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(29.11.2016)



16.08.16  Ärger und Stress (2)

 

Im Folgenden soll die Stress-Reaktion genauer erläutert werden.

Als Beispiel wähle ich eine psychische Stress-Situation, die Ärger auslöst (aber entscheidend ist wie gesagt der körperliche Prozess): Der Chef kritisiert seit langem ungerechterweise Ihre Leistungen. Sie sind verärgert, haben den Ärger bisher aber geschluckt.


Die Stress-Reaktion läuft in 3 Phasen ab.

 

l.  Alarm (mit Schock und Gegenschock)

2. Widerstand

3. Entspannung oder Erschöp­fung.

 

   1. Alarm:

-          Psychisch: Sie erblicken den Stressor, den grimmigen Chef - es gibt es Alarm. Und zwar erfolgt zunächst ein Schock ("bloß nicht der schon wieder!") und dann ein Gegenschock ("soll er bloß kommen!"). Im Gegenschock steigt der Ärger hoch, Sie bereiten sich auf eine Auseinandersetzung vor.

-          Körperlich: Hier klingelt entsprechend der Alarm: Schock bedeutet kurzes (parasympathisches) Absinken von Puls, Blutdruck usw., der Körper holt gewissermaßen Luft. Dann, im Gegenschock, beginnen (durch Aktivierung des Sympathikus) Puls, Blutdruck usw. zu steigen.


   2. Widerstand:

-          Psychisch: Jetzt wird diese Aktivität voll durchgezo­gen: Als der Chef zu schimpfen beginnt, wehren Sie sich. Sie sagen z.B. dem Chef endlich mal die Meinung.

-          Körperlich: Der Organismus wird durch den Sympathikus hochgepuscht: der Puls geht schnell, vielleicht rast das Herz, der Blutdruck steigt an.

      Diese Phase hält so lange an, bis das Problem bewältigt ist oder man keine Kraft mehr  hat.


   3a. Entspannung:

         Es gibt  vereinfacht zwei mögliche Enden für die Situation. ein Happy-End oder ein  Scheitern. Beim Happy End gelingt es,  durch den Widerstandstand das Problem zu lösen, sich gegen den Chef zu  behaupten. Idealerweise gibt der Chef zu, dass Ihre  Leistungen eigentlich doch o.k. sind. (Eine Alternative ist noch, dass Sie sich an die Situation gewöhnen.)

-          Psychisch: Man gerät danach in einen Entspannungszustand  ("das wäre geschafft!"), Ärger und Aufregung verschwinden, man fühlt sich befreit.

-          Körperlich:  der Parasympathikus übernimmt die Herrschaft, der für Ruhe und Erholung zuständig ist. Der Herzschlag wird wieder langsamer, der Blutdruck sinkt, der Atem beruhigt sich. (Optimal ist dies dennoch nicht, denn eigentlich bereitet sich der Körper auf eine körperliche Aktivität vor, und auch durch ein lautes Gespräch wird die bereitgestellte Energie nicht vollkommen abgeführt. Aber es ist trotzdem nicht empfehlenswert, den Chef zu verprügeln)


    3b. Erschöpfung

          Das ist die  negative Variante: Der Stressor kann nicht beseitigt werden. Sie können sich nicht gegen den Chef durchsetzen. Der Chef schimpft weiter oder nervt jeden Tag von neuem. Und Sie erregen und ärgern sich jeden Tag aufs neue: Dauerstress bzw. Dauerärger.

-          Psychisch: Dann landen Sie schließlich in der Erschöpfung („ich kann nicht mehr!"). Chronische Verbitterung ist die Folge, im Job „innere Kündigung“.

-          Körperlich: Das ist zwar auch ein (extrem) parasympathischer Zustand, nur, Sie erholen sich nicht wirklich. Das Problem ist ja nicht gelöst, der Alarm klingelt immer weiter. So leistet man - wenn man nur etwas neue Kraft geschafft hat - wieder "aktiven" Widerstand", stürzt dann in eine noch tiefere Ermattung und so fort: ein negative Spirale, die zu seelischer wie körperlicher Krankheit führen kann.


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08.08.16  Ärger und Stress (1)


Was haben Ärger, Wut und Zorn mit Stress zutun?

 Stress. Stress - jeder kennt ihn, jeder schimpft auf ihn, und doch wis­sen nur die wenigsten, worum es dabei wirklich geht.

Vereinfacht und vorab gesagt: Stress ist ein besonders starker Reiz (bzw. die Reaktion des Körpers darauf).

   Wichtig ist, dass der Körper ziemlich einheitlich auf seelische Reize bzw. Erregungen reagiert, seien es zornige, ängstliche oder freudvolle: der Sympathikus-Nerv schaltet auf "action".

 

Seelischer Reiz   -->    seelische Erregung   -->  körperliche Erregung

 

   Aber der Körper gibt nicht nur auf unterschiedliche seelische Reize bzw. Erregun­gen eine gleichartige Antwort; sondern auch auf die verschiedensten körperlichen   Reize, also z. B.: Infektionen, Verletzungen, Verbrennungen, Kälte, Strahleneinwirkung, Operation, Autounfall u. v. m. Es gibt eine unspezifische Reaktion auf starke Reize, die grundsätzlich abläuft, neben spezifischen Reaktionen wie z. B. Immunreaktionen bei Infektion, Wundheilung bei Verletzung usw. (diese Reaktion wird unten genauer beschrieben.


Der Begründer der Stresstheorie, der kanadische Arzt Hans Selye, nannte diese einheitliche Reaktion des Organismus "Stress". Der – starke -  Reiz, der den Stress auslöst, wird „Stressor“ genannt.

   Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich allerdings eingebürgert, dass man mit dem Wort "Stress" in erster Linie die  schädlichen Reize oder Belastungen bezeichnet und weniger die Körperantwort. Stress gilt als der Bösewicht, der uns nervt, ängstigt, erzürnt, sei es Terminhetze, zuviel Arbeit, "Beziehungsstress" oder sogar Langeweile.


Richtig ist. Beim Stress handelt es sich um besonders starke und normalerweise negative Reize. Oder um  zwar gemäßigte, aber häufige bzw. dauernde Belastungs-Reize. Es sind Reize, die das psychische und/oder körperliche Gleichgewicht bedrohen. Insofern erfordern Stress-Reize von uns eine Bewältigungsreaktion.  Stress muss sich aber nicht negativ auswirken.  Diese Herausforderung durch den Stress kann sich aber auch positiv auswirken. Man kann nach einer Krankheit gestärkt sein.

 

So kann man unterscheiden.

-          Stress ist ganz allgemein ein starker Reiz (bzw. die Körperreaktion darauf).

-          Distress ist eine überstarker, schädlicher Reiz.

-          Eustress ist ein gesunder Reiz, eine nützliche Herausforderung.

 

Ärger als psychische Erregung gehört nicht  im eigentlichen Sinn zur Stress-Reaktion, denn die ist wie gesagt ein körperlicher Prozess (ob wir dabei innerlich Aufregung erleben, ist für den eigentlichen Stress-Prozess nicht entscheidend). Es ist aber möglich, dass uns z. B. eine Kränkung so stark ärgert, dass dadurch psychosomatisch eine Stress-Reaktion ausgelöst wird, weil nämlich über unser psychisches Gleichgewicht auch das körperliche Gleichgewicht bedroht wird.


Dabei kann  der Ärger völlig  übertrieben sein und sich verselbstständigen. Manch einer ärgert sich wie wahnsinnig über die Fliege an der Wand, so dass dadurch eine Stress-Reaktion ausgelöst wird. Hier liegt natürlich keine echte Bedrohung vor,  nicht die Fliege ist „schuld“, sondern die hohe Ärgerbereitschaft, der überschießende Ärger wird hier selbst zum Stress-Faktor: Ärger-Stress. Ähnlich ist es bei der Angstneurose, enn Menschen durch ganz harmlose Reize (z. B. eine Warteschlange an der Kasse) in Panik geraten.

   Der Stress-Begriff wird wie gesagt sehr unterschiedlich definiert. Ich will ihn hier als Zusammenfassung von Stress-Reiz (Stressor) und Stress-Reaktion verstehen.

 

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01.08.16  Annehmen und Spiritualität (3)

 

Generell ist die Forderung nach totalem Annehmen sehr problematisch, es kann leicht zu Störungen im Sinne eines Annehmer-Verhaltens führen.

  Es drohen vor allem zwei Fehlhaltungen, wie wir sie von dem Annehmer und seinen verschiedenen Untertypen her kennen.

-  Das Annehmen führt zu einer unerwünschten Schwächung des Ich.

-  Das Annehmen bedeutet eine neue paradoxe Abwehr.

 

 SPIRITUELLES  ANNEHMEN  ALS ICH-SCHWÄCHE

·       Untergang des Ich

Das völlige Aufgeben der Ich-Grenzen kann einen Untergang des Ich bewirken - und der wird häufig sogar gefordert. Der Ich-Tod führt aber normalerweise nicht zur Geistesruhe, sondern zur Geistesverwirrung, ja Psychose, die eben durch Ich-Auflösung bestimmt ist. Zwar sollten wir auch keine zu starren Ich-Grenzen haben, und in bestimmten Situationen - z. B. bei Meditation oder sexueller Vereinigung - ist es bereichernd, sein Ich loszulassen. Aber letztlich müssen wir unsere Individualität ertragen.

·       Infantile Haltung

Das totale Annehmen kann zu einer infantilen, regressi­ven Haltung führen - zu einer Flucht in den "kosmischen Müt­terleib", als Wiederbelebung der Mutter-Kind-Symbiose aus der vorgeburtlichen Lebenszeit. In angenehmer Tönung: Man bettet sich in das Universum ein - ein Bett im Kuschel-Kos­mos. In negativer Färbung: Man nimmt alle Ärgernisse erge­ben als gerechte Bestrafung für die eigene Schlechtigkeit an, z. B. als Ausdruck des Karma-Ausgleichs für Untaten in frühe­ren Leben.

·       Alltagsunfähigkeit

Die "Ich-Losigkeit" kann unfähig machen, im praktischen Leben zu funktionieren. Zorn kann auch ein wichtiger Antrieb sein, Sachen zum Besseren zu wenden. Mut durch Wut: "Fahr' hin, lammherzige Gelassenheit!" (Schiller). Alles hinzunehmen, jede Ungerechtigkeit, auch an­deren gegenüber, ist indirekt gerade eine egozentrische, ja un­soziale, unpolitische Haltung. Ohne jede Aggressivität sind wir zahm, zahnlos, harmlos. Es droht der Fatalismus.

 

 

SPIRITUELLES ANNEHMEN ALS NEUE ABWEHR

·         Verdrängung

Annehmen kann bedeuten: seine innersten Wünsche und Gefühle, den Kern seiner Persönlichkeit, sein Selbst zu verdrängen. Kant preist die Gleichmütig­keit als "das Selbstgefühl der gesunden Seele". Aber La Rochefoucauld schreibt skeptisch: "Der Gleichmut der Wei­sen ist nichts als die Kunst, seine Erregung im Herzen zu ver­schließen." So wäre völlige Gelassenheit, wenn sie denn überhaupt erreicht wird - als seelische Abschottung - gerade etwas Unreifes, sogar Krankes. Das Annehmen führte dann letztlich zum Aufgeben, zur Selbstaufgabe und Apathie.

·         Liebesunfähigkeit

Zwar heißt es manchmal, mit der absoluten Seelenruhe sei eine Heiterkeit und allumfassenden Liebe verbunden. Aber kann ein solcher "gleichmütiger" Mensch noch wirklich lieben? Kann nicht nur der lieben, der auch zornig sein kann, der generell seine Wünsche und Gefühle noch nicht "transzendiert" hat? Muss man nicht auch nein sagen können, um aus vollem Herzen ja zu sagen?

·         Versteckte  Abwehr

Das übersteigerte Annehmen ist paradoxerweise eine Form des Abwehrens. Wir wollen uns nicht negativen Gefühlen wie Angst und Wut stellen und vermeiden sie, indem wir allem zustimmen. Wir haben nicht den Mut und die Kraft, unsere Wünsche zu erfüllen. Und da wir den Widerspruch zwischen unseren Wünschen und der Realität nicht ertragen, opfern wir unsere Wünsche. Machen gute Miene zum bösen Spiel. Natürlich muss man in gewissen Grenzen sein Wollen an der Welt orientieren. Aber seine Ziele ganz aufzugeben, ist weniger Ausdruck einer starken, als einer schwachen Persönlichkeit.

 

Vielleicht ist es überhaupt problematisch, Spiritualität auf Akzeptieren festzulegen.  Es gibt jedenfalls auch eine Reife des Protests, wie Camus sie in "Der Mensch in der Revolte" beschrieb. Ein Auflehnen ge­gen die Ungerechtigkeit und Absurdität der Welt, Protest als Ausdruck unserer Menschlichkeit. Sogar der sinnlose Protest kann seine Würde haben, das vergebliche Nein-Sagen - ein­fach, um zu demonstrieren, dass wir nicht zustimmen, sondern an etwas anderem, Positivem festhalten. Und sei es auch ein Traum.

    So gesehen bietet es sich an, das wahre spirituelle Akzeptieren  als ein höheres, ganzheitliches Akzeptieren aufzufassen, als ein Bejahen, das aber auch Ja zum Nein sagt, also auch das  Nein, auch den gerechtfertigten Protest integriert. Wenn man alles akzeptiert, muss man eben auch sein Wut und sein Wehren akzeptieren. Das Thema werden wir zum Schluss noch einmal aufgreifen.


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28.07.16  Annehmen und Spiritualität (2)

 

Zum Annehmen gehört Verzeihen:  anderen, aber auch sich selbst  verzeihen. Vor allem der Ablehner tut sich schwer mit dem Verzeihen, er will und kann seine Vorwürfe, seine Gekränktheit nicht loslassen. Eine spirituelle Haltung kann helfen, auch Sachen zu verzeihen, die eigentlich unverzeihlich sind. Das ist eine große Entlastung. Denn nicht verzeihen können, nachtragend zu sein, bedeutet dauernden Ärger. Und wenn man jemandem ewig etwas nachträgt, so ist das ganz wörtlich zu verstehen: Man muss ihm etwas hinterhertragen - wie ärgerlich!

 

    Aber die (innere) Versöhnung - gerade auch mit den Eltern - braucht oft Zeit; mancher muss erst erkennen, dass sein Verzeihen nur Schein war. Das gilt gerade für den Annehmer, der die Austragung eines Konfliktes scheut, der Angst vor Liebesentzug hat. Es gibt eine  falsche Versöhnung, man versöhnt und verträgt sich oberflächlich, aber im Innersten bleibt der Zorn, wenn auch häufig unbewusst.

 

   Vor allem die Therapeutin Alice Miller hat davor gewarnt, dass man sich zu einer vorschnellen Versöhnung zwingt oder vom Therapeuten dazu gedrängt wird, denn manche Therapien, wie  die Familienaufstellung nach Bernd Hellinger forcieren das Versöhnen. Es ist völlig normal, sich über manche Kränkungen intensiv und lange zu erregen. Daher muss dem Verzei­hen im Allgemeinen eine Phase des Erlebens und der Verarbei­tung von Wut, eine "Wut-Arbeit" (vergleichbar der Trauer-Ar­beit) vorausgehen. Und man kann auch wieder aus dem Verzeihen herausfallen. So müssen wir immer wieder von neuem verzeihen, denn: Glaubt nicht, dass bei dem größten Glücke ein Wüterich jemals glücklich ist. (Christian Fürchtegott Gellert)

 

   Das spirituelle Annehmen kann also die Versöhnungs-Arbeit nicht ersetzen. Aber es kann helfen, schließlich den Sprung ins Verzeihen zu wagen. Und  spirituelles Annehmen kann generell sehr hilfreich sein für die Überwindung von Wut wie auch von Angst. Es  vermag einem ein Geborgenheitsgefühl in der Welt geben, ein Einverstandensein.

 

   Doch Spiritualität ist nicht allen Menschen zugänglich. D. h. nicht, dass diese Menschen unreif wären. Spiritualität beinhaltet immer ein spekulatives Moment, das für sehr realistische Menschen unbefriedigend ist. Zwar gibt es allmögliche Übungen und Methoden, um ein spiritueller Mensch zu werden. Aber anders als bestimmte Verhaltensweisen lässt Spiritualität sich nicht einfach einüben. Es ist letztlich etwas, das einem geschenkt wird. Dies macht schon deutlich, dass die Forderung „Lebe spirituell“ sehr problematisch ist.

 

  Nun wurde und wird aber von vielen Seiten ein totales Annehmen gefordert: Gerade heute hören wir  vor allem von esoterischen Richtungen: „Nimm alles an! Wehre dich nicht! Lass deinen Zorn los! Sei für alles dankbar!“

   Dabei bezieht man sich insbesondere auf den Buddhismus: Ärger gilt danach als - unreife - Ich-Verhaftung. Der "Ego-Mensch" unterteilt die Welt in Dinge, die er mag, und solche, die er nicht mag. Über die ärgert er sich, die bekämpft er. Nach buddhistischer Lehre ist das Ich aber nur eine Illusion. Unser wirkliches Selbst ist transpersonal, d. h. überschreitet die Persönlichkeit, ist letztlich universal. In Wirklichkeit gibt es gar keine Grenze zwischen den Menschen und den Dingen, sondern: Alles ist eins. Wenn wir das verstanden bzw. erfahren haben, geben wir unsere Ich-Abgrenzung auf. Wir bewerten die Dinge dann nicht mehr, sondern nehmen alles (als) "gleich-gültig" an, tauchen ein in die All-Einheit des Seins.
         

   Dieses unbedingte Annehmen, die absolute Hingabe an das Sein ist eine zwar faszinierende, aber extreme Lebens-Einstellung. Man kann darüber streiten, ob sie überhaupt möglich und sinnvoll ist. Sie mag vielleicht für einen Mönch oder Einsiedler in der Praxis zu leben sein, aber für einen normalsterblichen Menschen ist ein solches vollständiges Annehmen weder möglich noch wünschenswert. Sicher gibt es hier auch Unterschiede  der Art, dass manchem sehr gläubigen Menschen eine tiefe Hingabe möglich ist, anderen dagegen nicht.


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24.07.16  Annehmen und Spiritualität (1)

 

Anders als Gefühle, Wünsche und Gedanken gehört Spiritualität nicht unbedingt zum Seelenleben des Menschen. Spiritualität ist vielmehr eine Haltung, die sich normalerweise erst aus einer Persönlichkeitsreifung ergibt. Allerdings gibt es auch missglückte spirituelle Entwicklungen, die zu Angst oder Zorn führen und die zu überwinden sind.

 

   Bei all den vielen unterschiedlichen Formen von Spiritualität kann man  konstatieren: Sie beinhalten eine Art von Akzeptieren oder An­nehmen, das unser Fühlen, Denken und Verhalten betrifft.

  

   Es bedeutet: damit einverstanden sein, dass die Dinge so sind, wie sie nun einmal sind. Weniger bewerten, vor allem etwas Unbe­kanntes, Ungewohntes oder Unangenehmes nicht gleich ab­werten; sondern uns mehr auf die Erfahrung einlassen – vielleicht führt sie uns ja zu positiven neuen Erlebnissen und Entwicklungen. Dieses Annehmen kann auch sehr hilfreich sein, um Ärger und Angst zu überwinden. Man mag sogar so weit gehen zu behaupten, dass nur durch eine Akzeptanz des Lebens letztlich eine Zufriedenheit erreicht wird.

 

   Ein Annehmen kann zwar auch pragmatisch-rational begründet sein, dass man es einfach vernünftig findet, nicht zu kämpfen, weil die Erfolgschancen zu schlecht sind. Weil ich einsehe, dass ich  - jedenfalls im Moment – nichts gegen ein Problem unternehmen kann oder weil der Aufwand für ein Wehren zu groß wäre.

 

   Häufiger ist das Akzeptieren aber Ausdruck von Spiritualität oder Religiosität. Der Gläubige überantwortet sich seinem Gott, baut darauf, dass das Ärgernis in irgendeiner Weise Gottes Wille und damit gut sei, auch wenn ihm die Wege des Herrn unbegreiflich scheinen: „Dein Wille geschehe.“  Andere fühlen sich als Teil einer kosmischen Ganzheit, in der nichts ohne (hö­heren) Sinn geschieht. Man mag sich aber auch nur - existen­tialistisch - der "zärtlichen Gleichgültigkeit der Wett" hingeben, wie es der Philosoph Albert Camus formuliert hat. Berühmt aus der Geschichte ist auch die "stoische Ruhe", der Stoizismus eines Seneca und Marc Aurel, die Forderung nach völliger Gemütsruhe allen Widrigkeiten des Lebens gegenüber.

 

   Dieses spirituelle Annehmen  darf nicht mit der Haltung des sogenannten Annehmers verwechselt werden. Der Annehmer akzeptiert, weil er Angst vor Konflikten hat, weil er sich Harmonie und Anerkennung wünscht, oder auch nur aus Resignation, was eher ein Hinnehmen als ein Annehmen bedeutet. Der spirituelle Mensch nimmt dagegen die Welt  an auf Grund einer Verbundenheit mit dem Sein, weil er sich eins mit dem Leben fühlt.

 

   Insofern kann es auch für den Annehmer  wichtig sein, richtig akzeptieren zu lernen. Das klingt zunächst paradox und ist nicht ganz leicht zu verstehen. Oberflächlich gesehen sagt der Annehmer zu allem ja und amen. Aber tiefer betrachtet, bedeutet auch die Angst und die Anpassung des Annehmers ein Abwehren  – vor allem eben  ein Wegdrängen von Zorn. Der Annehmer ist also keineswegs automatisch ein spiritueller Mensch.

 

   Vor allem ist aber  der sogenannte Ablehner angesprochen, ein Charaktertyp, der eben ständig ablehnt, er muss akzeptieren lernen. Es geht um den (alten) Kämpfer, der überall einen Gegner oder Angriff wittert. Im Extrem geht es um den Mi­chael-Kohlhaas-Typ, der sich als Querulant und Prozesshansel von einer Fehde in die nächste stürzt.

 

   „Es ist unmöglich, jemandem ein Ärgernis zu geben, wenn er es nicht nehmen will“, heißt es bei dem Kulturphilosophen Friedrich Schlegel. Und ähnlich bei dem Dichter Friedrich Rückert: „Ein Ärgernis ist nur, wo man es nimmt, gegeben; dir Vorgeworfnes brauchst du ja nicht aufzuheben.“

 

   Das ist zwar überpointiert, aber doch bedenkenswert. Man (und frau) kann nicht alles bekämpfen und schon gar nicht alles besie­gen. Vor allem ist es unsinnig, die Welt, das Leben oder das Schicksal als Ganzes anzugreifen, als ob es ein persönlicher Gegner wäre, der einem übel wolle. Dem Leben ist mein Pro­test völlig egal, er schadet nur mir selbst. Und man braucht gar nicht immer zu kämpfen. "Nicht mehr siegen, und das als Mann", heißt es in einem Song. Es bedeutet eine große Frei­heit, die Wutwaffe aus der Hand zu legen, sich nicht mehr mit allem anzulegen, die Mitmenschen und sich selbst so sein las­sen, wie sie eben sind. 


Literatur: modifiziert aus Ben-A. Bohnke - Die Kunst, sich richtig zu ärgern


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