) System: Alles ist eins, weil alles dem universalen System, dem
Universum angehört. Und in einem System hängen eben alle Teile
miteinander zusammen, bilden eine Einheit. Wir alle sind »Kinder
des Weltalls«, vom Wasserstoffatom bis zum Stern.

4) Hologramm: Alles ist eins, weil alles zusammen ein kosmisches
Hologramm bildet bzw. einen universellen Geist.

Was soll man von dieser vielseitigen Beschwörung der All-Ein-
heit halten? Sehen wir einmal von den schon besprochenen Män-
geln der einzelnen Denkmodelle ab, so fällt als erstes auf: Der
Satz wird nicht so heiß verstanden, wie er gesprochen wird. Damit
meine ich, die New Ager denken zwar in einer abstrakten oder
verschwommenen Weise an eine All-Einheit, aber keiner hält sich
wirklich für eins z. B. mit einem Atomkraftwerk, einem Misthau-
fen oder - noch schlimmer - einem Mechanisten. Und  der Satz
spielt beim praktischen Handeln ohnehin kaum eine Rolle.


Trotzdem müssen wir den Inhalt der All-Einheit-These ernst-
haft prüfen: Im strengen Sinn ist Einheit unteilbar — anders als
Ganzheit (die - wie z. B. ein System - einzelne Teile umfasst);
deswegen kann zwar alles Seiende eine Ganzheit bilden, aber
nicht eine Einheit. Strenge Einheit verlangt Identität — und natür-
lich sind nicht alle Dinge der Welt miteinander identisch, sondern
nur ein Ding mit sich selbst.


Aber auch wenn wir das mit der Einheit nicht so (str)eng sehen,
bleibt die Überbetonung der Einheit ein-seitig. Anstatt »Alles ist
eins« kann man ebenso gut behaupten: »Alles ist nicht eins«, denn
es gibt eben Einheit und Vielheit in der Welt. Das ist eine Frage
des Blickwinkels, welchen Aspekt man hervorhebt. Auch lässt sich
nicht ohne weiteres postulieren, die Einheit der Dinge sei das We-
sentliche, die Vielheit und Verschiedenheit nur das Oberflächli-
che.

(Diesen Text habe ich an anderer Stelle auf der Homepage schon einmal veröffentlicht.

Literatur: modifizierter Auszug aus meinem Buch über New Age:
 „Die schöne Illusion der Wassermänner“)



21.09.18  Sprichworte und Sprüche (4):

Was nützt mir die Weite des Weltalls, wenn meine Schuhe zu eng sind?


Jeder kennt den berühmten Satz von Kant: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“


Nein, von den Jüngeren kennt wohl kaum einer mehr diesen Ausspruch, aber das ist ein anderes Thema. Was Kant über den bestirnten Himmel sagt, das haben viele Menschen seit Urzeiten so empfunden: das Staunen über die Weite, Größe und Schönheit des nächtlichen Himmels.


Und auch heute noch staunen wir Menschen darüber, vielleicht noch mehr, seitdem die Wissenschaft, die Kosmologie und die Astronomie, die wirkliche, unvorstellbare  Weite des Himmels erkannt haben, die sich nur in  Lichtjahren bemessen lässt. Und die unglaubliche Vielzahl von Sternen, ja Sternensystemen und – wie wir noch gar nicht so lange wissen – die Vielzahl von Planeten, auf denen es auch erdähnliches Leben geben könnte. Viele Wissenschaftler und Philosophien haben sich mit der „Fast-Unendlichkeit“ befasst, sie in ihr Weltbild oder ihre Philosophie als zentrale Komponente eingebaut.


Nun hat die Spruchweisheit „Was nützt mir die Weite des Weltalls, wenn meine Schuhe zu eng sind?“ – die übrigens aus Armenien stammen soll – ja zwei Komponenten, die Weite des Universums und die Enge der Schuhe.

Die Enge der Schuhe zieht uns vom Himmel zurück auf die Erde, zieht uns aus dem erhabenen Bewundern herab in die Niederungen eines banalen Schmerzempfindens, die engen Schuhe bedrücken nicht nur unseren Fuß, sondern auch uns ganzes Gemüt.


Und der Spruch nimmt hier ziemlich eindeutig Stellung: Die Enge der Schuhe ist wichtiger für uns als die Weite des Universums. Wenn wir körperliche Schmerzen erleiden, dann hilft uns auch keine noch so grandiose kosmische Wirklichkeit.


Man mag einwenden, dass es vielleicht doch zuweilen gelingt, körperliches Unwohlsein durch erhabene Gefühle und Wahrnehmungen zu übertünchen, sich vom Schmerz abzulenken, idealerweise ihn sogar zu transzendieren.


Aber ich denke. Den Spruch har kein kosmosaffiner Philosoph oder Kosmologe ausgesprochen, es isst vielmehr der Ausspruch eines einfachen Menschen, eines Mannes von der Straße, in einem Land, das für seine Armut bekannt ist (wie man z. B. bei Wikipedia nachlesen kann.) Wo die Menschen wahrscheinlich oft keine gut passenden Schuhe besitzen oder jedenfalls früher besaßen. Und so jemand wäre es sicher lieber, er hätte bequem weite Schuhe, auch wenn das Universum nicht so ausgedehnt, sondern recht schmalspurig wäre.


Hat der Spruch nun recht? Ich denke, im Grunde schon. Man mag an Brecht denken, „erst kommt das Fressen, und dann die Moral.“ Hier umgewandelt zu: „Erst kommen die Schuhe, und dann das Weltall.“ Man kann auch an die Maslowsche Bedürfnispyramide erinnern, zunächst müssen die elementaren Bedürfnisse wie eben passende Schuhe befriedigt sein, ehe man sich an der Erfüllung höherer Bedürfnisse wie „Staunen über den bestirnten Himmel“ erfreut.


Allerdings möchte ich doch etwas einschränken: Die Faszination über das Weltall kann doch dem, der dafür zugänglich ist, manche dunkle Stunde in Schmerz oder Armut erhellen, das Elend nicht auslöschen, aber doch erträglicher machen – erst recht für den, der mit dem Kosmos auch religiöse Vorstellungen verbindet.


Zum Schluss erlaube ich mir noch einen Scherz, den ich aus der früheren „Comedy-Serie „Die Zwei“, mit Roger Moore und Tony Curtis entlehne. Da fiel der Spruch: „Zähne sind wie Sterne, abends kommen sie raus.“ Hier wird die Erhabenheit des bestirnten Himmels auf die allzu alltägliche, etwas unästhetische Ebene der „dritten Zähne“ heruntergebrochen und veralbert. Soll heißen: Man muss dem sternereichen Nachthimmel nicht mit Ehrfurcht begegnen, man kann sich auch einfach über ihn lustig machen.


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16.09.18  Sprichwörter und Sprüche (3):

Die Befreiung ist, dass es keine Befreiung gibt


Dies klingt paradox und ist es ja auch. Was ist aber damit gemeint? Ich beziehe das zunächst auf die innere Befreiung, die Befreiung von negativen Gefühle wie Angst oder Zorn, von Frustration und Depression, von quälenden, weil unerfüllten oder unerfüllbaren Wünschen.

 

Man glaubt, wenn man sein zentrales Lebensziel oder seine wichtigsten Lebenswünsche erfüllt hat und wenn man seine negativen Gefühle überwunden hat, dann ist man befreit, zufrieden und glücklich.

 

Das ist vermutlich ohnehin eine Illusion. Es gibt den schönen Ausspruch: „Es gibt zwei Wege, unzufrieden sein: ein Ziel nicht zu erreichen und ein Ziel zu erreichen.“ Weil eben der Erfüllung eines Zieles oft eine Leere und Langweile folgt. Und so sucht man sich ein neues Ziel, denn wie es so schön heißt: "Der Weg ist das Ziel."

 

Aber es geht mir hier zentral um einen anderen Aspekt: Man erreicht seine wichtigsten Lebensziele gar nicht oder jedenfalls nie vollkommen und vollständig, und man kann sich nie vollständig von Angst, Zorn oder Schmerz loslösen.

So lange man aber hofft, seine negativen Gefühle loszuwerden oder seine positiven Bedürfnisse zu erfüllen, bleibt man im Kampf, in der Anspannung. Und je erbitterter und angestrengter man – vergeblich – kämpft, desto unzufriedener und unglücklicher wird man.

 

Erst wenn man aufhört zu kämpfen, wenn man akzeptiert, dass man seine negativen Gefühle nie ganz überwinden und seine großen Hoffnungen nie vollständig erfüllen wird, dass es also keine Befreiung gibt, tritt eine Entspannung ein, der Kampf ist vorbei.

 

Und damit tritt eine Befreiung bzw. ein Befreiungsgefühl ein: Denn es ist eine Last, eine Mühe, manchmal eine Qual, immer wieder vergeblich gegen ein Leid anzukämpfen oder auch vor ihm zu fliehen bzw. einem Glück sehnsüchtig  hinterherzulaufen. Also müsste man exakter formulieren: „Die Befreiung ist zu akzeptieren, dass es keine Befreiung gibt.“

 

Hoffe nichts, fürchte nichts, sei frei!

 

Man erhofft hier die Befreiung also nicht von der Erfüllung von Wünschen, sondern umgekehrt von der Aufgabe seiner Wünsche, davon, dass man seine Wünsche und Ziele loslässt, überschreitet, transzendiert:  wie man so schön sagt „wunschlos glücklich“.

Natürlich geht es hier nicht um kleine, alltägliche Situationen. Wenn man durstig ist, macht es Sinn, sich ein Glas Wasser oder was auch immer zu nehmen und das zu trinken. Auch manches große Problem lässt sich lösen und lohnt den Einsatz, z. B. die Überwindung einer schweren Krankheit.

 

Nein, es geht hier um Wünsche, die sich wahrscheinlich nie restlos erfüllen lasen bzw. um Probleme, die sich wahrscheinlich nie 1 zu 1 lösen lassen, dabei aber gravierend sind. Z. B. der Wunsch, eine perfekte Partnerschaft zu leben oder immer gesund zu sein oder  nie enttäuscht zu werden. Wer nie enttäuscht werden möchte, der wird mit Sicherheit gerade enttäuscht.

 

Allerdings: Es ist sehr schwer, seine Hoffnungen sowie Befürchtungen loszulassen; gut, den einen kleineren Wunsch oder eine nicht gravierende Angst aufzugeben, das mag glücken. Aber ein weitgehendes oder gar vollkommenes Loslassen, das gelingt offensichtlich nur wenigen Menschen, wenn überhaupt.

 

Und es droht hier ein Problem, das ich das Aufgeber-Dilemma genannt und in verschiedenen Texten schon ausführlich beschrieben habe: Wenn ich meine Wünsche, meine Freude und meine Angst oder Wut aufgebe, dann kann ich zu einem „Aufgeber“ werden; d .h es ist nicht selige Gelassenheit oder Gleichmut, was ich erreiche, sondern stumpfe Gleichgültigkeit und Apathie, es kann zu Fatalismus oder Depression führen.

 

Also: Die Befreiung ist, dass es keine Befreiung gibt? Ja und nein.

Zu akzeptieren, dass es keine Befreiung gibt, befreit uns von unserem Kampf, aber nimmt uns womöglich unseren Lebenssinn und unsere Lebensenergie.


(Diesen Text habe ich an anderer Stelle auf der Homepage schon einmal veröffentlicht.)




08.09.18 Sprichwörter und Sprüche (2):

Wer früher stirbt, ist länger tot.



Das ist ein sogenannter Sponti-Spruch. “Spontis waren von den 1970er- bis in die 1980er-Jahre hinein Gruppen linksgerichteter politischer Aktivisten, die sich in der Nachfolge der außerparlamentarischen Opposition (APO) und der 68er-Bewegung sahen.“ (Wikipedia). Kennzeichnend für die Spontis waren auch, dass sie witzige, pointierte, satirische Sprüche kreierten.

 

Um den Satz zu ergründen, nehmen wir uns erst einmal eine andere Aussage als Beispiel: „Wer in der Jugend richtig schuftet, der verdient später mehr Geld.“ Bei so einem Satz ist die Aussage im Vordersatz negativ, beschreibt einen unerfreulichen Sachverhalt („richtig schuften“), die Aussage im Nachsatz ist dagegen positiv, beschreibt einen erfreulichen Sachverhalt („verdient mehr Geld“). Es gibt viele Äußerungen, die eine solche Negativ-Positiv-Struktur haben, wo im Nachsatz ein Ausgleich zum Vordersatz hergestellt wird.

 

Nun zum Sponti-Spruch: Auch hier ist der Vordersatz negativ („früher stirbt“), und so erwartet man vom Nachsatz etwas Positives. Der Nachsatz lautet aber „ist länger tot“. Und hier stutzt man: Was soll daran positiv sein, dass jemand länger tot ist. Dass jemand länger Rente bezieht oder dass er länger gesund bleibt, das ist positiv. Aber dass jemand länger tot ist? Normalerweise würde man doch meinen, es ist egal, wie lange jemand tot ist, tot ist tot, eine längere Todeszeit bringt keinerlei Verbesserung oder keinen Vorteil. Genauso wie es kein Vorteil wäre, „töter“ zu sein, in höherem Grad tot zu sein, denn wie schon gesagt; tot ist tot.

 

Und darin liegt eben genau der Witz, die Pointe des Sponti-Spruchs. Man erwartet einen positiven Ausgleich für das frühe Sterben, aber es gibt nur scheinbar einen positiven Gegenwert.

Auch wenn man annimmt, dass dieser Spruch – wie viele Sponti-Sprüche – auch etwas Depressives, Pessimistisches, Lebensverneinendes ausdrückt, so dass Totsein hier wirklich als ein Positivum verstanden wird, länger tot zu sein bringt sicherlich keinen Vorteil.

 

Es sei denn, man bemüht irgendwelche esoterischen Theorien, dass man sich im Zustand des Totseins eine spirituelle Stufenleiter nach oben bewegt, und je länger tot, desto höher kommt man auf der spirituellen Leiter Richtung Gott oder Richtung Erleuchtung. Aber das ist von den Spontis sicher nicht so gemeint gewesen – und ich möchte diese Deutung daher auch ausschließen.

 

Man könnte auch noch ganz anders an den Satz „Wer früher stirbt, ist länger tot“ herangehen, mit der Logik. Denn der Satz ist logisch gesehen eine Tautologie. D. h., er ist notwendig wahr: denn wenn jemand z. B. 1980 stirbt, ist es er z. B. vom Jahr 2000 aus betrachtet (schon) länger tot, als wenn er erst 1990 gestorben wäre. Tautologien sind „inhaltsleer“, weil sie gewissermaßen etwas Triviales aussagen. Und auch daher könnte man den Witz des Spruches herleiten, man erwartet nach dem Vordersatz eine gehaltvolle Forderung, aber der Nachsatz sagt nicht mehr aus als der Vordersatz, nur in anderen Worten. Auch das erzeugt eine Verblüffung, wenn natürlich auch der logisch ungeschulte Mensch das nicht ohne weiteres erkennt.




02.09.18 Sprichwörter und Sprüche (1)

Jeder ist für etwas gut, und sei es auch nur als abschreckendes Beispiel.

 

Einführung

Sprichwörter und Sprüche drücken, meist nur in einem Satz, eine wichtige Aussage aus, eine Botschaft, vielleicht eine Weisheit – häufig verbunden mit einer Pointe, einem Witz, einer Ironie. Allerdings kann die Aussage auch problematisch sein, so dass sich ein Hinterfragen oder Kritisieren lohnt. In den nächsten Einträgen auf dem Blog werde ich mich damit beschäftigen.


Den oben genannten Spruch las ich auf einem Wandzettel in einem Therapiezentrum, er wurde nach meiner Erinnerung als altes, russisches Sprichwort bezeichnet.

Der Spruch war ganz konkret einem Therapeuten gewidmet, dessen Name genannt war; offensichtlich hatten Patienten den Zettel aufgehängt, um diesen Therapeuten zu kritisieren.


Das war auf den ersten Blick lustig, wenn natürlich auch für den Therapeuten peinlich. Doch als ich länger darüber nachdachte, konnte ich mir vorstellen, wie viel Verzweiflung der Patienten dahinter steckte. In eine Therapie geht man nur, wenn es einem schlecht geht, man vielleicht unter Depressionen leidet, und man dringend nach Hilfe sucht. Dann auf einen Therapeuten zu stoßen, über den sich nichts Positives aussagen lässt, als dass er als abschreckendes Beispiel dienen kann, muss geradezu niederschmetternd sein – auch wenn es natürlich nicht unbedingt objektiv richtig sein mag.


Aber der Spruch ist grundsätzlich interessant. Ich möchte ihn als ironisch-optimistisch bezeichnen.  Es gibt demnach nichts ausschließlich Negatives auf der Welt, denn man kann immer sagen: positiv darin ist, dass es als abschreckendes, warnendes, mahnendes Beispiel dienen kann – so weit ist der Spruch optimistisch. Allerdings ist er natürlich nur scheinbar optimistisch, denn dass jemand oder etwas als ein abschreckendes Beispiel dient, kann man nicht ernsthaft als ein Positives ansehen. Darin besteht die Ironie oder der Witz des Sprichwortes.


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25.08.18  Meta-Ganzheit (9) – Interview mit Meta-Holon zu Meta-Ganzheit und Gesellschaft


Meta-Holon ist eine fiktive Person, der Verteter der Meta-Ganzheit.


Interviewer: Erklären Sie doch noch einmal kurz, worin sich die Me-
ta-Ganzheit von der Ganzheit der New Ager unterscheidet.

 

Meta-Holon: Die Meta-Ganzheit ist flexibler, dynamischer, offe-
ner als die alte »Mini-Ganzheit« (oder »Midi-Ganzheit«). Sie um-
fasst mehr Möglichkeiten und setzt sie in Verbindung, ohne sie
aber zwanghaft zu einer Geschlossenheit zusammenzukleistern.
Vergleichen wir die einfache Ganzheit mit einem festen Stand-
Punkt, dann bedeutet die Meta-Ganzheit die Variation von Stand-
Bein und Spiel-Bein, ein Ausgleich zwischen »Stand-Halten« und
»Sich-gehen-Lassen«; sie ist der Wechselschritt gegenüber dem
Gleichschritt, der freie, doch nicht chaotische Tanz anstatt einem
Auf-der-Stelle-Treten.

 

Interviewer: Können Sie veranschaulichen, was das für die
menschliche Gesellschaft bedeutet?

 

Meta-Holon: Aus Sicht des Meta-Holismus kann man nicht sche-
matisch festlegen, es müsste immer eine Mitte zwischen den Ge-
gensätzen erreicht werden, also z. B. dass alle Menschen in glei-
chem Ausmaß Yin-Sanftheit und Yang-Härte besitzen stillten.
Denn neben der goldenen Mitte gibt es auch die Mittel-Mäßigkeit,
der mittlere Ausgleich der Pole kann fruchtbar, aber auch steril
sein.

 

Interviewer: Sollen sich stattdessen die Pole jeweils zyklisch aus-
gleichen, indem wir z. B. einen Wechsel von emotionalen und ra-
tionalen Phasen ansteuern?

 

Meta-Holon: Die höhere Ganzheit besteht in einer Verbindung
von Mitte und Zyklus: dass wir zwar in einer Mitte ruhen, von da
aus aber mal stärker nach Yin und mal stärker nach Yang »pen-
deln«, ohne dabei normalerweise bis zum Extrem, bis zum Wen-
depunkt »auszuschlagen«. Warum sollen wir uns immer wieder
vom knallharten Kämpfer bis zur suprasanften Fee und zurück
entwickeln?

 

Interviewer: Aber ist eine solche Verbindung von Mitte und Zy-
klus letztlich nicht auch noch schematisch?

 

Meta-Holon: Sicher darf man auch diese Verbindung keiner star-
ren Regel unterwerfen. So wie Yin und Yang komplementär sind,
so sind — auf einer höheren Ebene — auch die Yin-Yang-Mitte
und der Yin-Yang-Zyklus komplementär. Und wir müssen — me-
ga-polar — zwischen ihnen vermitteln, also ohne Schematismus.

 

Interviewer: Ein Beispiel?

 

Meta-Holon: Es dürfte richtig sein, jetzt erst einmal einseitig das
Yin (bzw. bestimmte Seiten von ihm) zu stärken, damit es über-
haupt die Kraft findet, sich gegen die Yang-Dominanz zu behaup-

ten. Wir brauchten eine Yin-Phase, damit eine Yin-Yang-Mitte
überhaupt erst möglich wird. Und da Frauen eben stärker Yin-ge-
prägt sind, könnte das konkret bedeuten, dass sie weit über Durch-
schnitt gesellschaftlichen Einfluss bzw. die politischen Pöstchen er-
halten — für eine Zeitlang; insofern halte ich z. B. die Frauen-
mehrheit im neuen rot-grünen Berliner Senat für einen Schritt in
die richtige Richtung. Irgendwann — und nicht zu spät — müsste
allerdings dem Yin wieder gegengesteuert werden, sonst dominier-
te es eines Tages zu stark, und wir gerieten von der »Mannokra-
tie« in die »Mammokratie«.

 

Interviewer: Ist auf Dauer also immer ein Pol-Gleichgewicht das
Ziel?

 

Meta-Holon: Grundsätzlich halte ich aus Meta-ganzheitlicher
Sicht schon eine Ausgeglichenheit, Ausgewogenheit für wün-
schenswert, aber keineswegs in jedem Fall. Es kann auch berech-
tigt und realistisch sein, dauerhaft nur einen Pol anzustreben. Ich
sehe es als gefährlichen Irrglauben, wenn Peter Orban z. B. ver-
kündet: »Zum Frieden gehört notwendigerweise der Krieg.« Auch
nach Dethlefsen und Dahlke muss es immer ein Gleichgewicht von
Krieg und Frieden geben; und wenn wir etwas für den Frieden
tun, stärken wir damit gleichzeitig den Krieg, denn sie behaupten:
»Wenn wir versuchen, einseitig einen Pol zu nähren, dann wächst
ungesehen der Gegenpol mit.«


Interviewer: Wie erklärt sich ein solcher Glaube?


Meta-Holon: M. E. rührt er aus einer Vermischung von Begriffs-
und Realitätsebene. Bzw. aus einem starren Ganzheitsdenken,
wie ich es mit der Meta-Ganzheit überwinden möchte. Begrifflich
gehört zum Frieden notwendigerweise der Krieg. Aber in der Reali-
tät ist durchaus Frieden ohne Krieg möglich. Und wenn sich der
Krieg vielleicht auch nicht völlig überwinden lät, so können wir
doch durch Entspannungspolitik die Chancen für den Frieden ver-
bessern. Dabei müssen wir als erstes die Ideologie aufgeben, beide
Pole eines Gegensatzes — auch Krieg und Frieden — seien stets
gleichwertig.

 

Interviewer: Aber können wir Menschen denn überhaupt den
Zyklus von Yin-Yang beeinflussen? Bestimmen den nicht höhere
Gesetze?

 

Meta-Holon: Viele New Ager sehen nicht die Menschheit als Sub-
jekt der Geschichte, sondern Yin-Yang, den Wassermann, die Sy-
stemdynamik, einen hegelschen Weltgeist o. ä. Indem die
New-Age-Bewegung — wie Schorsch kritisiert — »den Menschen
naturalisiert, numinösen Kräften und sich zwangsläufig-zwanghaft
vollziehenden Entwicklungen unterwirft, reduziert sie ihn vom
handelnden zum sich verhaltenden Wesen«. Meta-ganzheitlich gilt
es, die Geschichte als komplexes Geschehen zu begreifen, das von
einer Vielzahl von Kräften - multikausal — gelenkt wird. Insofern

läßt sie sich nicht mit einfachen Gesetzen beschreiben; auf Grund
ihrer hohen Komplexität ist sie letztlich eine Singularität, etwas
Einmaliges, das eine gesetzmäßige, also allgemeine Erfassung
überhaupt nur begrenzt zulässt. Somit gibt es keine eindeutigen
Geschichtsepochen, auch kein Wassermannzeitalter.

 

Interviewer: Myrell, Schmandt und Voigt haben geschrieben:
».. . je genauer man eine Geschichtsepoche kennt und untersucht,
desto mehr verschwimmt dieser wunderschöne große Bogen, der
sich über ein ganzes Zeitalter wölbt, wie ein Regenbogen, der nur
unter bestimmten Bedingungen und von einem bestimmten Stand-
punkt aus zu sehen ist, der aber an sich nicht zur Landschaft ge-
hört. Es ist leicht, in der Gegenwart Entwicklungen und Entfal-
tungen, Höhepunkte, Abstiege und Zusammenbrüche zu ent-
decken, alles nebeneinander, alles am gleichen Tag.« — Dem
müssten Sie doch zustimmen?

 

Meta-Holon: Weitgehend - aber es gilt, die übergeordnete Ganz-
heit zu sehen. Wir können schon gewisse Geschichtsregularitäten
und -epochen auffinden, aber sie werden relativiert durch das
Handeln individueller Menschen. Und dem müssen wir als einzel-
ne wie als Gesellschaft Rechnung tragen. D. h., nicht die Hände in
den Schoß legen, weil der Kosmos alles schon zum Besten richten
wird, ebenso keine fatalistische Anpassung an »Schicksalsschlä-
ge«, weil man alles eben so nehmen müsse, wie es komme; son-
dern ein aktives Eingreifen in die Geschichte, doch auch nicht in
dem Machbarkeitswahn, wir seien keinerlei Gesetzmäßigkeiten
unterworfen. Eine Haltung der Mitte, aber keine statische, son-
dern eine dynamische, immer wieder neu zu bestimmende Mitte.

Interviewer: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 


10.08.18  Meta-Ganzheit (8) – Zweite Diskussion: Meta-Ganzheit und System


An unserer zweiten Talk-Runde nehmen teil:

1. ein Atomist, als Vertreter des Mechanismus

2. drei New Ager, Systemdenker

   (die Unterschiede zwischen alter
   und neuer Systemtheorie bleiben unber
ücksichtigt):

- ein Strukturalist

- ein Ökologist

- ein Emergentist

3.  Meta-Holon (diesen Meta-Holisten müssen wir nicht auswech-
seln)

 Atomist: Meine Position - als die in der Wissenschaft am meisten
verbreitete - darf ich eigentlich als bekannt voraussetzen. Wenn
ich sie aber noch einmal zusammenfassen soll: Ein System wird
durch seine Teile, seine Elemente, bestimmt, z. B. eine Familie
durch die Eltern und Kinder oder auch andere Familienmitglie-
der.

 

Strukturalist: Ihr Standpunkt ist nicht mehr haltbar. Wir wissen
doch heute, dass es die Wechselwirkungen und Wechselbeziehun-
gen zwischen den Teilen sind, d. h. die Struktur, die das Gesamt-
system definiert. In einer Familie ist das z. B. die Zuneigung oder
Abneigung zwischen den Angehörigen.

 

Ökologist: Ihr Standpunkt ist nicht mehr haltbar. Es hat sich ge-
zeigt, dass der Bezug zur Umwelt das wichtigste für ein System ist.

So bestimmt z. B. auch bei einer Familie der Kontakt nach außen,
vor allem zu anderen Menschen, Gruppen und staatlichen Institu-
tionen, letztlich das gesamte Familiensystem.

 

Emergentist: Ihr Standpunkt ist nicht mehr haltbar. Denn was ein
System primär ausmacht, ist seine Emergenz. Dass es eine neue,
höhere Einheit bildet, die Elemente, Struktur und Umweltbezie-
hungen prägt. So wie z. B. das Familienganze die Mitglieder und
ihre Innen- wie Außenkontakte prägt.

 

Meta-Holon: Ihre Standpunkte sind alle haltbar, aber auch alle
einseitig. Aus Sicht der Meta-Ganzheit sind Elemente, Struktur,
Umweltbeziehungen und Einheit wichtig — ja, sie können nicht
einmal völlig voneinander abgegrenzt werden. Z. B. verstehen wir
eine Familie nur, wenn wir die Mitglieder, den Innen- und Außen-
kontakt und die Einheit berücksichtigen.

 

Atomist: Aber die Wissenschaft hat doch bisher mit der Zerlegung
eines Ganzen in seine Teile sehr großen Erfolg gehabt. Wenn man
weiß, wie sich die Elemente verhalten, kann man berechnen, wie
sich das Ganze verhält. Dass das bisher nicht immer funktioniert,
liegt nur daran, dass wir noch nicht genug über die Einzelteile wis-
sen.

 

Meta-Holon: Ich behaupte nicht, für jedes System spielten Ele-
mente, Innen- und Umweltbeziehungen sowie Emergenz eine
gleich große Rolle. Es dürfte - einfache, weitgehend geschlosse-
ne - Systeme geben, die sich fast vollständig durch das Verhalten
ihrer Elemente erklären lassen, aber das betrifft eben nicht alle
Systeme und insbesondere nicht die komplexeren.

 

Strukturalist: In vielen Wissenschaften wird doch heute das Ge-
flecht der Wechselbeziehungen, das Feld herausgestellt. Vernach-
lässigen Sie das nicht zu sehr? Stimmen Sie mir wenigstens zu, dass
die Strukturen den wichtigsten Einfluß haben, wenn auch nicht
den einzigen?

 

Meta-Holon: Ich glaube, Sie vernachlässigen selbst die Wechsel-
beziehungen. Zwar berücksichtigen Sie die Wechselbeziehungen
zwischen den Elementen, die Struktur; aber die soll dann - linear
- z. B. den Umweltkontakt steuern, d. h. Sie ignorieren dessen
Rückwirkung bzw. die Wechselwirkung zwischen Struktur und
Umweltkontakt. Sie müssen eine Stufe höher steigen und die
Wechselwirkungen zwischen den Systemkomponenten sehen, zwi-
schen Elementen, Struktur, Umweltbeziehungen und Einheit. Zu
jedem System gibt es quasi ein Meta-System, und geht es auf der
Systemebene etwa um das Verhältnis von Elementen, also um die
Struktur, dann geht es auf der Meta-Ebene um die Meta-Struktur,
z. B. um das Verhältnis von Elementen und Einheit oder von Ele-
menten und Struktur etc.

 

Emergentist: Die emergente Ganzheit hat sich als sinnvolles Kon-
zept einer
übergeordneten Einheit des Systems erwiesen. Jetzt set-

zen Sie mir noch ihre Meta-Ganzheit drüber. Diese ist aber in
Wahrheit nicht höher, sondern niedriger als die emergente Ganz-
heit, besonders, weil Sie sogar die Elemente mit einbeziehen. Da-
mit nähern Sie sich wieder dem Atomismus oder Reduktionis-
mus.

 

Meta-Holon: Das sehe ich anders. Im Grunde sind Sie alle Re-
duktionisten. (Ungläubiges Kopfschütteln der Systemdenker.) Sie
alle führen die komplexe Wirklichkeit auf ein Prinzip zurück: der
Atomist auf die Elemente, die anderen auf die Strukturen, Um-
weltbeziehungen oder eben die Ganzheit. Auch wenn man alles
auf die Ganzheit reduziert, ist das ein Reduktionismus. Ein Re-
duktionismus von oben anstatt von unten, von den Elementen her,
wie ihn unser Atomist betreibt.

 

Emergentist: Müssen Sie eigentlich immer recht behalten? (Beifäl-
liges Nicken aller anderen.)

 

Meta-Holon: Ich behaupte gar nicht, dass ich unbedingt recht ha-
be. Mein Standpunkt schließt auch ein, dass jeder von Ihnen im
Recht ist. Ich halte nur meine Position für wahrscheinlicher, schon
weil sie ja letztlich alle Ihre Auffassungen umfasst, aber miteinan-
der ausgleicht. Deshalb kann ich es auch nur begrüßen, wenn Sie
sich gegen mich zusammenschließen - denn gemeinsam vertreten
Sie dann fast die Meta-Ganzheit.


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28.07.18  Meta-Ganzheit (7) – Erste Diskussion: Meta-Ganzheit und Polarität


In den folgenden Punkten bringe ich drei Diskusionen zur Meta-Ganzheit, welche die Meta-Ganzheit besser veranschaulichen sollen. Ich habe diese Diskussionen mit Modifikationen übernommen aus meinem Buch „New Age“.


Ich beginne mit einer Diskussion zum Thema: Meta-Ganzheit und Polarität.


An der Diskussion beteiligen sich:

            1. Herr Yang, Vertreter des Mechanismus

            2. drei New Ager

                   - Frau Yin, eine Anhängerin der Sanftheit

                   - Yinang, ein androgynes Wesen, wirbt für die Ganzheit

                   - Tao, geschlechtslos, repräsentiert das TAO

            3. Meta-Holon, er-sie-es spricht für die Meta-Ganzheit

 

Frau Yin: Wenn ich einmal anfangen darf, ich meine die Welt ist
voll Liebe und Harmonie, das weibliche Yin durchflie
ßt Mensch
und Natur in weichen Wellen - ich fühle das intuitiv.

Herr Yang: Das ist doch Unsinn. Jede nüchterne und rationale
Analyse der Wirklichkeit zeigt uns, dass Konkurrenz und Kampf
das Leben beherrschen. Das männliche Yang ist der Herr der
Welt.

 

Frau Yin: Lieber Herr Yang, Sie müssen die Welt nur mit sanften
Augen sehen, dann entdecken Sie auch die - manchmal verborge-
ne - Sanftheit. Ich jedenfalls kann in meinem Inneren die liebe-
vollen Schwingungen spüren.

 

Yinang: Vielleicht darf ich zwischen Ihnen vermitteln. Ihre beiden
Standpunkte m
üssen sich nicht widersprechen, sondern lassen sich
ergänzen. Jeder von Ihnen sieht nur einen Pol, Sanftheit oder
Härte, aber erst beide Pole zusammen machen das Ganze aus. In
der Natur finden wir immer einen Ausgleich zwischen den Gegen-
sätzen, zwischen aktiv und passiv, Kampf und Verbindung usw.,
allgemein zwischen Yin und Yang. Und erst dieses Gleichgewicht
bedeutet echte Harmonie, nicht das isolierte Yin. Der Mensch
aber kann seinen Yin-Yang-Ausgleich verletzen und gerät so in
die Disharmonie. -  Meta-Holon, Sie stimmen doch mit mir über-
ein?

 

Meta-Holon: Nur teilweise. Sie haben recht, wir beobachten viel-
fach in der Natur, dass
Gegensätze sich ergänzen, z. B. Tag und
Nacht. Aber dies gilt nicht immer und schon gar nicht notwendig.
Es kann auch nur ein Pol realisiert sein, z. B. sind bestimmte Or-
te, Länder und Planeten immer heiß, andere immer kalt. Keines-
falls ist stets ein exakter 50:50-Ausgleich gegeben. Und auch der
Mensch muss nicht unbedingt im völligen Yin-Yang-Gleichgewicht
leben, um in Harmonie zu sein. Mein Ansatz der Meta-Ganzheit
umfasst sowohl die Ausprägung nur eines Pols, sei es Yin oder
Yang, als auch die Verbindung beider Pole; alles ist möglich, und
alles kann angemessen sein, je nach den Umständen. Übrigens:
Für mich ist ein Pol-Ausgleich sowohl die Mitte zwischen Yin und
Yang wie auch ein Zyklus, ein Wechsel von ihnen -  während Ihr
Ganzheitler Euch doch darüber streitet.

 

Yinang (leise): Hhmm, aber wir sind uns einig, dass wir uns nicht
einig sind.

 

Tao: Sie alle sehen nicht die höchste Ganzheit. Die ist weder Yin
noch Yang, auch keine Verbindung von Yin und Yang und auch
nicht die Gesamtverknüpfung dieser drei Möglichkeiten als Me-

ta-Ganzheit, sondern die Einheit. Die Einheit, die den Gegensät-
zen Yin und Yang zugrunde liegt, in der noch keine Aufspaltung
in Pole stattgefunden hat - das TAO.

 

Herr Yang: Also jetzt wird's metaphysisch, Ihre merkwürdige Ein-
heit erlaubt doch keinen rationalen Zugang mehr.

 

Frau Yin: Ich fühle, diese Einheit ist doch die Liebe.

Meta-Holon: Herr Yang, es stimmt, diese vor-polare Einheit ist
mit unserem diskursiven, logischen Verstand nicht zu erfassen -
das heißt aber noch nicht, dass sie nicht existiert. (Tao nickt zu-
stimmend.) Und zu Ihnen, Frau Yin: Diese Einheit kann nicht die
Liebe sein, denn sie soll ja auch dem Gegensatz von Liebe und
Haß zugrunde liegen. (Tao nickt stärker.) Aber, Tao, aus Sicht
der Meta-Ganzheit ist auch Ihre Auffassung nur eine Möglichkeit.
(Tao nickt nicht mehr.) Wir können nicht sicher wissen, ob es eine
solche Ureinheit gibt oder nicht. Jedenfalls aber ist es nicht be-
rechtigt und sinnvoll, sie als einzig wahre Wirklichkeit hinzustel-
len. (Tao schüttelt den Kopf.) Jede Form, das Yang, das Yin, das
Yin + Yang und das TAO - sie alle sind Elemente, Spielarten der
Meta-Ganzheit, diese umfasst alle vier.


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12.07.18  Meta-Ganzheit (6) – Meta-Ganzheit in der Bewertung von Polaritäten

 

Die folgenden Aussagen gelten nur für lebende und intelligente Systeme, also für intelligente Lebewesen.

Die Bewertung von Systemen, nach ihrem Evolutionsgrad, ihrer Funktionalität, ihrer Reife, ggf. auch nach ihrer Moralität ist der Schwerpunkt der Polaritätstheorie. In meinem Ansatz spielt der Grad der Meta-Ganzheit hier eine entscheidende Rolle.

Aus dieser Bewertung lassen sich Forderungen oder Handlungsanweisungen ableiten: Man kann z. B. von einem Menschen, der sich unangemessen aggressiv (Yang-orientiert) verhält, fordern, dass er mehr defensive, kooperative Verhaltensweisen entwickelt (Yin-orientiert), also seine „weibliche Seite“ entfaltet, um so ganzheitlicher, reifer, funktionsfähiger und auch moralischer zu werden.

 

Auch hier kann man wieder 4 Richtungen bzw. Theorien unterscheiden, die ich hier aber teilweise anders benenne als im 5. Punkt.

 

1) Maskulinismus (Yang)

Bewertet das Yang, das männliche Prinzip, als anderen Komponenten überlegen, als wertvoller, weiter entwickelt, gesünder.

Das weibliche Prinzip Yin, die Ganzheit von Yin und Yang oder die transpolare, spirituelle Einheit Tao werden somit als unterlegen angesehen.

Von daher wird gefordert, sich weitgehend am Yang zu orientieren (als Handlungs-Prinzip), das Yang immer weiter zu verstärken (Optimierungs-Prinzip) bzw. sich immer weiter in Richtung Yang zu entwickeln (Evolutions-Prinzip).

Konkret wird z. B. eine Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft gefordert, in der dem Starken, der sich durchsetzt, alle Rechte zugesprochen werden („das Recht des Stärkeren“).

Das mündet im Extrem in einem Sozialdarwinismus, nach dem in der menschlichen Gesellschaft nur der Starke ein Existenzrecht besitzt und der Schwache zu Recht untergeht.

Oft ist der Maskulinismus mit einem Rationalismus verbunden, weil nur dem Mann Rationalität zugesprochen, der Frau dagegen abgesprochen wird, sie wird eher als irrationales, unvernünftiges, emotionales oder gar triebhaftes Wesen verstanden. Dies ist  verbunden mit der Forderung, so rational, ökonomisch, zweckorientiert zu handeln wie möglich. Wobei (Zweck-)Rationalität zu Unrecht mit Verstand oder Vernunft gleichgesetzt wird.

  

2) Feminismus (Yin)

Fokussiert sich auf das Yin, das weibliche Prinzip, als anderen Komponenten überlegen, als wertvoller, weiter entwickelt, gesünder.

Das männliche Prinzip Yang, die Ganzheit von Yin und Yang oder die transpolare, spirituelle Einheit Tao werden somit als unterlegen, als weniger wertvoll angesehen oder gar nicht thematisiert.

Z. B. wird der Begriff „sanft“ als typisch weiblich verstanden und entsprechende Forderungen aufgestellt, nach einer sanften Gesellschaft, einer sanften Politik, einer sanften Medizin usw.

Wie schon gesagt, es gibt andere Richtungen des Feminismus, die diese Sanftheits-Orientierung als absurd ablehnen, die gerade auf Kampf gegen das Männliche bzw. die Männer setzen; das würde man dann allerdings eher unter dem Begriff Yang fassen.

 

3) Holismus (Ganzheit von Yin und Yang)

Fokussiert sich auf die Ganzheit von Yin und Yang, als anderen Komponenten überlegen, als wertvoller, weiter entwickelt, gesünder.

Das männliche Prinzip Yang, das weibliche Prinzip Yin, aber auch die transpolare, spirituelle Einheit Tao werden somit als unterlegen, als weniger wertvoll, nämlich als einseitig, als defizitär angesehen oder gar nicht thematisiert.

Die Forderung nach mehr Ganzheitlichkeit spielt seit Jahren eine große Rolle in unserer Gesellschaft: alles soll ganzheitlich(er) sein, die Politik, die Gesellschaft, das einzelne Individuum, die Wissenschaft, die Medizin usw.

Nicht immer, aber doch häufig wird dabei die Polaritätstheorie mit Yin und Yang bemüht.

Es gibt dabei verschiedene Spielarten. Der Androgynismus z. B. fordert vom einzelnen Menschen, seine männlichen und weiblichen Eigenschaften gleichermaßen und gleichberechtig zu verwirklichen, unabhängig davon, welches biologische Geschlecht er besitzt. Der Equilibrismus fordert in der Politik eine ganzheitliche Sicht, einen dritten Weg, zwischen Kapitalismus und Kommunismus.

 

4) Taoismus (Einheit von Yin und Yang)

Verwandte Begriffe sind wie gesagt Monismus oder Spiritualismus. Der Taoismus fokussiert sich auf das Tao, die trans-polare Einheit hinter den Polen Yin und Yang, als anderen Komponenten überlegen, als wertvoller, weiter entwickelt, gesünder.

Diese anderen Komponenten werden somit als unterlegen, als weniger wertvoll, nämlich als einseitig, als defizitär angesehen oder gar nicht thematisiert.

Die Welt im dynamischen Wechselspiel von Yin und Yang gilt nur als Schein, als oberflächliches, zufälliges Geschehen. Die wahre Realität liegt dahinter, sie ist ewig bzw. zeitlos, unveränderbar, unbestimmt. (Man könnte hier auch die Metaphysik von Aristoteles mit der Unterscheidung von Potenz und Akt heranziehen.)

Forderungen an den Menschen aus Sicht des Taoismus könnten lauten: sich auf sein Innerstes einzustellen, die Welt nur als Zeuge zu beobachten, aber so wenig wie möglich zu handeln oder gar in Aktivismus zu verfallen, wie ein „Mann ohne Eigenschaften“ zu leben.

Aber da das Tao sich prinzipiell Festlegungen entzieht, ist es natürlich ein Problem, irgendwelche konkreten Forderungen daraus abzuleiten.

 

Die Theorie oder Lehre der Meta-Ganzheit, der Meta-Holismus, vermeidet jede Einseitigkeit in der Bewertung von Polaritäten. Für den Meta-Holismus haben das Yang, das Yin, die Ganzheit von Yin und Yang sowie die Transzendierung von Yin und Yang prinzipiell den gleichen Wert. Und genau das umfasst ja der Begriff der Meta-Ganzheit.

Es gibt Zeiten, da sind vor allem Yin-Qualitäten notwendig wie Zusammenschluss, Versöhnung, Freundlichkeit oder im Kognitiven die Intuition. Es gibt Zeiten, da brauchen wir vor allem Yang-Qualitäten wie Durchsetzung, Trennung, notfalls Kampf und im Kognitiven die (Zweck-)Rationalität. Es gibt wiederum andere Zeiten, da hilf nur das Gleichgewicht von „weiblichen“ und „männlichen“ Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen weiter; und es kann Zeiten geben, da geht es vor allem darum, z. B. in der Meditation, im Rausch oder auch in der Liebe die Gegensätzlichkeit von Yin und Yang zu überschreiten und die Einheit des Seins, das Tao, zu erfahren.

 

Bilanz:

Ich habe in verschiedenen Punkten gezeigt, dass die Meta-Ganzheit ein wirklich integraler, holistischer Ansatz ist, der den Begriff „Ganzheitlichkeit“ verdient, während der von anderen Theorien nur versprochen, aber nicht eingelöst wird.

Dabei wurde die Meta-Ganzheit für die beiden wichtigsten Ganzheits-Theorien definiert, nämlich die System-Theorie und die Polaritäts-Theorie.

Und es wurde einmal die Erfassung von Ganzheitlichkeit thematisiert, womit zugleich eine Bewertung einer wissenschaftlichen Theorie ermöglicht wird; zum anderen ging es um die Bewertung von Systemen nach ihrer Ganzheitlichkeit, woraus sich auch Handlungsanweisungen ableiten lassen. Es ist geplant, den Text zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu überarbeiten.

  

Dieser Grundlagentext, der die Meta-Ganzheit als zentrales Thema meiner integralen Theorie im Einzelnen behandelt, wird auch als eigenständiger Punkt auf meine Website gestellt, dort in chronologischer Reihenfolge.

In den nächsten Punkten geht es um fiktive Interviews bzw. Diskussionen zum Thema Meta-Ganzheit, aus meinem Buch „New Age“.



08.06.18  Meta-Ganzheit (5) – Meta-Ganzheit in der Erfassung von Polaritäten

Bei der Polaritätstheorie steht allerdings – anders als bei der Systemtheorie – nicht die Beschreibung, sondern die Bewertung eines Systems im Vordergrund.

Die Meta-Ganzheit bzw. der Meta-Holismus (die Theorie der Meta-Ganzheit) erfasst alle 4 oben genannten Punkte. Sie übersteigt damit die Ganzheit, weil sie zusätzlich auch die einzelnen Pole und die Einheit erfasst. Und sie weist allen Komponenten erst einmal die gleiche Wichtigkeit zu. Bzw. berücksichtigt der Meta-Holismus, unter welchen Bedingungen, in welcher Situation welcher der 4 Aspekte die größte Bedeutung hat.

 

Dies im Gegensatz zu anderen Denkrichtungen, Theorien oder Weltanschauungen

 

1) Maskulinismus (Yang)

Ähnliche bzw. verwandte Begriffe sind Mechanismus, Maschinismus, Materialismus. Der Maskulinismus fokussiert sich auf das Yang, das männliche Prinzip, andere Komponenten werden (weitgehend) ignoriert oder jedenfalls als weniger wichtig eingeschätzt.

Z. B. sagt der Maskulinismus, dass das Yang die Welt beherrscht. Davon zeugen Begriffe wie „der Kampf ums Dasein“ oder Sätze wie „alles ist Kampf“, „der Krieg ist der Vater aller Dinge“.

 

2) Feminismus (Yin)

Verwandte Begriffe sind Emotionalismus oder Irrationalismus. Fokussiert sich auf das Yin, das weibliche Prinzip, andere Komponenten werden (weitgehend) ignoriert oder jedenfalls als weniger wichtig eingeschätzt.

Z. B. kann ein Feminismus sagen, dass das weibliche Yin die Welt regiert. „Alles ist Liebe“ wäre eine Deutung. Natürlich gibt es andere Richtungen des Feminismus, die dies als absurd ablehnen, die gerade auf Kampf gegen das männliche bzw. die Männer setzen; das würde man dann allerdings eher unter dem Begriff Yang fassen.

 

3) Holismus (Ganzheit von Yin und Yang)

Fokussiert sich auf die Ganzheit von Yin und Yang, das Gleichgewicht von Yin und Yang, andere Komponenten werden (weitgehend) ignoriert oder jedenfalls als weniger wichtig eingeschätzt.

So wird der Holismus behaupten, dass in der Welt ein Gleichgewicht von Yin und Yang herrscht, oder doch ein Ausgleich in der Zeit. Es könnte konkret z. B. ein Gleichgewicht von Aggression und Liebe sein, von Anziehung und Abstoßung.

 

4) Taoismus (Tao)

Verwandte Begriffe sind Monismus oder Spiritualismus. Der Taoismus fokussiert sich auf das Tao, die trans-polare Einheit hinter den Polen Yin und Yang, andere Komponenten werden (weitgehend) ignoriert oder jedenfalls als weniger wichtig eingeschätzt. Das Tao lässt sich nach der klassischen Lehre nicht mit Begriffen definieren; um dennoch ein Beispiel zu geben, könnte man z. B. sagen: das Tao ist der Urgrund von den Polen Liebe und Hass, es ist die Unter-Ebene (oder Über-Ebene), auf der Liebe und Hass noch nicht ausdifferenziert sind, vielleicht eine neutrale Energie.

 

Dagegen ist der Meta-Holismus nicht ideologisch auf ein Prinzip (z. B. das Yang-Prinzip) festgelegt, sondern er ist flexibel, besitzt alle Freiheitsgrade. Er differenziert nach Bedingungen und Situationen. Wenn man die ganze Welt betrachtet, so spielen meta-ganzheitlich alle 4 Aspekte eine wichtige Rolle.

 

Nehmen wir als Beispiel die Natur: Auf der einen Seite gibt es in der Natur den Kampf, den Gen-Egoismus, das Fressen- oder Gefressenwerden – die sind eindeutig dem Yang zuzuordnen. Wir finden in der Natur aber Altruismus, Kooperation und Symbiose, das sind Yin-Eigenschaften.

In der Natur herrscht vielfach ein Gleichgewicht – insofern es nicht vom Menschen zerstört wird. In Ökosystemen herrscht ein Ausgleich von Yin- und Yang-Strukturen. Wenn es in der Natur ausschließlich Kampf und Aggression gäbe, wären diese Systeme nicht stabil; es käme ja nicht einmal zu Paarung und Fortpflanzung. Andererseits wäre die Natur auch nicht überlebensfähig, wenn nicht durch die „Nahrungskette“ alle Lebewesen sich ernähren könnten und auch eine Überbevölkerung vermieden würde.

Das Tao in der Natur aufzuzeigen, ist schwierig; aber man kann sich vorstellen, dass ganz am Anfang der Zeit, vor der Entstehung des Kosmos, vor dem Urknall nur das Tao, das „Nichts“ existierte; und die Welt sich verstehen lässt als eine Entstehung aus dem Nichts oder auch als eine Schöpfung aus dem Nichts.

 

Denker, Wissenschaftler, die an ein bestimmtes Prinzip glauben, werden in der Natur z. B. ausschließlich einen Kampf ums Dasein (Yang) oder ausschließlich ein kooperatives Zusammenleben (Yin) sehen. Sie interpretieren dann aber die Natur einseitig nach ihren weltanschaulichen Vorlieben, denen vermutlich eigene Charaktereigenschaften zugrunde liegen. Der eher aggressive Mensch wird auch die Natur als rein aggressiv definieren, er hat den Wunsch, die Natur als Kriegsschauplatz zu deuten, projiziert vielleicht eigene Aggressivität auf die Natur. Das Umgekehrte mag für einen eher sanftmütigen, harmoniebedürftigen Forscher gelten. – Dagegen vermeidet der Meta-Holismus solche weltanschaulich-irrationalen Einengungen, sieht das Zusammenwirken von Yin, Yang, Ganzheit und Einheit (Tao).


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22.05.18  Meta-Ganzheit (4) – Polarität und Polaritätstheorie

Unter Polarität versteht man, wenn zwei (oder mehr) Dinge / Eigenschaften / Begriffe im Gegensatz stehen, sich aber andererseits zu einem Ganzen ergänzen.

Z. B. warm – kalt (Ganzheit: Temperatur), langsam – schnell (Ganzheit: Geschwindigkeit), leicht – schwer (Ganzheit: Gewicht); zwar werden z. B. auch Sonne – Mond als Polaritäten genannt, aber hier ist es schwer, die Ganzheit anzugeben.

Als wichtigste Polarität gilt die zwischen Yin und Yang, die auch als „weibliches Prinzip“ und „männliches Prinzip“ bezeichnet werden; dies ist allerdings problematisch und missverständlich.

Die Polarität wird von der Polaritätstheorie beschrieben, wovon es allerdings viele verschiedene Variationen gibt. Die Polaritätstheorie  wurzelt einerseits in alten, religiösen und mythischen Denkschulen, vor allem östlichen, aber sie lässt sich auch wissenschaftlich definieren, z. B. durch die Polarität Teilchen – Welle in der Physik.

 

Die Polarität umfasst prinzipiell:                     z. B.:

1) Plus-Pol                                                      Yang (männliches Prinzip)

2) Minus-Pol, Gegen-Pol                                Yin (weibliches Prinzip)

3) Ganzheit, Gleichgewicht der Pole              YinYang

4) Einheit (prä- bzw. trans-polar)                    Tao




30.04.18  Meta-Ganzheit (3) – Meta-Ganzheit in der Bewertung von Systemen

 

In erster Linie verwendet man das Modell der Meta-Ganzheit als Erkenntnis-Prinzip, aber man kann es auch zur Bewertung von Systemen verwenden bzw. zur Formulierung von Handlungsaufforderungen. Dies macht natürlich nur Sinn bei intelligenten Systemen, die bewusst Entscheidungen treffen können, also z. B. Menschen oder Gruppen von Menschen bis hin zu Staaten. Es geht hier konkret darum, die Reife oder den Evolutionsgrad des Systems zu bewerten.

 

Wir können hier wieder 4 Richtungen unterscheiden:

 

1) Individualismus (Elemente)

Der Individualismus  fordert,  dass ein System in erster Linie seine Elemente fördern soll. Er misst also den Elementen im System den höchsten Wert zu. Dagegen gilt z. B. die Ganzheit, ja generell Gleichgewicht und Kollektivität als problematisch, als einengend, bevormundend, repressiv.

Betrachten wir zum Beispiel ein Gesellschaftssystem, einen Staat. Politisch wäre hier die FDP zu nennen, die auf die Freiheit und Selbstverantwortung jedes Einzelnen, des Individuums setzt und „so wenig Staat wie möglich“ möchte.

Problematisch ist daran, dass so Egoismus, Egozentrik und Narzissmus gefördert werden, dass Tugenden wie Rücksicht, Solidarität und Mitgefühl abgeschwächt werden.

Und dies ist in unserer aktuellen deutschen Gesellschaft ein echtes Problem, gerade auch bei den Jugendlichen.

Viele kleine Teenie-Mädchen halten sich heute für einen Star, obwohl sie nichts von Bedeutung geleistet haben, einfach nur, weil sie sich stylen und irgendwelche albernen Filmchen auf Youtube posten. Hier ist ein narzisstisch aufgeblähtes Ego, hinter dem sich eigentlich nur Leere und Öde verbergen, aber keine reife und kreative Persönlichkeit. Natürlich gibt es das auch bei männlichen Teenagern, wenn wohl auch weniger.

 

2) Interaktionismus (Struktur)                      

Der Interaktionismus spricht der Struktur in einem System den höchsten Wert zu, insbesondere Interaktion und Kommunikation – das ist für den Interaktionismus eine Art Religion. In der heutigen Zeit kommt das meist als Vernetzung, Verlinkung daher. Der Interaktionismus fordert, dass vor allem das „Netz“, z. B. das Datennetz, das Internet, insbesondere soziale Netzwerke gefördert werden; wie bei einem Ping-Pong-Spiel müssen die Daten ständig hin-und herfließen, permanenter, hektischer Austausch ist das Gebot. Das Internet soll absolut frei sein, ohne irgendwelche Beschränkungen. Hauptsache man ist in Interaktion, in Kommunikation, worüber ist es nicht so wichtig.

Natürlich ist es grundsätzlich richtig, dass Interaktion die Gesellschaft zusammenhält.

Aber der Interaktionismus sieht das einseitig und übertrieben. Es kommt nicht nur auf

die Interaktion an sich an, sondern auch auf die Inhalte, die Substanz. Im Internet werden ständig Millionen oder Milliarden unwichtige, falsche oder redundante Informationen ausgetauscht. Es ist eine informationsflut, in der es immer schwerer fällt, Wichtiges von Unwichtigem, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Es ist ein Informationsmüll.

Dabei geht auch verloren, dass es durchaus Sinn haben kann, einmal nicht zu reagieren, passiv zu sein, nämlich gelassen zu bleiben und sich der permanenten, zwanghaften, süchtigen Kontaktwut zu verweigern.

 

3) Externismus (Umweltbeziehungen)

Dass die Umweltbeziehungen besonders wichtig und wertvoll sind, lässt sich von zwei gegensätzlichen Standpunkten aus begründen.

In einem offenen System, einer offenen Gesellschaft, wird z. B. der frei Handel gefördert und es wird gefordert, die Grenzen zwischen den Staaten sollen so durchlässig wie möglich sein oder ganz aufgehoben werden.

In einem (weitgehend) geschlossenen System, einer geschlossenen Gesellschaft, geht es umgekehrt gerade darum, die Grenzen zu sichern und ggf. zu schließen. So wird bei der Flüchtlingskrise gefordert, möglichst wenige Flüchtlinge hereinzulassen bzw. aufzunehmen. In anderen Staaten wird wiederum den Bürgern verboten oder wenigstens erschwert, das Land zu verlassen. Ganz extrem war das in der DDR, wo die Menschen durch eine Mauer und mit Schießbefehl daran gehindert wurden, sich ins Ausland abzusetzen oder es auch nur zu besuchen.

Gerade in totalitären Staaten setzt man auf Abschottung und Abgrenzung bzw. Ausgrenzung. Aber auch in nicht totalitären Staaten können Isolation und Autarke ein Ziel sein. In England gab es im späten 19. Jahrhundert das Ziel der „splendid Isolation“ (wunderbare Isolation), und mit dem Brexit geht man wieder in die gleiche Richtung.

 

4) Ganzheit (Holismus) Kollektivismus

Aus ganz unterschiedlichen Richtungen wird die Ganzheit, z. B. eines Staates, als oberster Wert hervorgehoben. Bei den Nazis hieß es: „Du bist nichts, dein Volk ist alles.“ Oder der „Tod für Vaterland“ galt als süß und ehrenvoll. Aber auch der Demokrat Kennedy sagte: „Frage nicht, was dein Staat für dich tun kann, sondern frage, was du für deinen Staat tun kannst.

Gerade beim Holismus kann man sagen, dass die Ganzheit als oberstes Ziel der Evolution gilt, genauer: dass der Grad der Ganzheit möglichst hoch sein soll. Denn ein System ist nicht entweder ganzheitlich oder nicht, sondern kann verschiedene Stufen von Ganzheitlichkeit durchlaufen. Dabei muss ein System immer einen hinreichenden Ganzheitsgrad aufweisen, sonst ist es gar kein System.

 

Der Meta-Holismus unterscheidet sich wieder von den genannten Richtungen bzw. integriert er sie. Meta-ganzheitlich wird keine der 4 Komponenten eines Systems, Elemente, Struktur, Umweltbezug, Ganzheit als höher und wertvoller als die anderen eingeordnet. Von daher gibt es auch keine Aufforderung, nur oder ganz überwiegend diese eine Komponente zu entwickeln.

Sondern meta-ganzheitlich sieht man es als positiv an, wenn ein System dynamisch, flexibel, evolutiv die Komponente fördert, die in der gegenwärtigen Situation gerade wichtig ist. Anders gesagt, ein solches System ist selbst meta-ganzheitlich, steht damit auf einer hohen Evolutionsstufe. Es besitzt maximale Freiheitsgrade, befindet sich zwar grundsätzlich in einem Gleichgewicht, aber kein starres, unveränderliches Gleichgewicht, sondern ein dynamisches Gleichgewicht, das offen für Veränderungen und Evolution ist, auch wenn dadurch vorübergehend der Ausgleich im System gestört wird.

 

In einer Gesellschaft mit stark individualistischen, egozentrischen, ja narzisstischen Mitgliedern ist es aus meta-ganzheitlicher Sicht wichtig, Aspekte von Ganzheit, Kollektivität, Einheit zu verstärken. Oder auch die Strukturen, die Interaktionen zwischen den Elementen, sprich Individuen zu forcieren.




18.04.18  Meta-Ganzheit (2) – Meta-Ganzheit in der Erkenntnis von Systemen, 2. Teil

Atomismus, Strukturalismus, Ökologismus und Holismus: Alle diese Denkschulen sind einseitig, reduzieren die Komplexität eines Systems überwiegend auf einen Faktor. Das kann aus Unkenntnis geschehen, aus mangelndem Verständnis für Ganzheit, aber auch aus ideologischen Gründen. Jedenfalls sind alle diese Schulen nicht ganzheitlich bzw. nicht holistisch.

 

Die Meta-Ganzheit bzw. der Meta-Holismus erfassen dagegen die Komplexität des Systems mit einem komplexen Modell, das der System-Komplexität adäquat ist. Der Meta-Holismus wird normalerweise davon ausgehen, dass Elemente, Strukturen, Umweltbeziehungen und Ganzheit alle zusammen ein System bestimmen, keineswegs nur ein einzelne Komponente. Die Meta-Ganzheit ist ja gerade die höhere Ganzheit, die die anderen Komponenten integriert.

Und der Meta-Holismus wird berücksichtigten, dass je nach Situationen, Umständen, Bedingungen bzw. Randbedingungen einmal der Atomismus recht haben kann und ein anderes Mal Strukturalismus, Ökologismus oder Emergentismus. Dazu folgende Erläuterungen:

 

Atomismus: In Bezug auf eine Gesellschaft wird der Atomismus darauf verweisen, dass einzelne Personen einen enormen Einfluss auf die ganze Geschichte ausüben können, Diktatoren wie Hitler und Stalin, aber auch spirituelle Führer wie Gandhi oder der Papst. Auch Gruppen von herausragenden Individuen, nämlich Eliten, besitzen u. U. eine Macht, die  weit über ihre zahlenmäßige Bedeutung hinaus ragt. Aus der APO kennt man kennt die Rede von der „kleinen radikalen Minderheit“, die die gesamte Gesellschaft verändern kann. Hier stützt der Mega-Holismus  die These des Atomismus.

 

Strukturalismus: Marshall McLuhan sagte in den 50er Jahren: „Das Medium ist die Botschaft.“ Er meinte damals das Radio. Heute würden wir ähnliches über das Internet sagen können: Im Mittelpunkt steht der ständige Austausch von Botschaften, der Inhalt dieser Botschaften ist aber überwiegend banal, unwichtig und nur egozentrisch. Hier würde der Meta-Holismus dem Strukturalismus recht geben, dass die Wechselwirkungen das System dominieren.

 

Ökologismus: Wenn ein Staat in Konflikt, Feindschaft oder sogar im Krieg mit anderen Staaten, allgemein also mit seiner (politischen) Umwelt steht, dann hat das enorme Auswirkung auf diesen Staat, seine Mitglieder und Strukturen. Sehr häufig erlebt man eine Solidarisierung nach innen, verbunden mit der Abgrenzung nach außen. Und wer da nicht mitzieht, kann seinerseits zum Feind gestempelt werden. Hier dominieren die Außenbeziehungen das System, und so würde der Meta-Holismus dem Ökologismus in diesem speziellen Fall recht geben.

 

Holismus / Emergentismus

Es gibt Situationen, in denen ein System, z. B. eine menschliche Gruppe, weitgehend als eine Einheit auftritt. Z. B. in dem oben beschriebenen Kriegsfall. Oder wenn eine Fußballmannschaft das Weltmeisterfinale gewinnt. Dann ist normalerweise die Mannschaft eine Einheit, und zwar eine emergente: die Mannschaft entwickelt einen Geist, der sich nicht allein aus den einzelnen Spielern erklären lässt. Und das „Volk“, die Gesellschaft fühlt sich (großteils) eins mit der Mannschaft. „Wir sind Weltmeister.“ Oder z. B. auch: „Wir sind Papst.“

 

Aber Atomismus, Strukturalismus, Ökologismus und Holismus haben eben immer nur unter besonderen Randbedingungen recht, sie haben partiell recht, erfassen aber nie die ganze komplexe Realität.

 

Nehmen wir nur ein Beispiel aus dem Holismus / Emergentismus: Nicht jede Gruppe ist eine harmonische Ganzheit. In menschlichen Gruppen überwiegen oft Konkurrenz, Neid, Feindseligkeit, ja Hass. Eine solche Gruppe ist gespalten und nicht ganzheitlich; eine Gruppe kann sogar zerfallen, sich auflösen.

Oder nehmen wir als Beispiel einen Organismus, den Körper eines Lebewesens. Sicher kann man erst einmal davon sprechen, dass so ein Organismus eine Ganzheit ausbildet. Aber wenn z. B. eine Autoimmunerkrankung vorliegt, bei der das Immunsystem den eigenen Körper angreift, kann man nicht mehr wirklich von Ganzheit sprechen. Im Extrem zerstört das Immunsystem seinen eigenen Körper und führt zu dessen Tod.

 

Nur ein meta-ganzheitlicher Ansatz wird der Komplexität von Systemen gerecht, unter unterschiedlichen Bedingungen, in unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten.


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08.04.18  Meta-Ganzheit (2) – Meta-Ganzheit in der Erkenntnis von Systemen, 1. Teil

 

Die Erfassung und Analyse von Systemen ist der Schwerpunkt der Systemtheorie.

Die Meta-Ganzheit umfasst wie gesagt alle Komponenten des Systems: Elemente, Struktur, Umweltbeziehungen und Ganzheit. Und für die Theorie der Meta-Ganzheit, den Meta-Holismus oder speziell die meta-holistische Systemtheorie ist es kennzeichnend, dass er diese 4 Komponenten gleichermaßen erfasst, dass er ihnen prinzipiell die gleiche Wichtigkeit einräumt. Dann aber differenziert, unter welchen Bedingungen (konditional) oder in welchen Situationen (situativ) welche Komponente dominant ist.

 

Dies unterscheidet den Meta-Holismus von anderen Denkschulen und Denkrichtungen, die meistens einseitig eine Komponente herausheben.

 

1) Atomismus

Fokussiert sich auf die Elemente („Atome“) oder allgemeiner auf die Teile eines Systems.

Die anderen Komponenten  - Struktur, Umweltbeziehungen, Ganzheit – werden (weitgehend) ignoriert oder jedenfalls als weniger wichtig angesehen.

Diese Haltung war in der Wissenschaft und ist es teils bis heute weit verbreitet: Man geht davon, wenn man die Elemente eines Systems kennt, dann kann man daraus alles andere ableiten, z. B. die Struktur erklären. Eine solche Haltung nennt man auch Reduktionismus, weil sie z. B. das Ganze auf seine Teile reduziert. Aber schon Aristoteles wusste: „Das Ganze ist mehr als die Summe einer Teile.“ Für den Atomisten ist es typisch, dass er den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.

Am Beispiel der Familie sind für den Atomisten die einzelnen Familienmitglieder entscheidend; wenn er die kennt, dann kann er nach seiner Überzeugung die ganze Familie erklären.

 

2) Strukturalismus

Fokussiert sich auf die Strukturen eines Systems, also auf die Beziehungen zwischen den Elementen und Teilen eines Systems. Man kann von Innen(welt)beziehungen sprechen. Diese Beziehungen begründen auch – funktionale oder kausale – Abhängigkeiten.

Nach dem Strukturalismus definieren die Strukturen (weitgehend) das System, z. B. auch die Elemente; oder noch radikaler, die Strukturen allein sind wesentlich für das System.

Ich hatte bei der Familie als ein Beispiel für die Struktur die Machtverhältnisse genannt. Für den Strukturalisten ist dann die Rangordnung selbst das Wesentliche, welches Familienmitglied genau an welcher Stelle steht, ist nicht so wichtig. Im Extrem kann man die Familienmitglieder auch einfach durch Symbole ersetzen.

 

3) Ökologismus

Fokussiert sich auf die Umweltbeziehungen des Systems, also z. B. des Systems Familie. Diese Einstellung beschreibt sehr treffend der bekannte Satz: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“ Hier sind es also die Beziehungen zur Umwelt, welche die Identität des Systems bestimmen.

Die Familie als Ganze, aber auch jedes Familienmitglied hat normalerweise unzählige Beziehungen zur Umwelt; damit ist natürlich nicht nur die biologische Umwelt, die Natur, gemeint, sondern vorrangig andere Menschen bzw. andere Sozialsysteme.

Ich hatte als ein Beispiel genannt, dass die Mutter einen Geliebten hat, also eine erotische Beziehung zu einem anderen Mann besitzt. Und es leuchtet ein, dass diese außereheliche Beziehung (jedenfalls wenn sie bekannt wird), einen sehr großen Einfluss auf die Familie ausüben kann, ja sogar die Familie zerstören kann.

 

4) Holismus (bzw. Emergentismus)

Fokussiert sich auf die Ganzheit des Systems. Man könnte Ganzheit prinzipiell auch verstehen als das Gesamt von Elementen, Strukturen und Umweltbeziehungen.

Ich verstehe Ganzheit hier aber als Einheit.

Zum Beispiel ist die Familie die Einheit, gegenüber den Familienmitgliedern als Elementen. Oder der Wald ist die Einheit, gegenüber den Bäumen als Elementen.

Graphisch kann man sich diese Ganzheit (Einheit) als einen Kreis vorstellen, während sich die Elemente und Strukturen innerhalb des Kreises befinden und  die Umweltbeziehungen den Kreisrand durchbrechen.

Eine Familie hat ganzheitliche Eigenschaften: Z. B.: Die Familie Müller hat vier Familienmitglieder; diese Eigenschaft kommt nur der Gesamtfamilie zu, nicht den einzelnen Familienmitgliedern.

Der Holismus besagt nun, dass diese Ganzheit das Wesentliche an einem System ist.

Prinzipiell könnte man sich vorstellen, dass die Ganzheit sich aus den Elementen, Strukturen und Umweltbeziehungen ableiten lässt.

Aber im Holismus wird normalerweise ein Emergentismus vertreten: D. H. die Einheit ist etwas grundsätzlich Neues, Übergeordnetes, Komplexes, das sich eben gerade nicht aus Elementen, Strukturen und Umweltbeziehungen ableiten lässt. Und die Einheit besitzt eigenständige Eigenschaften, die sich nicht direkt aus den Eigenschaften der Elemente ergeben. Das nennt man Emergenz.

Es sind also im Grunde zwei Stufen von Emergenz. Z. B. wird das Gehirn als eine höhere Einheit verstanden, die sich nicht einfach auf Nervenzellen, Synapsen, Nervenbahnen usw. reduzieren lässt. Und weiter wird Bewusstsein als eine emergente Eigenschaft des Gehirns (Gehirnsystems) verstanden. D. h. Bewusstsein lässt sich nicht aus den Eigenschaften von Nervenzellen, Synapsen, Nervenbahnen usw. erklären, sondern bedeutet einen Sprung auf eine andere, höhere Ebene.




02.04.18  Meta-Ganzheit (1) - System und Systemtheorie

Es gibt sehr viele verschiedene Systeme, von einer mathematischen Gleichung, über einen Organismus, bis zu einer Gesellschaft und schließlich einem Sternensystem. Die Systemtheorie ist die Wissenschaft, die Systeme allgemein beschreibt. Spezielle Systeme, z. B. das Gesellschaftssystem, wird von der jeweiligen spezifischen Wissenschaft untersucht, also hier der Soziologie oder soziologischen Systemtheorie.

 

Ein System umfasst:

1) Elemente

2) Struktur (Beziehungen zwischen den Elementen)

3) Umweltbeziehungen

4) Ganzheit ( = Einheit)

 

Die Meta-Ganzheit ist die Zusammenfassung bzw. Integration aller 4 Komponenten. Sie übersteigt damit auch die Ganzheit, denn Ganzheit ist auch nur eine Komponente neben anderen.

Man könnte zwar auch zusätzliche Komponenten eines Systems anführen, z. B. Funktion.

Aber solche zusätzlichen Faktoren lassen sich in die o. g. 4 Faktoren eingliedern, die Funktion lässt sich vor allem bei der Struktur unterbringen.

 

Beispiel: eine Familie als System

1) Elemente:

Familienmitglieder, z. B. Vater, Mutter, Sohn, Tochter

2) Struktur:

Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern, z. B. Machtverhältnisse. Mutter steht in der Rangordnung ganz oben, dann kommt Vater, danach der Sohn, zum Schluss die Tochter.

3) Umweltbeziehungen:

Kontakte der Familie(nmitglieder) zur Umwelt; um nur eine von sehr vielen möglichen Außenbeziehungen zu nennen: die Mutter hat einen Geliebten.

4) Ganzheit ( = Einheit)

Die Familie als Ganze, so wie sie von anderen wahrgenommen wird oder auch von der Verwaltung erfasst wird, z. B. „die Müllers“.

  


a) Meta-Ganzheit in der Erfassung von Systemen

 

Die Erfassung und Analyse von Systemen ist der Schwerpunkt der Systemtheorie.

Die Meta-Ganzheit umfasst wie gesagt alle Komponenten des Systems: Elemente, Struktur, Umweltbeziehungen und Ganzheit. Und für die Theorie der Meta-Ganzheit, den Meta-Holismus, ist es kennzeichnend, dass er diese 4 Komponenten gleichermaßen erfasst, dass er ihnen prinzipiell die gleiche Wichtigkeit einräumt. Dann aber differenziert, unter welchen Bedingungen (konditional) oder in welchen Situationen (situativ) welche Komponente dominant ist.

 

Dies unterscheidet den Meta-Holismus von anderen Denkschulen und Denkrichtungen, die meistens einseitig eine Komponente herausheben.

 

1) Atomismus

Fokussiert sich auf die Elemente („Atome“) oder allgemeiner auf die Teile eines Systems.

Die anderen Komponenten  - Struktur, Umweltbeziehungen, Ganzheit – werden (weitgehend) ignoriert oder jedenfalls als weniger wichtig angesehen.

Diese Haltung war in der Wissenschaft und ist es teils bis heute weit verbreitet: Man geht davon, wenn man die Elemente eines Systems kennt, dann kann man daraus alles andere ableiten, z. B. die Struktur erklären. Eine solche Haltung nennt man auch Reduktionismus, weil sie z. B. das Ganze auf seine Teile reduziert. Aber schon Aristoteles wusste: „Das Ganze ist mehr als die Summe einer Teile.“ Für den Atomisten ist es typisch, dass er den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.

Am Beispiel der Familie sind für den Atomisten die einzelnen Familienmitglieder entscheidend; wenn er die kennt, dann kann er nach seiner Überzeugung die ganze Familie erklären.

 

2) Strukturalismus

Fokussiert sich auf die Strukturen eines Systems, also auf die Beziehungen zwischen den Elementen und Teilen eines Systems. Man kann von Innen(welt)beziehungen sprechen. Diese Beziehungen begründen auch – funktionale oder kausale – Abhängigkeiten.

Nach dem Strukturalismus definieren die Strukturen (weitgehend) das System, z. B. auch die Elemente; oder noch radikaler, die Strukturen allein sind wesentlich für das System.

Ich hatte bei der Familie als ein Beispiel für die Struktur die Machtverhältnisse genannt. Für den Strukturalisten ist dann die Rangordnung selbst das Wesentliche, welches Familienmitglied genau an welcher Stelle steht, ist nicht so wichtig. Im Extrem kann man die Familienmitglieder auch einfach durch Symbole ersetzen.

 

3) Ökologismus

Fokussiert sich auf die Umweltbeziehungen des Systems, also z. B. des Systems Familie. Diese Einstellung beschreibt sehr treffend der bekannte Satz: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“ Hier sind es also die Beziehungen zur Umwelt, welche die Identität des Systems bestimmen.

Die Familie als Ganze, aber auch jedes Familienmitglied hat normalerweise unzählige Beziehungen zur Umwelt; damit ist natürlich nicht nur die biologische Umwelt, die Natur, gemeint, sondern vorrangig andere Menschen bzw. andere Sozialsysteme.

Ich hatte als ein Beispiel genannt, dass die Mutter einen Geliebten hat, also eine erotische Beziehung zu einem anderen Mann besitzt. Und es leuchtet ein, dass diese außereheliche Beziehung (jedenfalls wenn sie bekannt wird), einen sehr großen Einfluss auf die Familie ausüben kann, ja sogar die Familie zerstören kann.

 

4) Holismus (bzw. Emergentismus)

Fokussiert sich auf die Ganzheit des Systems. Man könnte Ganzheit prinzipiell auch verstehen als das Gesamt von Elementen, Strukturen und Umweltbeziehungen. Ich verstehe Ganzheit hier aber als Einheit.

Zum Beispiel ist die Familie die Einheit, gegenüber den Familienmitgliedern als Elementen. Oder der Wald ist die Einheit, gegenüber den Bäumen als Elementen.

Graphisch kann man sich diese Ganzheit (Einheit) als einen Kreis vorstellen, während sich die Elemente und Strukturen innerhalb des Kreises befinden und  die Umweltbeziehungen den Kreisrand durchbrechen.

Eine Familie hat ganzheitliche Eigenschaften: Z. B.: Die Familie Müller hat vier Familienmitglieder; diese Eigenschaft kommt nur der Gesamtfamilie zu, nicht den einzelnen Familienmitgliedern.

Der Holismus besagt nun, dass diese Ganzheit das Wesentliche an einem System ist.

Prinzipiell könnte man sich vorstellen, dass die Ganzheit sich aus den Elementen, Strukturen und Umweltbeziehungen ableiten lässt.

Aber im Holismus wird normalerweise ein Emergentismus vertreten: D. H. die Einheit ist etwas grundsätzlich Neues, Übergeordnetes, Komplexes, das sich eben gerade nicht aus Elementen, Strukturen und Umweltbeziehungen ableiten lässt. Und die Einheit besitzt eigenständige Eigenschaften, die sich nicht direkt aus den Eigenschaften der Elemente ergeben. Das nennt man Emergenz.

Es sind also im Grunde zwei Stufen von Emergenz. Z. B. wird das Gehirn als eine höhere Einheit verstanden, die sich nicht einfach auf Nervenzellen, Synapsen, Nervenbahnen usw. reduzieren lässt. Und weiter wird Bewusstsein als eine emergente Eigenschaft des Gehirns (Gehirnsystems) verstanden. D. h. Bewusstsein lässt sich nicht aus den Eigenschaften von Nervenzellen, Synapsen, Nervenbahnen usw. erklären, sondern bedeutet einen Sprung auf eine andere, höhere Ebene.


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23.03.18  Meta-Ganzheit (0) - Einführung

 

Die Meta-Ganzheit ist wohl die Quintessenz, das Alleinstellungs-Merkmal meines Denkens, meiner Forschungen, meiner Philosophie, eingebettet in meine Integrale Lehre.

 

Das Modell der Meta-Ganzheit habe ich erstmals 1988 entwickelt, im Rahmen meines Buches über New Age: „Die schöne Illusion der Wassermänner“, das 1989 erschien.

 

Damals schrieb ich von Mega-Ganzheit, später änderte ich den Begriff in Meta-Ganzheit.

„Mega“ steht für eine sehr große Zahl, konkret für eine Million. „Mega-Ganzheit“ bedeutet also eine übergroße, gesteigerte Ganzheit.

„Meta“ bedeutet, dass sich etwas auf einer höheren Stufe, einer höheren Ebene befindet oder hinter etwas steht. „Meta-Ganzheit“ meint also eine übergeordnete Ganzheit oder die Ganzheit hinter der Ganzheit.

 

Heute finde ich beide Begriffe geeignet und verwende sie parallel (gerade in meinen älteren Schriften steht noch der Begriff „Mega-Ganzheit“).

 

Die Theorie der Meta-Ganzheit nenne ich „Meta-Holismus“ bzw. „Mega-Holismus“ (der Holismus ist die Ganzheitslehre).

 

Ich schrieb damals (New Age, 1989, S.142-143) über die Mega-Ganzheit:

„Was ist denn bitte Mega-Ganzheit? Eine genaue Definition kann ich Ihnen nicht geben, lässt sich überhaupt nicht geben. Denn der Begriff „Mega-Ganzheit“ soll auch ausdrücken, dass sich diese höhere Ganzheit einem direkten Zugriff entzieht, unser normales Denken übersteigt … Ich einer ersten Annäherung können wir die Mega-Ganzheit jedoch bestimmen als die übergeordnete Ganzheit, die Ganzheit und Unganzheit integriert; d. h. sie umfasst Ganzheitlichkeit und Geteiltheit, das Ganze und seine Teile, undbringt sie in eine sinnvolle Verbindung. Stellen Sie sich z. B. ein Essen vor, bei dem sie einerseits den Gesamtgeschmack definieren, andererseits jede einzelne Zutat herausschmecken; oder eine Musik, bei der Sie dem Gesamtklang lauschen, aber auch jede Stimme bzw. jedes Instrument heraushören können.“ (Das wird in dem Buch weiter ausgeführt.)

 

Obwohl ich es auch heute vertretbar finde, die Meta-Ganzheit nur indirekt zu beschreiben, fand ich es später doch wichtig, Mega-Ganzheit exakter zu definieren, vor allem innerhalb einer System-Theorie und einer Polaritäts-Theorie. Dieses sind die beiden wichtigsten Theorien, die Ganzheit thematisieren.


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09.03.18   Orientierungs-Programm (4)

SICH  ERKENNEN


„Erkenne dich Selbst“ – das war die klassische Forderung der griechischen Philosophie. Bis heute ist dies für jeden Menschen eine zentrale Lebensaufgabe, auch wenn sich heute viele Menschen dieser Aufgabe nicht immer stellen, weil sie mehr oberflächlich dahinleben und sich selbst nie begegnen.

In der Selbsterkenntnis gibt es immer allgemeine Aspekte, die man mit (allen) anderen Menschen oder auch noch allgemeiner (allen) anderen Körperwesen teilt, und individuelle Aspekte, die gerade für das spezielle Individuum definierend sind, seine Alleinstellungsmerkmale.

 

Man kann die Selbsterkenntnis bzw. Selbsterforschung und auch Selbsterfahrung auf folgende fünf Ebenen fokussieren:

 

4-1 Psyche

4-2 Geist

4-3 Körper

4-4 Eigen-Kultur

4-5 Lebenslauf

 

 

4-1 Psyche

Hier geht es zum einen darum, welchen Charakter, welche Persönlichkeit man hat. Da gibt es viele verschiedene Kategorien zur Unterscheidung: gefühlvoll – rational, introvertiert – extravertiert, temperamentvoll – ruhig, dominant – angepasst.

   Aus solchen Eigenschaften kann man psychologische Typen kristallisieren: Es gibt viele Typologien. Eine einfache unterscheidet z. B. zwischen folgenden Typen. Erfolgs-Typ: für ihn ist es wichtigste, bewundert zu werden, zu siegen, vorwärts zu kommen. Sicherheits-Typ: für ihn zählt, dass er sich sicher und geborgen fühlt. Anerkennungs-Typ: er braucht in erster Linie Liebe und Anerkennung, dafür ordnet er sich auch unter. Ein anderer Aspekt ist, welche Gedanken, Gefühle in einem ablaufen.

 

 

4-2 Geist

Der eigene Geist, das sind zum einen die Überzeugungen, Ideen, Vorstellungen, Vorsätze, allerdings auch Vorurteile, die man besitzt. Denkt man z. B., dass jedes Individuum selbst sein Glück bestimmt oder dass dies mehr von äußeren Umständen und der Gesellschaft abhängt.

   Andererseits geht es darum, seine Denkprozesse oder Wahrnehmungen selbst zu beobachten: Denke ich  z. B. schnell, konzentriert oder mehr langsam, diffus?

 

 

4-3 Körper

Mit dem Körper sind viele Kategorien verbunden: Erstens das Geschlecht: männlich oder weiblich. Zweitens das Alter. Drittens das Aussehen, Körpergröße und Körpergewicht. Viertens der Gesundheitszustand. Auch die eigenen Ernährungsgewohnheiten u. ä. kann man zum Körper rechnen. Manches mag trivial erscheinen, aber zu einer Bestimmung der eignen Person gehört das alles hinzu. Und welches Geschlecht ich habe, mag z. B. Auswirkungen auf meinen Charakter besitzen.

 

 

4-4 Eigen-Kultur / Stil

Jeder Mensch hat quasi eine eigene Kultur. Das ist zum einen sein Umfeld: die Menschen, mit denen er zu tun hat, Familie, Freunde, Kollegen; seine Wohnung, Straße, Stadt usw. in der er wohnt. Zweitens aber noch mehr seine Tätigkeiten: den Beruf, den er ausübet, seine Hobbys: Z. B welche Kinofilme mag ich? Welche Musik schätze ich? Was sind meine Lieblingsspeisen?

 

 

4-5 Lebenslauf

Der Lebenslauf umfasst viele der bisher genannten Punkte, bringt sie aber in eine zeitliche Reihenfolge. Wie haben sich meine Eltern kennen gelernt? Wie war vermutlich die Zeit vor meiner Geburt – war ich ein gewünschtes Kind? Und wie war meine Geburt? Mit Komplikationen? – das kann einen großen Einfluss ausüben auf das gesamte spätere Leben. Man kann, soweit die Erinnerung reicht, sein Leben durchgehen, Kindheit, Jugend, Erwachsenendasein. Alte Bilder oder Erzählungen von den Eltern können helfen. Bei einem unglücklichen Leben kann es sein, dass vieles verdrängt ist.

 

GANZHEIT

Der Mensch, auch jeder individuelle Mensch, kann als eine Ganzheit betrachtet werden.

Ich habe hier kurz zwei Ganzheitsansätze eingeführt, Polaritätstheorie und Systemtheorie. Aus Sicht der Polaritätstheorie kann man z. B. sagen, dass zur Ganzheit des Menschen die Spannung zwischen Selbstbehauptung und Einordnung, zwischen Bindung und Lösung, zwischen Aktivität und Passivität gehört.

Aus Sicht der Systemtheorie ist der Mensch ein Körper-Seele-Geist-System, aber auch seine einzelnen Dimensionen, z. B. sein Körper, sein Organismus, können systemtheoretisch beschrieben werden: Stoffwechsel, Aufnahme, Verarbeitung und Ausgabe von Information, kybernetische Steuerung u.v.m.

Hier gibt es zwei wesentliche Unterschiede zu beachten: Entweder man definiert den Menschen prinzipiell als (polare und systemische) Ganzheit; oder man bestimmt den Menschen nur dann als Ganzheit, wenn er im Gleichgewicht der Polaritäten lebt bzw. wenn er das Gleichgewicht seines Systems aufrechterhält. Sonst gilt er als aus der Ganzheit gefallen, als gespalten, desintegriert.




27.02.18  Orientierungs-Programm (3)
WELT  ERKENNEN


3-1 Form

3-2 Materie

3-3 Geist

3-4 Psyche

3-5 Mensch

 

 

Das Erkennen der Welt gehört zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen: aus Erkenntnisdrang, aber auch, um im Leben besser zurechtzukommen. Dies ist vielleicht die erste Frage: Was ist die Wirklichkeit? Was hält die Welt im Innersten zusammen? Wie ist die Welt aufgebaut? Aber auch: Wie ist die Welt entstanden? Wie hat sich die Welt entwickelt? Damit hängen auch die berühmten Fragen zusammen: Wo kommen wir (Menschen) her, wo gehen wir hin?

 

                                              

3-1 Form

Unter der Form bzw. der formalen Welt versteht man vereinfacht das, was Logik und Mathematik beschreiben: In der Logik geht es vor allem um Begriffe, Aussagen und Schlüsse. In der Mathematik geht es um Mengen, Zahlen, Relationen u.v.m. Die formale Welt ist abstrakt, d. h. sie umfasst nicht konkrete Gegenstände, sondern abstrakte. Z. B. die Menge M, sie kann die Menge der Menschen, die Menge der Tiere oder eine beliebige andere Menge sein.

 

 

3-2 Materie

Die Materie (materielle Welt) wird auch als reale Welt oder Realität bezeichnet. Sie spannt sich vom gesamten Kosmos bis zu den Elementarteilchen, über Sternensysteme, Sonnen, Planeten und – auf der Erde – Ökosysteme, Organismen, Organe, Gewebe, Zellen Moleküle und Atome. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen  Lebewesen (lebender Materie) und anorganischer, unbelebter Materie (z. B. Steinen), wobei diese Unterscheidung nicht ganz streng einzuhalten ist. Bei der anorganischen Materie unterscheidet man primär zwischen Natur (z. B. Gewässer, Berge, usw.) und Technik, also Maschinen, technische Geräte, Gebäude usw.

 

 

3-3 Geist

Der Geist (die geistige Welt) ist wie die Form immateriell, aber an einen materiellen Träger gebunden. Was man genau unter Geist verstehen kann, ist sehr umstritten. Die wichtigsten Bedeutungen sind: Geist als Kultur, umfasst alles, was die Menschheit erdacht hat: Wissenschaft, Philosophie, Religion, Kunst usw. Andererseits, versteht man den Geist als Idee oder Information, die das Wesen jedes Dings beinhaltet, nicht nur von  kulturellen Sachen, sondern auch von Natur.

 

 

3-4 Psyche

Die Psyche oder Seele  kennen wir im eigentlichen Sinn nur beim Menschen. Zwar wissen wir heute, dass auch Tiere gewisse seelische Funktionen besitzen, vor allem die höheren Tiere wie z. B. die Affen. Ob es höhere geistige Wesen gibt, die auch eine Seele ihr eigen nennen, ist mehr Glaubenssache, ebenso, ob es so etwas wie eine Weltseele gibt. Zur Seele des Menschen gehören die Gedanken, Gefühle, Vorstellungen, Wünsche und Triebe, aber auch Spiritualität.

 

 

3-5 Mensch

Eigentlich ist der Mensch oder die Welt des Menschen keine eigenständige Welt, sondern sie hat Anteil an allen anderen Welten. Da der Mensch für uns Menschen aber so zentral ist, kann man diese Welt als gesonderte Welt betrachten. Der Mensch ist erstens gekennzeichnet durch seinem Körper, dessen Aufbau, Funktionen und Fähigkeiten. Zweitens durch den seelisch Aspekt, also menschliches Denken, Fühlen, Wahrnehmen. Schließlich durch die Zivilisation, also die Kultur sowie Technik, die der Mensch geistig geplant und dann in seinem Verhalten bzw. Handeln aufgebaut hat.

 

GANZHEIT

Aristoteles sagte: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Das wurde zwar lange Zeit von Wissenschaftlern missachtet, ist aber heute eine unbestreitbare Wahrheit. Nehmen wir als einfaches Beispiel eine Familie als Ganzes, Vater, Mutter und Kinder. Natürlich erfasst man nicht die Familie als Ganzheit, wenn man nur die einzelnen Familienmitglieder „addiert“. Sondern eine wichtige Rolle spielen u. a. auch die Beziehungen, die zwischen den Mitgliedern bestehen (Struktur) bzw. die Prozesse, die zwischen ihnen ablaufen (Dynamik). Aber z. B. gehören auch die Relationen der Familie zur Umwelt, also zu anderen Menschen oder Gruppen, aber auch die Relationen zur biologischen Umwelt zur Ganzheit der Familie.

  Man spricht in diesem Zusammenhang heute meistens von „System“, also z. B. System Familie, und beschreibt Systeme im Rahmen einer Systemtheorie.




17.02.18  Orientierungs-Programm (2)

PROBLEME  LÖSEN

Ich beschreibe hier folgende unterschiedliche Ansätze zur Problemlösung:

 

2-1  Real-Lösung

2-2  Positiv-Prinzip

2-3  Aufarbeitung

2-4  Abwehr

2-5  Ablenkung

Probleme lösen gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten des Menschen.

Was sind Probleme? Bei Problemen oder Schwierigkeiten kann man einen äußeren und inneren Aspekt unterscheiden:

- äußerlich: es ist ein Mangel (zu wenig) gegeben oder eine Störung (zu viel), konkret z. B. der Verlust eines geliebten Menschen (Mangel) oder Stress am Arbeitsplatz (Störung)

- innerlich: eine Wahrnehmung, die unangenehm ist: z. B. negative Gefühle wie Angst, Schmerz, Trauer oder auch körperliche Beschwerden.


2-1  Real-Lösung

Real-Lösung heißt: ein Problem im realen Leben lösen, z. B. wenn man arbeitslos ist, einen Arbeitsplatz zu finden. Eine reale Problemlösung kann bedeuten, dass man mit anderen Menschen verhandelt, dass man gegen etwas ankämpft oder vor etwas flüchtet. Es geht hier nicht darum, nur seine gefühlsmäßige Einstellung zu etwas zu ändern. Bei vielen Problemen in unserem Leben ist allerdings keine Real-Lösung notwendig.

 

 

2-2  Positiv-Prinzip

Positiv-Prinzip heißt vor allem, das man im Positiven, im Wohlbefinden, in der Zufriedenheit verharrt und sich von einem Problem gar nicht darin stören lässt. Viele Probleme, z. B. Krankheiten oder Ärgernisse, gewinnen erst dadurch Macht über uns, dass wir uns ihnen zuwenden, sie zu beseitigen versuchen, dagegen ankämpfen usw. Wenn wir aber mit unserer Energie und Bewusstheit bei positiven Dingen bleiben, z. B. bei einem lieben Menschen, einem schönen Sonnenuntergang, dann können wir oft das Problem einfach ignorieren. Allerdings besteht dabei die Gefahr,  dass wir Probleme nur verdrängen.

 

 

2-3  Aufarbeitung

Aufarbeitung bedeutet, dass ein Problem so gravierend ist, dass wir es aufarbeiten müssen. Dabei geht es aber einerseits darum, dass wir ein echtes Problem haben, z. B. einen wichtigen Menschen verloren haben. Dann müssen wir Trauerarbeit leisten, wir müssen den Verlust gefühlsmäßig und geistig verarbeiten. Wenn wir uns allerdings ständig über Nichtigkeiten aufregen, dann gilt es, diese Haltung zu aufzuarbeiten, also zu verstehen, warum wir uns grundlos aufregen, und dann dieses Verhalten zu ändern.

Verarbeitung setzt voraus, dass wir das Problem bzw. die Gefühle über das Problem erst einmal annehmen, z. B. achtsam wahrnehmen oder in der Meditation erspüren.

 

 

2-4  Abwehr

Manchmal können oder wollen wir nicht dem Positiv-Prinzip folgen oder eine Schwierigkeit bearbeiten, dann ist Abwehr sinnvoll. Angenommen wir haben Kopfschmerzen, die uns belästigen. Wir können versuchen, sie einfach wegzuschieben, uns so stark machen, dass uns die Schmerzen nichts anhaben können. Abwehr kann aber ebenfalls sein, eine Schmerztablette zu schlucken. Es gibt verschiedene psychologische Abwehrmechanismen, z. B. kann auch Depression eine Abwehr sein.

 

 

2-5  Ablenkung

Ablenkung bedeutet, dass man sich nicht mit dem Problem oder Leiden beschäftigt, sondern mit etwas anderem. Das kann Fernsehen sein, Musik machen, ein Telefonat usw. usw. Das Ablenkungsziel muss nicht rein positiv sein, auch eine anstrengende Arbeit kann eine Ablenkung sein. Manchmal lenkt man sich auch durch ein „kleineres Übel“ von einem größere ab, so wie man ein großes Feuer durch ein kleines bekämpft. Z. B. kann man durch den Schmerz der Nadelstiche bei der Akupunktur von stärkeren Schmerzen abgelenkt werden.

 

GANZHEIT:

Ganzheit meint hier zunächst (an anderer Stelle wird das genauer definiert), dass man die verschiedenen Prinzipien alle verwendet; das kann allerdings verschiedenes bedeuten:

- Kombination: Z. B. lassen sich Abwehr und Ablenkung kombinieren. Man drängt einen negativen Gedanken weg und konzentriert sich zugleich auf eine intensive Tätigkeit, z. B. Joggen.

- Alternation: Manche Prinzipien schließen sich aber mehr oder weniger aus, z. B. Aufarbeitung und Abwehr. Wenn man sich etwa mit einer Angst auseinandersetzen will, sie aufarbeiten will, darf man sie nicht verdrängen. Diese gegensätzlichen Prinzipien können aber durchaus nacheinander eingesetzt werden. Z. B. in einer Prüfung ist es wenig ratsam, sich mit seiner Prüfungsangst zu konfrontieren, hier schiebt man sie besser weg. Aber danach (oder davor) ist man gut beraten, diese Angst zu ergründen und zu verarbeiten.

- Auswahl: Das ist überhaupt das Entscheidende: nicht dogmatisch zu glauben, es wäre immer und in jeder Situation die gleiche Methode richtig, z. B. nur positives Denken, sondern flexibel und souverän die Problemlösungs-Methode einzusetzen, die der Situation und den eigenen Bedürfnissen entspricht. Je nachdem kann es z. B. bei Bauchschmerzen angemessen sein, den Arzt aufzusuchen, positiv zu denken, dass die Schmerzen bestimmt bald vorbei sind, sich mit schöner Musik abzulenken usw.

   Auch hier gilt wieder: Man kann diese Prinzipien – im Sinne der Polaritäts-Theorie –als unterschiedliche Pole sehen, die zu einer Ganzheit zu integrieren sind.

  

 



01.02.18   Orientierungs-Programm (1)  SINNVOLL  LEBEN


Ich definiere hier „sinnvolles Leben“ oder Lebens-Kunst (vereinfachend) über folgende 5 Begriffe:

 

1-1  Zufriedenheit   

1-2  Erfolg

1-3  Erkenntnis         

1-4  Moral

1-5  Selbstentfaltung

 

Sinnvoll leben bedeutet allgemein: ein erfülltes Leben führen; es muss nicht ein extrem glückliches Leben sein, aber ein geglücktes Leben. Was ist der Sinn des Lebens? Was ist der Sinn meines Lebens? Diese Fragen stellt sich jeder nachdenkliche Mensch einmal.

 

Dabei ist zu unterscheiden: was ist ein sinnvolles Leben? Und: wie erreicht man ein sinnvolles Leben? Diese Unterscheidung ist keineswegs trivial. Denn selbst wenn ich weiß, was für mich ein sinnvolles Leben ist, heißt es nicht, dass ich das ohne weiteres realisieren kann. Es geht hier nicht nur um einen Willensakt. Z. B. kann es – vor allem bei psychisch kranken Menschen – Kräfte in ihnen selbst geben, die Zufriedenheit verhindern. Aber auch äußere Umstände können verhindern oder wenigstens erschweren, dass das eigne Leben gelingt.

 

   Ich habe oben 5 Prinzipien oder Kennzeichen eines sinnvollen Lebens genannt. Bei dieser Auswahl mag man einwenden: es fehlt ein Prinzip Gesundheit oder ein Prinzip Liebe o.ä. Aber ich habe schon am Anfang erklärt, dass es um allgemeine Prinzipien geht. Gesundheit ist zwar einem sinnvollen Leben förderlich, aber nicht absolut notwendig; sonst müsste man ja einem kranken Menschen ein sinnvolles Leben absprechen. Ansonsten gilt, dass Gesundheit indirekt in die anderen Prinzipien eingeht: Gesundheit ist etwas, das z. B. Zufriedenheit und Erfolg unterstützt. Ähnliches gilt für andere mögliche Prinzipien des sinnvollen Lebens.

 

   Dennoch sei zugestanden, dass die obige Auswahl auch ein subjektives Moment enthält. Natürlich könnte man die Prinzipien erweitern oder verändern. Und der Leser sei durchaus aufgefordert, herauszufinden, welche individuellen Varianten für ihn richtig sind. Es ist gar nicht so leicht zu bestimmen, was für einen der spezielle Sinn des Lebens ist, aber es lohnt sicher, darüber nachzudenken und nachzufühlen.

 

 

1-1 Zufriedenheit

Ohne eine gewisse Zufriedenheit lässt sich kein Sinn erfülltes Leben führen. Wenn jemand z. B. große wissenschaftliche Leistungen vollbringt, aber sich dabei ständig unglücklich fühlt, so mag man sein Leben kreativ, erfolgreich, nennen, aber nicht geglückt, denn zu einem geglückten Leben gehört, dass man sich in seiner Haut wohl fühlt.

   Es gibt Denker, die sogar behaupten: Zufriedenheit ist letztlich das einzige Kriterium, alles hat nur Sinn, wenn es uns Befriedigung schenkt. Aber das ist zu verkürzt. Ebenso ist es zu kurz gedacht, wenn man Zufriedenheit nur über das  Lustprinzip definiert, jedenfalls wenn man Lust einseitig als Sinnenfreuden versteht.

   Was jemandem Zufriedenheit gibt, ist einerseits allgemein, andererseits individuell. Bestimmte Grundbedürfnisse teilen wir alle, z. B. macht es uns zufrieden, wenn wir anerkannt werden. Andere Bedingungen der Zufriedenheit sind individuell unterschiedlich, und man muss herausfinden, was einen  selbst zufrieden macht.

 

 

1-2 Erfolg

Erfolg heißt zunächst einmal, dass man überlebt, dies ist die Voraussetzung für alles andere. Es heißt weiter, dass man sich im Leben zurechtfindet, in den wesentlichen Bereichen des Lebens: Partnerschaft, Familie, Beruf, Gesellschaft.

   Das verlangt normalerweise verschieden Fähigkeiten; eine wichtige Fähigkeit ist die zur Anpassung. Dass man in seiner Umwelt zurechtkommt, dass man mit den Menschen zurechtkommt, verlang Einordnung und Kooperation.

  Aber mit Erfolg verbinde ich auch, dass man Zustimmung, Anerkennung, Wertschätzung für sich selbst und für seine Leistungen erhält.

 

 

1-3 Erkenntnis

Gewisse Erkenntnisse sind absolut notwendig zum Überleben, aber das ist hier nicht gemeint. Sondern das Prinzip Erkenntnis meint, dass man etwas vom Funktionieren der Welt versteht. Seit Urzeiten ist dies ein zentrales menschliches Bedürfnis: man staunt über die Welt und versucht sie zu begreifen.

   Vielleicht mag man bezweifeln, dass dies notwendig zu einem geglückten Leben gehört. Man mag zuweilen zufriedener leben, wenn man nicht über bestimmte Informationen verfügt, z. B. dass ein Familienmitglied unheilbar krank ist. Aber das „sinnvoll leben“ wird ja nicht allein über Zufriedenheit definiert, sondern eben auch über Wissen.

   Zur Erkenntnis gehört wesentlich Selbsterkenntnis: „Erkenne dich selbst“, das war der Grundsatz der griechischen Philosophie. Und Erkenntnis führt normalerweise zu einer gewissen Rationalität und  Vernunft.

   Erkenntnis heißt allerdings nicht nur Verstandes-Einsicht, sondern auch Erleben und Erfahrung, empirische Erkenntnis.

 

 

1-4 Moral

Moral hat in unseren Zeiten fast schon einen schlechten Klang, es klingt altmodisch, lustfeindlich, „Gutmensch“ ist ein Spottbegriff, fast schon ein Schimpfwort. Dies ist Ausdruck einer Zeit, die stark durch Zynismus gekennzeichnet ist. Häufiger bedient man sich der Wortes Ethik, aber das ist im Grunde falsch, denn Ethik ist die Lehre von der Moral.

Ein Werteverlust wurde schon sehr oft beklagt, vom „Wertewandel“ wurde schon oft gesprochen. Aber gerade heute ist nach einer Zeit einer gewissen Wertestabilität in der Tat wieder eine Veränderung bzw. Verringerung von Werte-Bewusstsein und Werte-Handeln festzustellen. Die Solidarität schwindet, Konkurrenz und Egoismus verbreiten sich, verbunden mit einer Entwertung bzw. Abwertung des Mitmenschen. Werte und Sinn hängen aber eng zusammen, die Orientierung an Werten wie  das „Wahre, Schöne, Gute“ ist sinnstiftend. Wenn jemand alles entwertet oder abwertet, droht sein Leben wertlos und damit auch sinnlos zu werden.

 

 

1-5 Selbstentfaltung

Zum sinnvollen Leben gehört auch, dass man sein wirkliches Selbst findet, ausdrückt und entfaltet. Es geht um Eigenschaften wie Echtheit, Aufrichtigkeit, Authenzität. Verbunden ist damit aber auch, dass man nicht stehen bleibt, sondern sich weiter entwickelt, wächst, eine Evolution des Selbst, meistens verstanden als Höherentwicklung, Reifung, Veredelung. Dies fordert auch, sich zu wehren, zu rebellieren, wenn man selbst (oder auch andere Menschen) unterdrückt und in ihrer Selbstentfaltung behindert werden.

 

 

GANZHEIT

Die oben genannten 5 Prinzipien können nie alle vollständig erfüllt werden, weil bestimmte Gegensätze zwischen ihnen herrschen (dies hängt allerdings von der genauen Definition ab).  

   Man kann diese Prinzipien – im Sinne der Polaritäts-Theorie – auch als unterschiedliche Pole sehen, die zu einer Ganzheit zu integrieren sind.

  Im Idealfall herrscht eine Konkordanz. Einige Beispiele: Erkenntnis kann durchaus zu einer geringeren Zufriedenheit führen, weil einem eigene Schwächen klar werden. Andererseits gehört aber m. E. (Selbst-) Erkenntnis zwingend zu einem sinnvollen Leben. Es gilt hier also einen Kompromiss zu finden, sich nicht mit zu negativen Informationen zu konfrontieren, die einen vielleicht in eine Depression treiben, aber auch nicht jede Nachricht, die einem unangenehm ist, gleich zu verdrängen oder zu verleugnen.

   Es geht hier um Ganzheit: man muss einerseits sehen, dass man alle Prinzipien erfüllt. Andererseits muss man einen Ausgleich finden. Im Idealfall findet man ein Optimum, also den Zustand, in dem ein maximaler Gesamtwert aller Prinzipien möglich ist. Dieser Kompromiss bzw. diese Balance ist nicht statisch. Sie muss immer wieder neu hergestellt werden. Und zu unterschiedlichen Zeiten können unterschiedliche Mischungen der Prinzipien richtig sein: in bestimmten Zeiten mag die Anpassung an äußere Umstände absolut notwendig sein, in einer anderen Lebenssituation steht die Selbstentfaltung im Vordergrund.

 




19.01.18   Orientierungs-Programm (0) 

ORIENTIERUNG 

 

0-1 Was ist Orientierung?

Orientierung ist wie ein Wegweiser. Sie zeigt einem, wo der Weg lang geht, der Weg zum richtigen Denken, zum richtigen Tun. Die wichtigsten Themen der Lebensorientierung werden durch die oben genannten Grundfragen abgedeckt. Diese kann man wie gesagt näher einteilen  in praktische und theoretische Fragen:


A) praktische Fragen

-  Wie lebt man sinnvoll?

-  Wie löst man  Probleme?

B) theoretische Fragen?

-  Was ist die Welt?

-  Wer bin ich?


Die praktischen Fragen beziehen sich auf  das richtige Verhalten und Handeln, in den theoretischen Fragen geht es um Erkenntnis. Es würde Sinn machen, noch eine fünfte Frage hinzuzufügen: „Wo finde ich Wahrheit?“ Diese Frage ist halb praktisch, halb theoretisch (allerdings kann man auch bei den anderen Fragen sowohl theoretische wie praktische Aspekte unterscheiden).  Ich habe diese  Frage  nach der Wahrheit  aber in dem früheren Ansatz nicht weiter ausgeführt und lasse sie deshalb auch heute weg.

    

 

0-2  Orientierungs-Krise heute

Schon immer haben die Menschen sich solche Fragen gestellt und nach Orientierung, nach Wegweisern gesucht. Aber heute ist dieser Mangel an Orientierung viel stärker als früher.

   Denn unsere Lebenswelt ist wesentlich unübersichtlicher, komplexer und widersprüchlicher geworden, außerdem befindet sie sich in rasantem Wandel. Im Einzelnen:

 · Vor allem Wissenschaft und Technik führen zu ständig neuen Entwicklungen, die unser Leben sowie unser Weltbild und Menschenbild radikal verändern. Hier ist vor allem Gentechnik, Biotechnik, Computertechnik, Raumfahrt u. ä. zu nennen. Z. B. kann es sein, dass es eine erhebliche Lebensverlängerung geben wird, die uns dazu zwingt, unser Leben ganz anders zu planen. Wir müssen uns ständig  auf Neues einstellen, z. B. auf ständig neue Computer-Programme.

 · Entsprechend ist die Wissenschaft immer komplizierter geworden, nur noch die wenigsten Menschen haben ausreichende wissenschaftliche Kenntnisse. Zugleich hat aber die Wissenschaft ihre Rolle als Hüter einer Wahrheit verloren, wir werden überall mit verschiedenen, konkurrierenden wissenschaftlichen Theorien konfrontiert.

 · Durch die Medien werden wir ständig mit Informationen überflutet, und zwar mit Informationen aus der ganzen Welt. Die Welt des Menschen ist ein „globales Dorf“ geworden.

 · Unsere moderne Gesellschaft ist immer komplexer geworden. Das Verhalten der Menschen ist weniger festgelegt als früher, es gibt eine große Mobilität. Gerade derzeit ist auch das Sozialsystem unserer Gesellschaft in der Krise, der Sozialstaat wird umgebaut bzw. angebaut. Das verunsichert viele Menschen.

 · Aber auch die Fragen des Glaubens und die Werte sind unsicherer geworden, so ist noch zweifelhafter, welche Werte und Normen weiterhin Gültigkeit besitzen. Z. B.: Welchen Sinn hat das Leben? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Außerdem sind neue moralische Probleme z. B. durch die Gentechnik entstanden (etwa „darf man Menschen klonen“?) Allgemeinverbindliche moralische  und spirituelle Autoritäten, wie es zu früheren Zeiten Religion und Kirche waren, findet man kaum noch. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von esoterischen Richtungen.

 

Man nennt unsere Zeit Postmoderne, und sie ist zusammenfassend definiert durch Pluralität, Komplexität, Gegensätze, Mobilität und Flexibilität, alles Faktoren, welche Orientierung erschweren.

   Die Menschen sind unsicher, was sie denken sollen, welcher Weg für sie richtig ist, was gut und böse ist usw. Man kann regelrecht von einer Desorientierung sprechen.

Dabei sind wir in zweierlei Hinsicht orientierungslos bzw. desorientiert: Erstens, in unserem Erkennen (theoretisch): Wie ist die Welt? Wer bin ich selbst? Zweitens, in unserem Tun und Handeln (praktisch): Was soll ich tun? Wie verhalte ich mich richtig?

   Der Mangel an Orientierung belastet die Menschen. Man kann von einer Krise sprechen, einer Orientierungskrise. Diese umfasst im Grunde verschiedene Krisen: eine Sinnkrise, einer Denkkrise oder Erkenntniskrise und eine Wertekrise.

 

 

0-3 Falsche Lösungen der Orientierungs-Krise

Die meisten Menschen reagieren in zweierlei Weise auf die Orientierungs-Krise, mit der Haltung des Pluralismus oder der Haltung des Monismus (bzw. Dogmatismus); aber  beide Haltungen sind nicht konstruktiv:

 

 · Pluralismus

Der Pluralismus führt nicht zu einer Orientierung, er strebt auch keine Orientierung an. Der pluralistische Mensch  lässt sich ganz auf die Vielfalt ein, geht aber in ihr unter. Er treibt durchs Leben, folgt seinen Stimmungen bzw. dem von außen vorgegeben Moden. Man hängt sein Fähnchen nach dem Wind. Der pluralistische Mensch sucht nicht wirklich nach Orientierung, er meint u. U. sogar, es sei ein Nachteil, einen Standpunkt zu haben, denn dann sei man festgelegt, sei nicht mehr für alles offen.

  Die Gefahr ist, dass der pluralistische Mensch seinen Halt oder sogar sein Ich verliert. Dies kann zu Ängsten oder Aggressionen, zu Sucht oder psychosomatischen Störungen führen, gerade bei jungen Menschen.

 · Monismus

Der Monismus führt zwar zu einer Orientierung, aber erkauft durch eine Verzerrung der Welt, einen Wirklichkeitsverlust. Monismus bedeutet, dass man die Vielfalt und Komplexität leugnet, alles einer Einheit unterstellt. Eine monistische Theorie ist z. B. die Behauptung: Alle Menschen handeln ausschließlich aus Egoismus. Oder: Alles auf der Welt ist gut.

 

  Verwandt mit dem Monismus sind Dogmatismus, Ideologie, Fundamentalismus oder auch Separatismus. Der monistische, dogmatische Mensch  lässt sich nicht auf die Vielfalt der Welt ein, versucht alles, einer Einheit (oder einigen wenigen Prinzipien) zu unterwerfen. Er fixiert sich auf starre Regeln, um in der Vielfalt und Komplexität nicht unterzugehen; er „weiß“ genau, was wahr  und gut ist, für ihn gibt es nur schwarz oder weiß.

  Zwar besitzt der Einheits-Denker, anders als der Pluralist, einen Halt, aber er klammert die Vielfalt aus, ist unflexibel, kann sich schlecht auf Veränderungen einstellen. Dies kann ebenfalls zu psychischen Störungen führen wie Zwanghaftigkeit, Unlebendigkeit, Sturheit, Erstarrung, Fanatismus, Perfektionismus, religiösen Fundamentalismus u. a.

  Sowohl der Pluralismus wie der Monismus sind unrealistische, unproduktive, im Extrem destruktive Formen, mit der Komplexität der Welt umzugehen.

 

 

0-4 Meine Lösung: ganzheitliche Orientierung

Die Lösung für Desorientierung, Unsicherheit, Verwirrung ist: den Menschen wieder zu einer  Orientierung zu verhelfen.

  Die beiden Pole Vielfalt (Pluralität) und Einheit müssen zu einem Ganzen verbunden, integriert werden, entsprechend die verwandten Pole Wandel und Beharrung, Varianz und Invarianz.

   Einerseits erfasst man die Vielheit und Komplexität der Welt. Andererseits bildet man Ordnungsstrukturen, die einem erlauben, die Vielheit zu  überblicken, zu erfassen, nicht in ihr unterzugehen.

 

Im Einzelnen und Konkreten beschreibe ich Ganzheit vor allem durch zwei Ganzheits-Ansätze: System-Theorie und Polaritäts-Theorie. Hier äußere ich mich nur kurz dazu, aber in vielen meiner Schriften, z. B. in dem Buch „Die schöne Illusion der Wassermänner“, gehe ich ausführlich darauf ein.

 

1. System-Theorie

Ein System ist eine Menge von Elementen, die in Abhängigkeit zueinander stehen. Das kann eine mathematische Gleichung sein, der menschliche Organismus oder ein Gesellschaft. Die Systemtheorie beschreibt bzw. untersucht vor allem folgende Komponenten eines Systems: Elemente, Struktur, Funktion, Umweltbeziehungen, Einheit.

Unter Ganzheit eines Systems versteht man das Gesamt dieser Komponenten (es gibt allerdings auch andere Ansätze).

Die Systemtheorie beschreibt aber ein System nicht nur statisch, sondern untersucht auch – dynamisch –, wie es sich verhält und welches Verhalten funktional (nützlich für das System) und welches Verhalten dysfunktional ist.

 


2. Polaritäts-Theorie

Die Polaritäts-Theorie hat Wurzeln in traditioneller westlicher und östlicher Philosophie, ist aber auch eine moderne Theorie.

   Polarität bedeutet, dass zwei (oder mehr) Pole zueinander im Gegensatz stehen, sich andererseits aber zu einer Ganzheit er-gänzen. Beispiel für Pole sind z. B. männlich – weiblich, warm – kalt, schön – hässlich, aber auch Welle und Teilchen in der Physik. Die bekannteste und (auch hier) wichtigste Polarität ist die zwischen Yin und Yang. Wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, gibt es sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Definitionen von Yin und Yang. Wenn man aber vereinfachend die wichtigsten Bestimmungen zusammenfasst, so ergibt sich:

 

Yin:                Yang

Kooperation  Konkurrenz

Bindung        Autonomie

Friedlichkeit  Selbstbehauptung

Gefühl           Verstand

 

Ganzheit in der Polaritätstheorie bedeutet, dass ein Gleichgewicht von Yin und Yang besteht. Damit ist nicht gemeint, dass beide Prinzipien immer zu 50% verwirklicht sein müssen, sondern es kann durchaus einen dynamischen Ausgleich geben, dass einmal Yin dominiert und zu anderen Zeiten Yang. Wenn ein  Pol (dauerhaft) zu stark dominiert, kann er sich destruktiv äußern, z. B. wird die Yang-Selbstbehauptung zu destruktiver Aggression.


 

0-5 Information und Übersicht

Das wichtigste Mittel zur Orientierung ist Information. Aber es geht um besondere Informationen.

 

- Wesen:                   Die Informationen müssen wesentlich sein.

- Ordnung:                Die Informationen müssen geordnet, strukturiert sein.

- Übersicht:               Die Informationen müssen eine Übersicht erlauben.

- Anschaulichkeit:      Die Information müssen optisch aufbereitet werden.

- Ganzheit:                Die Informationen müssen zu einem Ganzen ver-

                                  verbunden sein.


Die Menschen sind aus zwei Gründen desorientiert, erstens, weil sie zu wenige Informationen besitzen, oder zweitens, weil sie mit zu vielen überflüssigen und unbrauchbaren Informationen überschüttet werden.     

· Wesen: Wesentlich ist eine Information, die das, was wichtig ist, erfasst, d. h. die die Essenz, die eigentliche Bedeutung von etwas ausdrückt. Angenommen, ich will jemandem ein Auto vorstellen, dann werde ich nicht genau beschreiben, wie etwa der Aschenbecher aussieht, sondern über Leistung, Komfort, Sicherheit usw. sprechen. Natürlich gibt es auch individuelle Unterschiede, was jemand für wesentlich hält.

· Ordnung: Geordnet ist eine Information, die Allgemeines und Besonderes, Wichtiges und Unwichtiges voneinander trennt, nicht alles miteinander vermischt, was sich auch optisch ausdrücken muss.

· Übersicht: Das hängt stark mit Ordnung (und mit Anschaulichkeit) zusammen. Wenn etwas geordnet ist, unterteilt, gegliedert, dann können wir es besser erfassen.

· Anschaulichkeit: Wenn möglich, sollen Informationen übersichtlich dargestellt sein; das geht in strukturierten Texten, aber am besten in Tabellen und Listen oder aber graphisch in Diagrammen und Abbildungen.

· Ganzheit: Doch im Mittelpunkt steht die Ganzheitlichkeit. Und ganzheitlich ist eine Information, welche die Ganzheit eines Gegenstandes erfasst.




10.01.18  Orientierungs-Programm - Einführung

 

Das Orientierungs-Programm habe ich vor Jahren entwickelt. Ich plante eigentlich, ein Buch darüber zu schreiben, beendete dieses aber nicht. Den Ansatz finde ich aber auch heute noch wichtig genug, um ihn hier vorzustellen. Allerdings bringe ich hier im Blog nur eine Kurzfassung, genauer und ausführlicher werde ich das Programm in einem eigenen Punkt auf der Homepage darstellen.  

Das Orientierungs-Programm war wie gesagt nur ein unvollendetes Projekt, daher sind auch die Aussagen nicht bis in letzte ausgefeilt und ausformuliert.

 

Der Philosoph Immanuel Kant nannte folgende Fragen als Hauptfragen der Philosophie.

   1. Was kann ich wissen?, 2. Was soll ich tun?, 3. Was darf ich hoffen?

Und er fasste diese Fragen zusammen in der Frage: Was ist der Mensch?


Es geht hier um eine Orientierung im Leben. Orientierung bedeutet ganz vereinfacht: seinen Standpunkt zu haben und seinen Weg zu kennen. Und eine solche Orientierung ist heute mehr denn je ein Problem: Denn wir leben in einer pluralistischen Welt, mit einem Überangebot an Weltanschauungen und Verhaltensmöglichkeiten, zugleich verbunden ist einem Wertewandel und einer Relativierung. Dies kann zu Desorientierung bzw. Orientierungslosigkeit führen. Vielen Menschen fehlt es an Orientierung  und viele suchen nach ihr.


Die Antworten, die Kant gab, sind zwar noch immer lesenswert, aber für unsere heutige Zeit schwer verständlich. Es geht darum, neue, zeitgemäße Antworten zu finden. Und ich möchte auch Kants Fragen etwas verändern.

   Man könnte die folgenden Fragen  als Hauptfragen des Lebens bezeichnen und entsprechend die Begriffe als Hauptthemen des Lebens:


· Wo finde ich Lebenssinn?              Lebens-Kunst

· Wie meistert man Probleme?         Problem-Lösung

· Was ist die Welt?                            Welt-Wissen

· Wer bin ich?                                    Selbst-Erkenntnis

 

Diese Fragen beantworten zu können, vermittelt uns Orientierung.

Und zwar geht es um Orientierung in doppelter Hinsicht:

1)    theoretische Orientierung: Was soll ich denken, für wahr halten?

2)    praktische Orientierung: Was soll ich tun, wie soll ich mich verhalten?

Und zwar geht es hier in erster Linie um Orientierung für den einzelnen Menschen, Aspekte der gesamten Gesellschaft spielen nur im Hintergrund eine Rolle.


Allerdings lassen sich diese Fragen (bis auf die 3.) nur in Grenzen allgemeingültig beantworten, im Detail verlangen sie eine Individualisierung, die natürlich nicht geleistet werden kann. Dennoch kann man – auch in Kürze – einen generellen Rahmen für die Beantwortung vorgeben und substantielle Vorschläge unterbreiten.

 

Im Mittelpunkt der Antworten bzw. der Orientierung soll die Ganzheit stehen. Ganzheit bedeutet Integration, das Wort „ganz“ ist verbunden mit „heil“ und damit auch mit Heilung. Ganzheit ist der Gegensatz zu Spaltung, Zerrissenheit, Desintegration.


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