(3) Wahl 2017 - Paradoxien des Wählens  (14.09.17)


Der nachfolgende Text ist keine klassische Satire. Es ist hier eigentlich die Wirklichkeit selbst, die satirisch, im Sinne von absurd, ist. Die Darstellung bildet diese Absurdität nur ab.


Jedenfalls sollte ich den Text eigentlich besser nicht veröffentlichen! Jedenfalls lesen Sie ihn auf eigene Gefahr.

 

Die Bundestagswahl 2017 steht bevor.

Und man fragt sich, was man wählt.

Natürlich kann man sich auch fragen, ob man überhaupt wählen soll.

 

Wie viele Wahlberechtigte gibt es in Deutschland? Es sind ca. 61,95 Millionen (Stand bei der Bundestagswahl 2013), sagen wir der Einfachheit halber 62 Millionen – der genaue Wert ist für meine Betrachtung auch belanglos.

 

Die eigene Stimme hat also einen Einfluss auf die Wahlentscheidung von ca. 1/62 Millionen, in Zahlen 1/62.000.000, d. h. die Bedeutung der eigenen Stimme geht gegen 0.

 

Es wären theoretisch extrem unwahrscheinliche Verhältnisse denkbar, in denen eine einzige Stimme den Ausschlag geben könnte, welche Partei gewinnt oder ob eine Partei die 5%-Hürde schafft oder nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist praktisch 0, und m.W. sind, jedenfalls in Deutschland, noch nie solche Wahlverhältnisse aufgetreten.

 

Also kann man gut zu der Erkenntnis kommen, dass man sich die Teilnahme an der Wahl sparen kann.

 

Und zwar ist das keineswegs eine unqualifizierte Auffassung, sondern eine sehr rationale bzw. vernünftige. Der rationale Mensch ist dadurch bestimmt, dass er den Aufwand und den Nutzen einer Handlung abgleicht.

Zur Wahl zu gehen, ist doch ein gewisser Aufwand an Zeit, vielleicht auch Fahrtkosten, entsprechendes gilt für die Briefwahl; ein Nutzen dieses Wahlganges ist nicht gegeben, weil eben die eigene Stimme keinen Einfluss hat.

Ein rationaler Mensch unternimmt aber normalerweise keine Handlung, die ihm nur Aufwand, aber keinen Nutzen beschert.

 

Pointiert könnte man umgekehrt sagen, dass wer zur Wahl geht, ein Irrationalist, ja ein Größenwahnsinniger ist, der seine eigene Bedeutung für das Wahlergebnis absurd überschätzt. Es ist rührend, aber naiv, wenn Leute lange überlegen, wie sie ihre Stimme strategisch einsetzen können. Z. B. mag einer argumentieren: „Ich bin eigentlich für die CDU, wähle aber die FDP, damit die über die 5%-Hürde kommt und die zusammen eine Koalition bilden können.“ Das ist hoffnungslos irrational: Der Stratege kann die FDF wählen oder – gerade im Gegenteil –  die Linke oder eben gar nicht, das ist für den Ausgang der Wahl völlig egal.

 

Und ein Wähler kann seine Wahlentscheidung nach beliebigen Kriterien ausrichten: ob ihm die Haarfarbe des Politikers gefällt, ob der den gleichen Vornamen wie er selbst hat, ob der gut in eine Comedyserie passen würde, ob sein Auftritt im Fernsehen ihn beim Abendessen stört usw. Statistisch ist es bedeutungslos, wen ich wähle, aus welchen Gründen oder ob ich eben gar nicht wähle.

 

Allerdings: die meisten von uns sind so sozialisiert worden, dass es eine staatsbürgerliche Pflicht ist sich an einer politischen Wahl zu beteiligen.  Man kann also zur Wahl gehen, um das Gefühl zu haben, das Richtige zu tun, Teil einer Gemeinschaft zu sein, seinen Beitrag zu leisten, seine Meinung kundzutun. Der Nutzen wäre dann z. B. das gute Gewissen, aber das ist natürlich keine im eigentlichen Sinn rationale Begründung.

 

Das Problem ist: Was ist, wenn viele oder sogar alle Wahlberechtigte den Sin des Wählens bezweifeln?! Wenn viele oder alle nicht wählen?!

 

Bei der letzten Bundestagswahl lag die Wahlbeteiligung (der Wahlberechtigten) bei 71,5%. Das ist zwar nicht überragend, man spricht da auch schon von „Wahlmüdigkeit“, aber es bedeutet doch eine deutliche Mehrheit, zwischen 2/3 und 3/4.

 

Was wäre aber, wenn keiner wählen würde? Dann gäbe es gar keine Wahl, damit wäre ein Grundpfeiler der Demokratie weggebrochen.

Und wenn die Wahlbeteiligung ganz gering wäre, z. B. bei 0,5%, dann würde eine winzige Minderheit die Wahl entscheiden, das wäre auch sehr undemokratisch.

 

Paradoxerweise könnte unser rationaler Mensch dann mit gutem Grund wählen. Nehmen wir den natürlich völlig irrealen Fall an, dass nur unser Mensch wählt, dann würde er die Wahl alleine bestimmen. So gesehen wäre es höchst rational für ihn zu wählen, denn er hätte maximalen Einfluss.

 

D. h., was für den einzelnen Menschen rational ist, nämlich nicht zu wählen, ist für eine Menge von Menschen höchst irrational und destruktiv, sie zerstören damit ihre Demokratie.

Was für einen einzelnen Staatsbürger durchaus demokratisch vertretbar ist, wird undemokratisch, wenn es die Gesamtheit der Staatsbürger macht.

Auch das ist eine Paradoxie: Wie kann eine Entscheidung für ein Individuum rational sein, dagegen für viele Individuen zusammen irrational?

 

Wie lässt sich diese Paradoxie aufzulösen, wenn auch nicht unbedingt theoretisch, so wenigstens praktisch? Wir müssen fragen: Was folgt daraus für einen rationalen Menschen bzw. für einen guten Staatsbürger?

 

Er muss andere Menschen auffordern, unbedingt wählen zu gehen. Ob er selbst wählt, ist dabei belanglos. Wenn er mehrere Menschen zur Wählen veranlasst, selbst aber nicht wählt, dann ist er ein besserer Demokrat als jemand, der zwar selbst wählt, aber nicht andere zum Wählen motiviert.

 

Im Extrem: Wenn jemand in der Öffentlichkeit vor großem Publikum oder als Influencer Werbung für das Wählen macht, dann ist er ein vorbildlicher Demokrat, unabhängig davon, ob er selbst wählt.

Er darf natürlich nicht verraten, dass er selbst nicht wählt, sonst würde man ihn beschimpfen als Lügner, Betrüger, Heuchler und vielleicht gerade aus Protest nicht wählen.

Denn die wenigsten Menschen besitzen vermutlich die Rationalität und Objektivität, die Richtigkeit der obigen Aussagen zu begreifen.

 

Natürlich dürfte ich eigentlich diese Paradoxien der Wahl nicht aufdecken. Denn ich könnte viele Menschen dazu verführen, nicht selbst zu wählen, was dann die demokratische Wahl in Frage stellen könnte.

 

Gottseidank leide ich aber nicht unter einer solchen hybriden Selbstüberschätzung. Ich bin überzeugt: nur wenige Menschen werden meinen Text lesen, nur wenige von diesen werden die Überlegungen nachvolluiehen , noch weniger werden mit meinen Schlussfolgerungen übereinstimmen und noch weniger werden sich dadurch abhalten lassen, zur Wahl zu gehen.

Also kann ich diesen Text mit gutem Gewissen veröffentlichen und mich dennoch als guter Bürger fühlen.

 

Ob ich selbst zur Bundestagswahl 2017 gehen werde? Das verrate ich nicht. Aber ich fordere Sie alle dringend auf: „Gehen Sie zur Wahl!“