Smartphones oder das Ende der Achtsamkeit

 


18,12,2018


Ich will nicht behaupten, dass die Mehrzahl der Menschen in früheren Zeiten die Kunst der Achtsamkeit pflegten, bewusst und aufmerksam durch ihr Leben ging. Aber mit dem Aufkommen der Smartphones hat die Achtsamkeit erheblich an Boden verloren. Viele Menschen leben wie in Trance – oder sagen wir es direkter – wie im Tran, weil sie ständig in irgendwelche Smartphone-Aktivitäten versunken sind. Pointiert: Das Smartphone ist das Gegenteil von Achtsamkeit.

 

René Descartes schrieb: „Ich denke, also bin ich.“ Lange ist’s her. Heute, bei den Smartphone-Jüngern und -Jüngerinnen heißt es: „Ich wische, also bin ich.“ Das gilt in erster Linie für die Jugendlichen, aber auch viele Erwachsene sind von dem Wisch-Virus infiziert. Über viele Stunden am Tag beschäftigen sich Intensivnutzer mit dem „smarten Telefon“, schauen bzw. lesen, tippen, sprechen, lauschen, senden bzw. empfangen, aber vor allem wischen sie eben auf dem Display herum. Ohne richtig zu merken, was sie tun. “Nicht ohne mein Smartphone”, lautet das Motto. Denn das Smartphone ist immer dabei, in der Nacht liegt es neben dem Bett; für manchen ist es vertrauter und näher als der eigene Partner, kann sogar ein Partnerersatz sein. Und für den es ist unverzeihbar, wenn der Partner in seinem Smartphone „schnüffelt“.

 

Die Smartphone-Liebhaber/innen sind im Dauerstress, ständig im Zeitdruck: denn sie haben Angst, etwas zu verpassen, vom Datenstrom abgeschnitten zu sein. Sie liegen auf der Lauer, ob es einen neuen Post von einem ihrer vielen „Freunde“ gibt. Den Post  müssen sie schnellstmöglich lesen (das kann der Absender bei Whatsapp kontrollieren), und sie müssen ihn schnellstmöglich „liken“, damit der Freund nicht beleidigt ist. Andererseits warten sie aufgeregt darauf, dass ihre Postings gelesen und geliket werden. Ruhe, Muße, Entspannung gibt es für sie nicht. Das Smartphone ist ihr Befehlshaber, der sie zwingt, ständig „on“ zu sein, denn wer „off“ ist, der ist fast schon tot.

 

Natürlich gibt es auch viele Menschen, die ihr Smartphone oder Handy mit Sinn und Verstand, also mit Maß verwenden, sich z. B. am Bahnhof mit einer App über die Zugverspätung informieren, den Adac bei einer Panne kontaktieren oder mit Freunden telefonieren. Aber immer mehr Menschen nutzen ihr Smartphone exzessiv, der Übergang zur Sucht ist fließend. Und während früher die Technik weitgehend Domäne der Männer war, bei dem technischen Gerät „Smartphone“ sind die (jungen) Frauen mindestens gleichberechtigt, vielleicht führend.

 

Wenn die Smartphone-Abhängigen einmal in eine Zeugenhaltung gehen würden, also ihr eigenes „Smartphonen“ achtsam und unparteiisch wahrnehmen würden, dann würden sie – vielleicht – die Sinnlosigkeit, die Zwanghaftigkeit und Besessenheit ihres Treibens erkennen und einen Weg zur Umkehr finden. Aber dazu kommen sie eben gar nicht.

 

Hast du mal ‘ne App für mich? Einige Apps machen Sinn, aber meistens sind Apps der Inbegriff der geistigen Unmündigkeit, für Leute, die für alles eine Anleitung brauchen: für die Parkplatzsuche, für das Braten eines Speigeleis, für die Auswahl, was sie lesen sollen, für das Wetter in ihrem Wohnviertel – dafür könnten Sie genauso gut einmal aus dem Fenster gucken. Demnächst wird es bestimmt auch Apps geben, die erklären, wie man unter die Dusche geht  und sich die Haare wäscht (oder gibt es das schon?).

 

Die meisten Apps sind kostenlos oder billig, aber das ist oft damit erkauft, dass man gnadenlos ausspioniert wird. Manche Apps sind allerdings auch mit teuren Abos verbunden, aber das stellt man natürlich erst fest, wenn die erste Rechnung fällig ist. Der Gipfel ist die App, die mir sagt, wie abhängig ich von meinem Smartphone bin. Ich bewundere den Zynismus und Geschäftssinn der Erfinder dieser App.

Aufklärung? Kant – bediene dich deines eignen Verstandes? Vergiss es! Den eigenen Verstand ersetzt doch heute die App, wozu noch selbst denken?

 

Warum hängen vor allem die jungen Leute an dem Smartphone wie der Junkie an der Spritze? Diese Smartphone-Süchtigen sind Narzissten. Sie finden sich selbst unheimlich wichtig, daher posten sie mit dem Smartphone ständig Selfies – ich vor einer Sehenswürdigkeit, ich neben einem Prominenten –,  aber sie blasen auch ständig Bilder aus ihrem Alltagsleben in den Äther, hier mein Mittagessen, hier mein Kaffee, hier mein Kuchen – Bilder, die die Welt nicht braucht.

 

Anders aber als der klassische Narziss, der sich in sein Spiegelbild verliebte und sich an sich selbst erfreute, sind die Smartphone-Narzissten außerordentlich bedürftig, ohne Anerkennung, ohne „Likes“ sind sie nichts.  Sie müssen ständig Bestätigung ihrer Facebook-„Freunde“, ihrer Twitter-Follower und ihrer Peergroups erhalten, sonst fühlen sie sich erbärmlich, sonst bricht die Fassade der Selbstbewusstheit zusammen. Es sind kollektivistische Individualisten oder individualistische Kollektivisten. Sie wollen einerseits unbedingt dazugehören (wozu auch immer), andererseits wollen sie aber auch aus der Masse hervorragen, die anderen überragen – ein unlösbarer Konflikt.

 

Für den meist Ich-schwachen Dauernutzer ist das Smartphone – mit seinen gespeicherte Informationen und vielfältigen Verknüpfungen – eine Ergänzung seines Ichs, eine Ich-Prothese, ja schon mehr ein Teil seines Ichs und zwar der dominante. Der Nutzer ist eigentlich nur noch die Schnittstelle der vielfältigen sozialen Netzwerke bzw. der Datenströme, die von und zu seinem Smartphone fließen. Ohne sein Smartphone würde er nicht funktionieren.  Da er immer weniger den direkten Kontakt zur Realität sucht, ist das Smartphone sein Tor zur Welt. Pointiert gesagt: indem er auf dem Smartphone wischt und sich so in die virtuelle Welt einlinkt, erschafft er erst sein Ich oder stabilisiert es wenigstens.

 

Es gibt aber auch ein Risiko mit den Dauer-Posts und Ego-Trips. Plötzlich kann die Netzgemeinde genervt reagieren, und dann ist sie gnadenlos in ihrem Mobbing.

Und das kann für zustimmungssüchtige Smartphone-Dauerposter zur Existenzkrise werden.  Wenn  sie mit ihren ständigen Posts nerven und immer mehr böse Kommentare kriegen, droht ihre Welt zusammenzubrechen. Sie können dann in eine Depression fallen, sind sogar suizidgefährdet. Allerdings, so schnell bringt sich ein Smartie dann doch nicht um. Denn der Tod als Vernichtung des eigenen Selbst ist für den Smartie die ultimative Kränkung, außerdem, dann hätte er Sendepause, und das geht gar nicht.

 

Einer der Gründe für den Smartphone Exzess ist also dieser Dauerkontakt: sich ständig verbreiten und ständig erreichbar sein. Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Marshall McLuhan sagte vor vielen Jahren über das Radio, „Das Medium ist die Botschaft“, und das gilt auch für das Smartphone. Es ist kaum von Bedeutung, was man sendet oder postet, oft genug sind das langweilige Trivialitäten oder öde Bilder, wichtig ist nur, dass man postet.

 

Das könnte den Eindruck erwecken, der ständige Kontakt, dieser Kreislauf der Botschaften, habe etwas mit Lebendigkeit zu tun. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist eine Abwehr von Leben und Lebendigkeit, von echtem Erleben, von realen Kontakten. Teenager sitzen im Cafe nebeneinander, und jeder guckt auf sein Smartphone. Oder sie schicken sich WhatsApp-Botschaften, anstatt direkt miteinander zu reden. Es ist ein groteskes Vermeiden von Nähe, von Intimität, ein Leben aus zweiter, elektronischer Hand. Man könnte von einer Infantilisierung der Gesellschaft sprechen, weil der ständige Drang zu spielen ein Ausweichen vor dem „Ernst des Lebens“ bedeutet.

 

Ein Weiser antwortete mal auf die Frage „Wer ist der wichtigste Mensch in deinem Leben?“: „der Mensch, der mir in diesem Augenblick gegenübersitzt.“ Er wollte damit natürlich auf die Wichtigkeit des Lebens im Hier-und-Jetzt hinweisen, wirklich leben tut man immer nur im jetzigen Augenblick. Für einen „Smartphonie“ ist der Mensch, der ihm gerade übersitzt, der unwichtigste Mensch auf der Welt. Viel wichtiger sind die „Freunde“ an der Strippe, die abstrakten Personen hinter irgendwelchen SMS, die er gerade erhält, oder die die gänzlichen ungreifbaren Profile aus den sozialen Netzwerken einer Cyberworld.

 

Hinter dieser Ignorierung, ja Verachtung der unmittelbaren Wirklichkeit  steht wohl die Abwehr alles Bedrohlichen: Einsamkeit, Kränkungen, Niederlagen, Alter, Krankheit und letztlich der Tod. Durch das ständige Gequassel wird der Fluss des Lebens übertönt, er wird unhörbar. Die Tiefendimensionen, die Leidensdimensionen des Lebens werden ausgegrenzt, man wischt wie idiotisch auf seinem Ding herum, wischt damit quasi alles Wichtige, Authentische, Existentielle weg.

 

Wenn der Smartphone-Mensch nur einmal innehalten würde, sich einmal bewusst und wach dieses hektische Treiben, diesen Aktivismus anschauen würde, könnte er vielleicht den Kreislauf der Nichtigkeiten, der Trivialitäten erkennen und daraus aussteigen. Aber nichts fürchten und hassen die Smartphone-Jünger bzw. -Jüngerinnen mehr als Stillstand, als Ruhe, Stille, Leere; denn dann könnte die verdrängte Angst über sie hereinbrechen, ihre Abwehrfassade als smarte, beliebte, ständig kontaktierte „Netzperson“ hinwegschwemmen und sie in eine tiefe existentielle Krise stürzen.

 

Bestimmt habe ich das Thema übertrieben und überspitzt, um es auf den Punkt zu bringen. Aber ich finde es traurig, ärgerlich, auch besorgniserregend, wie Smartphones unser Leben entfremden, verflachen und entwerten.

Sicher ist es ein berechtigtes Bedürfnis, sich kommunikativ auszudrücken, auszutauschen und Anerkennung zu erhalten. Natürlich kann das Smartphone auch ein paar nützliche Dinge, wenn es mit Verstand und Maß anwendet wird – geschenkt.

Darum geht es hier nicht. Ich bin auch kein Technikfeind oder Maschinenstürmer, ich weiß moderne Technologien zu nutzen, aber ich verwende sie mit Sinn und Selektion, versuche das jedenfalls.

 

Natürlich gilt das auch für viele andere, „normale“ Nutzer des Smartphones, aber es gibt eben noch mehr, die ihr Smartphone exzessiv gebrauchen bzw. missbrauchen. Und denen würde man dringend mehr Achtsamkeit und Bewusstheit wünschen, sie sollten es dringend einmal mit Meditation versuchen – von mir aus können sie als Mantra ja das Wort „Smartphone“ nehmen.

 

Abschließend ein Vorschlag für eine Smartphone-Achtsamkeitsübung: Man setze sich vor sein Smartphone, aber wenn es anfängt zu klingeln oder zu blinken, lässt man es liegen und beobachtet stattdessen, welche Gefühle, Wünsche oder Gedanken aufkommen. Wahrscheinlich fühlt mancher einen Drang, fast schon einen Zwang, hektisch das Smartphone zu ergreifen und zu sehen oder zu hören, was es Neues gibt. Wenn man diesem Impuls nicht nachgibt, sondern in dem achtsamen Nicht-Tun bleibt, ist schon der erste Schritt zur Smartphone-Entwöhnung getan.


Unter dem Titel „Ich wische, also bin ich“ habe ich bereits einen Text geschrieben (und bei Satiren eingestellt), der teilweise mit diesem Text übereinstimmt – aber hier wurde der Text jetzt speziell auf das Thema „Achtsamkeit“ focussiert.