Homo oeconomicus  30.06.18

Die Geschichte ging los, als Herr Leo aus T. folgende Anzeige las: „Die Mutter aller Schnäppchen: extrem billige Bohnenkonserven, nur 20 Cent pro Büchse. Warten Sie nicht zu lange, sorgen Sie vor – wenn der Russe kommt.“

Herr Leo aus T. überlegte nicht, ob der Russe wirklich kommen würde. Mit solchen Details sich abzugeben, wäre Pedanterie. Hauptsache billig. Er kaufte 1000 Konserven und hatte ein wunderbares Gefühl, für alles gerüstet zu sein. Allerdings  türmten sich jetzt in seiner ganzen Wohnung Konservenpyramiden, so konnte er in der vollgeräumten Wohnung nur noch das Badezimmer richtig benutzen. Aber wie er sich sagte: „Irgendwas ist halt immer.“

 

Oft ärgerte sich Herr Leo aus T. über die hohen Benzinpreise. Er gewöhnte sich daher an, wenn er einen Berg runterfuhr, kein Gas zu geben – und freute sich tierisch, wie in der digitalen Multifunktionsanzeige der Benzinverbrauch immer weiter runter ging. Manchmal fuhr er extra einen hohen Berg erst hoch, um sich dann beim Herabrollen an dem Absturz der Verbrauchswerte zu ergötzen: 8,0 Liter – 7,6 – 7,2 – 6,9 – 6,5. Einmal fuhr er einen ihm unbekannten, neuen Berg runter – da kam ein Schild mit der Warnung: „Tempo 40, scharfe Kurve“. Aber Herr Leo aus T. sagte sich: „Ich darf nicht auf die Bremse gehen, dann ist mein Spareffekt ja geringer.“ Leider schlidderte Herr Leo aus T. deshalb mit Tempo 100 in der Kurve gegen die Leitplanke. Er hatte einen Schaden von 1500 € an seinem Auto, bekam außerdem ein Bußgeld von 500 €. Doch Herr Leo aus T. ließ sich nicht verdrießen:  „Immerhin, ich habe toll Benzin gespart, man darf sich das durch solche Kollateralschäden nicht vermiesen lassen.“

 

Neulich bekam Herr Leo aus T. Post von seiner Krankenkasse: „Schließen Sie eine Zahnzusatzversicherung ab. Dann können Sie sich auch in Zukunft ästhetische Zahnbehandlungen leisten, Sie behalten Ihre Arbeitsstelle und können weiter die Beiträge für Ihre Krankenkasse bezahlen. Kostenerstattung ohne Wartezeit.“ Das überzeugte Herrn Leo aus T. Er  schloss sofort die Versicherung ab und raste dann zum Zahnarzt.

„Herr Doktor, machen Sie mir die beste Zahnbehandlung. Geld spielt keine Rolle.“

Der Zahnarzt untersuchte ihn gründlich und schüttelte dann bedauernd den Kopf.

„Tut mir leid, Herr Leo aus T., aber Ihre Zähne sind in bester Ordnung. Das ist nichts dran zu machen.  Sie ernähren sich offensichtlich sehr gut. Was essen Sie denn?“

„Nun ja, Bohnen!“, murmelte Herr Leo aus T.

„Was Sie nicht sagen ...“

Herr Leo aus T. ging traurig nach Hause. Aber so schnell würde er sich nicht geschlagen geben. Er würde ab sofort keine Bohnen mehr essen, die musste er ja sowieso aufheben für die Zeit, wenn der Russe kommt. Ab jetzt aß Herr Leo aus T. nur noch Schokolade, Süßspeisen, Eis, trank gezuckerte Babysäfte (Werbung: „gut fürs Kind“), Cola und doppelt gezuckerten Kakao.

Nach 3 Monaten ging er wieder zum Zahnarzt. Der schmunzelte. „Jetzt sieht die Sache schon viel besser aus, Sie haben 8 kaputte Zähne und brauchen 8 Implantate. Kostet ca. 16.000 Euronen, Späßchen.“

„Na also“, sagte Herr Leo aus T. „Es geht doch. Dann man los.“ Angenehm war die Behandlung nicht, aber Herr Leo aus T. hatte das gute Gefühl, seine Versicherung nicht umsonst abgeschlossen zu haben.

Als die Rechnung vom Zahnarzt kam, schickte er sie seiner Zusatzversicherung. Bald kam die Antwort. „Sehr geehrter Herr Leo aus T., leider können wir Ihnen nur für 4 Implantate die Kosten erstatten, und auch nur zu 70%. Lesen Sie mal die Vertragsbedingungen.“

„Na ja“, sagte Herr Leo aus T., und nahm eine extra starke Schmerztablette, weil die Implantate schmerzten. „Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne. Und wo gebohrt wird, da fallen eben Zähne. Das darf man nicht so eng sehen. Jedenfalls hat sich der Abschluss der Versicherung gelohnt.“

 

Kürzlich ging Herr Leo aus T. an einem Kaufhaus vorbei. Im Fenster lagen Kleider für kleine Mädchen, im Alter von 3-5 Jahren. Auf einem Schild stand: „Nur heute. Supersonderangebot. 1 Kleid für 2 €, 4 Kleider für 6 €, 10 Kleider für 14 €.“

Das war für Herrn Leo aus T. keine Frage. Er kaufte 10 Kleider.  Zu Hause fiel ihm ein: Er hatte ja gar keine Töchter, kannte auch keine kleinen Mädchen in der Verwandtschaft. Aber dieses Problem ließ sich leicht lösen: Er würde sich eine Frau suchen, am besten eine Frau Lea aus T., die würde er heiraten, dann mit ihr 5 Töchter zeugen, jede Tochter bekäme 2 Kleidchen; wenn sie jedes Jahr ein Mädchen bekämen, hätten sich die Kleider nach etwa 8 Jahren voll amortisiert.

Aber dann überkamen Herrn Leo aus T. doch Zweifel: „Was ist, wenn meine Frau Söhne produziert? Man weiß bei den Frauen ja nie, richtig zuverlässig sind sie nicht.“ Was nun? Herr Leo aus T. hatte eine tolle Idee: Er ließ sich aus den 10 Kleidchen ein Clownkostüm für Karneval schneidern. Gut, mit 100 € Schneiderkosten war es nicht ganz billig, außerdem ging er nie zum Karneval, und Clowns konnte er schon gar nicht leiden. Aber der Stoff war wenigstens ein irres Schnäppchen gewesen. „Etwas Schwund ist eben immer“, sagte sich Herr Leo aus T. zufrieden. Und es heißt doch: „Einem Schnäppchen schaut man nicht ins Maul – oder so ähnlich.“

 

Aber eine Sache wurmte Herrn Leo aus T. noch: Die Bohnen. Der Russe war noch immer nicht einmarschiert. Also hatte er die Bohnen nutzlos gekauft. So einen Verlust konnte er schlecht verwinden. Daher begann er zu überlegen, wie er den Russen zum Einmarsch motivieren könnte. Am besten wäre, er könnte einen dritten Weltkrieg auslösen. So gab er bei Google ein: „Wie löse ich einen Weltkrieg aus?“.  Da kamen Einträge wie „Weltkrieg sale“ oder „Weltkrieg – heute nur noch 3,99 €“, aber leider nichts Brauchbares. 3,99 € waren Herrn Leo aus T. übrigens auch zu teuer für einen Weltkrieg.

Doch da kam ihm sein Nachbar, ein ausgesprochener Scherzbold, zur Hilfe. Herr Leo aus T. hatte ihm von den Bohnen und dem Russen erzählt. „Warten auf den Russen, das ist jetzt mein Leben“, hatte er geklagt. Der Nachbar hämmerte daher eines Morgens gegen die Tür. „Wer da?“ rief Herr Leo aus T. „Der Russe“, schrie der Nachbar.

„Ich habe doch immer gewusst, dass sich der Kauf der 1000 Büchsen Bohnen irgendwann auszahlen wird“, flüsterte Herr Leo aus T. andächtig. Er machte eine Büchse Bohnen auf und fühlte sich unendlich glücklich. Er hatte alles richtig gemacht, sein Leben vollendete sich.