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01.12.15  Die Zufälligkeit unseres Lebens (5)  –  Zufall, Kausalität, Determination und Ziel

Oft denken wir: Der Zufall ist das Unwahrscheinliche. Dass der – sonst immer pünktliche – Vater seinen Zug verpasste und somit seine zukünftige Frau kennen lernte, war unwahrscheinlich. Und wir sagen dafür auch zufällig.
Allerdings hat der Zufallsbegriff unterschiedliche Bedeutungen. Das habe ich schon in dem Blogeintrag über den Zufall (am  06.11.15 ) erläutert und vor allem in dem dort angegeben Artikel.
Eine wesentliche Vorstellung von Zufall ist, dass hinter ihm kein Sinn und keine Ursache stehen. Aber kann sich hinter großer Unwahrscheinlichkeit nicht doch ein Ziel oder eine kausale Ursache verbergen?
Wir könnten z. B. behaupten: Jenny und John, die Eltern von Stefanie, waren für einander bestimmt. Von wem? Zunächst mag man sagen, von der Vorhersehung, vom Schicksal. Ein gütiges Schicksal lenkte die Wege der beiden Seelenverwandten zusammen. Wenn es auch auf einer oberflächlichen Ebene unwahrscheinlich und zufällig war, so stand dahinter doch ein Sinn, ein Ziel. Die Heirat der beiden und letztlich die Geburt der Tochter Stefanie war vorherbestimmt.
Oder: Ein Unfall scheint uns ein großer Zufall, ein Schicksalsschlag. Aber es gibt Theorien, die behaupten: Unfälle können eine göttliche Strafe sein, ein negatives Karma oder ein unbewusster Todeswunsch.
Andere Modelle eines „gelenkten Zufalls“ sind die Synchronizität (zeitlose Parallelität), die Polarität (Gegensätze ziehen sich an) oder die Sympathie (Gleiches zieht sich an).
Dies kann hier allerdings nicht näher diskutiert werden (ich verweise z. B. auf meinen Artikel   "Was ist Zufall?" vom 20.07.2012, hier auf der Homepage als Pdf, z. B. unter "Aktuell".



30.11.15  Die Zufälligkeit unseres Lebens (4) – Jede Sekunde zählt

Eine besondere Rolle bei der Unwahrscheinlichkeit spielt die Zeit.  Angenommen der Vater von Stefanie, John, will aus der Wohnung gehen, sieht aber noch, dass das Fenster auf kipp steht. Er geht zum Fenster, schließt es und geht dann, 7 Sekunden später. Dadurch verpasst er – sonst sehr pünktlich – seine Bahn und dadurch lernt er Jenny, seine zukünftige Frau und Mutter von Stefanie kennen, die in der späteren Bahn sitzt.

Solche Sekunden oder Sekundenbruchteile spielen auch eine Rolle bei tragischen Unfällen. Schon eine Sekunde früher oder später an einer Kreuzung, das entscheidet womöglich darüber, ob man mit einem anderen Auto zusammenstößt oder nicht, und kann so über das ganze Leben entscheiden, sogar über Leben oder Tod.  

Der Betroffene denkt dann oft zwanghaft: Hätte ich doch nicht noch den Autospiegel zurechtgerückt, ich wäre einige Sekunden früher losgefahren – und mein ganzes Leben wäre ein anderes!
Das ist einerseits wahr, aber andererseits auch irreal. Denn jede der Hunderte oder Tausende von kleinen Handlungen war ein Mosaikstein auf dem Weg zum Unfall, das Zurechtrücken des Spiegels war nur eine in einer ganzen Kette: hätte er morgens noch seine Frau geküsst, hätte er den Kaffee ausgetrunken, hätte er nicht so lange den Sportteil der Zeitung gelesen usw. usw., wenn er nur eine dieser Handlungen anders gemacht hätte, wäre der Unfall wahrscheinlich nicht passiert. Dieser Unfall war also Zufall oder eben tragisches Schicksal.
Dass kleinste Änderungen große Auswirkungen haben, ist Bestandteil der Chaostheorie, die ich aber an anderer Stelle besprechen werde.
 

Diese - zufällige - Verursachung durch viele kleine Faktorens gilt für Ereignisse, die sehr unwahrscheinlich bzw. selten sind. Wenn jemand z. B. ganz regelmäßig jeden Morgen um 7 Uhr aufsteht, so ist es müßig, hier aufzulisten, welche Ereignisse, Handlungen oder Entscheidungen dazu geführt haben, dass er an einem bestimmten Tag um 7 Uhr aufsteht - er tut es eben (fast) immer.



29.11.15  Die Zufälligkeit unseres Lebens (3) – Empirische Wahrscheinlichkeit  

Bei der empirischen Wahrscheinlichkeit schreibt man nicht jedem Ereignis theoretisch eine Wahrscheinlichkeit von 1/2 zu, sondern man gibt an, wie oft in unserer Realität das Ereignis auftritt. Z. B. kann man hier unterscheiden: Wenn die späteren Eltern von Stefanie in entfernten Städten leben, ist die reale Wahrscheinlichkeit für ein Kennenlernen sehr gering, sicher unter 1%. Wenn die Eltern dagegen im gleichen Dorf wohnen, kann man annehmen, dass sie sich mit ca. 75% Wahrscheinlichkeit einmal kennen lernen. 

Das mit den 75% war eine Schätzung. Ein Problem ist, dass wir die empirische Wahrscheinlichkeit der meisten Ereignisse nicht genau kennen und sich die Wahrscheinlichkeit einer Kette von Ereignissen um so schwerer berechnen lässt; daher sind wir oft auf Schätzungen angewiesen.
Dennoch, es ist für die Gesamt-Wahrscheinlichkeit von Stefanie nicht entscheidend, ob ihre Eltern im gleichen Dorf oder in verschiedenen Städten lebten. Denn was überraschen mag: Auch wenn wir verschiedene Ereignisse mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit verknüpfen (mathematisch heißt das multiplizieren), wird das Ergebnis mit jedem Ereignis immer unwahrscheinlicher.
 

Nehmen wir z. B. 10 Ereignisse, jedes mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von 0,75 bzw. 75%. Um deren Gesamtwahrscheinlichkeit zu berechnen, multiplizieren wir einfach 0,75 x 0,75 x 0,75 usw. Es zeigt sich dann, diese 10 Ereignisse haben zusammen nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 5,63%, sind also höchst unwahrscheinlich. Das gilt auch für Ereignisse mit noch höheren Werten wie etwa 0,9: Rein mathematisch ist eine Kombination von hinreichend vielen Ereignissen immer unwahrscheinlich. Nur bei deterministischen Ereignissen, deren Wahrscheinlichkeit 1,0 bzw. 100% beträgt, bleibt die Wahrscheinlichkeit bei Kombinationen erhalten. Denn die Multiplikation von 1 mit 1, also 1 x 1 x 1 usw., ergibt immer wieder 1.  

Aber im Leben gelten überwiegend nur wahrscheinliche, statistische Gesetze, die also eine Wahrscheinlichkeit geringer als 1 besitzen.
Fazit: Auch gemäß der empirischen Wahrscheinlichkeit ist die Existenz von Stefanie unwahrscheinlich, und zwar wiederum schon rein mathematisch.
Und das gilt natürlich nicht nur für Stefanie, es gilt für alle Menschen – wir alle sind ausgewählt aus einem Ozean von Wahrscheinlichkeiten bzw. Unwahrscheinlichkeiten, aus einem Meer von anderen möglichen Menschen, die nicht existieren, die nicht das Glück hatten, realisiert zu werden.



28.11.15  Die Zufälligkeit unseres Lebens (2) – Theoretische Wahrscheinlichkeit

Was ist Wahrscheinlichkeit?
Wir nennen ein Ereignis
- sicher, das in allen Fällen (100%) auftritt
- wahrscheinlich, das in den meisten Fällen (mehr als 50%) auftritt
- zufällig, das in der Hälfte der Fälle (genau 50%) auftritt
- unwahrscheinlich, das in den wenigsten Fällen (weniger als 50%) auftritt
- unmöglich, das in keinem Fall (0%) auftritt.
Man nimmt Wahrscheinlichkeit aber auch als Oberbegriff, kann also z. B. auch von einer Wahrscheinlichkeit von 25% sprechen.

Ein beliebiges Ereignis hat eine theoretische Wahrscheinlichkeit von 1/2 (oder 50%). Z. B. dass sich die Eltern von Stefanie kennen lernten, hat erst einmal eine Wahrscheinlichkeit von 1/2. Warum? Ein Ereignis kann stattfinden oder nicht stattfinden, es gibt also 2 Möglichkeiten.
Betrachten wir jetzt 2 Ereignisse, A und B. Es gibt hier folgende 4 Möglichkeiten: A und B, A und nicht B, nicht A und B, nicht A und nicht B. Dass beide Ereignisse A und B zutreffen, ist also eine von 4 Möglichkeiten, hat somit eine Wahrscheinlichkeit von 1/4 (25%). Dies setzt voraus, dass man die Ereignisse als voneinander unabhängig betrachtet.
Unabhängig voneinander sind z. B. die verschiedenen Ziehungen beim Lotto, also einem Glücksspiel. Reale Ereignisse sind zwar oft nicht unabhängig voneinander, dennoch kann man sie erst einmal so betrachten.
Bei 10 Ereignissen beträgt die Wahrscheinlichkeit nur noch 1/1024, vereinfacht 1/1000, also 1 Promille bzw. 0,1%.

D. h. für unser Beispiel, wenn wir nur 10 Punkte herausgreifen: Die Eltern studierten in derselben Stadt, sie besuchten dieselbe Uni, sie lernten sich kennen, sie verliebten sich, sie wurden intim, sie hatten keine Verhütung praktiziert, die Mutter hatte ihre fruchtbaren Tage, der Vater war zeugungsfähig, es kam zu einer Befruchtung, die Chromosomen vereinigten sich so, dass Stefanie das Resultat war, dann ist Stefanie nur zu 0,1% wahrscheinlich. Also ist Stefanie sehr sehr unwahrscheinlich.
Und das gilt generell, es liegt nur an der Anzahl der Ereignisse, gleichgültig, um welche Ereignisse es sich konkret handelt.



27.11.15  Die Zufälligkeit unseres Lebens (1) – Wie wahrscheinlich bin ich?

Ich werde hier einen Blogeintrag in 6 Folgen einstellen. Normal eignet sich ein Blog nicht so sehr für fortgesetzte Einträge. Denn wer erst später einsteigt, z. B. beim 4. Beitrag, hat Probleme, das Thema zu verstehen. Er muss dann möglichst nach unten scrollen und den Text von Anfang an lesen. Es ist eben ein Experiment. Danach werde ich meistens wieder für sich abgeschlossene, einzelne Themen beschreiben.
Damit sich die Veröffentlichung nicht so sehr zeitlich ausdehnt, plane ich, jeden Tag einen Beitrag einzusetzen, also vom 27.06. - 02.12.   

                          
Hier wird am Beispiel einer bestimmten Person gefragt, wie wahrscheinlich sie ist, das meint vor allem, wie wahrscheinlich ihre Existenz ist. Und zwar analysiere ich das am Beispiel einer fiktiven Person, nämlich einer jungen Frau namens Stefanie.
Nun ergibt sich direkt die Frage: Wo fängt man an bei der Analyse? Im Grunde könnte man schon beim Urknall beginnen: Wie wahrscheinlich war der Urknall? Aber solche generellen Themen möchte ich hier ausklammern. Denn es geht hier vorrangig um die Wahrscheinlichkeit des individuellen Menschen. Näher ist schon die Frage nach den Großeltern, Urgroßeltern usw. unserer Heldin. Aber schwerpunktmäßig setze ich die Frage bei den Eltern an. Wie wahrscheinlich war es, dass die Eltern sich kennen lernten und ein Paar wurden? Wie viele Zufälle haben dabei eine Rolle gespielt?

Z. B. John, der (spätere) Vater von Stefanie: Betrachten wir einige - zufällige - Faktoren, die eine Rolle spielten, dass John seine spätere Frau Jenny kennen lernte. John hatte nach dem Abitur eigentlich vor, in München zu studieren. Eines Tages saß er zu Hause und sah ein Fußballspiel im Fernsehen. Das Telefon klingelte, erst wollte er nicht rangehen, aber schließlich raffte er sich doch auf. Er war sein Schulfreund Roger, von dem er länger nichts gehört hatte. Roger fragte, ob sie sich abends treffen würden. Sie verabredeten sich in einem Szenelokal, aber es war so voll, dass sie keinen Platz mehr fanden. So zogen sie weiter zu einer anderen Kneipe. Als Roger zum Rauchen nach draußen ging, hörte John dem Gespräch am Nebentisch zu. Dort saß ein Pärchen, das sich über Studienplätze unterhielt. Eine junge Frau sagte, sie habe erst in München studiert, aber die Überfüllung und Vermassung dort haben sie mehr und mehr abgeschreckt. Sie sei jetzt nach Münster gewechselt, das sei viel angenehmer, eine überschaubare Stadt, mehr studentisches Leben. John dachte in der nächsten Zeit darüber nach, und es leuchtete ihm immer mehr ein. So entschloss er sich schließlich, in Münster zu studieren. Und dort lernte er dann zwei Jahre später Jenny kennen. Hätte er wie erst geplant in München studiert, er hätte Jenny mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie kennen gelernt. Und Stefanie wäre nie geboren worden.  

Wie viele Zufälle! Und doch ist dies nur ein kleiner Ausschnitt der Zufälle, die mitwirkten, dass Stefanie eines Tages das Licht der Welt erblickte. 

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