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 (27.10.17)



Die Gegenaufklärung  (05.01. - 06.02.17)



06.02.17  Die Gegenaufklärung (5):  Europapolitik

 

 

Europa hat sich in den letzen Jahren immer weiter zusammengeschlossen, die Europäische Union hat immer mehr Mitglieder bekommen. Inzwischen gehören von den 46 Staaten Europas 27 zur EU - GB schon nicht mehr mitgezählt (allerdings gibt es unterschiedliche Zählungen).


  Die Rede ist von der Wiedervereinigung Europas, von der Überwindung der West-Ost-Spaltung. Diese Vereinigung soll in der EU, der Europäischen Union, ihre konkrete Verwirklichung, ja Vollendung finden.

  Europa schließt sich real allerdings vorrangig aus wirtschaftlichen Gründen zusammen, aber auch, um sich gegen den Terror zu wappnen und sich gegen Einwanderer abzuschotten.


   Auf den ersten Blick könnte man die Vereinigung Europas als einen Schritt im Sinne der Aufklärung sehen, nämlich dass sich Staaten friedlich verbinden, um besser zusammenarbeiten zu können.


  Aber man darf den anderen Pol der Aufklärung, den der Freiheit nicht vergessen. Die europäischen Staaten sind sehr unterschiedlich, und diese Unterschiede, diese Vielfalt sind ein Wert, der erhalten bleiben sollte. Systeme, auch Gesellschaftssysteme brauchen  Grenzen (das müssen nicht Schlagbäume sein), um ihre Identität zu erhalten. Die EU schränkt jedoch die freiheitliche Selbstentfaltung der Mitgliedsstaaten erheblich ein.


   Außerdem: Es scheint primär um ein Europa der Bürokraten und der globalen Konzerne zu gehen. Aus dem europäischen Parlament kommt ein Wust an bürokratischen Regulierungen, welche die Regulierungswut der Einzelstaaten noch weit übersteigt. Diese Bürokratie nutzt niemandem, weder der Wirtschaft noch den Konsumenten. Einzelne Kommissare versuchen im Machtrausch Regelungen durchzuboxen, die von großer Tragweite für die gesamte EU sind. Außerdem ist es auf EU-Ebene viel schwieriger, als falsch erkannte Gesetze wieder zurückzunehmen.


  Anstatt dass ein vereintes Europa sich um mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit bemüht, ist eher die Gefahr eines Lohndumpings gegeben. Die Multi-Konzerne versuchen, die Sozialrechte auf das möglichst niedrigste Level abzusenken. Immer mit der Drohung, sie könnten ja sonst in anderen europäischen Ländern produzieren. Sogar und gerade Deutschland ist daher, wenigstens teilweise, zum Billiglohnland verkommen. Aber auf Dauer kann und wird Deutschland das nicht durchhalten. Wir können letztlich nur durch Qualität überzeugen; um so bitterer, wenn durch Skandale wie den VW-Abgas-Skandal die Marke „made-in germany“ beschädigt wird und Erfolge auf dem Weltmarkt in Frage gestellt werden. (Dass bei dem VW-Skandal, der in Wahrheit ja nicht nur VW betrifft, sondern ebenso andere Autohersteller, auch viel Heuchelei und amerikanische Abzocke eine Rolle spielen, sei nur kurz angemerkt.)


  Wie schief eine Vereinigung gehen kann, hat sich in Deutschland gezeigt. Jahrelang wurde das Gerede von der „sozialistischen Misswirtschaft“ gepflegt, aus der wir die DDR gerettet hätten. Aber Fakt ist es doch: die Wirtschaft ist Ostdeutschland funktionierte in der DDR besser als heute, zwar auf niedrigem Niveau, aber mit viel weniger Arbeitslosigkeit und ohne immense Milliarden-Subventionen. Und nicht nur in der DDR, sondern in einem Großteil des Ostens ging es den Menschen wirtschaftlich besser vor dem Niedergang des Kommunismus.


    Die Skepsis gegenüber Europa, ja die Ablehnung einer europäischen Vereinigung hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Sie wird zwar vor allem von rechts-populistischen Parteien und Bewegungen getragen, aber das heißt noch nicht, dass sie nicht berechtigt ist. Ihren Höhepunkt hat sie in dem Austritt von Großbritannien aus der EU gefunden, und man kann sich er nicht einfach behaupten, dass die Mehrheit der Britten deshalb gleich Rechtspopulisten sind. Oder sogar Nationalisten.


   Man kann einfach dagegen sein, dass die Rechte des eigenen Staates immer weiter beschnitten werden, ohne Nationalist zu sein. Sondern man ist Patriot, man liebt oder schätzt wenigstens das eigene Land mit seinen kulturellen und sozialen Identifikationsmerkmalen, ohne deshalb andere Länder abzuwerten, man gesteht diesen das gleiche Recht auf Eigenständigkeit zu.


  Erst recht ist ein Zweifel gegenüber der Globalisierung angemessen. Man kann die europäische Vereinigung als den kleinen Bruder der Globalisierung sehen. In der Globalisierung soll angeblich die ganze Welt zusammenwachsen, zum „globalen Dorf“ werden. Dies ist nun völlig unrealistisch, wie gerade das Motto „America first“ des neu gewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump zeigt. Von der Globalisierung profitieren in erster Linie die globalen Konzerne, für die einzelnen Menschen bringt es mehr Probleme als Vorteile.


  Welche Position gegenüber der Vereinigung Europas genau im Sinne von Aufklärung oder Gegenaufklärung wie zu interpretieren ist, will ich hier nicht festlegen. Aber sicher kann man nicht simpel definieren: für die EU = Aufklärung, gegen die EU = Gegenaufklärung, sondern die Verhältnisse sind viel komplexer. Wie beschrieben zeigt die EU auch viele Züge der Gegenaufklärung.

(In Zukunft werde ich mich hin und wieder mit weiteren Themen im Kontext von Aufklärung versus Gegenaufklärung befassen.)


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28.01.17  Die Gegenaufklärung (4):  Sozialpolitik  

Sozialpolitik ist derzeit fast nur Sparpolitik. Man ist fast versucht zu sagen: Politik ist derzeit nur Sparpolitik. Die andere Schiene ist der „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“, dazu kommen wir noch. Die Sparpolitik wird in Deutschland angewandt, aber vor allem Merkel und Schäuble verordnen sie ganz Europa, Spanien, Portugal, Frankreich, natürlich Griechenland, es ist eine Art Spar-Kolonialismus.


  Die Politiker starren auf die Schulden wie die Kaninchen auf die Schlange. Wie verrückt kann man eigentlich sein zu glauben, man fördere die Konjunktur, wenn man durch Sparmaßnahmen immer mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit treibt? Aber das Sparen ist zur heiligen Kuh geworden, zum Selbstzweck, egal, ob es Erfolg hat oder nicht. Auch hier wieder eine dümmliche Reduktion von Komplexität: Sparen als (fast) die einzige Strategie zur Lösung der Wirtschaftskrise.  

  Immer wieder hört man den kümmerlichen Vergleich: Eine Familie kann auch nicht mehr ausgeben, als sie verdient. Aber wenn die Familie spart, hat das ja keine negativen Rückwirkungen auf sie. Doch wenn der Staat rigoros spart, führt das letztlich dazu, dass er weniger verdient. Pointiert: Sparen führt zu Schulden.    In der Psychologie nennt man solche widersprüchlichen Botschaften double bind: „Ich nehme dir dein Geld weg – aber jetzt gib schön Geld aus, konsumiere kräftig, damit die Konjunktur anspringt." (Außerdem musst du natürlich selbst für dein Alter und deine Krankheiten sparen!)


  Double binds können eine Rolle bei der Auslösung von Schizophrenie spielen, kein Wunder, dass auch der normale Bürger nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht.    Früher sagte die SPD, „wir investieren lieber in Arbeit als in Arbeitslosigkeit“, das ist heute vergessen. Eines der wenigen gut bestätigten Gesetze der Wirtschaftspolitik lautet: „Investiere in schlechten Zeiten, spare in guten Zeiten“, aber man hat nicht den Mut, danach zu handeln. Sondern will gerade umgekehrt in der Krise um so verbissener sparen.    Der Kreislauf ist folgendermaßen: Man spart rigoros, mit der doppelten Folge: Erstens, Firmen bekommen zu wenig öffentliche Aufträge, gehen in Konkurs und produzieren Arbeitslose. Zweitens, die Arbeitslosen bringen kein Geld in die Sozialkassen, sondern kosten Arbeitslosengeld usw., außerdem konsumieren sie weniger; aber auch die Bürger, die Arbeit haben, werden durch den Sparkurs am konsumieren gebremst. Folge: Es ist zu wenig Nachfrage da, also gehen noch mehr Firmen pleite. Der Circulus vitiosus in Reinkultur. Wie soll das weitergehen? 


  Der Psychologe Paul Watzlawick beschreibt das Prinzip „mehr desselben“. Damit meint er: Man verwendet eine Strategie. Die funktioniert nicht, aber anstatt sie zu ändern, setzt man um so verbissener auf sie, steigert sie immer mehr, betreibt eben mehr desselben – bis zum totalen Absturz. Dazu gehört, dass man die realen Verhältnisse verdrängt bzw. schönrechnet. Z. B. wird immer behauptet, die Sparpolitik habe in Portugal großartig funktioniert. Wer einmal dieses Land besucht hat, weiß, dass nichts davon stimmt; es entwickelt sich immer mehr eine Massenarmut, die Wirtschaft stagniert, die Menschen werden immer resignierter.


  Natürlich herrscht in Deutschland keine Massenarmut, aber auch hier nimmt die Spaltung zwischen arm und reich weiter zu, viele sind und fühlen sich abgehängt, immer mehr Menschen  können trotz Vollzeitarbeit ihr Leben nicht mehr finanzieren und müssen mit Sozialhilfe „aufstocken“.


  Das wichtigste ökonomische Prinzip ist: die Wirtschaft muss laufen. Und es muss der großen Mehrheit des Volkes finanziell gut gehen. Angebot und Nachfrage müssen sich treffen, es muss genügend Produktion und genügend Konsum geben. Dies verlangt eine gewisse staatliche Lenkung, nicht den magischen Glauben an einen „reinen Markt“. Wenn die Wirtschaft wieder läuft, nimmt der Staat automatisch wieder mehr ein, die Steuereinnahmen steigen, das Defizit geht zurück.  

  Natürlich spielen auch noch andere Faktoren wie die Lohnnebenkosten eine Rolle, aber die oben aufgezeigte Dynamik ist entscheidend. Das müsste man eigentlich schon einem Erstklässler beibringen können, warum begreifen das so viele Politiker, Wirtschaftler, Journalisten nicht? Manchmal könnte man mit Shakespeare sagen: „Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.“    Etwas polemisch gefragt: Hat man klammheimlich die Arbeitslosen und sozial Benachteiligten abgeschrieben? Will man sie in die völlige Armut  drängen, so dass sie den Staat fast nichts mehr kosten? Kalkuliert man insgeheim schon Slums vor Berlin ein, Wellblechhütten vor Köln, Elendsquartiere und Ghettos in Stuttgart? Will man eine Spaltung der Gesellschaft?


  Vielleicht eine 3-Teilung in Unternehmer/Politiker, Arbeitende und Arbeitslose. Das passte gut zu TV-Shows wie „Big Brother“, mit der Aufteilung in Reiche, Normale und Surviver  – nur bei „Big Brother“ ist ein Wechsel zwischen den Bereichen möglich. Wenn man ein Spiel verliert, rutscht man in den unteren Bereich. Wenn bei uns ein Manager oder Spitzenbeamter versagt, eine Firma fast ruiniert, bekommt er dagegen eine stattliche Abfindung, bis zu 20 Millionen Euro sind drin, wie wir inzwischen alle wissen.     Eine solche klammheimliche Spaltungsstrategie würde auch den Wahnsinn erklären, dass man die Arbeitszeit für die Arbeitenden erhöht, anstatt dass man sie erniedrigt und dafür mehr Arbeitslose einstellt. Wenn man die Arbeitslosen gar nicht mehr integrieren will, so hat dieses Agieren auf einmal einen Sinn.


   Oder soll der Sozialabbau zur Disziplinierung, genauer Unterdrückung der arbeitenden Menschen dienen? Soll keiner mehr wagen, krank zu Hause zu bleiben, sich gewerkschaftlich zu organisieren oder gegen Erhöhung der Arbeitszeit zu protestieren?  Es ist erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit Politiker und Unternehmervertreter heute ungeniert drastischen Sozialabbau fordern, natürlich immer mit der heuchlerischen Attitude, sie wollten nur das Beste für die Gesellschaft und es ginge eben nicht anders. Merke, der ideale Arbeitnehmer wäre der Sklave: er ist optimal flexibel, arbeitet rund um die Uhr, bekommt kein Gehalt, von Sozialleistungen gar nicht zu reden ...


   Es ist umstritten, ob es heute wirklich weniger Arbeit gibt, jedenfalls muss sie anders verteilt werden, dass möglichst jeder arbeiten kann der dazu in der Lage und willens ist. Oder man muss die Arbeitslosen bezahlen, gut dafür bezahlen, dass sie darauf verzichten zu arbeiten – denn entgegen aller Diskriminierung, für die allermeisten Arbeitslosen ist es ein Wunsch zu arbeiten, und eine Last, keine Stelle zu haben.

   Bei der SPD gibt es zwar einige, die verstanden haben, dass immer mehr sparen zu immer mehr Schulden führt. Aber sie können sich in der großen Koalition nicht gegen die Sparfanatiker der CDU durchsetzen. Und es fragt sich, ob ein Strategiewechsel noch Erfolg hat, ob sic noch umsteuern lässt. Vielleicht gibt es mit Martin Schulz als neuem SPD-Chef endlich neue Impulse für mehr soziale Geechtigkeit.


   Ein großes Problem ist: die, welche über Sparmaßnahmen entscheiden, sind am wenigsten davon betroffen. Was interessieren einen Abgeordneten mit seinem satten Gehalt Praxisgebühr und Zuzahlungen für Medikamente? Das sind für ihn „peanuts“. Andererseits, viele können nicht genug raffen, vor allem die EU-Parlamentarier. Die Skandale, die Stern-TV und andere aufgedeckt haben, sprechen für sich. Da erschleichen sich Abgeordnete Sitzungsgelder, obwohl sie gar nicht an der betreffenden Sitzung teilgenommen haben. Abgeordnete rechnen teure Flugkosten ab, obwohl sie mit einem Billigflieger gekommen sind usw. usw.


    Das Sozialwesen funktionierte, solange es ein Gleichgewicht gab zwischen dem liberalen und dem sozialen Faktor, konkret zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften als Vertretern der Arbeitnehmer. Aber die Position der Gewerkschaften ist heute geschwächt, der Ausgleich funktioniert nicht mehr. Dies wurde vor allem durch die Sozialpolitik gerade einer rot-grünen Regierung eingeleitet. Bundeskanzler Gerhard Schröder war selbst der „Abweichler“, nämlich von der Linie der SPD. Der „Genosse der Bosse“ hat einen Fehler von historischem Ausmaß begangen, als er dieses Wirtschafts-Gleichgewicht zerstörte. Damit ist auch das Gleichgewicht in unserem ganzen Gesellschaftssystem ins Wanken geraten.


  Es ist das große Problem in Deutschland, dass  keine überzeugende linke Partei mehr existiert, wie ohnehin die deutsche Linke sehr schwächelt. Die SPD steht heute kaum mehr links, sondern nur noch in der Mitte, teils rechts von der wirklichen Mitte; und die einzige bekanntere linke Partei, „die Linke“, ist durch ihre Vergangenheit, aber auch durch falsche Personalentscheidungen so belastet, dass sie keine wirkliche Chance besitzt. Und die Grünen sind ja heute eher die neue „Partei der Besserverdienenden“.


  Dem liberal-konservativen  Block ist es gelungen, die Idee des Sozialismus, fast schon die Idee des Sozialen überhaupt, in Deutschland dermaßen zu diskreditieren, dass das Wort „Sozialismus“ fast wie ein unanständiger, jedenfalls hoffnungslos anachronistischer Begriff wirkt, den kaum einer in den Mund nehmen mag.


   Abschließend hierzu: Die Regierungspolitik ist äußerst dysfunktional, aber  noch schwerer wiegt: durch ihr Hin und Her, durch ihre Chaospolitik treibt die Regierung die Wähler in die Arme der Rechten und Populisten (wenn ich denen auch zugestehe, dass sie mit einigen Kritikpunkten richtig liegen).. Die SPD hat dermaßen an Stimmen verloren hat, dass ihr schon fast der Status einer Volkspartei abgeht.


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18.01.17  Die Gegenaufklärung (3):  Wirtschaftspolitik

 

Der Neoliberalismus hat sich unangenehm in Deutschland breit gemacht. Dabei besitzt er  erstens eine offene Strategie. Die heißt: „Überlasse alles dem Markt, der wird es zum besten regeln.“ Dahinter ist aber verdeckt eine zweite Strategie, die der Lobby: Da bejaht man durchaus Eingriffe des Staates, aber zu eigenen Gunsten, konkret heißt das vor allem: Die Unternehmer müssen gefördert werden, die Angestellten und Arbeiter sollen sich einschränken: weniger verdienen, höhere Flexibilität, längere Wochenarbeitszeit und längere Lebensarbeitzeit. Bei den 68ern sagte man dazu: die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer ...


Nehmen wir als Exempel die FDP, die politische Hauptvertreterin des Neoliberalismus. Wenn die FDP wirklich nur auf den Markt setzen wollte, dann müsste sie sich doch konsequenterweise auch selbst allein über den Markt finanzieren. Aber das tut sie natürlich nicht. Hier muss der Steuerzahler zahlen, denn die FDP ist kein marktgängiges Produkt und steht meistens kurz vor der Pleite. Dabei waren die „Wirtschaftsexperten“ FDPler einmal sogar zu beschränkt, um nur den Antrag auf Finanzierung rechtzeitig einzureichen. Und wenn sie  versuchen, ihre Partei wenigstens partiell privat zu finanzieren, dann führt das offensichtlich schnell zu illegalen Parteispenden. Die FDP hat die Quittung dafür erhalten, dass sie bei der Wahl 2013 aus dem Bundestag geflogen ist; ob sie sich inzwischen wirklich reformiert hat, muss sich noch erweisen, insbesondere bei der nächsten Bundestagswahl September 2017. 


Sicherlich sind nicht alle Gedanken des Neoliberalismus falsch. Natürlich ist es richtig, dass zu viel staatliche Bürokratie der Wirtschaft schadet und dringend abgebaut gehört. Oder dass eine steuerliche Vereinfachung endlich erfolgen sollte. Aber die Philosophie des reinen Marktes ist abstrus, insofern sie fast alle Eingriffe des Staates ablehnt.    Der Neoliberalismus hält sich für fortschrittlich, hängt aber einem unwissenschaftlichen, letztlich magischen Glauben an die Allmacht des Marktes nach – abgestandenen Ideen des 18. Jahrhunderts. Es wird praktisch nur mit zwei Begriffen operiert, Angebot und Nachfrage, mathematisch einer Gleichung mit 2 Variablen. 


Adam Smith (1723-1790), Hauptvertreter des frühen Liberalismus, lehrte: eigennütziges Handeln und ein freier Markt führten zu einem Zustand der Harmonie, der durch äußere Staatseingriffe nur gestört werde. Über 200 Jahre später  erzählt die FDP immer noch die gleichen Märchen.     Man nennt solche Erklärungen, die ein komplexes Geschehen auf letztlich eine Ursache, nämlich den freien Markt, zurückführen, monokausal. Solche monokausalen Erklärungen sind absurd simplifizierend angesichts der Komplexität einer modernen Gesellschaft, es sind einfältige und zwanghafte Reduktionen von Komplexität, weil man nicht in der Lage ist, die Komplexität zu verstehen und zu ertragen. 


Die Gesellschaft insgesamt sowie die Wirtschaft (als Teilsystem der Gesellschaft) ist aber ein hochkomplexes System mit vielen Teil- bzw. Subsystemen. Verschiedene Faktoren spielen eine Rolle beim Erfolg oder Misserfolg der Wirtschaft: Kapital, Arbeit, Bodenschätze, Finanzwesen, Wirtschaftsgemeinschaften, Lohnnebenkosten, Steuern, Inflationsrate, Verschuldung, natürlich auch Faktoren wie Kriege oder Terrorismus, und mit großer Bedeutung psychische und gruppendynamische Faktoren. Mathematisch betrachtet ist eine Gesellschaft oder das Wirtschaftsystem einer Gesellschaft eine Gleichung mit vielen Variablen (multivariates System), wobei leider auch noch unbekannte Variablen anzunehmen sind. 


Nur systemische Theorien können die komplizierten Wechselwirkungen annähernd korrekt erfassen. D. h. man braucht eine ganzheitliche Systemtheorie, welche die verschiedenen Faktoren bzw. Variablen aufgreift, ihre Abhängigkeiten analysiert und sie zu einem Ganzen synthetisiert. Konkret bedeutet das:  Man berücksichtigt die Teilsysteme (Subsysteme) einer Gesellschaft, die Beziehungen zwischen den einzelnen Teilsystemen (d. h. die Struktur), die Funktionen der Teilsysteme, die Einheit des Gesellschaft-Systems und seine Beziehungen zur Umwelt, z. B. zu anderen Gesellschaften.  


Die Primitiv-Erklärungen des neoliberalen Konservatismus sind dagegen einfach lächerlich. Letztlich ist der Neoliberalismus ein Okkultismus, ähnlich realistisch wie der Glauben an die Macht der Sterne. Adorno bezeichnete den Okkultismus als die „Metaphysik der dummen Kerle“, vielleicht darf man den Neoliberalismus als die „Metaphysik der dummen Politiker“ bezeichnen.      Erstaunlich nur, wie groß der Chor derjenigen ist, die in diese Ideologie  einstimmen, vor allem die Kumpanei von Neo-Liberalismus und Neo-Konservativismus führt zu einer starken Front, gerade in den Medien. Manchmal kommt einem die Presse wie gleichgeschaltet vor. Hier zeigt sich, dass der Neolib-Dogmatismus nicht nur von der Politik und Wirtschaft, sondern vielfach auch von den Medien internalisiert wurde und jetzt unreflektiert weiterverkündet wird. Es ist zu einer Besetzung der Begriffe gekommen, zur Pervertierung von Begriffen wie beim „Reformbegriff“; wenn ein Politiker von „Reformen“ spricht, so meint er damit fast immer einfach Sozialabbau. Das ist ein linguistisches Vergehen.


Durch die große publizistische Unterstützung des Liberalismus bzw. Konservatismus ergibt sich ein Paradoxon: eventuell nützen die sogenannten Reformen etwas, obwohl sie wirtschaftlich falsch sind, einfach weil sie den Leuten das Gefühl geben, es wird überhaupt etwas getan. Und weil die Presse der Bevölkerung weismacht, es müsse eben alles zugunsten der Unternehmen und zu Lasten der Arbeitnehmer umgestellt werden. So machen die (an sich kontraproduktiven) Reformen  den Menschen Hoffnung – und Hoffnung ist vielleicht die wichtigste Wirtschaftskraft.


Als Begründung für Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau wird vom Neoliberalismus immer die Globalisierung angeführt, als sei die ein Naturgesetz. Aber die Globalisierung haben wir selbst geschaffen. Internationale Konzerne (früher sprach man von den „Multis“) sind keineswegs so mächtig, dass man ihnen nicht die Schranken weisen könnte. Nur unter der Ideologie des Neoliberalismus haben die Politiker das aufgegeben. Die Philosophie des Globalismus ist: grow or go („wachse oder weiche“). Aber das hat sich doch längst als falsch erwiesen.

Nur zwei Beispiele: BMW hat sich mit dem Kauf von Rover in England übernommen,  krasser noch Mercedes. Schon der Zukauf der US-Firma Chrysler (Daimler – Chrysler) hat Mercedes mehr geschadet, erst recht ein Minusgeschäft war die Investition in Asien: Mitsubishi. Die noch ehrgeizigeren Pläne, Mercedes zum „global player“ mit einer erweiterten Produktpalette zu machen, scheiterten noch kläglicher. Die Internationalisierung, oder sollte man sagen der Größenwahn, ist keineswegs immer von Vorteil für einen Konzern, man müsste oft gerade warnen: grow and go.


Aber den kapitalistischen Konzernen droht nicht nur im Ausland Gefahr, sondern auch zu Hause. Zur Erklärung muss  ich etwas ausholen. Die konservative - liberale Gegenaufklärung geht zwar ist erster Linie von der Wirtschaft, der Politik und auch den Medien aus, sie stößt bei den Bürgern vielfach auf Ablehnung. Aber ein wirklicher Protest hat sich bis heute nicht entwickelt, die Zahl der aktionsbereiten „Globalisierungsgegner“ ist noch gering. In gewisser Weise haben sich auch die Bürger vom Kapitalismus verführen lassen, und sie wenden sein Basisprinzip der Konkurrenz jetzt auch als Waffe gegen die Unternehmen an.


Denn dies ist das doppelte Prinzip des Kapitalismus: der Unternehmer will seinen Gewinn maximieren, aber der Konsument will seine Kosten minimieren. Zunächst haben die Unternehmen diese Haltung gefördert, ja erst herangezüchtet. Mit den Werbeslogans „Geiz ist geil“, oder noch furchtbarer „Billig, will ich“ werden die Konsumenten geködert. Aber die machen Ernst, vom Schnäppchen-Fieber ergriffen, wollen sie auch die billigsten Preise noch runterhandeln, kaufen möglichst nur noch Sonderangebote, fordern überall Rabatte. Vor allem die Autoindustrie stöhnt darüber.

Wenn nur noch das Billigste gekauft wird, bleiben immer mehr Firmen und Geschäfte auf der Strecke. „Wollt Ihr die totale Aldisierung?“ Ja, viele Kunden wollen das, sie begreifen aber nicht, dass wenn es erst einmal nur noch solche Monopolunternehmen gibt, dass die dann die Preise hoch setzen und diktieren können. Alles Aldi oder was? Schon der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass dies nicht gut ausgehen.


Wenn man einerseits die eigenen Angestellten bzw. allgemeiner die eigenen Landsleute in Arbeitslosigkeit oder Niedriglöhne treibt, werden sie sich die von ihnen produzierten Autos nicht leisten können („Autos kaufen keine Autos“). Geht man ins Ausland, um noch billiger zu produzieren, werden sich die Billigarbeiter dort erst recht nicht die Autos kaufen können. Wer also soll sie kaufen? Die „oberen zehntausend“? Auf Dauer wird das nicht reichen, nur das Massengeschäft bringt den Unternehmen genügend Umsatz. Die Firmen müssen ihre Preise so drücken, so wie sie die Löhne gedrückt haben, der Gewinn aus den Billiglöhnen geht wieder verloren. Das ist ein klassischer kybernetischer Regelkreis.  


Diese Politik der „Unternehmerhätschelung“ mit Steuersenkung, Subvention usw. haben eigentlich alle deutschen Regierungen gefahren, von Kohl über Schröder bis zu Merkel, ja über viele Jahre gefahren, im Glauben, wenn die Unternehmer entlastet sind, dann werden sie  mehr investieren und mehr Arbeitnehmer einstellen. Funktionierte nur leider nicht. Der Staat hat mehr und mehr Schulden gemacht, und die meisten Unternehmer haben weiter Arbeitsplätze wegrationalisiert. Sozialverpflichtung des Kapitals? Nein danke. Nur Shareholder Value, das zählt. Man entlässt seine Angestellten in die Arbeitslosigkeit, zynisch „Freisetzung“ genannt, und erhöht zugleich die Dividende für die geschätzten Aktionäre.


Eine abschließende Überlegung zum neoliberalen Sozialdarwinismus. Die Natur macht es vor: „Survival of the fittest“. Aber was ist mit den weniger „fitten“? Wir können doch unmöglich den erbarmungslosen Kampf ums Überleben in der Natur auf unsere Gesellschaft übertragen. Das macht die Unternehmen wie die Arbeitnehmer kaputt. Man kann nicht nur bei dem Unternehmen kaufen, das am billigsten ist, auch andere müssen eine Chance haben. Und es gibt eben Menschen, die leistungsfähiger sind, und andere, die weniger schnell und gut arbeiten. Sollen die untergehen, vom Sozialsystem ausgemerzt werden?  


Letztlich bleibt in diesem verrückten Konkurrenzkampf doch immer nur ein Sieger übrig, alle anderen sind Verlierer. Dieser krankhafte Zwang, alles zu optimieren, immer mit geringstem Aufwand den höchsten Gewinn rauszuholen, ist vielleicht die furchtbarste Eigenschaft des Kapitalismus. Die Vernunft – in der Aufklärung auch moralisch eingebunden – wird pervertiert zur rein ökonomischen Rationalität: alles wird funktionalisiert, nur nach seinem Marktwert bzw. Vermarktungswert beurteilt, der Eigenwert ist verlorengegangen.