„Ich wische, also bin ich“  -  Die Smartphone-Jünger   08.12.2016

 

René Descartes schrieb: „Ich denke, also bin ich.“ Lange ist’s her. Heute, bei den Smartphone-Jüngern heißt es: „Ich wische, also bin ich.“ Das gilt in erster Linie für die Jugendlichen, aber auch viele Erwachsene sind von dem Wisch-Virus infiziert.

 

Über viele Stunden am Tag beschäftigen sich Intensivnutzer, um nicht zu sagen „Intensivtäter“, mit dem „smarten Telefon“, schauen bzw. lesen, tippen, sprechen, lauschen, senden bzw. empfangen, aber vor allem wischen sie eben auf dem Display herum.

 

Man erkennt die Smartphone-Adepten, die „Smartphonies“, daran, dass sie, stets das Smartphone in der Hand oder am Ohr, stehen, sitzen oder gehen, die Augen starr auf das Display gerichtet. Anders als bei dem hundsgemeinen Handy spielt das Telefonieren beim Smartphone nur noch eine untergeordnete Rolle. Aber wenn die „Smartphonisten“ telefonieren, dann gerne in aller Öffentlichkeit und schön lautstark, damit auch alle Menschen in der Nähe etwas davon abkriegen. Sie lauschen dann in ihr Smartphone mit irgendwie entrücktem Bick, manchmal einem grenzdebilen Lächeln.

 

Mit dem Smartphone in der Hand, kommt man durch das ganze Land. Oder auch nicht. Wenn die Smartphone-User gehen, dann den Kopf nach vorne gebeugt zum Display, nach unten hängend wie eine alte Hängelaterne.

Ab und zu knallen sie gegen einen  Laternenpfahl, eine Ampel oder gegen einen rollatorbewegten Senior. Mal überrennen sie auch ein plärrendes Kleinkind oder treten einen kläffenden Zwergpudel platt, ohne es überhaupt zu merken. Wenn Außerirdische diese Leute sehen könnten, wie sie wie stoned durch die Straßen wanken und auf einen kleinen Bildschirm starren, sie würden vermuten, es gibt keine Intelligenz auf der Erde. Und Descartes würde die Smartphone-Jünger wohl nur als „res extensa“ (Körper) bezeichnen, nicht als "res cogitans" (denkendes Ich).

 

Wenn mich jemand vor kurzem gefragt hätte, ob ich an Zombies glaube, hätte ich – natürlich – „nein“ gesagt. Aber ich habe mich wohl geirrt. Es gibt Zombies, nämlich die sogenannten Pokémon Go-Jäger. Sie bilden die Spitze der Smartphone-Abhängigen. Diese Untoten stolpern durch die Straßen und Parks, unbeeindruckt von der wirklichen Wirklichkeit, nur in der Gier, Pokémons zu kriegen. Sie behaupten, dass sie Monster fangen, und begreifen nicht, dass die eigentlichen Monster sie selbst sind. Diese „walking Pokémons-Jäger“ sind mindestens so gefährlich wie „the walking dead“, denn sie laufen vor Autos oder Straßenbahnen und riskieren dabei nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das der anderen Verkehrsteilnehmer.

 

Außer den Smartphone-Anhänger selbst freut sich kaum einer über diese Freaks. Doch, es gibt Ausnahmen: Die Orthopäden werden sich freuen, diese Kundschaft wird ihnen jahrelange Einnahmen sichern. Um nur ein Smartphone-Krankheitsbild zu nennen, den sogenannten Smartphone-Nacken, vom ständigen Beugen des Kopfes im 60-Grad-Winkel, denn das belastet die Halswirbelsäule so, als habe man ein 30 kg schweres Kind im Nacken sitzen.

Auch die Augenärzte kaufen sich schon einmal eine größere Brieftasche. Nach ein paar Jahren werden all die jungen Leute, die ständig auf den kleinen Bildschirm gucken und sich dabei ihre Augen verderben, kurzsichtig wie eine Blindschleiche in ihre Praxis stürmen, wenn sie die denn finden (aber sicher gibt es ja eine App für Sehbehinderte).

Und auch der ganz gewöhnliche Allgemeindoktor kann hoffen: Denn auf dem Display eines Smartphones tummeln sich mehr Bakterien als auf der Klobrille in der Bahnhofstoilette. Da holt man sich gerne den einen oder anderen Erkältungs- oder Magen-Darm-Virus.

 

Schlimmer aber noch, als wenn diese Junkies zu Fuß gehen, ist es, wenn sie Auto fahren. Ich bekomme immer einen Schreck, sobald ich im Rückspiegel einen Wagen hinter mir sehe, dessen Fahrer offensichtlich – natürlich verbotener Weise – nicht auf die Straße, sondern auf sein Phone starrt. Ich bete dann und hupe schon mal vorsorglich bzw. fürsorglich, denn ich will bloß nicht, dass so ein „Smarti“ (oder besser Dummie) auf mich auffährt und ich dann unendliche Scherereien habe. Schade, dass mein Auto nach hinten keine Lichthupe hat.

 

„Smartphone“? So heißen die Dinger zwar, aber das ist eine arglistige Täuschung. Es soll den häufig „geistig limitierten“ Benutzern, die ständig mit diesem Teil herumhampeln, das Gefühl geben, sie wären clever. Besser hieße das Ding „Idiophone“ oder „Hirnophone“.

 

Was Generationen von Müttern über Jahrzehnte vergeblich versucht haben, nämlich ihre Zöglinge zum Wischen anzuhalten, zum Tisch wischen, Geschirr wischen oder Spiegel wischen, das tun die jetzt freiwillig, nur weil sie ein kleines plattes Kästchen sie dazu zwingt. Und was früher spießig und lästig war, das ist auf einmal cool.

 

Hast du mal ‘ne App für mich? Apps sind der Inbegriff der geistigen Unmündigkeit, für Leute, die für alles eine Anleitung brauchen: für die Parkplatzsuche, für das Braten eines Speigeleis, für die Auswahl, was sie lesen sollen, für das Wetter in ihrem Wohnviertel  - dafür könnten Sie genauso gut mal aus dem Fenster gucken. Demnächst wird es bestimmt auch Apps geben, die erklären, wie man unter die Dusche geht  und sich die Haare wäscht (oder gibt es das schon?).

 

Die meisten Apps sind kostenlos oder billig, aber das ist oft damit erkauft, dass man gnadenlos ausspioniert wird. Manche Apps sind allerdings auch mit teuren Abos verbunden, aber das stellt man natürlich erst fest, wenn die erste Rechnung fällig ist. Der Gipfel ist die App, die mir sagt, wie abhängig ich von meinem Smartphone bin. Ich bewundere den Zynismus und Geschäftssinn der Erfinder dieser App.

Aufklärung? Kant – bediene dich deines eignen Verstandes? Vergiss es! Den eigenen Verstand ersetzt doch heute die App, wozu noch selbst denken?

 

Warum hängen vor allem die jungen Leute an dem Smartphone wie der Junkie an der Spritze? Diese Smartphone-Süchtigen sind Narzissten reinsten Wassers. Sie finden sich selbst unheimlich wichtig, daher posten sie mit dem Smartphone ständig Selfies – ich vor einer Sehenswürdigkeit, ich neben einem Prominenten –,  aber sie blasen  auch ständig Bilder aus ihrem Alltagsleben in den Äther, hier mein Mittagessen, hier mein Kaffee, hier mein Kuchen – Bilder, die die Welt nicht braucht.

 

Anders aber als der klassische Narziss, der sich in sein Spiegelbild verliebte und sich an sich selbst erfreute, sind die Smartphone-Narzissten außerordentlich bedürftig, ohne Anerkennung, ohne „Likes“ sind sie nichts.  Sie müssen ständig Bestätigung ihrer Facebook-„Freunde“, ihrer Twitter-Follower und ihrer Peergroups erhalten, sonst fühlen sie sich erbärmlich, sonst bricht die Fassade der Selbstbewusstheit zusammen. Es sind kollektivistische Individualisten oder individualistische Kollektivisten. Sie wollen einerseits unbedingt dazugehören (wozu auch immer), andererseits wollen sie aber auch aus der Masse hervorragen, die anderen überragen – ein unlösbarer Konflikt.

 

Für den meist Ich-schwachen Dauernutzer ist das Smartphone – mit seinen gespeicherte Informationen und vielfältigen Verknüpfungen – eine Ergänzung seines Ichs, eine Ich-Prothese, ja schon mehr ein Teil seines Ichs und zwar der dominante. Der Nutzer ist eigentlich nur noch die Schnittstelle der vielfältigen sozialen Netzwerke bzw. der Datenströme, die von und zu seinem Smartphone fließen. Ohne sein Smartphone würde er nicht funktionieren.  Da er immer weniger den direkten Kontakt zur Realität sucht, ist das Smartphone sein Tor zur Welt. Pointiert gesagt: indem er auf dem Smartphone wischt und sich so in die virtuelle Welt einlinkt, erschafft er erst sein Ich oder stabilisiert es wenigstens: „Ich wische, also bin ich“.

 

Es gibt aber auch ein Risiko mit den Dauer-Posts und Ego-Trips. Plötzlich kann die Netzgemeinde genervt reagieren, und dann ist sie gnadenlos in ihrem Mobbing. Z. B. Cathy Hummels, früher Cathy Fischer, Frau des Fußballstars Mats Hummels. Sie hat es übertrieben mit der Selbst-Zurschaustellung. Mit drastischen Folgen für sie: Ganz egal, was sie heute in den sozialen Netzwerken postet, sie wird fast immer nur angiftet.

Und das kann für zustimmungssüchtige Smartphone-Dauerposter zur Existenzkrise werden.  Wenn  sie mit ihren ständigen Posts nerven und immer mehr böse Kommentare kriegen, droht ihre Welt zusammenzubrechen. Sie können dann in eine Depression fallen, sind sogar suizidgefährdet. Allerdings, so schnell bringt sich ein Smartie dann doch nicht um. Denn der Tod als Vernichtung des eigenen Selbst ist für den Smartie die ultimative Kränkung, außerdem, dann hätte er

Sendepause, und das geht gar nicht.

 

Einer der Gründe für den Smartphone Exzess ist also  dieser Dauerkontakt: sich ständig verbreiten und ständig erreichbar sein. Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Marshall McLuhan sagte vor vielen Jahren über das Radio, „Das Medium ist die Botschaft“, und das gilt auch für das Smartphone. Es ist kaum von Bedeutung, was man sendet oder postet, oft genug sind das langweilige Trivialitäten oder öde Bilder, wichtig ist nur, dass man postet.

 

Das könnte den Eindruck erwecken, der ständige Kontakt, dieser Kreislauf der Botschaften, habe etwas mit Lebendigkeit zu tun. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist eine Abwehr von Leben und Lebendigkeit, von echtem Erleben, von realen Kontakten. Teenager sitzen im Cafe nebeneinander, und jeder guckt auf sein Smartphone. Oder sie schicken sich WhatsApp-Botschaften, anstatt direkt miteinander zu reden. Es ist ein groteskes Vermeiden von Nähe, von Intimität, ein Leben aus zweiter, elektronischer Hand. Man könnte von einer „Zombisierung“ der Gesellschaft sprechen, aber auch von einer Infantilisierung, weil der ständige Drang zu spielen ein Ausweichen vor dem „Ernst des Lebens“ bedeutet.

 

Ein Weiser antwortete mal auf die Frage „Wer ist der wichtigste Mensch in deinem Leben?“: „der Mensch, der mir in diesem Augenblick gegenübersitzt.“ Er wollte damit natürlich auf die Wichtigkeit des Lebens im Hier-und-Jetzt hinweisen, wirklich leben tut man immer nur im jetzigen Augenblick. Für einen „Smartphonie“ ist der Mensch, der ihm gerade übersitzt, der unwichtigste Mensch auf der Welt. Viel wichtiger sind die „Freunde“ an der Strippe, die abstrakten Personen hinter irgendwelchen SMS, die er gerade erhält, oder die die gänzlichen ungreifbaren Profile aus den sozialen Netzwerken einer Cyberworld.

 

Hinter dieser Ignorierung, ja Verachtung der unmittelbaren Wirklichkeit  steht wohl die Abwehr alles Bedrohlichen: Einsamkeit, Kränkungen, Niederlagen, Alter, Krankheit und letztlich der Tod. Durch das ständige Gequassel wird der Fluss des Lebens übertönt, er wird unhörbar. Die Tiefendimensionen, die Leidensdimensionen des Lebens werden ausgegrenzt, man wischt wie idiotisch auf seinem Ding herum, wischt damit quasi alles Wichtige, Authentische, Existentielle weg.

 

Ich will hier nicht den Hammer der Kulturkritik schwingen oder sogar – einmal wieder – den Untergang des Abendlandes an die Wand malen. Aber ich finde es traurig, ärgerlich, auch besorgniserregend, wie diese Smartphones unser Leben entfremden, verflachen und entwerten.

 

O.k., bestimmt habe ich das Thema übertrieben und überspitzt, um es auf den Punkt zu bringen. Eine Satire darf überspitzen, sie muss es sogar. Sicher ist es ein berechtigtes Bedürfnis, sich kommunikativ auszudrücken, auszutauschen und Anerkennung zu erhalten. Natürlich kann das Smartphone auch ein paar nützliche Dinge, wenn es mit Verstand und Maß verwendet wird – geschenkt.

Darum geht es hier nicht. Ich bin auch kein Technikfeind oder Maschinenstürmer, ich weiß moderne Technologien sehr wohl zu nutzen, aber ich verwende sie mit Sinn und Selektion, versuche das jedenfalls. – Natürlich gilt das auch für viele andere Nutzer des Smartphones, aber es gibt eben noch mehr, die ihr Smartphone exzessiv gebrauchen bzw. missbrauchen.

 

So, jetzt will ich mal über mein Smartphone ein Selfie von mir posten, wie ich an meinem Tablet diese Satire schreibe. Und dann werde ich in die Welt hinausposaunen, dass ich einen neuen Text geschrieben habe. – Nein, das war nur ein Scherz!